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KAPITEL 4

Aufs Gleis gesetzt

Schweinsteigers Weg durch die FC-Bayern-Jugend

Hermann Hummels erinnert sich noch genau an den Tag, als er Bastian Schweinsteiger zum zweiten Mal sah. Probetraining, großer Platz an der Säbener Straße. „Der Junge ist herausgestochen mit seiner Ruhe und Übersicht“, erzählt der Weltmeister-Vater und frühere Nachwuchskoordinator des FC Bayern (1995-2012). „Er war jetzt kein Pfeil, aber er hatte diese Leichtigkeit, die Spielintelligenz und gleichzeitig einen unheimlichen Biss im Zweikampf. Wir haben direkt unseren Chefscout Wolfgang Dremmler informiert, dass er das klarmachen soll mit 1860 Rosenheim.“

Dremmler, vierfacher Deutscher Meister mit dem FC Bayern und Vizeweltmeister 1982, kennt Fred Schweinsteiger über einen Sportartikel-Hersteller. Allzu große Überzeugungsarbeit muss er nicht leisten. Der Bub will zu seinem Traumverein, der Vater sieht sich in seiner Expertise bestätigt – mit 14 Jahren wechselt Bastian Schweinsteiger zum zweiten Mal den Klub.

Wer weiß, wie die Geschichte gelaufen wäre, hätte sich Hummels auf seinen ersten Eindruck verlassen. Denn auch an diesen Tag erinnert sich der ehemalige Talentförderer und jetzige Berater von Sohnemann Mats noch bestens: „Kunstrasen, kleines Feld, das Wetter war bescheiden. Und der Basti war im Spiel jetzt nicht so toll, dass er einem aufgefallen wäre. Das hab ich unserem Scout Jan Pienta auch gesagt.“ Dessen Antwort: „Aaach, der war nur nervös. Den müssen wir wieder einladen, der kann das viel besser!“

Pienta, wie Hummels und Hermann Gerland gebürtiger Westfale, ist eine dieser Spürnasen, denen sie an der Säbener Straße gar nicht genug danken können. 1986 kommt der gelernte Dreher über den Umweg Augsburg nach München, arbeitet beim Finanzamt und bewirbt sich mit der Erfahrung als Co-Trainer des ehemaligen Zweitligisten SC Herford für die Stelle als Jugendcoach beim FC Bayern. „Ich habe Uli Hoeneß im Olympiastadion abgepasst“, erzählt Pienta, „wir kamen ins Gespräch und er hat mir gesagt, dass ich Karl Hopfner meine Bewerbung schicken soll. Zwei Wochen später hat Hopfner zurückgerufen und gefragt, ob ich die A2 übernehmen will. Die hab ich dann vier Jahre lang trainiert, danach die D-Jugend, die C-Jugend, die A-Jugend. Und nebenher war ich als Scout unterwegs.“

Seit 2009 beschränkt sich Pienta aufs Sichten und bessert sich mit den 400 Euro plus Benzingeld die Rente auf. „Ich bin jetzt gut über 70“, sagt er, „aber der Fußball lässt mich nicht los. Es gibt ungesündere Leidenschaften.“

Schweinsteiger, Misimović, Hitzlsperger, Ottl, Lahm, Thomas Müller – Pientas Sichtungserfolge sind Legende beim FC Bayern. Auch wenn natürlich vieles Teamwork war und ist, „seine“ Entdeckergeschichten erzählt Pienta immer wieder gerne. „Ich wohne in München im Stadtteil Neuhausen. Eines Tages habe ich den Tipp bekommen, dass es da nebenan bei der FT Gern einen Jungen geben soll, der mit elf schon spielt wie ein Erwachsener. Das war Philipp Lahm. Anfangs wollte er nicht zum FC Bayern, sondern lieber weiter mit seinen Freunden spielen. Er hat mir gesagt, dass er auch schon von den Sechzigern angesprochen worden sei, aber die hätten ein Loch im Zaun und zu so einem Verein würde er nicht gehen.“ Wie er Lahm umgestimmt habe? „Ich habe keinen Druck ausgeübt“, versichert Pienta, „auch nicht gegenüber den Eltern.“ Der kleine Philipp habe mal den Balljungen machen dürfen bei einem Bayern-Spiel im Olympiastadion. Ein paar Tage später habe seine Mutter angerufen und gefragt, ob er mal zum Training kommen könne. „Er hat sich alles ganz genau angeschaut, war immer gerne im Hintergrund, ein schlauer Junge“, erzählt Pienta. „Beim Fuji-Cup in Augsburg haben wir ein paar Tage später mit der D-Jugend das Vorspiel für die Profis gemacht, da hat er dann Feuer gefangen.“

Und Schweinsteiger? Der sei ihm in der D-Jugend in Rosenheim aufgefallen, erinnert sich Pienta. „Keine Angst, was zu riskieren“, habe der Junge gehabt, den sie in der Heimat wegen seiner muskulösen Beine anerkennend den „Hax“ nennen. „Und er konnte sich durchsetzen“, sagt Pienta „Der ist nicht so leicht umgefallen, auch wenn er mal härter gerempelt wurde. Bei seinem Balancegefühl und den schnellen Körperdrehungen hat er bestimmt auch von seinem Skitraining profitiert.“ Weitere entscheidende Kriterien für Pienta: „Wenn einer im Kopf schnell schaltet, lauffreudig ist, mannschaftsdienlich spielt und eine soziale Komponente hat, dann ist er interessant für uns. Dieses Grundverständnis von Fußball, instinktiv zu erkennen, wann man dribbeln oder passen muss, das lässt sich in späteren Jahren kaum noch lernen. Für die Mentalität gilt das genauso. Ich habe genügend Spieler erlebt, die zu Bayern gekommen sind, sich angepasst haben und zu schnell zufrieden waren, weil sie dachten, sie hätten das Schwerste schon hinter sich. Das Gegenteil ist der Fall! Diejenigen, die es später zu den Profis schaffen, haben den unbedingten Willen, sich immer weiter zu verbessern, Zusatztraining zu machen, wenn sich der Rest die Schuhe auszieht. Genau so ein Typ war der Basti.“

Viermal pro Woche fährt ihn seine Mutter Monika anfangs zum Training nach München. Knapp 90 Kilometer einfach, eine Stunde hin, eine zurück – falls der Autobahnverkehr über den berüchtigten Irschenberg nicht ins Stocken gerät. Später richtet der FC Bayern einen Kleinbus-Fahrdienst ein, um den Eltern der Spieler aus der Rosenheimer Gegend, neben Schweinsteiger u. a. Timo Heinze und Florian Heller, das Leben zu erleichtern. Schweinsteiger „wohnte am weitesten draußen von uns allen, in Oberaudorf, und wir mussten daher einen ziemlichen Umweg für ihn fahren“, erinnert sich Heinze in seinem 2012 veröffentlichten Buch Nachspielzeit. Eine unvollendete Fußballkarriere. „Auch wenn dieser Ums tand als Mitfahrer damals recht nervig war, haben sich die Zusatzkilometer für den deutschen Fußball bekanntlich mehr als gelohnt.“

Zur Realschule geht Schweinsteiger weiterhin in Brannenburg bei Rosenheim, glänzt dort vor allem im Sport (mit Abstrichen auch in Mathe) und wurschtelt sich beim Rest mit Charme durch, wie seine Lehrer den Zeitungen, Fernseh- und Radiosendern Jahre später im Zuge des 2006er „Sommermärchens“ berichten werden. Den Bayern-Spieler lässt er nicht raushängen, Trainingsanzüge oder T-Shirts seines prominenten Vereins zieht er in der Schule nicht an. Trotzdem sei hier und da „ein gewisser Promibonus beim weiblichen Geschlecht spürbar“ gewesen, erzählen ehemalige Mitschüler.

Dass Schweinsteiger nach und nach seinen bairischen Dialekt verliert und bald nur noch mit Mühe als Inntaler Muttersprachler zu identifizieren ist, erklärt sich mit seinen neuen Mitspielern in München. „Ich habe ihn mal gefragt: ‚Basti, wo ist dein Bairisch hin?‘“, erinnert sich Schweinsteigers ehemaliger Musiklehrer Alois Plomer in der Welt. „Da grinste er und sagte: ‚Die anderen im Verein müssen mich doch verstehen können!‘“

Die zehnte und letzte Klasse bis zur Mittleren Reife absolviert Schweinsteiger in der Adalbert-Stifter-Realschule in München-Steinhausen. „Ich war nicht der beste Schüler, auch nicht der schlechteste, so mittendrin mit Tendenz nach unten“, blickt er im Magazin GQ zurück. „Ich konnte nicht mehrere Buchseiten durchlesen und genau wissen, was drinsteht. Ich musste alles mühsam auswendig lernen. Das letzte Jahr in der Realschule war am härtesten.“

Nach dem Abschluss hat die Fahrerei ein Ende, mit jetzt 15 Jahren ist Schweinsteiger ein stolzer Bewohner des FC Bayern-Jugendinternats – zusammen mit späteren Profis wie Torwart Michael Rensing, dem schussgewaltigen Offensivspieler Piotr Trochowski und dem türkischen Torjäger Erdal Kılıçaslan. Wichtigste Bezugsperson ist Internatsleiterin Christa Schweinberger, die sich nicht nur ums Frühstück und schulische Probleme kümmert, sondern als Ersatzmama für ihre „Buben“ stets ein offenes Ohr hat, wenn das Heimweh oder der Herzschmerz zu groß werden. Entsprechend tief sitzt der Schock beim FC Bayern, als Schweinberger im November 2006 mit erst 62 Jahren verstirbt. „So etwas wie diese Frau findet man nur ganz selten“, sagt Jugendleiter Werner Kern. Amateure-Trainer Hermann Gerland lässt seine Mannschaft am Wochenende nach der Todesnachricht mit Trauerflor spielen: „Für mich war Christa eine Freundin, die ihre Sache herausragend gemacht hat.“

Schweinsteigers größter Förderer zu Beginn der Bayern-Zeit ist Stephan Beckenbauer. Der drittälteste Sohn des „Kaisers“, 2015 an einem nicht operablen Hirntumor verstorben, steht als Fußballer stets im Schatten der „Lichtgestalt“, zumal er als Libero bei 1860 München, Kickers Offenbach, beim Schweizer Zweitligisten FC Grenchen und beim 1. FC Saarbrücken (zwölf Erstliga-Einsätze) auch noch auf der Position seines Vaters spielt. „Ich wusste von Anfang an, dass ich nie dieses Leistungsvermögen habe oder diese, ja, Göttlichkeit, Fußball zu spielen, wie sie mein Vater hat“, sagt Beckenbauer 2009 in einem Interview mit dem Spiegel. „Ich wusste, ich komme niemals an ihn ran, ich kann diese Fußstapfen niemals ausfüllen. Ich habe es einfach gewagt, weil ich von Kindheit an Spaß daran hatte und weil ich mein Hobby zum Beruf machen konnte und damit mein Geld verdient habe.“

Eine Knieverletzung mit 29 Jahren bedeutet 1997 das Ende der aktiven Karriere. Seine wahre Erfüllung lindet Stephan Beckenbauer als Nachwuchstrainer des FC Bayern. Als Ausbilder sei er ein „Glücksfall“ für den Rekordmeister gewesen, sagt Hermann Hummels. „Mit seinem sensationellen Laissez-faire und seinem Einfühlungsvermögen hat Stephan wunderbar zu den 15- bis 17-Jährigen gepasst, die noch auf der Suche nach ihrer Persönlichkeit waren.“ Wie Michael Rensing, wie Piotr Trochowski, wie Christian Lell – oder eben wie Bastian Schweinsteiger.

Am Schweini gefällt Beckenbauer die Unangepasstheit, das Freche, der Biss. „Der Bastian ist ein Kämpfer. Er wollte immer gewinnen. Er hatte diesen Glanz in den Augen“, sagt der Trainer 2010 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Er war länger draußen als die anderen, jede freie Minute, auch im Regen. Er liebte den Ball, der konnte nicht mal einen Einwurf machen, ohne ihn auf der Schulter tanzen zu lassen.“ Schon zu C-Jugend-Zeiten, vor dem Umzug ins Internat, ist der Kontakt ein spezieller. Wenn es Trainingspendler Schweinsteiger nach der Einheit am Abend nicht mehr heim nach Oberaudorf schafft, kann er bei Beckenbauer und dessen Frau übernachten.

Nach der B-Jugend-Meisterschaft (4:0 im Finale gegen Borussia Dortmund) und einem abgelehnten Angebot vom Hamburger SV gewinnt Schweinsteiger im Jahr darauf durch ein 4:0 gegen den VfB Stuttgart auch mit der A-Jugend den Titel. Sein Trainer ist der ehemalige Bayern-Profi Kurt Niedermayer, und auf der Tribüne im Unterhachinger Sportpark verfolgen Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, KarlHeinz Rummenigge und die DFB-Jugendtrainer Horst Hrubesch und Uli Stielike, wie Schweinsteiger eine starke Partie spielt und das 1:0 für Kılıçaslan vorbereitet. Auch Bayerns Cheftrainer Ottmar Hitzfeld ist unter den Beobachtern. Vier Monate später wird er Schweinsteiger zum ersten Mal bei den Profis einsetzen.

Schweinsteiger

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