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Die verblendete Seherin

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Von der Schwierigkeit, authentische Weiblichkeit zu erfahren und diese lustvoll leben zu können

Zu einer Zeit gab es ein junges Mädchen, das war in einem Kloster groß geworden. Es konnte zu Gott beten, meditieren, Choräle singen und Verse machen, fasten und schweigen. Als das Mädchen 19 Jahre alt und eine junge Frau geworden war, sollte diese sich entscheiden, ob sie für immer im Kloster leben wolle, oder ob sie einen Mann heiraten und eine Familie haben wolle. Die junge Frau wusste nicht so recht, wie sie nun leben sollte, aber auf keinen Fall wollte sie im Kloster bleiben. Unter dem Vorwand, heiraten zu wollen, verließ sie das Kloster und ging in eine entfernte Stadt. Dort logierte sie sich bei einer alten Frau ein, die ihr eine Arbeit verschaffen wollte. Die junge Frau war glücklich, eine Unterkunft gefunden zu haben.Nun hatte die alte Zimmerwirtin einen Sohn, der jung und sehr stattlich anzusehen war und der sein Zimmer neben dem der jungen Frau hatte. Als nun der Mann der jungen Frau behilflich war, ihre Habseligkeiten in ihrem Zimmer unterzubringen, da war sie sehr beeindruckt von dem Mann und konnte nachts nicht schlafen, und musste immer an ihn denken.Sie fühlte sich allein und wünschte sich in ihr Kloster zurück, wo sie das Leben kannte. Als der junge Mann eines Abends an ihre Tür klopfte und ihr mitteilte, er solle von seiner Mutter ausrichten, sie hätte zwar noch keine Arbeit für sie gefunden, aber dafür könne er ihr in dieser Angelegenheit weiterhelfen, spürte sie so etwas wie eine vorher nicht gekannte Vertrautheit und ihr Gefühl des Alleinseins verließ sie. Da der junge Mann nun sehr schön war und zurückhaltend wirkte und immer noch in der Tür stand, da bat sie ihn in ihr Zimmer, obwohl oder weil sie so große Herzklopfen hatte. Er setzte sich auf einen Stuhl, der neben einem kleinen Tisch unter dem Fenster stand, und sein Gesicht schien hell und klar. Die junge Frau fühlte sich zu dem Mann hingezogen und überwältigt und sie verbrachten schließlich die Nacht zusammen. Die junge Frau war sehr glücklich, so etwas Schönes hatte sie noch nicht erlebt in ihrem kurzen Leben. Als der junge Mann morgens das Zimmer verließ, konnte die junge Frau diese Trennung kaum aushalten und wartete während des ganzen Abends auf den jungen Mann. Auch die ganze Nacht lauschte sie auf ein Klopfen, auf ein Zeichen, jedoch der junge Mann kam nicht, auch den nächsten Abend nicht, auch nicht die Abende darauf. Es vergingen Wochen und Monate und schließlich wurde die junge Frau so unglücklich und verzweifelt, dass sie nicht mehr weiter leben wollte, jedoch lebte es sich irgendwie wie von selbst, da in ihr neues Leben heranwuchs, sie war schwanger. Nun hatte sie immer noch keine Arbeit gefunden und half der Zimmerwirtin im Haushalt, jedoch als diese die Schwangerschaft bei der jungen Frau bemerkte, wurde sie sehr zornig und warf die Frau hinaus, ohne sie anhören zu wollen. Diese wusste nun nicht, wohin sie gehen sollte und war verzweifelt. Da bot ihr eine andere Frau auf der Straße Quartier und sagte, sie könne ihr im Haushalt helfen. Und so arbeitete die junge Frau als Haushaltshilfe, bis ihr Kind geboren wurde. Nach der Geburt, es war ein Mädchen, blieb der jungen Frau nichts anderes übrig als es in eine Pflegefamilie zu geben. Das brach ihr fast das Herz oder vielleicht auch vollständig. Jedenfalls beschloss die Frau, ihr Kind sollte es einmal –wie auch immer- besser haben und so fing sie an Geld herbeizuschaffen. Da die Frau, bei der sie im Haushalt hatte arbeiten können, viele junge Frauen beherbergte, die sich ihr Geld mit dem Angebot ihrer „Liebeskünste“ verdienten und die junge Frau viel Geld benötigte, um ihrem Kind ein erträgliches Dasein in der Pflegefamilie zu ermöglichen, fing sie eines Tages auch an, sich und ihren Körper anzubieten. Doch sie war sehr unglücklich und weinte dann bitterlich und dachte sehnsüchtig an die Zeit zurück, als sie im Kloster gewesen war.Dort hatte sie in einem weißen kargen Raum gesessen, meditiert, gefastet und zu Gott gebetet. Dort gab es keine Lust und keine Sinnenfreuden und keine materiellen Sorgen. Allerdings war sie auch nicht glücklich gewesen. Nun war sie verzweifelt und wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Da erschien ihr im Traum ihre Mutter Oberin aus dem Kloster und sagte voller Mitgefühl mit der jungen Frau“ Du hast die Welt der Askese und Meditation im Kloster und die Welt außerhalb der Klostermauern kennen gelernt. Wenn du eines Tages entdeckst, dass es eine Welt ist ohne Mauern und du in dieser ohne Schuld, Scham und Angst leben kannst, dann bist du angekommen!“Als die junge Frau aus diesem Traum erwachte, hatte sie zwar erahnt, was die Mutter Oberin meinte, sie fühlte sich jedoch immer noch zwischen zwei Welten, zwischen der einer meditativen und der einer sinnlichen Frau.

Das Sich - Zurück - Sehnen des Halbkugelmenschen nach dem Kugelmenschen wird besonders im Ausleben der Sexualität deutlich. Die sexuelle Lust, der Orgasmus, ermöglicht so etwas wie ein „Einsseingefühl“, so etwas wie Vollständigkeit und Ganzheit, was wir häufig auch mit einer Kugel verbinden, die so etwas wie den perfekten Körper darstellt. Durch die körperliche Verbundenheit zweier Menschen während des Geschlechtsaktes erfährt der Mensch sich ein wenig als der aristophanische/platonische Kugelmensch, mit vier Armen, vier Beinen, zwei Köpfen und zwei Geschlechtsorganen… Während des Geschlechtsaktes scheint die intensive Sehnsucht nach Ganzheit, nach Einssein zumindest für Momente gestillt. Dieses Einsseins im Ursprünglichen ist etwas „Außerirdisches“ und gleichzeitig erdverbunden, diese beiden Attribute gehören zusammen. Es ist die Verbundenheit mit dem „Himmlischen“ und dem „Irdischen“, dem Göttlichen und dem sich sehnenden Halbkugelmenschen. Diese Verbundenheit gilt es in diesem Leben wiederzuentdecken und sie zu erfahren, sie zu erleben, zu leben.

Jedoch ist dies nicht so einfach, da diese Verbundenheit nicht nur im Verlauf der Menschheitsgeschichte verloren gegangen ist, sondern bereits zu Beginn der Menschheit nicht mehr existierte.

Der Mensch war getrennt von seiner Ganzheit und hat in diesem Leben, die Aufgabe diese Trennung weitestgehend aufzuheben. Das Ausleben der Sexualität als universelle Urkraft bietet eine Möglichkeit die Sehnsucht nach Ganzheit zumindest teilweise zu überwinden und ein zeitweises Gefühl von „Angekommensein“ zu erfahren. Dennoch gibt es bis zum heutigen Tage eine Art Verirrung, was das Ausleben der Sexualität betrifft, da die Sexualität und die Spiritualität, d.h. das Geistig/Geistliche voneinander getrennt sind, obwohl beides zusammengehört.

Durch die Zivilisation und die damit verbundenen Regeln hat diese Trennung zwischen Natur und Geist stattgefunden.

Wir haben ein Bordell, wo „Liebe“ = Sexualität käuflich ist und wir haben eine Kirche, die Sexualität nur als Fortpflanzungspflicht ansieht (die katholische Kirche z. B.).

Auch der Versuch einer sexuellen Befreiung in der 68-er Revolte im 20.Jahrhundert in Europa und in den USA haben nicht viel an der Gespaltenheit und an den Irrwegen, die die Sexualität im menschlichen Dasein einnimmt, geändert oder jene verhindert.

Was können wir nun wirklich tun, wenn wir dieses Gespaltensein aufheben wollen? - Wir müssen lernen, uns selbst zu verstehen, uns selbst in dem folgenden Sinne Fragen zu stellen: wo kommen wir her, was sollen wir hier, auf dieser Erde, wohin gehen wir? Welches sind unsere Aufgaben als Mann und Frau? …

In diesem Märchen sind unsere eigenen Anteile, die Weiblichkeit zwar schon ausgeprägt vorhanden, sie ist für die Sexualität bereit, sie sehnt sich nach dem Anderen, nach Körperlichkeit, aber der weibliche Anteil ist noch sehr naiv und domestiziert zugleich. Die junge Frau ist zwar christlich erzogen, kann Gott dienen, ist mit Meditation und kirchlichen Regeln vertraut, allerdings kann sie mit diesem einseitig gestalteten Leben nicht glücklich werden und verlässt das Kloster, die Abgeschiedenheit und damit auch das Geistig-Geistliche (das hier vor allem in einer reglementierten Form vertreten ist). So lernt sie die Sinnlichkeit, das weltliche Dasein kennen.

Der männliche Seelen-Anteil in diesem Märchen ist fast gar nicht entwickelt. Er tritt nur kurz als Verführer des Weiblichen in Erscheinung. Als junger „Liebhaber“, der Sohn der Wirtin, ist er wild auf das Ausleben von Sexualität, aber er meint es nicht ernst, er „verführt“ die junge, wirklich unschuldige Frau, hinterlässt Spuren, indem er sie in dieser einzigen gemeinsam verbrachten Nacht schwängert und anschließend verschwindet, nicht mehr in Erscheinung tritt. Die Protagonistin erlebt in dieser ersten Nacht mit einem Mann all das, wonach sie sich heimlich gesehnt hat, das, was sie nicht kannte, was ihr vielleicht das Glück hätte bescheren können, was das kontemplative, meditative Leben ihr nicht ermöglichte. Das Klosterleben hat sie auf das Leben „draußen“ nicht vorbereitet, so dass sie in die erste „große Falle“ hineinstolpert, mit dem ersten Mann, der er ihr begegnet, lässt sie sich ein, verbringt die Nacht mit ihm und versteht die Welt nicht, als dieser für immer wegbleibt.

Sie ist auf sich allein gestellt, allein in der großen Welt der Materie, denn die Welt des Geistes hat sie verlassen. Da sie diese beiden Welten nur als trennend erfahren hat, auf der eine Seite die Welt des Klosters mit seinen strengen Regeln und Zeremonien (was heute fälschlicherweise oft noch als Spiritualität missverstanden wird) und auf der anderen Seite die Welt der Sinnlichkeit und Materie, ist ihr Leben gespalten und kann nicht glücklich und erfüllt sein. Die gelebte Einseitigkeit verhindert ein Ganzheitsgefühl und so etwas wie Liebe kann gar nicht erst entstehen. Es bleibt ein tiefes Sehnsuchtsgefühl bei dieser jungen Frau, die Sehnsucht nach einem verständnisvollen Partner, der bei ihr bleibt, besonders als sie weiß, dass sie schwanger ist.

Wie sich die Frau gefühlt hat, als der Liebhaber nicht mehr zurückkommt und sie ein Kind von ihm bekommt, kann jede Frau nachvollziehen, ob jung oder alt, ob sie jemals schwanger war oder nicht. Das ist eine Angst, die wir aus dem kollektiven Unbewussten kennen (der Zugang zu geistigen Urbildern, die die menschliche Psyche, die Menschheitsgeschichte und so seine Kulturgeschichte als solche betreffen).

Dieses Ur-Gefühl der Frauen als eine Urangst, nämlich auf der einen Seite Lust zu erfahren, dann aber schwanger zu werden und gleichzeitig irgendwelchen gesellschaftlichen Regeln unterworfen zu sein begleitet die Frauen bis zum heutigen Tag in allen Kulturen und Nationen.

Auch wenn in der so genannten westlichen, säkularisierten Welt keine religiösen Normen mehr zu berücksichtigen sind und dementsprechend auch keine Angst vor Strafe mehr zu existieren scheint, so bleibt dennoch diese Angst bestehen. Diese hat sich im 21. Jahrhundert als Existenzangst besonders auf das Materielle verlagert und meint weniger die Existenzangst der Existenzphilosophen, die unter „Existenzangst“ die Angst vor der „Selbstwerdung“ verstehen. Obwohl immer beides zusammengehört, die Angst vor materieller Not und die Angst vor sich selbst, vor Verantwortung, vor der Liebe.

Das Mädchen kann seine Sexualität nicht frei erproben, genießen und auskosten, denn das Mädchen wird schwanger und hat Existenzangst, die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung und vor materieller Not.

Die Sexualität unbeschwert genießen zu können ist für Frauen also besonders schwierig, da die Angst schwanger zu werden, trotz Verhütungsmittel, immer im Raum steht. Die Angst vor der Gesellschaft, vor der Ursprungsfamilie vor materieller Not ist auch in den westlichen Industriegesellschaften bei den Schwangeren geblieben, wenn sie keinen verantwortungsbewussten Partner an ihrer Seite haben.

Aktuelle Beispiele beweisen, dass die Konflikte der heutigen Frauen sich in Bezug auf lustvolle Sexualität und Schwange Werden nicht verändert haben. Da es keine optimalen Verhütungsmittel gibt, sie sind entweder lustdämpfend oder gesundheitsschädigend, bleibt diese Angst bestehen. Die Geburt des Kindes als Konsequenz von „One-Night-Stands“ stellt auch heute für die Frauen einen Schock dar, wenn sie nicht auf die Schwangerschaft vorbereitet sind, noch zur Schule gehen, im Studium sind, sich in sonst irgendeiner Ausbildung befinden, arbeitslos sind oder aber Arbeit haben. Es ist die Angst, allein mit dem Kind überleben zu können. Selbst wenn keine gesellschaftliche Ächtung für allein erziehende Mütter in der westlich-orientierten Welt mehr gefürchtet werden muss, treibt die Angst vor der alleinigen Verantwortung und davor das Kind groß ziehen zu können Mütter manchmal in Krisensituationen, die sogar so unlösbar scheinen, dass sie in den Wahnsinn getrieben werden, der z. B. dazu führen kann, ihre Kinder nach der Geburt zu töten.

In diesem Märchen wird die junge Frau nicht wahnsinnig, sie ist immerhin so stark, das Kind auszutragen und es am Leben zu lassen und sich auch selbst nicht umzubringen. Sie opfert sich und ihr Leben für das Kind, indem sie sich für das Kind prostituiert, um so den Unterhalt für die Pflegefamilie, in die sie das Kind notgedrungen und schweren Herzens gibt, zu verdienen.

Die belastende Angst vor dem Mutterwerden und -seinvor mehr als 200 Jahren und im 20./ 21. Jahrhundert

In vielen historischen und aktuellen Beispielen wird diese Not der Frauen deutlich. Frauen haben sogar ihre Kinder getötet, da sie Sexualität, Mutterwerden und Muttersein nicht zusammenbringen können. Sie haben schlechte Mutterinstinkte, da sie in ihrer Kindheit auch schlecht bemuttert wurden. Selbst im 21. Jahrhundert werden die Frauen ebenso wenig auf das Frau-Sein, Schwangerwerden und das Muttersein vorbereitet wie in früheren Jahrhunderten. Die Tragik, die daraus entsteht, nämlich, dass diese Frauen aus tiefer Verzweiflung entweder sich selbst oder ihre Kinder töteten, gibt es heutzutage wie vor vielen Jahrhunderten. Ich möchte zunächst ein erschütterndes Beispiel aus Gerichtsakten von 1781 geben, Verhör einer Kindsmörderin:

„Summarisches Verhör der Inculpantin Catharina Elisabeth Erdmann

Benniehausen, Gemeinde Hirtenhausen, den sechsten Januar 1781. Abend um 7 Uhr.

,Nachdem ich mich nebst dem Schulzen Lockemann persönlich anhero verfüget, die übrigen anwesenden Personen nebst der Wache entfernet und die Arrestantin sanftmütig zum Bekenntnis der Warhheit vermahnet, so gab dieselbe in des Schulzen Gegenwart unter öftern Weinen, Schluchzen und Seufzen, folgendes auf summarisches Befragen vom Munde:

Sie heisse Catharina Elisabeth Erdmann, sey des hiesigen Einwohners und Schuhmachers Lorenz Erdmann eheleibliche Tochter, zu Gelliehausen im hiesigen Gericht geboren, zur Kirche und Schule erzogen, evangelisch lutherischer Religion, und ihrer Meinung nach jetzt zwanzig Jahre alt. Sie habe seit fünf Jahren in Göttingen bei verschiedenen Brodherrn und zuletzt bei dem Becker und Krugwirth Quentin im Grabensteinschen Haus als Magd gedienet. Hier habe sie das Unglück gehabt, im verwichenen Frühjahr, oder wol gar schon im Winter vorher, wie sei so eigentlich nicht mehr wisse, von dem dasigen Fleischhauer Riemschneider, wohnhaft auf der Marsch, zum ersten Male nicht ohne Gewalt und zwang, und nacher noch öfter, mit ihrer mehreren Einwilligung, zu fleischlichem Beischlaf verleitet zu werden, wovon sie schwanger geworden. Sie sey zu dumm gewesen, um einzusehen, dass sie wirklich schwanger sey, und habe immer geglaubt, daß es nicht wahr seyn sollte; daher sie denn gegen ihr Brodherrschaft, welche ich ihre Umstände zwar vorgehalten und die Schwangerschaft Schuld gegeben, immer standhaft geleugnet hätte.

Als sie nun vor letztverwichenen Feiertagen von ihrem Vater erfahren, wie ihre Mutter so schwerlich krank und bettlägerig wäre, so hab sie mit gutem Willem ihrer Brodherrschaft den Dienst verlassen, ihr guthabendes Lohn aufgenommen und sich in voriger Weihnachts-Woche zu ihren Eltern anhero verfüget, wo sie sich zeither aufgehalten. In letztverwichener Nacht habe sie heftige Leibschmerzen versprüret, allein dabei noch immer den Glauben und die Hoffnung gehabt, dass diese von einer Schwangerschaft nicht herrührten. Weil nun ihr Vater ihr Stöhnen vernommen, habe ihr derselbe erst Knoblauch und Brandwein, danach aber Hauslauch eingegeben, als welches gut gegen das Leibweh seyn solte. Als dies jedoch nichts helfen wollte, habe sie sich von ihrem Vater vor die Thür hinaus in die frische Luft leuchten lassen, der aber drauf wieder zurück in die Stube gegangen wäre. Sie sey nicht lange draußen vor der Thür gewesen, als das Kind von ihr gegangen und auf die Erde gefallen, wobei dasselbe geschrieen habe. Im Niederfallen des Kindes sey auch die Nabelschnur losgerissen und das Übrige habe sie noch im Leibe behalten. Weil sie sich nun vor ihrem Vater, welcher schlimm wäre, gefürchtet, und nicht gewollt hätte, dass der etwas gewahr werden sollte, so habe sie das Kind gleich von der Erde aufgenommen, sey nach der Garte gesprungen und habe es ins Wasser geworfen.

Arrestantin weinete und seufzte hierbei mit dem Hinzufügen, daß es für sie wol besser seyn würde, wenn dieses nicht geschehen wäre, und fuhr danach fort:

Als sie schon wieder vom Wasser zurück und vor der Haustür gewesen, sey ihr Vater mit dem Lichte herausgekommen und habe gesagt: Es hätte ja eben ein Kind geschrieen! Wo denn solches wäre? Allein sie habe alles gegen ihren Vater abgeleugnet. Nachdem nun derselbe, nebst ihrem Bruder, auf dem Hofe umher geleuchtet und nichts gefunden, hätte er sie in die Stube hineingezogen, ihr mit Drohungen von Schlägen hart zugesetzt, dass sie bekennen sollte, auch sie vor ihrer Mutter Bette gestellt. Zu gleicher Zeit habe er ihren Bruder nach der Bademutter und dem Schulzen gesendet. Vor ihrer Mutter habe sie, auf das heftige Drohen des Vaters, die Röcke empor heben müssen, da denn die Mutter ihr gleich Schuld gegeben hätte: dass sie ein Kind gehabt habe. Da habe sie denn nun freilich alles bekennen müssen. Sie wünschte nunmehro, wie wohl leider zu spät, dass sie eher jemanden etwas gesagt haben möge. Allein daran sey ihre Dummheit Schuld, weil sie immer geglaubet, daß es nicht wahr seyn sollte; sie sich auch vor ihrem Vater, welcher schlimm wäre, gescheuet hätte. Sie hätte daher auch kein Arg draus gehabt, den Riemschneider noch vor nicht langer Zeit, etwa 3 oder 4 Wochen bei sich schlafen zu lassen. Allein sie hätte so wenig zu ihm, als er etwas von ihr von ihren Umständen gesagt, wie sie denn überhaupt keine lebendigen Seele was offenbaret hätte, daher sie denn auch von Niemand zu der letzten That verführet wäre. Riemschneider hätte ihr verschiedentlich vorgeschwatzt, es sollte ihr keinen Schaden thun, wenn sie bei ihm schliefe. Niemals hätte sie von demselben das kleinste Geschenk begehrt oder empfangen. Bei dem ersten Male habe er ihr ein Paar silberne Ohrringe versprochen, aber niemals gegeben. Einst hätte er ihr 6 Mgl. Angeboten, die sie aber nicht angenommen hätte. Übrigens habe sie mit keinem andern als mit dem Riemschneider zu thun gehabt.

Arrestantin beweinte und beseufzte ihr Unglück mit dem Hinzufügen:

Es wäre ihr an diesem Morgen alles so plötzlich über den Hals gekommen und sie könne kaum selbst noch sagen, wie sie zu der Thtat gekommen, ihr Kind so gleich ins Wasser zu werfen, welsch ihr nun freilich alles bitterlich leid sey.

Nach verlesener genehmigter obiger Aussage wurde Arrestantin der Aufsicht der Wache wiederum anvertrauet, dabei dem Schultzen Lockemann aufgetragen, fleißig zu visitiren, alles schädliche Gewehr, so lange sie hier seyn wird, von ihr entfernt zu halten; und ihr die nötige Pflege verabreichen zu lassen, zu welchem Behuf einstweilen 24 Mgl. In des Schultzen Hände gelassen wurden.

Ut supra

Schultze Lockemann

In fidem

G:A: Bürger mppria.“ ( aus: http://www.literaturatlas.de/-la25/verhoer.html)

Leider kann diese Problematik der Kindstötung nicht aus historischer Distanz betrachtet werden, denn es hat sich an der Tatsache, dass Frauen aus einer Urangst heraus, nämlich aus der Angst davor, sinnliche Lust, Kindergebären und Großziehen der Kinder zusammenbringen zu können, bis heute nichts geändert. Sie sind häufig mit ihrem eigenen Leben überfordert, verzweifeln dann und einige töten dann sogar ihre Kinder. Dies geschieht leider auch immer noch im 21. Jahrhundert.

Hier sei nun eines von vielen aktuellen Beispielen des 20./21. Jahrhunderts gegeben:

„Neun tote Babys – und keiner hat´s gemerkt?

Sabine H: In der Schule war sie ein As, mit 21 Jahren dreifache Mutter. Doch was dann geschah, macht nicht nur die Menschen in ihrem kleinen Heimatdorf rat- und fassungslos. Eine Spurensuche:

[…]

´Das steht für den wohl schlimmsten Fall von Säuglingstötung bisher in der europäischen Kriminalgeschichte. Neun Babys hat die 39 Jahre alte Sabine H. aus Brandenburg in den Jahren 1988 bis 1999 nach den bisherigen Ermittlungsstand fast ausschließlich in Frankfurt/Oder zur Welt gebracht und kurz darauf getötet. Leichenspürhunde fanden Überreste der Neugeborenen in Blumentöpfen. […].

Wer ist diese Frau mit den dunklen Haaren? Und vor allem: Wie konnte so etwas geschehen? Wie konnte eine Frau neun Kinder austragen und dann töten, ohne dass irgendjemand etwas davon bemerkte?

Im August 1965 geboren, wächst die jüngste von drei Schwestern in einem religiösen Haushalt in Brieskovw auf. Vater Eberhard, ein Stellwerker sitzt im Kirchenvorstand und besucht sonntags den Gottesdienst in der Marin-Luther-Kirche. Mit 17 Jahren verlässt das begabte Mädchen 1983 nach der 10. Klasse die Polytechnische Oberschule Wilhelm Pieck: ‚Sie war eine der besten Schülerinnen, die es je dort gegeben hat ‚, erinnert sich Theuer [Bürgermeister].

Mit dem Schulende kommt der große Bruch im Leben von Sabine H. Sie lernt ihre erste große Liebe, den drei Jahre älteren Oliver H. kennen, einen Offizier der Nationalen Volksarmee, der später zur DDR-Staatssicherheit wechseln wird. Sabines Eltern brechen den Kontakt zu ihrer Tochter ab, auch weil Oliver nicht in ihre religiöse Welt paßt. Sabine heiratet den Mann und zieht zu ihm ins 15 Kilometer entfernte Frankfurt/Oder.

[…]

Oliver H. berichtet den Ermittlern, er habe nie etwas von den Schwangerschaften bemerkt. So wie […] auch sonst niemand – obwohl der Stasi-Mann bei weitem nicht der einzige Liebhaber im Nachwende-Leben von Sabin H. war.

[…]

‚Daß hier so etwas passieren kann, liegt nicht an unserer DDR-Vergangenheit‚, sagt Bürgermeister Theuer trotzig: ‚Im Gegenteil, Verhütung, Abtreibung, Kinderkrippe- das war doch alles kostenlos bei uns.‚ Und fügt an: ‚Ich verstehe das alles nicht. Sie hatte doch alle Möglichkeiten der Welt.

‚Sie hat sich gewünscht, daß ihr Mann sie einmal nach ihren Schwangerschaften fragt‚, sagt die Staatsanwältin. Doch der behauptet, nie davon gewußt zu haben.“

(Christian Denso im „Hamburger Abendblatt“ vom 04. 08. 2005)

Es geht hier nicht um Schuldzuweisung, sondern vielmehr um das Warum, das zu diesen Taten führt. Vielmehr geht es um die Schuld- und Schamgefühle der Betroffenen, die sich letztlich auf den eigenen Mangel der Selbstliebe beziehen.

Vergleichen wir diese beiden Fälle des Kindsmordes, die zeitlich über 200 Jahre auseinander liegen, miteinander, so sind die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse andere und auch die Persönlichkeiten dieser beiden Frauen unterscheiden sich drastisch. Die Kindsmörderin des 18. Jahrhunderts ist dumm und ungebildet und unattraktiv, sie hat keine große Auswahl Sexualität zu erfahren und nimmt die gewaltmäßige Sexualität eines verheirateten Mannes hin und muss Angst vor Ächtung, Strafe der damaligen Gesellschaft haben, schwanger zu sein.

Die Kindsmörderin des 20/21. Jahrhunderts ist intelligent, verheiratet und attraktiv und braucht keine Angst vor gesellschaftlichen Sanktionen zu haben. Was also macht die Frau im 21. Jahrhunderts zu einer Kindsmörderin? – Die Antwort liegt in der Tiefe der Problematik des „Frau-Seins“ an sich. Der eigentliche Konflikt dieser Frauen aus unterschiedlichen Jahrhunderten ist allerdings tatsächlich der gleiche. Sie sind allein gelassen mit ihrer Sexualität und mit ihrer Angst davor schwanger zu sein und mit ihrer Reduzierung auf spezielle Rollen, die dem eigentlichen Frau-Sein nicht gerecht werden und so Schuld und Schamgefühle erzeugen.

Es sind die gesellschaftlichen Normen, die über Jahrhunderte und Jahrtausende patriarchalisch geprägt sind, die diese Angst und Abspaltung des Kindergebärens von etwas Natürlichem, das das Leben ja bedeutet, hervorrufen. Kinder zeugen und gebären und diese groß zu ziehen ist die Aufgabe des Menschen und er darf bei der Zeugung auch Lust empfinden, er muss diese sogar empfinden, und zwar möglichst angstfrei.

Dabei kann und müsste er gleichzeitig auch spirituell sein, um ein wirklich zufriedener Mensch sein zu können und um dies an seine Nachkommen weiterzugeben, das gilt besonders auch für die Frauen.

Leider ist dieses ursprüngliche Wissen über das Zusammengehören von sexueller Lust, Zeugung, Kindergebären und Spiritualität über Jahrhunderte, Jahrtausende verschüttet. Frauen sind auf einzelne Rollen reduziert worden, auf die „Mama“, die „Heilige“ oder die „Hure“. Diese Trennung in diese 3 Bereiche findet über die Jahrhunderte hin bis zum heutigen Tage statt, wobei die „Heilige“ aus dem wirklichen Leben ausgeklammert wird. Sie kommt auf abgespaltene Weise z. B. als „Heilige Maria“ in der christlichen Religion vor, bedeutet in der säkularisierten Welt nichts als die „Unerreichbare“, die als Phantom nicht wirklich existiert. Ursprünglich ist die Frau jedoch tatsächlich eine „Heilige“ im Sinne von Ganzsein. Sie ist eine „Urmutter“, eine Urgöttin, die alles in sich vereint.

Da dies dem Mann seit jeher Angst machte, musste er diese Macht der Frauen zerstören, indem er ihre Kraft schwächte und ihre Allmacht in einzelne Rollen aufteilte. Jedoch hat sich der Mann dabei auch selbst geschwächt, denn nach dem ursprünglichen Lebensprinzip gehören das Männliche und das Weibliche zusammen. Ist das eine Prinzip geschwächt ist das Ganze in Gefahr. Wenn das Weibliche Prinzip an Kraft verliert, dann bedeutet dies eine Schwächung für die ganze Erde, denn das Weibliche ist das Erdverbundene, das Lebenserhaltende, das Weiche, das Sanfte. Wird dies missachtet, so haben wir eine zerstörte Umwelt, Gewalt, Hunger und Elend statt eine lebendig gesunde und friedvolle Mitwelt.

Eine Erklärung für die aktuelle Problematik des Frau-Seins durch die Wiederentdeckung der alten griechischen Göttinnen

Sehen wir uns die Mythen der Frühgeschichte an, wird uns vielleicht einiges deutlich über die Problematik des Frau-Seins. Die Göttinnen, die wir in alten Mythen finden, spiegeln uns unsere eigenen Seelenanteile bis zum heutigen Tage wieder. Deshalb ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, sich diese Urbilder, die auch unsere eigenen sind, in den alten Mythen einmal anzusehen. Hier wurden die Entstehung der Erde und die des Menschen auf vielfältige Weise dargestellt, es geht um seine Schöpfung und seine Entstehung im Mutterleib. Dabei spielte die Mutter eine einzigartige Rolle, denn vom Vater war in der frühen Antike in den Mythen noch keine Rede. Der Mann war der Geliebte, der Sohn, dem die Mutter nicht nur das Leben schenkte, sondern sie schützte ihn auch vor dem Tod. Zur Zeit der Völkerwanderungen wurde dann durch indoeuropäische kriegerische Stämme im Mittelmeerraum vor ca.3000 Jahren das matriarchalische Prinzip durch ein patriarchalisches abgelöst. Das bedeutete, dass sich die Mythen veränderten, dass sich z. B. der Mythos von der einheitlichen „Großen Mutter“, von der großen einheitlichen Göttin zu einem Mythos von unterschiedlichen Göttinnen entwickelte. Die Urgöttin, als Urmutter war Königin des Himmels, Spenderin der Weisheit, Beschützerin, Göttin der Liebe, Königin des Todes, Herrin der Tiere, Herrin der Pflanzen und Mutter von allen. Sie gab es in Griechenland unter dem Namen Gäa , in Ägypten hieß sie Isis, auf Kreta Atana Potinija, in Kanaan Astarte, in Sumer Inanna und in Babylon Ischtar. Aus der griechischen Urmutter Gäa wurde dann schließlich 1.Athena, die Göttin der Weisheit und des Krieges; 2. Aphrodite, die Göttin der Liebe; 3. Persephone, die Göttin der Unterwelt, der Lebens- und Sterbeprozesse; 4. Artemis, die Göttin der Jagd, der Natur; 5. Demeter die Göttin der Mutterschaft, der Fruchtbarkeit. 6. Hera, die Göttin der Ehe. (Vgl. „Göttinnen- Urbilder für eine Psychologie der Frau“ von Jennifer B. Woolger und Roger J. Woolger, Kabel Verlag, Hamburg, 1991). Diese Trennung in sechs unterschiedliche Bereiche, die einst in einer Göttin, zusammengefasst waren, bedeutete eine Schwächung des Weiblichen schlechthin bis in die heutige Zeit hinein. Nach C. G. Jung sind wir neurotisch, auf psychischer Ebene geschwächt, wenn wir diese Archetypen nicht als gesamten menschlichen Seelenkomplex in uns verstehen und diese einzelnen Seelenanteile nicht annehmen. Heilung bedeutet „Ganzwerden“ und „Heilig“ –Sein“ wäre demnach Ganz-Sein, Vollständig-Sein. Danach sehnen sich die Frauen genauso wie die Männer, nämlich nach dem Kugelmenschen, damit ist der platonisch -aristophanische Mensch (Vgl. den Anfangsmythos) genauso wie die Urgöttin, die Urmutter gemeint, die alles in sich vereint, das Yin und Yang, das Weibliche und das Männliche: So repräsentieren Athene und Artemis das männliche, das Yang-Prinzip und Aphrodite, Persephone, Hera und Demeter das weibliche, das Yin-Prinzip. Sehen wir uns diese 6 Archetypen im Vergleich zu unseren Seelenanteilen an, die wir als Frauen im 21. Jahrhundert ausleben, dann wird deutlich, dass wir diese tatsächlich alle kennen. Jedoch müssen wir eingestehen, dass wir diese Bereiche nicht alle leben, dass wir reduziert auf ein, zwei oder drei dieser Bereiche sind, dass wir getrennte Rollen spielen. Fangen wir mit dem ersten Göttinnen-Archetyp an, mit Athene: Sie entspricht in der heutigen Zeit, der Frau, die z. B. studiert hat, oder die sich selbständig gemacht hat und ein eigenes Geschäft hat, die Unternehmerin ist, die im mittleren bis höheren Management angestellt ist, als Finanzberaterin usw., sie ist die „Karrierefrau“, die Intellektuelle, der es um das Kollektiv geht und die sehr wohl allein leben kann und keinen Partner zu brauchen scheint. Aphrodite verkörpert heute die Frau, der es um die schöpferischen Beziehungen zwischen Menschen geht, um Sexualität und Intimität, um die bildenden Künste wie Malerei, Bildhauerei, Dichtkunst und Musik. Sie ist die Künstlerin, die indivdualistisch orientiert ist. Persephone entspricht der medialen Frau, die sich mit dem Übersinnlichen auskennt, die um die tiefen Zusammenhänge von Leben und Tod weiß, die sich mit dem Unbewussten beschäftigt. Artemis entspricht heutzutage der naturverbundenen, sportlichen Frau, die körperorientiert eher ihrer Instinktnatur als an ihrem Intellekt folgt, sie ist eine „Frauenrechtlerin“, selbst bestimmt, hat gern Freundinnen und scheint keinen Partner zu brauchen. Demeter repräsentiert den Mutter-Archetyp. Diese Frau ist mit einem ausgeprägten Mutterinstinkt ausgestattet und findet als Mutter ihre Erfüllung. Sie ist die Pflegende und Ernährende, die Krankenschwester oder in anderen Pflegeberufen tätig. Sie ist die Fürsorgliche, die sich mehr um ihre Kinder kümmert als um ihren Partner. Hera wird heutzutage verkörpert durch die typische Ehefrau. Die Partnerschaft ist ihr wichtiger als Kinder. Sie opfert auch ihre berufliche Karriere zugunsten der des Partners. Berufliche Karriere ist für sie unbedeutend. Auch sind ihr Freundinnen nicht wichtig. Vergleichen wir Frauen unseren eigenen Seelenkomplex mit diesen Archetypen so kennen wir alle diese Bereiche, wenn auch teilweise nur als Sehnsüchte. Verspüren wir nicht den Wunsch das alles leben zu können: die schöne lustbetonte Aphrodite, die intellektuelle Macherin Athene, die intuitive übersinnliche Persephone, die naturverbundene, unabhängige Artemis, die pflegende, nährende Mutter als Demeter und die partnerschaftliche treue Ehefrau als Hera???--- Wird uns nicht deutlich, dass wir häufig im Konflikt stehen, dies alles miteinander zu verbinden. Stehen wir nicht immer besonders zwischen dem Wunsch des Mutter-Werdens, Mutter-Seins und einem Beruf, dem wir ergreifen wollen? Gibt es nicht häufig den Konflikt zwischen der Fürsorge für die eigenen Kinder und der eigenen unabhängigen Sexualität und individuellen Selbstverwirklichung, der eigenen Kreativität? Gibt es nicht häufig Situationen von Überforderung? usw., usw. Sehen wir uns unser modernes Leben als Frauen an, so leiden wir auch heute unter der Trennung dieser Seelenkomplexe. Wir spüren, dass wir das alles in uns tragen und leiden unter der Einseitigkeit und Festlegung unserer Rollen, die wir auch im 21. Jahrhundert noch spielen. Welche Frau lässt sich schon gern als typische Karrierefrau, als typische Hausfrau, typisches „Muttchen“, aber nicht attraktiv, als Flittchen oder Hure, weil zu sinnlich und (un)abhängig, als „Kräuterhexe“ oder „Eso-Tante“ als langweilige Ehefrau einschätzen bzw. abqualifizieren???---- Diese Abqualifizierung entsteht allerdings automatisch, da die Frauen die Einseitigkeit der Rollenzuweisung seit Jahrhunderten angenommen haben. Das schwächt unser Selbstbewusstsein, da wir den Zugang zum unverstellten Archetypus der „Großen Mutter“ in seiner Vollständigkeit verloren haben. Diese Rollenreduzierung im Hinblick auf das Weibliche, das Frau-Sein hat das Göttliche, die Einheit der Urgöttin in der Frau zerstört und sie erniedrigt, wie wir es aus vielen Fallbeispielen kennen, wie z. B. aus denen der beiden Kindsmörderinnen aus unterschiedlichen Jahrhunderten, aber auch aus Beispielen in der Literatur der letzten Jahrhunderte und auch aus Filmen. Warum kann eine Frau nicht Kinder gebären, eine gute Mutter und eine gute Ehefrau sein, sinnlich und lustbetont, kreativ und erfolgreich als Wissenschaftlerin sein, sich mit Kräutern auskennen und eine intuitive Beraterin sein???--- Es ist möglich und häufig versuchen wir auch all das mit einander zu verbinden. Und das macht große Angst und kann in große Verzweiflung führen, da es nicht selbstverständlich ist und wieder neu in ins Bewusstsein treten und dann im alltäglichen Leben umgesetzt werden muss. Es muss zeitlich nicht alles auf einmal geschehen, wir haben ein Leben lang Zeit, diese unterschiedlichen Göttinnen in uns zuzulassen und sie entsprechend auszuleben. Also sollten wir uns den Zustand der anfänglichen Schwierigkeiten wieder vollständig zu werden und zu sein in diesem Märchen und in den folgenden noch genauer ansehen. Dieses Märchen zeigt uns noch den Anfang unserer Reise auf. Die junge Frau im Märchen ist noch nicht so weit, sie ist noch gefangen von den Rollenzuweisungen und weiß nicht viel über das Leben. Die alte Zimmerdame, die dem Mädchen Herberge gibt, ist keine weise Alte, sie berät das Mädchen nicht, führt sie nicht ein in die Geheimnisse der Liebe, sondern sie überlässt das naive Mädchen der männlichen Energie, der ihres Sohnes, der das Mädchen zwar beeindrucken und schwängern kann, aber keine Verantwortung übernimmt und einfach verschwindet. Auch ist er der Liebe nicht fähig, da er sich nicht wirklich auf die junge Frau eingelassen hat.

Die alte Frau, sie ist zwar alt, aber ebenso naiv wie das junge Mädchen, und so ist dieses Märchen eine Antigeschichte, die zeigt, wie wir es möglichst nicht machen sollten. Vielmehr zeigt es uns, dass besonders Frauen lernen sollten, auf eine achtsame Weise mit sich selbst und der eigenen Sexualität umzugehen.

Die Sehnsucht und Neugierde, die das naive Mädchen in die Arme des Jünglings treibt, sind natürlich und diese dürfen und müssen geradezu auch ausgelebt werden in jungen Jahren, ganz gleich, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. In der Zeit der Pubertät z. B. ist es wichtig, ungestört Sexualität ausprobieren zu können. Deshalb ist eine gute Kindheit wichtig, in der der Mensch genügend Liebe, Zuwendung und Verständnis erfahren hat, damit er im heranwachsenden Alter so stabil ist, um nicht auf Spiele mit der „Liebe“ und auf unseriöse Praktiken hereinfallen zu müssen und diese von wahrhaftigen Liebesabenteuern unterscheiden zu können.

Wenn jedoch eine Spaltung zwischen einem geistig-geistlichen Prinzip und der sexuellen Ursprungskraft vorhanden ist, kann es in der Regel sehr problematisch für den Menschen werden, da er etwas Entscheidendes in sich abspaltet und kein Liebender, keine Liebende sein kann. Denn in dem Märchen handelt es sich nicht um verantwortungsvolle „Liebespartner“, sondern um einen windigen Liebhaber, der nach einer Nacht verschwindet und dem es egal ist, was mit seiner Partnerin passiert. Der männliche Seelenaspekt ist noch nicht ausgeprägt. Er kann es auch gar nicht sein, wenn der weibliche Anteil auch unreif ist. Seine Mutter ist auch nicht weise und das junge Mädchen naiv und erfahren. Hier ist verantwortliches Handeln nicht möglich.

Aus der Not heraus, das Kind zu versorgen, wenn auch nur in einer Pflegefamilie, da die gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht so sind, dass die Frau das Kind allein groß ziehen kann, opfert sie sich als Prostituierte, um die Pflegefamilie bezahlen zu können, damit das Kind es einmal besser hat. Hier handelt es sich also um bezahlte „Liebesdiener“ ohne wirkliche Liebe. Mit der „Liebe“, mit der Sexualität wird ein Geschäft gemacht. Wir erfahren nichts über die Kindheiten der Märchenfiguren, im Prozess des Erwachsenwerdens scheinen diese auch keine Rolle zu spielen. Tatsächlich aber ist unser Verhalten im Erwachsenenalter durch unsere Kindheit geprägt; haben wir einen Zuwendungsmangel erfahren, ist der Umgang mit Liebe und Liebespartnern im Erwachsenenalter oft schwierig-.

Die Liebe ist hier noch gar nicht im Spiel, so weit ist das weibliche und männliche Potential hier noch gar nicht.

Da wir in der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts in einer überwiegend säkularisierten Welt leben, gibt es zwar nicht mehr den Konflikt zwischen Kirche, zwischen religiösen Normen und der Sexualmoral aufgeklärter Menschen einer modernen Gesellschaft, aber ohne irgendeine Instanz, ohne irgendeinen inneren Bezug zu einer inneren Weisheit, die wir alle kennen, aber teilweise unterdrücken, gibt es keine wirklich befriedigende menschenwürdige Sexualität. Auch wenn der moderne Mensch des 21. Jahrhunderts größtenteils diesen inneren Konflikt zwischen religiösen Normen und seinem Sexualtrieb nicht mehr empfindet, existiert ein derartiger Konflikt dennoch auf einer unbewussten Ebene. Dieser Konflikt ist zwar anders zu erfassen, ist aber auf jenen zurückzuführen. Es ist der Konflikt zwischen Wunsch- und Pflichterfüllung.

Es handelt sich bei dem Wunsch um eine Art individuellen Urwunsch nach Glück, nach Befriedigung, nach Lust und Freude und bei der Pflicht handelt es sich auf der anderen Seite um eine Art kollektive Urpflicht, die darin besteht, das menschliche Dasein mit Sinn zu erfüllen, ein soziales Wesen zu sein, das sich seiner voll und ganz bewusst ist und um seine Herkunft als Vernunftwesen weiß und diesem dementsprechend gerecht wird.

Wird der Mensch sich dieses Urkonfliktes bewusst, so kann er erkennen, dass er diesen lösen kann und dass es sich letztlich um einen Scheinkonflikt handelt, da das individuelle Glücksstreben und die Pflicht ein sozialer Weltbürger zu sein zusammengehören. Denn es gibt auch eine Pflicht glücklich zu sein, wie Hermann Hesse es in einem seiner Gedichte ausdrückt, und es gibt den Wunsch des Menschen nach Zugehörigkeit, nach einem verantwortungsvollen Miteinander, nach einer Ursprungszugehörigkeit, wie es z. B. durch eine authentisch gelebte Religion ermöglicht wird, d. h. ein Eingebundensein in ein großes Ganzes. Damit ist eine Art „Wunsch-Pflicht“ oder ein „Pflicht-Wunsch“ gemeint, wobei eben beides nicht von einander getrennt ist, Wunsch und Pflicht sind eins. Das ist, denke ich, auch mit Immanuel Kants (1724-1804), „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“ (vgl. „Kritik der reinen Vernunft“, Band 1 und 2, „Kritik der praktischen Vernunft“, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1976/74) gemeint.

Dieser Freiheit ist sich die junge Frau in dem Märchen noch nicht bewusst. Sie meint, sie müsse sich zwischen zwei extremen Lebensmöglichkeiten entscheiden: zwischen einem asketischen Leben, das Gott dienen solle und einem materiellen Leben, das ausschließlich weltlich orientiert ist. Sie entscheidet sich zunächst gegen das Klosterleben, das in dem Märchen für eine einseitig verstandene Spiritualität steht. Sie weiß, dass es noch mehr gibt, geben muss. Etwas, das sie vielleicht ankommen lässt. Die erste sexuelle Erfahrung beeindruckt sie, doch lässt sie diese gleichzeitig enttäuschen, da der männliche Part nicht reif ist und so erfährt sie die Aphrodite in sich, die lustvolle Sexualität und sogar Liebe erfahren möchte, gedemütigt. Genauso ergeht es ihr mit der Demeter in ihr, anstatt die Schwangerschaft genießen zu können, das Urweibliche, Lebenserhaltende muss sie aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung und Verzweiflung auf eine erfüllte Zeit der Schwangerschaft verzichten und ihr Neugeborenes weggeben. Das Neugeborene bedeutet auch ihre ureigenste Kraft der Kreativität, die sie einfach weggibt, weil sie keinen Weg sieht mit dieser zu leben, statt dessen lebt sie ihre nicht gelebte Liebe und Sexualität in Form von Prostitution aus, um das Kind ernähren zu können. Auf diese Weise kann die junge Frau jedoch nicht glücklich werden. Die Trennung der Lebensbereiche, die ursprünglich zusammengehören wie Liebe, Sexualität, Schwangersein, Kinderaufziehen, Partnerschaftlichkeit, Kreativität, hat zur Folge, dass das Kind der jungen Frau woanders aufwachsen muss, dass sie den Lebensunterhalt durch Prostitution verdienen muss, dass der männliche Seelenanteil als Vater und Beschützer nicht da ist, dass es keine weise Beraterin gibt . Dies alles stellt eine Pervertierung des Seelenlebens dar. Nichts ist so, wie es in Harmonie sein könnte, da es Lebensrollen statt das Leben selbst sind. Darin besteht das Dilemma dieser jungen Frau im Märchen. Da sie so nicht glücklich werden kann und das Klosterleben auch keine Möglichkeit darstellt wirklich Erfüllung zu finden, erscheint ihr die Mutter Oberin als „die weise Alte“ im Traum.

Diese vertraut ihr an, dass alles zusammengehört, die geistige und materielle Welt, die Welt der Sinnlichkeit und die Welt der Meditation und dass es darum geht die Angst, die Schuld und die Scham zu verlieren. Das ist das Urproblem des Menschen im Konflikt mit Natur und Kultur, die Angst vor dem wirklichen Leben und das ist vollständig und nicht geteilt in einzelne Bereiche. Jedoch bleibt das allerdings für die Protagonistin in dieser Entwicklungsstufe noch ohne Konsequenzen. Die junge Frau weiß jetzt zwar, dass beides zu leben möglich ist und zwar nicht zeitlich nacheinander, sondern sogar zur gleichen Zeit, aber sie schafft es (noch) nicht, sie ist noch nicht eingeweiht in die Mysterien des Lebens, der Mensch steht hier noch am Anfang seiner Entwicklung. Sowohl der weibliche als auch der männliche Seelenanteil sind noch nicht dahingehend entwickelt sich zu entscheiden und zu lieben, der männliche Seelenanteil ist in der Angst vor Verantwortung stehen geblieben, und der weibliche Seelenanteil ist mit Schuld- und Schamgefühlen belastet… Daher handelt es sich hier auch nicht um wirkliche Lebensmodelle, denn weder die einseitig asketische Pflichterfüllung als falsch verstandene Spiritualität noch das Leben außerhalb des Klosters beziehen den ganzen Menschen mit ein. So erfährt der Mensch auf dieser Bewusstseinsstufe, wenn überhaupt nur ein momentanes Stillen seiner Sehnsucht nach Ganzheit. Und wenn der Mensch nicht aufpasst, bleibt er sein Leben lang auf diesem Bewusstseinsstand und verpasst die Chancen auf ein menschenwürdiges Leben und verpasst dabei vor allem sich selbst.

Die Thematik des Kindsmords in der Literatur

Diese Aufsplitterung des menschlichen Lebens in einzelne Bereiche, die ursprünglich zusammen gehören, ruft Konflikte hervor, die sich katastrophal auswirken können, wie die beiden authentischen Kindesmordbeispiele zeigen. Diese Problematik durchzieht besonders auch die letzten Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte und dauert bis ins 21. Jahrhundert und wird seit jeher in der Literatur dargestellt. Bleibt dieser Konflikt ungelöst, kommt es zu Verirrungen und dem Menschen bleibt es versagt, wirklich lieben zu können, er muss dann verzweifeln. Besonders die Frau wird dann durch mangelnde Selbstliebe, die aus der Zersplitterung ihres ursprünglichen Ganz-Seins als Frau entstanden ist, zum Opfer dieser Umstände.

Der Kindsmord ist bereits in der griechischen Mythologie thematisiert.

In der griechischen Sage stürzt sich die schöne Ino, von der eifersüchtigen Göttin Hera mit Wahnsinn geschlagen in Panik mit ihrem Sohn ins Wasser.

Die rachsüchtige Prokne, setzt ihrem Ehemann Tereus, der ihrer Schwester Philomele die Unschuld und die Zunge genommen hat, den eigenen Sohn zum Mahl vor.

Medea, eine Königstochter erdolcht ihre eigenen Söhne, um sich an ihrem Ehemann zu rächen. Euripides bearbeitete diesen Stoff und schuf die klassische Medea-Tragödie. Seit dem taucht das Motiv der Kindermörderin immer wieder in der Literatur auf: bei Johann Wolfgang Goethe, Leopold Wagner, Gottfried August Bürger, Friedrich Schiller, Hanns Henny Jahnn sowie bei Elfriede Jelinek und Michael Kumpfmüller usw.

Dabei änderten sich die Herkunft der Protagonistinnen und ihre Beweggründe bezüglich des Kindsmordes seit der frühen Neuzeit und dem 18. Jahrhundert. Sie stammen meist aus unteren Gesellschaftsschichten, und sie agieren aus Scham und Angst vor Ehrverlust und gesellschaftlicher Ächtung („Schande“) statt aus Rachegefühlen und Eifersucht. Sie sind also unschuldig Schuldige Märtyrer einer bigotten Moral.

Der Konflikt zwischen Mutterliebe, Angst, Scham und Verzweiflung bringt z. B. auch das „Gretchen“ in Goethes Faust dazu, ihren Sohn nach der Geburt zu töten. Die bekannte „Gretchentragödie“ basiert auf dem authentischen Fall der Susanna Margaretha Brandt, die 25jährig im Jahr 1771 auf Grund eines Prozesses mit dem Beil hingerichtet wurde, weil sie ihr neugeborenes Kind tötete. Sie war vom Lakai eines holländischen Kaufmanns verführt worden und aus Angst verbarg sie ihre Schwangerschaft. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Goethe als Freigeist, Idealist und Humanist maßgeblich an der Vollstreckung des Todesurteils einer Kindsmörderin beteiligt war, und zwar am Fall Johanna Catharina Höhn, die wegen Kindsmords 1783 hingerichtet wurde. Obwohl es zu Goethes Zeit bereits Bestrebungen gab, die Todesstrafe für Kindsmord abzuschaffen, entschied sich Goethe dafür. Das lässt seine Authentizität hinsichtlich seiner viel gerühmten Humanität in Frage stellen. (Vgl. Rüdiger Scholz „Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn“, Königshausen & Neumann, Würzburg 2004). Intellektuelle empfanden das Todesurteil als ungerechtfertigt

Immanuel Kant plädierte in seinem Werk „Metaphysik der Sitten“ 1797 (vgl. w.o.) dafür, dass Kindesmörderinnen nicht bestraft werden sollten.

Ein Gedicht von Friedrich Schiller (1759-1805), zeigt das Empfinden, die Not und Verzweiflung einer Kindsmörderin zu jener Zeit auf: (aus: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. u. a. Gerhard Kluge, Otto Dann und Norbert Oellers, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1992–2002).

Die Kindsmörderin

Horch – die Glocken weinen dumpf zusammen

Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf,

Nun, so sei´s denn! – Nun, in Gottes Namen!

Grabgefährten brecht zum Richtplatz auf.

Nimm o Welt die letzten Abschiedsküsse,

Diese Tränen nimm o Welt noch hin.

Deine Gifte – o sie schmeckten süße! –

Wir sind quitt, du Herzvergifterin.

Fahret wohl ihr Freuden dieser Sonne,

Gegen schwarzen Moder umgetauscht!

Fahre wohl du Rosenzeit voll Wonne,

Die so oft das Mädchen lustberauscht;

Fahret wohl ihr goldgewebten Träume.

Paradieseskinder Phantasien! –

Weh! sie starben schon im Morgenkeime,

Ewig nimmer an das Licht zu blühn.

Schön geschmückt mit rosenroten Schleifen

Deckte mich der Unschuld Schwanenkleid,

In der blonden Locken loses Schweifen

Waren junge Rosen eingestreut:-

Wehe! – Die Geopferte der Hölle

Schmückt noch itzt das weißlichte Gewand,

Aber ach! – der Rosenschleifen Stelle

Nahm ein schwarzes Totenband.

Weinet um mich, die ihr nie gefallen,

Denen noch der Unschuld Lilien blühn,

Denen zu dem weichen Busenwallen

Heldenstärke die Natur verliehn!

Wehe! menschlich hat dies Herz empfunden! –

Und Empfindung soll mein Richtschwert sein!-

Weh! vom Arm des falschen Mannes umwunden

Schlief Luisens Tugend ein.

Ach vielleicht umflattert eine andre

Mein vergessen dieses Schlangenherz,

Überfließt, wenn ich zum Grabe wandre,

An dem Putztisch in verliebten Scherz?

Spielt vielleicht mit seines Mädchens Locke?

Schlingt den Kuß, den sie entgegenbringt?

Wenn verspritzt auf diesem Todesblocke

Hoch mein Blut vom Rumpfe springt.

Joseph! Joseph! Auf entfernte Meilen

Folge dir Luisens Totenchor,

Und des Glockenturmes dumpfes Heulen

Schlage schröcklichmahnend an dein Ohr –

Wenn von eines Mädchens weichem Munde

Dir der Liebe sanft Gelispel quillt,

Bohr es plötzlich eine Höllenwunde

In der Wollust Rosenbild!

Ha Verräter! Nicht Luisens Schmerzen?

Nicht des Weibes Schande, harter Mann?

Nicht das Knäblein unter meinem Herzen?

Nicht was Löw´ und Tiger milden kann?

Seine Segel fliegen stolz vom Lande,

Meine Augen zittern dunkel nach,

Um die Mädchen an der Seine Strande

Winselt er sein falsches Ach! –

Und das Kindlein – in der Mutter Schoße

Lag es da in süßer goldner Ruh,

In dem Reiz der jungen Morgenrose

Lachte mir der holde Kleine zu,

Tödlichlieblich sprang aus allen Zügen

Des geliebten Schelmen Konterfei;

Den beklommnen Mutterbusen wiegen

Liebe und – Verräterei.

Weib, wo ist mein Vater? Lallte

Seiner Unschuld stumme Donnersprach,

Weib, wo ist dein Gatte? Hallte

Jeder Winkel meines Herzens nach –

Weh, umsonst wirst Waise du ihn suchen,

Der vielleicht schon andre Kinder herzt,

Wirst der Stunde unsrer Wollust fluchen,

Wenn dich einst der Name Bastard schärzt.

Deine Mutter – o im Busen Hölle! –

Einsam sitzt sie in dem All der Welt,

Durstet ewig an der Freudenquelle,

Die dein Anblick fürchterlich vergällt,

Ach, in jedem Laut von dir erwachet

Toter Wonne Qualerinnerung,

Jeder deiner holden Blicke fachet

Die unsterbliche Verzweifelung.

Hölle, Hölle, wo ich dich vermisse,

Hölle, wo mein Auge dich erblickt,

Die von seinen Lippen mich entzückt,

Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder,

Ewig, ewig würgt sein Meineid fort,

Ewig – hier umstrickte mich die Hyder –

Und vollendet war der Mord.-

Joseph! Joseph“ auf entfernte Meilen

Jage dir der grimme Schatten nach,

Mög mit kalten Armen die ereilen.

Donnre dich aus Wonnenträumen wach,

Im Geflimmer sanfter Sterne zucke

Dir des Kindes krasser Sterbeblick

Es begegne dir im blutgen Schmucke,

Geißle dich vom Paradies zurück.

Seht! Da lag es – lag im warmen Blute,

Das noch kurz im Mutterleibe sprang,

Hingemetzelt mit Erinnysmute,

Wie ein Veilchen unter Sechsenklang –

Schröcklich pocht schon des Gerichtes Bote,

Schröcklicher mein Herz!

Freudig eilt ich in dem kalten Tode

Auszulöschen meinen Flammenschmerz.

Joseph! Gott im Himmel kann verzeihen,

Dir verzeiht die Sünderin.

Meinen Groll will ich der Erde weihen,

Schlage, Flamme, durch den Holszstoß hin –

Glücklich! Glücklich! Seine Briefe lodern,

Seine Eide frißt eine siegend Feur,

Seine Küsse! – wie sie hochan flodern! –

Was auf Erden war mir einst so teur?

Trauet nicht den Rosen eurer Jugend,

Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!

Schönheit war die Falle meiner Tugend,

Auf der Richtstatt hier verfluch ich sie! –

Zähren? Zähren in des Würgers Blicken?

Schnell die Binde um mein Angesicht!

Henker, kannst du keine Lilie knicken?

Bleicher Henker, zittre nicht! ---

(17 82)

Diese Opfer- und Märtyrerrolle der Frauen muss nun im 21. Jahrhundert endgültig überwunden werden und in ein gesundes Selbstbewusstsein transformiert werden. Daran ist immer noch viel zu arbeiten, gerade auch weil Sexualität und Fortpflanzung durch naturwissenschaftliche Forschung bereits getrennt von einander gelebt werden können.

Die Schwierigkeit der Identitätsfindung durch einseitige Frauenrollen in der Literatur und in Spielfilmen

Ein weniger tragisches Beispiel für Verirrungen hinsichtlich des Lebenswandels, und zwar ohne die Problematik des Kindsmords bietet der Roman „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos.

Die bigotte Moral entsteht aus den einseitigen Rollen, die den Frauen immer wieder zugewiesen wurden, ganz gleich in welchem Jahrhundert. Die vorherrschende Moral des 18. Jahrhunderts in der Adelsgesellschaft Frankreichs wird einerseits völlig ausgehebelt und andererseits bleibt sie als gesellschaftliche Orientierung bestehen. Es geht um Intrigen und Eifersucht, aber nicht um Liebe. Hervorragend verfilmt wurde dieser Roman neben Stephen Frears auch von Milos Forman (1989).

Hier geht es mehr um die Aphrodite-Thematik, die Liebhaberin, als um die Demeter-Thematik, die fürsorgliche Mutter.

Die Marquise de Merteuil soll die junge und unschuldige Cécile in die damalige Gesellschaft einführen. Da der zukünftige Ehemann der jungen Cécile einer der Exliebhaber der Marquise war, möchte sich die Marquise rächen. Valmont, ein „Frauenheld“ soll Cécile entjungfern, damit sie „befleckt“ in die Ehe gehe. Valmont schafft das auf eine hintertriebene Art und Weise, indem er die Unschuld der jungen Frau missbraucht, die vertrauensvoll einen Brief mit dessen Hilfe an ihren jungen Musiklehrer schreibt, den sie aufrichtig liebt. Diese Situation nutzt Valmont aus und führt Cécile in die Liebeskunst ein. Gleichzeitig wettet Valmont mit der Marquise, Madame de Tourvel erobern zu können, die ihrem Mann aufrichtig treu ist. Er verliebt sich allerdings in diese und umwirbt sie hartnäckig, und als sie sich ihm eines Tages tatsächlich hingibt, da ist er nicht mehr an ihr interessiert. Doch nach der „Liebesnacht“ ist er dann doch sehr irritiert und möchte so etwas wie Liebe spüren, doch da hat diese ihn bereits verlassen und ist wieder bei ihrem Ehemann, und Valmonts Liebesgefühle sind nicht stark genug um um Madame Tourvel zu kämpfen.

Die aufrichtige zarte Liebe zwischen dem jungen Musiklehrer und Cécile wird ebenso „zersetzt“ und intrigiert. Der junge Musiker, der Cécile heiraten möchte, erfährt von der Marquise von deren Entjungferung und so geht er schließlich aus Frust mit der Marquise ins Bett.

Der junge Musiklehrer duelliert sich schließlich mit Valmont, der beim Duell erschossen wird. Cécile heiratet schließlich den reichen Adligen, dem sie aus Standesgründen versprochen ist. Madame Trouvel kommt an das Grab von Valmont mit einem Hauch von Liebe…

Keine dieser Romanfiguren schafft es tatsächlich Liebe zu leben. Stattdessen spielen alle irgendwann das Spiel der Eifersucht und Intrige. Wir haben hier eher das lüsterne als das lustbetonte Frankreich des 18. Jahrhunderts der Adligen vor Augen, in dem es zunächst keine Sittenstrenge zu geben scheint, jedoch bietet der gesellschaftliche Hintergrund dann doch einen strikten Moralkodex. Es wird Wert darauf gelegt, dass die Frau „unbefleckt“ in die Ehe geht. Das sind kirchliche Moralvorstellungen, die zu der Zeit immer noch vorherrschten und die in der Adelsgesellschaft dazu benutzt wurden Intrigen zu schaffen. Wirklich religiös waren jene Menschen jedoch nicht und sie wussten auch nichts von der Ganzheitlichkeit in Bezug auf Sexualität und Spiritualität und sie wussten nicht, was Liebe eigentlich beinhaltet. So zeigen sie sich zwar verletzbar, schützen sich allerdings mit moralischen Zwängen wie Duellen, die die verletzte Ehre eines gekränkten Pseudoliebenden retten sollten. Hier gibt es nichts zu retten, da die Menschen auf dieser Ebene völlig verloren sind. Sie leben auf eine neurotische Art und Weise, d. h. sie leben nicht sich selbst, sondern etwas, was sie nicht sind, aber gerne wären. So meint jeder einen anderen lieben zu müssen, besser besitzen zu müssen, niemand traut sich seine wahrhaften Gefühle zuzulassen. Die einzigen, die das zunächst versuchen sind Cécile und der junge Musiklehrer, sie schreiben sich aufrichtig gemeinte zärtliche Liebesbriefe. Da das jedoch nicht standesgemäß ist, wird diese Liebe von der höfischen Gesellschaft hintertrieben und auch die beiden Liebenden werden dann zu unaufrichtigen Mitspielern der damaligen Gesellschaft erzogen.

Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen bleibt als solche vorhanden, führt aber entwicklungsmäßig nicht weiter.

Diese einseitiggeprägten Lebensvorstellungen und -praktiken führen zu neurotischen Verhaltensweisen der Menschen und zu dementsprechenden Gesellschaften. In diesen neurotischen Gesellschaften hat es besonders die Frau sehr schwer.

In diesem Roman sind die Frauen ausschließlich auf die Aphrodite-Rolle reduziert, allerdings auf eine beschränkte und unerlöste Weise. (Die Aphrodite-Frau ist die Liebende, die alles Verbindende, die Kreative) Das verkörpern die Frauen in dem Roman nicht, sondern sie sind durch Naivität und Unwissenheit getriebene, gelangweilte Frauen, die der Liebe nicht fähig sind. Die anderen Göttinnen-Anteile wie die Naturverbundene (Artemis), die Weise (Athene), die Partnerschaftliche (Hera) die Kinderliebe (Demeter), die Intuitive (Persephone) bleiben auf der Strecke. Das beweist die Langeweile, die diese unvollständig handelnden und fühlenden Charaktere miteinander erfahren.

Um die Neurosen einer Gesellschaft und die eines Individuums zu heilen oder ihnen vorzubeugen, sollten wir die weibliche Seelenenergie, ganz gleich, ob Mann oder Frau, besonders schützen. Es ist das Yin, das Kindliche, das Annehmende, Abwartende. Jedoch ist der männliche Seelenanteil von genauso großer Wichtigkeit, er ist der Beschützende, der Aktive, der Aufpassende. Wenn beide Anteile nicht so richtig ausgeprägt und entwickelt sind wie bei Romanfiguren und Figuren in dem Märchen „Die verblendete Seherin“, dann kommt es zu diesen Verirrungen hinsichtlich der Lebensorientierung. Nicht nur der Körper prostituiert sich, sondern auch die Seele. Nicht nur die Frau wird zur Prostituierten, sondern auch der Mann, ob es der verantwortungslose Jüngling ist oder ob es sich um die bezahlenden „Freier“ handelt, beide Seelenanteile sind hier verraten und buchstäblich verkauft.

Die entscheidende Frage, wie es zu dieser Verirrung in Bezug auf Sexualität und Kindergebären kommt, kann beantwortet werden. Die Reduzierung auf einzelne Frauenrollen, die unvereinbar scheinen, schwächen die Frau und das Weibliche und den Mann, das Männliche zugleich und ermöglichen Prostitution, Misshandlung der Frau und dann eine schlechte Bemutterung und verhindern ein vernünftiges Großziehen der Kinder und können sogar Kindsmord provozieren.

Diese Verirrung hat es immer gegeben, die Prostitution ist ja auch „das älteste Gewerbe“ der Welt. Dennoch gibt es Gründe für diesen Missbrauch. Der Urgrund ist die „Vertreibung aus dem Paradies“, die Sehnsucht des Menschen nach dem, wo er hergekommen ist, der Verlust der Urheimat, der Urliebe.

Leider hat sich in unserer heutigen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts die Prostitution noch mehr ausgebreitet als je zuvor. Hierbei ist die „normale“ Prostitution jedoch von der Zwangsprostitution, die meistens mit Kinderprostitution verbunden ist, zu unterscheiden. Aber nicht nur bei der Zwangsprostitution wird deutlich, dass es sich um schwierige Kindheiten handelt, die all jene Menschen, die an der Prostitution beteiligt sind, in der Regel erleiden mussten. Ein Zuwendungsmangel vom Vater und eine nicht stattgefundene Abnabelung des Jungen von der Mutter können ihn auf die Laufbahn eines Zuhälters bringen und sexueller Missbrauch in der Kindheit oder ein Zuwendungsmangel können die Mädchen zu Prostituierten werden lassen. Armut ist ein weiterer Grund für die weltweite Ausbreitung der Prostitution, vor allem der Zwangsprostitution.

Was können wir dagegen tun? --- Wir haben zunächst die Möglichkeit bei uns selbst anzufangen, uns selbst anzusehen und zu stabilisieren, damit wir nicht auf der Stufe der süchtig Suchenden stehen bleiben müssen.

Warum die Prostitution eine so weit verbreitete Verirrung ist, zeigt uns die Ursehnsucht nach Zuwendung, nach Urheimat.

Das Angefasst-Werden, die Sexualität, selbst wenn sie käuflich erworben werden kann, schafft zumindest die Illusion von Einssein. Das Gegenteil ist zwar der Fall, da das Fehlen der Liebe ein Gefühl von Angekommensein verhindert. Stattdessen muss der Mensch immer weiter suchen und wird ein süchtig Suchender, was er dann auch wiederum kompensieren muss, z. B. durch Alkohol, Drogen, Esssucht, Arbeitsucht usw.

Warum bietet nun das andere Lebensmodell keine Erfüllung, nämlich in Askese zu leben und Gott zu dienen, d. h. nur der geistig-geistlichen Kraft entsprechend zu leben, z. B. in einem Kloster.

Die Protagonistin im Märchen erfährt hier auch keine Liebe, da die Zeremonien, die Kargheit des Alltags keine Freude bringen. Diese Art von Einseitigkeit ist genauso unbefriedigend zu leben wie die des Sinnesrausches. Auch hier ist Glück nicht zu erspüren und zu erleben. Die nicht-gelebte sexuelle Energie als Urkraft wird zwar in spirituelle Energie „umgelenkt“, aber das gelingt nicht immer, häufig nur selten, und da bleibt ein Gefühl des Unbefriedigt-Seins und des Mangels, der auch wieder zum Suchen, sogar zur Sucht führen kann. Besonders Frauen haben auch heute noch die Spaltung von Sexualität und Religion zu ertragen, besonders in den islamischen Gesellschaften und selbst in der westlich-christlichen Welt, wo die katholische Kirche keine Verhütungsmittel erlaubt, da der Geschlechtsakt ausschließlich der Fortpflanzung diene. Der 2005 verstorbene Papst Paul II. verurteilte Verhütung als Kindsmord. Wenn wir uns das verdeutlichen, wird es verständlich, dass die Menschen eine immer größere Trennung zwischen den Bereichen der Spiritualität und der Sexualität vollziehen. Leider wird Religiosität und kirchliches Dogma in der Regel häufig identisch gesehen. Um sich von dem Druck dieser Dogmen, Reglementierungen und Normen zu befreien, lässt der Mensch schließlich die Religion ganz aus dem Spiel und meint nun frei von lästigen Einschränkungen zu sein. Jedoch schafft diese Befreiung keine wirkliche Freiheit, da ja ein wichtiges Element des menschlichen Daseins fehlt, die geistig/geistliche Dimension.

Als Handlungsorientierung wird die Dualität von Körper und Geist auch in die säkularisierte Welt übernommen.

Frauen erfahren und erleiden auch hier die Spaltung, die Trennung von Körperlichkeit und geistigem Potential. Diese Trennung, die eine doppelte Moral darstellt und neurotisches Verhalten zur Folge hat, spaltet den Menschen ab von seinem Ursprung und verhindert eine Heilung, eine Ganzwerdung.

In der Literatur und in Filmen wird uns dieses Menschenbild, dieses Frauenbild immer wieder nahe gebracht.

Der griechische Spielfilm „Sonntags nie“ (1960) von Jule Dassin zeigt den ungelebten Konflikt einer Hure auf, deren Dasein die „echte“ griechische Lebensweise verkörpern soll. Dieser Film war viele Jahre verboten und auf dem Markt verschwunden, und zwar zu der Zeit, als die Hauptdarstellerin Melina Mercouri Kulturministerin in Griechenland wurde.

Die Protagonistin des Films ist Illia, eine attraktive und begehrenswerte Frau, die am Hafen von Piräus lebt und allen Männern als Prostituierte den Kopf verdreht. Als eines Tages ein amerikanischer Tourist, Homer Thrace, in den Hafen kommt und einen Annäherungsversuch wagt, ist Illia sehr irritiert, da er nicht an ihrem Körper und ihrer Sexualität interessiert ist, sondern an Griechenlands Kultur. Als Hobbyphilosoph will Homer Thrace Illia, die er als „gefallenen Engel“ sieht, wieder zu einer griechischen Göttin emporheben.

Doch Illia lässt sich trotz ihres Versuches sich kulturell zu bilden, von ihrer Art zu leben, nicht abbringen. Sie will eben so leben, wie sie lebt, und verbindet dies mit Freiheit und Lebenslust und schließlich sieht der Amerikaner ein, dass sie nur so glücklich sein kann, wie sie immer schon gelebt hat, und er verlässt schließlich Griechenland.

Bemerkenswert ist bei diesem Film, die Rolle der Protagonistin Illia, die als Sympathieträgerin Freiheit und Individualität verkörpern und das freie, nicht-amerikanisierte Griechenland repräsentieren soll. Allerdings „repräsentiert“ sie dies alles in einer einseitig festgelegten tragischen Frauenrolle, nämlich die einer unterdrückten Aphrodite, und zwar als Prostituierte und nicht z. B. als freie Schriftstellerin, Sängerin oder Malerin, was der erlösten, eigentlichen Charakterart der Aphrodite entspräche. Vielmehr wird ihr „freiheitliches“ Dasein, das als Prostituierte niemals wirklich frei sein kann, auf die käufliche Liebe reduziert und gleichzeitig als Individualität und Freiheit dargestellt. Als Prostituierte zu leben ist niemals frei, es entspringt immer einer mangelnden Selbstliebe, die in der Regel die Folge einer schwierigen Kindheit ist.

Es handelt sich hier einerseits um einen großartigen Film, der tatsächlich einen Einblick in das noch touristisch unverdorbene Griechenland bietet, jedoch ist die Verknüpfung von Lebenslust, Freiheit und Individualität mit Prostitution nicht unproblematisch hinsichtlich der Vermittlung eines integren Frauenbildes.

Dies wird noch deutlicher, wenn wir uns den Inhalt des bekannten Romans „Alexis Sorbas“ von Nikos Kazantzaki, der 1964 von Michael Cacoyannis verfilmt wurde, ansehen.

Der Protagonist Alexis Sorbas ist mit einem englischen Schriftsteller befreundet und repräsentiert genau wie Illia in dem Film „Sonntags nie“ das echte, lebendige, bodenständige Griechenland. Sein Leben ist ein einziger Tanz, denn er tanzt, wenn er glücklich und auch wenn er traurig ist. Er liebt die Frauen und fühlt sich frei in seinem Denken und Handeln.

Er muss sich nicht prostituieren, um Freiheit zu propagieren, vielmehr ist er ein Lebenskünstler, der seinen englischen Freund zum Schreiben inspiriert. Als dieser mit einer attraktiven Witwe eine Liebesnacht verbringt, wird diese von den Dorfbewohnern gesteinigt und stirbt. Alexis Sorbas akzeptiert diesen moralischen Zwangsvollzug, obwohl er als starker Mann und anerkannter Mitbewohner des Dorfes und als Freiheitsliebender dieses Unglück hätte verhindern können und müssen.

Vergleichen wir die beiden Filme miteinander, wird deutlich, dass die Frauenfigur in „Alexis Sorbas“, den Moralvorstellungen des Griechenlands der 1960er Jahre zum Opfer fällt und dass Alexis Sorbas als Mann seine Sexualität frei ausleben kann ohne bestraft oder diskriminiert zu werden. Der männliche Seelenanteil muss der Beschützer des Weiblichen sein, sonst wird er seiner ursprünglichen Aufgabe nicht gerecht. Yin und Yang können nicht willkürlich vertauscht werden, beides muss vorkommen im Lebensganzen, beides an seinem Platz mit seiner Zuständigkeit.

Der gleiche Menschentypus wie Alexis Sorbas , der frei und lustvoll lebt, wird in dem Film „Sonntags nie“, in der weiblichen Entsprechung als Prostituierte dargestellt, so als gäbe es nur die Wahl für eine Frau eine „Hure“ oder eine „Heilige“ zu sein.

Tatsächlich gibt es unzählige Filme, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, wie der französische Film mit dem Titel „Die Mama und die Hure“, der amerikanische Film mit Sophia Loren „ Es begann in Neapel“, der Film „Irma la douce“ usw. usw.

Es geht in diesen Filmen immer um festgelegte Frauenrollen, die entweder einseitig oder tragisch konfliktreich, nämlich zwischen der Welt der Lust und der Welt der Moral stehen, erscheinen.

Diese Beispiele sollen zeigen, dass der Konflikt zwischen Moral und Lust, zischen Sexualtrieb und Kultur, wie Freud es nennt, immer vorhanden ist, ganz gleich, ob eine bewusste religiöse Weltanschauung hinzukommt oder nicht. Diese verstärkt den Konflikt zwischen Körper und Geist allerdings noch.

Sexualität in Form von Prostitution zu erfahren, auch wenn diese aus einer materiellen Not heraus gelebt wird, ist allerdings eine Verblendung. Die junge Frau in dem Märchen „Die verblendete Seherin“ wird allerdings für einen kurzen Moment zu einer tatsächlichen Seherin, nämlich als sie dies erkennt und anfängt zu weinen und sich zu schämen. Diese Scham besteht nicht darin gegen irgendwelche Moralvorstellungen verstoßen zu haben, sondern vielmehr darin sich schuldig an der nicht wahrhaftig gelebten Liebe gemacht zu haben, damit ist vor allem die Selbstliebe gemeint. Das geschieht auf einer unbewussten Ebene.

Daher bleibt eine tiefe Sehnsucht nach der wirklichen Liebe bestehen, nach der Urheimat, die auf der Ebene von Prostitution und von Askese und Abgeschiedenheit nicht zu finden ist.

Es geht also darum, die tatsächliche Lebensqualität von unterschiedlichen Lebensformen dahingehend zu erkennen und zu verstehen, dass die Abspaltung von z. B. Sexualität, Kindergebären auf der einen Seite und Spiritualität auf der anderen Seite problematisch ist und dass es allerdings eine seelische Weiterentwicklung bedeutet, sich dies anzusehen.

Würde Sexualität als etwas Heiliges im Sinne von Ganz-Sein verstanden, dann dürfte es keine Kindsmorde mehr geben.

Der männliche Seelenanteil zwischen der lustvoll-sinnlichen und der geistig/geistlichen Welt

Das folgende Märchen zeigt nun die Schwierigkeit des Mannes, des männlichen Seelenanteils in uns, sich entscheiden zu müssen zwischen sinnlicher Welt und geistig-geistlicher Welt.

Der Kugelmensch

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