Читать книгу Der Kugelmensch - Luise Phillis - Страница 10
3. Kapitel Die verhängnisvolle Entscheidung zwischen Sinnlichkeit und dem geistigen Ursprung oder: Die Angst vor dem Ausleben von Lust als Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, nach dem Universellen
ОглавлениеDie verblendete Seherin
Der zweifelnde Mönch
Sich entscheiden heißt nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“.
Nichts ist so wichtig und gleichzeitig so problematisch für den zivilisierten Menschen wie die Sexualität. Das trifft besonders auch für den Menschen zu, der in der globalisierten Welt der technischen Errungenschaften und des Fortschritts lebt.
Eine unvermittelt unverkrampfte Einstellung zur Sexualität hat die Trennung von Natur und Geist, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt hat, bis heute verhindert.
Bei Naturvölkern hat es zwar eine entsprechend naturgemäße Einstellung zur Sexualität, zum Geschlechtsakt gegeben. Jedoch diente dieser vor allem der Fortpflanzung, dem obersten Gesetz der Natur: „Der Erhaltung der Art“.
Gelebte Sexualität aus reinem Lustempfinden heraus war wohl während der gesamten Menschheitsgeschichte bis einschließlich heute nicht unproblematisch, besonders für die Frau, die als Konsequenz in der Regel schwanger wurde. Und so war sexuelles Lustempfinden besonders für die Frauen auf unbewusster Ebene immer durch eine Urangst begleitet und entsprechend gedämpft.
Der Entdecker der Tiefenpsychologie, Sigmund Freud (1856-1939) beschreibt in seinem Buch „ Das Unbehagen in der Kultur“ (...“und andere kulturtheoretische Schriften“, Fischer-Taschenbuch, Frankfurt am Main, 1994), dass der Mensch in der Zeit der „Jäger und Sammler“ eine freie Sexualität lebte, die nicht reglementiert war. Erst als die Menschen sesshaft wurden, taten sie sich zu Familien, zu Sippen zusammen, um sich so besser und stärker behaupten zu können. Nach Freud fing zu dieser Zeit das Dilemma des Menschen an, denn es war jetzt notwendig, Regeln aufzustellen, um zusammenleben zu können. Mit diesen und den größer werdenden Lebensgemeinschaften zusammen entwickelte sich die Kultur, die nach Freud auch dem modernen Menschen Unbehagen bereitet. Der Inzest war in diesen Urgesellschaften teilweise noch üblich und in einigen Kulturen ist Bruder- und Schwesterliebe, wie sie es u. a. auch z. B. im alten Ägypten gegeben hatte (Cleopatra und ihr Bruder), heutzutage immer noch erlaubt. Worin besteht nun dieses Unbehagen in der Kultur, von dem Freud spricht? Es ist das Domestizierte der wilden ursprünglichen Energie, der Sexualenergie, das einerseits für ein gesellschaftliches Leben notwendig ist, gleichzeitig allerdings immer mit einer gewissen Unterdrückung des Natürlichen verbunden ist. Hier das richtige Maß hinzubekommen zwischen natürlicher Triebhaftigkeit und gesellschaftlichen Regeln, Menschenrechten, Menschenpflichten, Gesetzen und Konventionen ist bis zum heutigen Tage ein weltweites Thema. Freuds (Wieder-) Entdeckung der Sexualität als einen natürlichen Trieb, der den Menschen seit seiner Geburt bereits begleitet und seine Lebensenergie schlechthin darstellt, hat seit dem Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Menschheit tiefgehend beeindruckt, beeinflusst und bis ins 21. Jahrhundert verändert. Jedoch ist diese Spaltung in Natur- und Kulturmensch geblieben, und es ist die Aufgabe des Menschen diese Spaltung von z. B. Sexualität und gesellschaftlichen Normen zu überwinden. Das ist besonders schwierig, denn in den letzten zwei Jahrtausenden entwickelten sich durch die christliche Kirche und durch die Anfänge der westlichen Philosophie sowie durch die Entwicklung und Vormachtstellung der Naturwissenschaften gegenüber den Geisteswissenschaften eine dualistische Weltanschauung, die die Trennung von Körper und Geist bedeutete. Dies hat zur Folge, dass der Mensch eine Abspaltung von sich selbst erfährt. Das folgende Märchen zeigt am Beispiel einer jungen Frau, die sich in dem Dilemma befindet, sich entscheiden zu müssen zwischen zwei Lebensmöglichkeiten, die sich einander auszuschließen scheinen. Jedoch kann sich der Mensch gar nicht zwischen zwei Lebensbereichen entscheiden, die ursprünglich zusammengehören. Sinnenfreude, Muttersein und Spiritualität schließen einander nicht aus, sondern gehören zusammen. Das kann die Protagonistin in dem folgenden Märchen noch nicht erfahren.