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I BHARAT DARSHAN

Kleine Gebrauchsanweisung für dieses Buch


Ohrenbetäubender Lärm. Millionen unterwegs zum heiligen Fluss. Grellgelbe Gewänder fallen, nackt steigen die Sadhus in das heilige Wasser. Leichen verkohlen auf den Scheiterhaufen, brennende Körperteile bäumen sich auf, wenn die Seele entweicht.

Erschütterung in der Konfrontation mit dem vollkommen Fremden.

Alle Zugtickets sind ausverkauft, und der Busverkehr liegt brach. Ich hänge fest und komme nicht weg. Um mich herum Menschenozeane in einer der größten Städte Asiens, und die Temperaturen liegen über 45 Grad. Panik und Platzangst. Was will ich eigentlich hier?

Der Mond scheint durch die Palmendächer, die sich im sachten Nachtwind wiegen. Schwarz kräuselt sich die Brandung am Ufer wie eine unruhige Schlange. Ein leises Rauschen ist zu hören, sonst ist es still. Ich lege meine Füße auf die Brüstung und blicke in die Dunkelheit. Allein mit einer Minute des Glücks.

Erschütterung, Panik, Platzangst und Glück – das sind nur einige der Gefühle, die Indien unweigerlich erzeugt, wenn man das Land alleine und auf sich selbst gestellt bereist. Die Empfindungen, die den Reisenden dabei bedrängen, sind umfassender, direkter, erfüllender als in fast allen anderen Regionen der Erde. Indien verwandelt jeden, der sich ihm wirklich zu nähern versucht, in einen Resonanzraum, in dem sich Selbstwahrnehmung und Wirklichkeit auf eine neuartige Weise verbinden – peinigend, verändernd, furchterregend und beglückend zugleich. Indien ist kein Reiseland. Indien ist eine Passion.

Ich bin dieser Passion mein Leben lang gefolgt, sooft und wann immer ich konnte. Von den Quellen des Ganges im Norden bis Kap Komorin im Süden, von Gujarat im Westen bis zu den Sunderbans im Osten bin ich an der Seite der Einheimischen mit Bussen und Bahnen durch Indien gereist. Oft war ich glücklich, oft war ich einsam, aber niemals war ich alleine. In den unzähligen Hostels, die den Subkontinent überziehen, fanden sich immer andere Individualreisende, mit denen man sich austauschen oder sogar eine Zeit lang gemeinsam reisen konnte. Oft traf ich auch auf schräge Vögel, doch viele der Backpacker, denen ich in Bussen und Bahnen begegnete, waren imponierende Reisegestalten, die Lord Byrons Diktum zu folgen schienen, nach dem das Reisen eine intensivere Form des Lebens ist. In noch viel stärkerem Maße gilt das für die unübersehbare Zahl von Gujaratis, Bengalis, Tamilen, Punjabis, Kaschmiris und allen anderen, mit denen ich einen Teil meiner Reisezeit verbrachte und denen ich den größten Teil dessen verdanke, was ich über dieses Land weiß.

Ihnen widme ich dieses Buch – und natürlich allen Indiennovizen, die mehr über dieses Land erfahren möchten.

Die Darstellung dieses Reisebuches verfährt nicht chronologisch, auch wenn das erste Kapitel, Heiligabend in Delhi, noch aus dem letzten Jahrhundert stammt und das letzte Kapitel über die Kumbh Mela aktuell ist. Es kam mir vielmehr darauf an, dem Leser, der den Kapiteln dieses Buches folgt, auf eine gesamtindische Reise mitzunehmen, auf der er on a shoestring alle wesentlichen Regionen des Landes nacheinander kennenlernen kann - wenngleich die einzelnen Kapitel auch für sich gelesen werden können. In vielen Orten, die in diesem Buch beschrieben werden, war ich mehrfach unterwegs, manche Routen habe ich auch andersherum bereist, manchmal wurden die Erfahrungen der ersten Reise durch die Erlebnisse einer zweiten Reise verdichtet. Nur ganz selten habe ich, wenn es zu persönlich wurde, die Namen von Personen oder Guesthäusern verändert. Einer persönlichen Schwäche für die Geschichte folgend habe ich, wo immer ich konnte, die Tempel und Monumente besucht und mich redlich bemüht, das, was ich sah, auch zu verstehen.

Dass alle meine Betrachtungen und Wertungen subjektiv gefärbt sind, versteht sich von selbst – andernfalls wäre das Buch eine reine Landeskunde. Zur Vollständigkeit dieser Einleitung gehört auch der Hinweis, dass ein Teil der Texte in gekürzten Formaten bereits als Reiseberichte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der ZEIT, der Süddeutschen Zeitung oder anderen Periodika erschienen sind.

Ein Glossar am Ende des Buches mag das Verständnis mancher Details erleichtern. Dort finden sich auch einige Hinweise für diejenigen, die sich Indien nicht nur auf den Pritschen einer Eisenbahn, sondern auch im Lesesessel nähern wollen.

Nichts, was jemals über Indien gesagt oder geschrieben wird, kann ganz vollständig oder ganz richtig sein. So verhält es sich selbstverständlich auch mit diesem Buch, denn auch jenseits der hier beschriebenen indischen Reisen gibt es noch jede Menge zu entdecken.

Bharat Darshan, die Begegnung mit Indien, ist niemals zu Ende.

Aber irgendwann fängt sie an, und bei mir war das an einem Heiligabend in Indien...

Indische Reisen

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