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KAPITEL 2

Altarraum für den Fußballgott

Ein Besuch in Oberaudorf

Man nehme die Füße von Bastian Schweinsteiger und Skisprung-Olympiasieger Marinus Kraus, dazu die Hände von Edmund Stoiber … Was klingen mag wie die Bastelanleitung für einen oberbayerischen Sportpolit-Wolpertinger, ist der von der Gemeindeverwaltung so getaufte „Oberaudorfer Walk of Fame“. Vor dem schmucklosen Rathaus haben die drei berühmtesten Söhne des Ski- und Luftkurortes an der A93 ihre tiefen und dauerhaften Eindrücke hinterlassen – gegossen in Bronzeplatten, deren Abstand auch für einen professionellen Dreispringer eine Herausforderung darstellen würde. Sechs handelsübliche Pflastersteine sind es von Schweinsteigers Spuren bis zum Krausschen Fußabdruck. Zwischen Skispringer und Landesvater a.D. liegen noch mal elf optimistisch verlegte Platten. Kein Zweifel, Oberaudorf ist gewappnet für prominenten Nachschub.

Der Verkehr ist beachtlich an diesem winterlichen Nachmittag Ende 2017 in der 5.000-Einwohner-Gemeinde. Das gefühlte Unentschieden zwischen Rosenheimer und Kufsteiner Autokennzeichen zeugt von der unmittelbaren Grenznähe zu Tirol, entsprechende Betriebsamkeit herrscht an der Großtankstelle auf der steuerlich begünstigten Seite jenseits der Innbrücke. Tanktourismus heißt das Stichwort. In Oberaudorf selbst hält sich nur noch eine Zapfstelle über Wasser, vornehmlich aus Gründen der Solidarität. Polizei, Feuerwehr und die Gemeindebediensteten holen sich ihren Sprit weiterhin vor Ort, die angegliederte Werkstatt trägt ihren Teil zum Fortbestand bei.

Wer sich einen Eindruck von den Wechselwirkungen zwischen Autoverkehr und Landschaft machen will, der ist in Oberaudorf nicht an der schlechtesten Adresse. Die 2017 fertiggestellte Lärmschutzwand zur Autobahn ist weithin sichtbar, vom doppelgaragigen Reihenhaus der Schweinsteigers aus blickt man direkt auf das hölzerne Bauwerk. Der Zweck heilige die Anmutung, heißt es auf Nachfrage im Rathaus. Lärm- und Feinstaubbelastung hätten seit der Errichtung jedenfalls stark abgenommen.

Bis zum Klubgelände des FV Oberaudorf sind es von hier in der Sonneckstraße nur ein paar hundert Meter. Bastian und sein großer Bruder Tobias dürften die Strecke als Buben in kaum zwei Fahrradminuten bewältigt haben: die Kaiserstraße raufgesaust, ein kurzes Stück auf der Tiroler Straße und dann scharf links rein in die Sportplatzstraße. Dort erwarten den Besucher hinter der Tenniswelt Wilder Kaiser Dutzende Birken, Buchen, Fichten und ein zweckmäßiges Vereinsheim mit obligatorischem Pay-TV-Abonnementsschild. Burgberg und Florianiberg erheben sich im Osten, im Westen grüßen aus der Ferne die Gipfelvorboten Tirols. Viel malerischer kann ein Fußballplatz nicht liegen.

Rund um das Kirchlein Zu Unserer Lieben Frau in Rufweite zum Rathausplatz knirscht der Kies unter den Sohlen. Wer vom Friedhof durch die schwere Metalltür in den barockisierten Bau tritt, lässt den Strukturwandel hinter sich. Zu erwerben gibt’s freilich auch hier was. Terminpläne und Ansichtskarten für 60 Cent liegen auf halber Strecke zum Altarraum auf dem Verkaufsregal, links daneben die Münchner Kirchenzeitung und der Altöttinger Liebfrauenbote für 1,35 Euro.

Vom Gotteshaus zum Fußballgott führt beinahe schnurstracks die Rosenheimer Straße. Zur Linken lockt das Gasthaus Alpenrose mit seiner auf die Wand gepinselten Weisheit: „Hätt Adam Wein & Auer’s Bier besessen, hätt er den Apfel nicht gegessen.“ Rechts wartet das Hotel Lambacher Garni samt integriertem Pils-Pub auf trockene Kehlen. Weiter geht’s an der Raiffeisenbank und Allianz-Zweigstelle vorbei, am Blumen Hauser und der Parfümerie Bayerschmidt, dann lächelt er einem schon entgegen, der Schweini. Und das nicht nur einmal.

Im 1980 eröffneten Sport Schweinsteiger, seit 2006 vom ehemaligen Auszubildenden Hubert „Hacki“ Wimmer geführt, hat auch der Weltmeister eine Art Altarraum bekommen. Ein signiertes Finaltrikot von Rio hängt über dem Regal, daneben sitzt Bayern-Maskottchen Bernie, ebenfalls mit Unterschrift auf dem Trikot. Wimmers größter Stolz sind die zwei Paar Fußballschuhe hinter dem Glas einer dreistöckigen Vitrine. Sie stammen aus Schweinsteigers Anfangszeit bei den Bayern-Profis, sagt der Geschäftsführer und erklärt die eingeprägten Initialen: DBS für seine damalige Freundin Daniela, Bastian & Schweinsteiger. Und TMF für Bruder Tobias, Mama Monika und Papa Fred – dazu jeweils die „heilige“ Rückennummer 31.

Vom wohl größten Tag der Oberaudorfer Sportgeschichte zeugen die Fotos über Wimmers Bürotür. Euphorisierte Menschentrauben vor dem Sportgeschäft, Schweinsteiger-Fans mit Deutschland-Fähnchen und mittendrin der blondierte Stolz im braun-weißen Ringelshirt. Von diesem Empfang am 21. Juli 2006, knapp zwei Wochen nach der Sommermärchen-WM, stammen auch die Fußabdrücke vor dem Rathaus.

„Das Dorf präsentierte sich im schwarz-rot-goldenen Kleid, von der Fußballjugend bis hin zur Blasmusik war alles auf den Beinen“, schreibt die Heimatzeitung damals. Und damit nicht genug: „Der Kinderchor ‚Klosterschwalben‘ schmetterte zusammen mit allen Fußballfans den WM-Hit ‚54-74-90-2010‘ der ‚Sportfreunde Stiller‘.“ Schließlich hatte sich die 2006er-Version nicht ganz bewahrheitet.

Warum aus der angekündigten Ehrenbürgerschaft für Bastian bis heute nichts geworden ist? Bürgermeister Hubert Wildgruber (CSU) berichtet von Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme. Rückmeldungen seien ausgeblieben, das Ganze irgendwie im Sande verlaufen. Die atmosphärischen Störungen zwischen der Gemeindeverwaltung und der Familie Schweinsteiger, von denen im Ort erzählt wird, will Wildgruber nicht größer machen, als sie sind. Sein Kontakt sei gut, was andere sagen, wolle er nicht kommentieren. Gestorben sei das Thema Ehrenbürgerschaft jedenfalls nicht. „Es ruht“, sagt der Bürgermeister. „Aber der Basti ist ja auch erst Mitte Dreißig.“

Edmund Stoiber musste fast doppelt so alt werden, bis ihn die Ehre ereilte.

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