Читать книгу Little Women - Луиза Мэй Олкотт - Страница 9
Ein fröhliches Weihnachtsfest
ОглавлениеJo war die Erste, die an Weihnachten im grauen Morgenlicht erwachte. Es hingen keine Strümpfe am Kamin, und für einen Augenblick war sie genauso enttäuscht wie vor langer Zeit, als ihr kleiner Strumpf vor lauter Leckereien aus den Nähten platzte. Dann fiel ihr das Versprechen ihrer Mutter wieder ein. Sie griff unter ihr Kopfkissen und zog ein Buch in einem dunkelroten Einband hervor. Sie kannte es nur zu gut, denn es war die wunderbare alte Geschichte vom besten aller Leben, und Jo fand, dass es das beste Lehrbuch für jede Pilgerin auf ihrer langen Reise war. Sie weckte Meg, wünschte ihr fröhliche Weihnachten und bat sie, unter ihr Kopfkissen zu schauen. Ein grünes Buch kam zum Vorschein, darin dasselbe Bild und ein paar Zeilen in der Handschrift ihrer Mutter, wodurch ihnen ihr einziges Geschenk sehr kostbar erschien. Irgendwann wurden auch Beth und Amy wach, um ebenfalls ihre kleinen Bücher zu suchen und zu finden, das eine taubenblau, das andere dunkelblau. Alle saßen sie da, betrachteten die Bücher und sprachen über sie, während im Osten der neue Tag rosig heraufzog.
Trotz ihrer kleinen Eitelkeiten hatte Margaret ein gutmütiges und frommes Wesen, mit dem sie unbewusst auch ihre Schwestern beeinflusste, vor allem Jo, die ihre Schwester sehr lieb hatte und auf ihre sanftmütig erteilten Ratschläge gerne hörte.
»Mädchen«, sagte Meg ernst und ließ den Blick über den zerzausten Haarschopf an ihrer Seite und dann über die beiden haubenbedeckten Köpfe im angrenzenden Zimmer schweifen, »Mutter möchte, dass wir diese Bücher lesen und lieben und befolgen. Wir sollen sofort damit anfangen. Früher sind wir dem immer nachgekommen, aber seit Vater weg ist und dieser Krieg uns so aufwühlt, haben wir vieles vernachlässigt. Ihr könnt machen, was ihr wollt; ich jedenfalls werde mein Buch hier auf dem Tisch liegen lassen und jeden Morgen nach dem Aufwachen ein bisschen drin lesen. Ich weiß, es wird mir gut tun und mir durch den Tag helfen.«
Dann schlug sie ihr neues Buch auf und begann zu lesen. Jo legte ihr den Arm um die Schultern, beugte sich vor, Wange an Wange, und las ebenfalls mit einer ruhigen Miene, die ihr Gesicht so selten zeigte.
»Wie gut Meg ist! Los, Amy, das machen wir auch. Ich helfe dir mit den schwierigen Wörtern, und die beiden erklären uns alles, was wir nicht verstehen«, flüsterte Beth, beeindruckt von den hübschen Büchern und dem Vorbild ihrer Schwestern.
»Bin ich froh, dass ich ein blaues habe«, sagte Amy. Dann war es in den Zimmern sehr still, während leise geblättert wurde und die Wintersonne langsam hereinfiel, um die hellen Köpfe und ernsten Gesichter mit einem weihnachtlichen Gruß in ihr Licht zu tauchen.
»Wo ist Mutter?«, fragte Meg, als sie und Jo eine halbe Stunde später nach unten rannten, um ihr für die Geschenke zu danken.
»Weiß der Himmel. Irgendein armes Ding stand gerade vor der Tür und hat gebettelt, und eure Mama ist sofort los, um zu sehen, was fehlt. Noch nie hab ich eine Frau gesehen, die so schnell dabei ist, Essen und Trinken, Kleidung und Holz zu verschenken«, entgegnete Hannah, die seit Megs Geburt im Haus der Familie lebte und von allen eher als Vertraute denn als Angestellte angesehen wurde.
»Sie ist bestimmt gleich zurück, also fang ruhig schon an zu backen und alles vorzubereiten«, sagte Meg mit einem Blick auf die Geschenke im Korb unter dem Sofa, der im richtigen Moment hervorgezaubert werden sollte. »Aber – wo ist denn Amys Kölnischwasser?«, fügte sie hinzu, als sie kein Fläschchen sah.
»Sie hat es gerade genommen und ist damit weggelaufen, um eine Schleife drumzubinden oder so was«, entgegnete Jo durch den Raum tanzend, um die neuen Hausschuhe schon mal etwas einzulaufen.
»Sehen meine Taschentücher nicht schön aus? Hannah hat sie mir gewaschen und gebügelt, und ich hab sie ganz alleine bestickt«, sagte Beth und betrachtete stolz die etwas schief geratenen Buchstaben, die sie solche Mühe gekostet hatten.
»Ich lach mich tot, sie hat sie mit ›Mutter‹ bestickt statt mit ›M. March.‹ Wie lustig!«, rief Jo und nahm eins in die Hand.
»Ist das falsch? Ich dachte, es wäre besser so. M. M. sind doch Megs Initialen, und ich wollte, dass sie von niemandem benutzt werden außer Marmee«, sagte Beth mit sorgenvoller Miene.
»Alles gut, Süße, eine sehr schöne Idee, und gar nicht so dumm, denn so wird es sicher zu keiner Verwechslung kommen. Sie wird sich wahnsinnig freuen, da bin ich mir sicher«, sagte Meg mit einem kritischen Blick auf Jo und einem Lächeln für Beth.
»Mutter kommt. Versteckt den Korb, schnell!«, rief Jo, als eine Tür ins Schloss fiel und Schritte im Flur zu hören waren.
Amy stürzte herein und wirkte ziemlich betreten, als sie sah, dass die Schwestern schon auf sie warteten.
»Wo warst du, und was hast du da hinter deinem Rücken?«, fragte Meg, sich darüber wundernd, dass die bequeme Amy so früh schon unterwegs gewesen war, wie man unschwer an Mantel und Haube erkennen konnte.
»Lach mich nicht aus, Jo! Ich wollte nicht, dass es jemand mitbekam, bis es so weit war. Ich wollte nur die kleine Flasche gegen eine große umtauschen. Dafür hab ich mein ganzes Geld ausgegeben. Ich versuche ehrlich, nicht mehr so egoistisch zu sein.«
Und dabei zeigte Amy die hübsche Flasche herum, mit der sie die preiswerte ersetzt hatte. Bei ihrem kleinen Versuch, ihre eigenen Bedürfnisse hintanzustellen, sah sie so ernst und bescheiden aus, dass Meg sie spontan in die Arme schloss und Jo sie einen ›feinen Kerl‹ nannte, während Beth ans Fenster rannte und ihre schönste Rose pflückte, um die stattliche Flasche zu schmücken.
»Mein Geschenk war mir peinlich, nachdem wir heute Morgen davon gelesen und darüber geredet haben, ein guter Mensch zu sein, also bin ich als Allererstes ans Eck gelaufen und hab es umgetauscht, und ich bin so froh, weil ich jetzt das schönste Geschenk habe.«
Erneut fiel die Haustür ins Schloss, rasch landeten die Geschenke unter dem Sofa und die Mädchen am Tisch, begierig aufs Frühstück.
»Fröhliche Weihnachten, Marmee! Und noch viele mehr davon! Danke für die Bücher; wir haben schon angefangen und wollen jeden Tag ein bisschen drin lesen!«, riefen sie im Chor.
»Fröhliche Weihnachten, liebe Töchter! Das freut mich, und ich hoffe, ihr bleibt dabei. Eins will ich aber noch erzählen, bevor wir mit dem Frühstück beginnen. Ganz in der Nähe liegt eine arme Frau mit einem neugeborenen kleinen Baby. Sechs Kinder kauern in einem einzigen Bett, um nicht zu erfrieren, sie haben nämlich keinen Ofen. Die Leute haben nichts zu essen. Der älteste Junge war hier, um mir zu sagen, dass sie Hunger haben und frieren. Liebe Mädchen, wollt ihr ihnen nicht als Weihnachtsgeschenk euer Frühstück spenden?«
Da sie fast eine Stunde gewartet hatten, waren sie alle ungewöhnlich hungrig, und kurz sagte niemand etwas – aber nur ganz kurz, denn dann rief Jo stürmisch:
»Bin ich froh, dass wir noch nicht angefangen haben!«
»Darf ich mitkommen und helfen, die Sachen zu den armen kleinen Kindern rüberzutragen?«, fragte Beth eifrig.
»Ich nehm die Sahne und die Muffins«, fügte Amy hinzu und verzichtete heldenhaft auf das, was sie am liebsten aß.
Meg war schon dabei, den Buchweizen abzudecken und das Brot auf einen großen Teller zu häufen.
»Dachte ich’s mir doch, dass ihr einverstanden wärt«, sagte Mrs March und lächelte zufrieden. »Ihr dürft alle mitkommen und mir helfen, und wenn wir wieder hier sind, gibt es Brot und Milch, und beim Abendessen machen wir alles wieder gut.«
Bald waren sie so weit, und sie marschierten los. Zum Glück war es noch früh, so dass sie unbemerkt durch die kleinen Gassen gehen und niemand über die sonderbare Truppe lachen konnte.
Ein armes, kahles, elendes Zimmer erwartete sie, mit kaputten Fensterscheiben, ohne Herd, mit zerlumptem Bettzeug, einer kranken Mutter, einem weinenden Baby und einem Haufen blasser, hungriger Kinder, die sich unter einer einzigen Steppdecke aneinander gekuschelt hatten, um warm zu bleiben.
Was sie für große Augen machten und mit ihren blauen Lippen lächelten, als die Mädchen durch die Tür kamen!
»Ach, mein Gott! Es kommen Engel zu uns!«, rief die arme Mutter und weinte vor Freude.
»Komische Engel in Hauben und Handschuhen«, sagte Jo, womit sie alle zum Lachen brachte.
Doch wenige Minuten später wirkte es tatsächlich so, als wären gute Geister am Werk gewesen. Hannah, die das Holz getragen hatte, machte Feuer und verstopfte die kaputten Scheiben mit alten Mützen und ihrem eigenen Umhang. Mrs March gab der Mutter Tee und Haferschleim und beruhigte sie mit Hilfsversprechen, während sie das kleine Baby so zärtlich wickelte, als wäre es ihr eigenes. Unterdessen deckten die Mädchen den Tisch, setzten die Kinder vors Feuer und fütterten sie wie hungrige Vögel. Sie lachten, plauderten und versuchten, das lustige gebrochene Englisch zu verstehen.
»Schmeckt gut!« »Die Engelskinder!«, riefen die armen Dinger, und sie aßen und wärmten ihre blau gefrorenen Hände wohlig am Feuer. Die Mädchen waren noch nie als Engelskinder bezeichnet worden, doch es gefiel ihnen sehr, vor allem Jo, die seit ihrer Geburt als Kratzbürste galt. Es war ein glückliches Frühstück, auch wenn sie nichts davon abbekamen. Und als sie wieder gingen und ihren Trost zurückließen, gab es in der ganzen Stadt wohl keine fröhlicheren Menschen als die hungrigen kleinen Mädchen, die ihr Frühstück verschenkt und sich am Weihnachtsmorgen mit Brot und Milch zufriedengegeben hatten.
»Das bedeutet es also, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, und ich find’s schön«, sagte Meg, während sie ihre Geschenke auslegten und ihre Mutter oben war, um Kleidung für die armen Hummels zusammenzusuchen.
Sie machten zwar nicht viel her, doch es steckte sehr viel Liebe in den kleinen Päckchen. Und die große Vase mit den roten Rosen, weißen Chrysanthemen und grünen Ranken, die in der Mitte stand, verlieh dem Tisch etwas Elegantes.
»Sie kommt! Fang an, Beth. Mach die Tür auf, Amy! Ein Hoch auf Marmee!«, rief Jo und hüpfte vor Aufregung, während Meg ihre Mutter zu ihrem Ehrenplatz führte.
Beth spielte ihren fröhlichsten Marsch, Amy warf die Tür auf, und Meg gab mit großer Andacht die Eskorte. Mrs March war überrascht und gerührt. Sie lächelte unter Tränen, besah ihre Geschenke und las die kleinen beigelegten Briefchen. Die Hausschuhe wurden sofort angezogen, ein neues, mit Amys Parfüm großzügig benetztes Taschentuch wanderte in ihre Tasche, die Rose wurde an ihre Brust geheftet und die schönen Handschuhe wurden als ›perfekt‹ befunden.
Es wurde viel gelacht, geküsst und erläutert, und das auf jene einfache, liebevolle Art, die solche Feiertage so gemütlich macht und für so wunderbare Erinnerungen sorgt. Anschließend begaben sich alle an die Arbeit.
Die morgendliche Wohltätigkeitsaktion und die Zeremonie hatten so viel Zeit in Anspruch genommen, dass der Rest des Tages den Vorbereitungen für die abendlichen Feierlichkeiten gewidmet war. Da sie noch zu jung fürs Theater waren und nicht wohlhabend genug für aufwändige Privatvorführungen, hatten sich die Mädchen selbst etwas überlegt. Not macht bekanntlich erfinderisch, und so hatten sie alles, was sie brauchten, selbst hergestellt. Herausgekommen waren geschickte Bastelarbeiten: Gitarren aus Karton, antike Lampen in Form von altmodischen Butterdosen unter silbernem Papier, prächtige Roben aus altem Baumwollstoff verziert mit glitzernden Zinnpailletten aus der Gurkenfabrik sowie eine Ritterrüstung, ebenfalls mit Pailletten versehen, einem Abfallprodukt bei der Herstellung von Konservendosendeckeln. Die Möbel waren es gewohnt, auf den Kopf gedreht zu werden, und das Wohnzimmer hatte zuvor schon vielen unschuldigen Träumereien als Schauplatz gedient.
Herren waren nicht zugelassen, also spielte Jo nach Herzenslust die männlichen Rollen. Sie erfreute sich besonders an ihren rotbraunen Lederstiefeln, dem Geschenk einer Freundin, die eine Dame kannte, die einen Schauspieler kannte. Diese Stiefel, ein altes Florett und ein zerrissenes Wams, das irgendein Künstler für ein Gemälde verwendet hatte, waren Jos größten Schätze und kamen bei jeder Gelegenheit zum Einsatz. Da die Schauspieltruppe so klein war, mussten die beiden Hauptdarstellerinnen gleich mehrere Rollen spielen – und sie verdienten durchaus etwas Beifall für die harte Arbeit, die das Lernen von drei oder vier verschiedenen Rollen, das Wechseln von einem Kostüm ins andere und die Organisation des gesamten Bühnenablaufs mit sich brachte. Die Aufführungen waren ein ideales Gedächtnistraining, ein harmloser Zeitvertreib und füllten viele Stunden, die andernfalls müßig, einsam oder in weniger erbaulicher Gesellschaft verbracht worden wären.
Am Weihnachtsabend kletterte ein Dutzend Mädchen aufs Bett – in den ersten Rang – und saß in höchst schmeichelhafter gespannter Erwartung vor dem blau-gelben Chintzvorhang. Hinter dem Vorhang herrschte Geraschel und Geflüster, eine Spur Lampenrauch und das gelegentliche Kichern von Amy, die geneigt war, in der Hitze des Gefechts die Nerven zu verlieren. Schließlich läutete ein Glöckchen, der Vorhang schwang auf und die tragische Oper begann.
Der (laut dem einzigen Programmheft) ›düstere Wald‹ bestand aus eingetopftem Gebüsch, grünem Stoff auf dem Boden und einer Höhle in der Ferne. Die Höhle hatte einen Wäscheständer als Dach, Kommoden als Wände und beherbergte einen kleinen, kräftig lodernden Ofen sowie eine alte Hexe, die sich über einen schwarzen Kessel beugte. Die Bühne war dunkel, und das Glühen des Ofens hatte eine stimmungsvolle Wirkung, vor allem als beim Abnehmen des Deckels echter Rauch aus dem Kessel trat. Man ließ dem Publikum einen Moment Zeit, um den ersten Nervenkitzel zu verdauen, dann stapfte Hugo, der Schurke, mit rasselndem Schwert, Schlapphut, schwarzem Bart und geheimnisvollem Umhang auf die Bühne. Nachdem er sehr aufgewühlt hin und hergelaufen war, schlug er sich gegen die Stirn, schmetterte drauflos und sang von seinem Hass auf Roderigo, seiner Liebe für Zara und seinem festen Vorhaben, dem einen das Leben zu nehmen und die Liebe der anderen zu gewinnen. Hugos barsche Stimme, seine Schreie, wenn ihn hier und da die Gefühle übermannten, waren beeindruckend, und das Publikum applaudierte in dem Moment, als er innehielt, um Luft zu schnappen. Er verbeugte sich wie jemand, der öffentliches Lob gewohnt war, schlich sich nach hinten und beorderte Hagar aus ihrer Höhle, indem er rief: »He da, Gevatterin, ich brauche Euch!«
Auftritt Meg mit wildem schimmelgrauem Rosshaar auf dem Kopf, schwarzrotem Gewand, Stock und einem Umhang voller kabbalistischer Zeichen. Hugo verlangte von ihr einen Zaubertrank, um Zaras Liebe zu gewinnen, und einen zweiten, um Roderigo zu vernichten. Mit anmutig dramatischer Stimme versprach ihm Hagar beides und fuhr fort, den Geist heraufzubeschwören, der den Liebestrank liefern sollte:
Komm zu mir, aus deinem Reich
Geist der Lüfte, komm sogleich!
Rosenkind, mit Tau gelabt
Bist mit Zauberkraft begabt!
Bring mir rasch mit Elfenkuss
Den Trank, den ich jetzt haben muss.
Und mach ihn wirksam, süß und stramm,
Geist der Lüfte, hör mich an!
Eine zarte Melodie erklang, dann trat hinter der Höhle eine kleine Gestalt in wolkigem Weiß mit glitzernden Flügeln, goldenem Haar und einer Rosengirlande hervor. Die Gestalt wedelte mit ihrem Zauberstab und sang:
Hier komm ich aus
Meinem luftigen Haus
Im schimmernden Mondenlicht,
Nimm dieses Gebräue,
Gebrauch es mit Schläue,
Sonst wirkt es leider nicht!
Und nachdem sie der Hexe ein kleines vergoldetes Fläschchen vor die Füße geworfen hatte, löste sich die Gestalt in Luft auf. Ein zweiter Zauberspruch Hagars beschwor eine weitere Erscheinung herauf – jedoch keine schöne, denn mit einem Poltern und Krächzen erschien ein hässlicher schwarzer Kobold, der Hugo mit einer schwarzen Flasche bewarf, ehe er unter Hohngelächter entschwand. Hugo flötete seinen Dank, steckte sich die Fläschchen in die Stiefel und ging ab. Hagar teilte dem Publikum mit, dass sie einen Fluch über ihn ausgesprochen habe und sich mit der Absicht trage, seine Pläne zu durchkreuzen sowie Rache an ihm zu üben, da er einige ihrer Freundinnen auf dem Gewissen habe. Dann fiel der Vorhang und das Publikum erholte sich mit Süßigkeiten, während die Vorzüge des Stückes diskutiert wurden.
Bevor der Vorhang erneut aufging, war ein ausgiebiges Hämmern zu vernehmen. Und als klar wurde, welches Glanzstück von einem Bühnenbild geschaffen worden war, grollte niemand mehr der Verzögerung. Was für eine Pracht! Ein Turm erhob sich bis zur Decke, auf dessen halber Höhe ein Fenster mit einer Lampe war. Hinter dem weißen Vorhang erschien Zara, die in einem entzückenden blau-silbernen Kleid auf Rodrigo wartete. Er kam, herrlich anzusehen, mit einer Feder am Hut, rotem Umhang, rotbrauner Schmachtlocke, Gitarre und natürlich besagten Stiefeln. Er kniete sich vor den Turm und sang mit schmelzender Stimme eine Serenade. Zara antwortete, und nach einem musikalischen Dialog willigte sie in die gemeinsame Flucht ein. Dann kam der Clou. Roderigo zog eine fünfsprossige Strickleiter hervor, warf ein Ende hoch und forderte Zara auf, hinabzusteigen. Ängstlich kletterte sie daran hinunter, stützte sich auf Roderigos Schulter und wollte anmutig zu Boden springen, doch leider hatte die arme Zara nicht an ihre Schleppe gedacht – die sich im Fenster verfangen hatte. Der Turm wankte, kippte nach vorn, stürzte krachend zu Boden und begrub das unglückliche Paar unter den Trümmern.
Alles schrie auf, während die rotbraunen Stiefel sich unter dem Wrack hervorstrampelten, ein goldblonder Schopf auftauchte und rief: »Ich hab’s ja gesagt! Ich hab’s ja gesagt!« Mit grandioser Geistesgegenwart kam seine grausame Majestät Don Pedro herbeigeeilt, befreite seine Tochter und sprach hastig murmelnd zur Seite: »Nicht lachen! Tut so, als wär’s Absicht!« Er befahl Roderigo aufzustehen und verbannte ihn voller Zorn und Verachtung aus dem Königreich. Roderigo, vom Einsturz des Turmes sichtlich mitgenommen, trotzte dem älteren Herrn und rührte sich nicht vom Fleck. Diese Kühnheit befeuerte wiederum Zara. Auch sie trotzte ihrem Vater, der die beiden sodann in den tiefsten Kerker des Schlosses werfen ließ. Ein rundlicher kleiner Dienstbote kam mit Ketten und führte sie weg. Er hatte dabei aber äußerst ängstlich gewirkt und offenbar den Text vergessen, den er hätte sprechen sollen.
Der dritte Akt spielte in der Halle des Schlosses. Hagar erschien, um das Liebespaar zu befreien und Hugo den Garaus zu machen. Sie hört ihn kommen und versteckt sich. Sie sieht, wie er den Zaubertrank in zwei Weinkelche füllt und den verhuschten kleinen Lakaien bittet: »Bring den Gefangenen diese Kelche in ihre Zellen und sag ihnen, ich käme sogleich.« Der Diener nimmt Hugo zur Seite und raunt ihm etwas zu. Hagar ergreift die Kelche und tauscht sie gegen zwei neue mit harmlosem Inhalt aus. Der Diener Ferdinando trägt sie weg, und Hagar stellt den Giftkelch zurück, der eigentlich Roderigo gilt. Nach einem langen Tirilieren dürstet es Hugo, er trinkt, wird besinnungslos, und nach reichlichem Gestikulieren und Taumeln fällt er sterbend zu Boden, während Hagar ihn mit einem Lied von exquisiter Kraft und Melodiösität von ihrer Tat unterrichtet.
Dies war eine wirklich aufregende Szene gewesen – wobei man hätte einwenden können, dass das plötzliche Hervorquellen einer üppigen Haarmähne die Dramatik des sterbenden Schurken womöglich etwas geschmälert hatte. Er wurde vor den Vorhang gerufen und erschien sehr sittsam mit Hagar an der Hand, deren Gesang als wundervoller angesehen wurde als die ganze Aufführung zusammen.
Im vierten Akt steht der verzweifelte Roderigo kurz davor, sich den Dolch ins Herz zu jagen, denn man hat ihm mitgeteilt, dass Zara ihn verlassen habe. Gerade als die Dolchspitze sein Herz berührt, ertönt unter seinem Fenster ein lieblicher Gesang, der ihm mitteilt, dass Zara ihm treu, jedoch in Gefahr sei – aber er könne sie retten. Ein Schlüssel landet vor seinen Füßen, die Tür geht auf, er wirft verzückt seine Ketten ab und saust los, um seine Herzdame zu finden und zu erlösen.
Der fünfte Akt öffnet mit einer stürmischen Szene zwischen Zara und Don Pedro. Er will sie ins Kloster schicken, aber sie weigert sich. Nach einem rührenden Appell will sie gerade in Ohnmacht fallen, als Roderigo auf die Bühne stürmt und um ihre Hand anhält. Don Pedro verweigert sie ihm, da er ihm nicht reich genug ist. Sie schreien und gestikulieren wie wild, und Roderigo ist kurz davor, mit der erschöpften Zara zu entfliehen, als der ängstliche Diener mit einem Brief und einer Tasche von Hagar auftaucht, die mysteriöserweise verschwunden ist. Der Diener teilt der Gruppe mit, dass Hagar dem jungen Paar unsagbare Reichtümer schenke, Don Pedro dagegen ein schreckliches Schicksal, wenn er sie nicht glücklich mache. Die Tasche wird geöffnet, und mehrere Liter Blechgeld regnen auf die Bühne herab, die sich in ein einziges Glitzermeer verwandelt. Diese Aktion erweicht die strenge Majestät. Ohne zu murren willigt sie ein, gemeinsam stimmen sie einen Freudengesang an und der Vorhang fällt vor dem niederknieenden Liebespaar, das mit vollkommener romantischer Anmut Don Pedros Segen empfängt.
Was folgte, war tosender Applaus, der aber unerwartet unterbrochen wurde, denn die zum ersten Rang umgebaute Pritsche brach plötzlich zusammen und verschlang das begeisterte Publikum. Roderigo und Don Pedro eilten zu Hilfe, und alle konnten unverletzt geborgen werden, wobei es vielen vor Lachen die Sprache verschlagen hatte. Die Aufregung verebbte nur langsam, als Hannah auftauchte und sagte: »Mrs March lässt bitten, die Damen möchten jetzt nach unten kommen.«
Dies war eine Überraschung, selbst für die Schauspielerinnen. Und als sie den Tisch sahen, tauschten sie verzückte Blicke aus. Es sah Marmee ähnlich, ihnen eine kleine Freude zu machen, aber etwas so Feines hatten sie seit den längst vergangenen Tagen des Wohlstands nicht gesehen. Es gab Eiscreme, zwei Schüsseln sogar, einmal rosa, einmal weiß, und Kuchen und Früchte, und hinreißende französische Bonbons – und in der Tischmitte standen vier große Sträuße Treibhausblumen!
Es war ein atemberaubender Anblick. Sie starrten erst auf den Tisch und dann auf ihre Mutter, die sich köstlich zu amüsieren schien.
»Waren es Feen?«, fragte Amy.
»Der Weihnachtsmann«, sagte Beth.
»Das war Mutter«, sagte Meg und lächelte ihr süßestes Lächeln, trotz grauem Bart und weißen Brauen.
»Tante March hat einen Anfall von Freundlichkeit gehabt und das Essen geschickt«, rief Jo aus einer spontanen Eingebung heraus.
»Alles falsch. Der alte Mr Laurence hat es kommen lassen«, entgegnete Mrs March.
»Der Großvater des ›Laurence-Jungen‹! Wie in aller Welt kommt er auf so eine Idee? Wir kennen ihn doch gar nicht!«, rief Meg.
»Hannah hat einem seiner Dienstboten von eurer Frühstücksgesellschaft erzählt. Er ist ein alter Kauz, aber das hat ihm gefallen. Er kannte meinen Vater, vor vielen Jahren, und hat mir heute Nachmittag einen höflichen Brief geschickt und gefragt, ob ich ihm gestatte, meinen Kindern mit ein paar Leckereien seine Zuneigung zu bekunden, zur Feier des Tages. Ich konnte unmöglich ›Nein‹ sagen, und so habt ihr nun ein festliches kleines Nachtmahl – zum Ausgleich für unser einfaches Frühstück.«
»Dieser Junge hat ihm das in den Kopf gesetzt, ich weiß es genau! Der ist toll, ich wünschte, wir könnten uns anfreunden. Er sieht aus, als würde er uns gern kennenlernen. Aber er ist schüchtern, und Meg ist immer so etepetete und erlaubt mir nicht, ihn anzusprechen, wenn wir vorbeigehen«, sagte Jo, während die Teller herumgereicht wurden und sich die Eiscreme unter genüsslichen Ohs und Ahs in Wohlgefallen auflöste.
»Redet ihr von den Leuten, die nebenan in dem großen Haus wohnen?«, fragte eines der Mädchen. »Meine Mutter kennt den alten Mr Laurence, aber sie sagt, er sei sehr stolz und wolle mit seinen Nachbarn nichts zu tun haben. Er lässt seinen Enkel nie rausgehen, außer mit seinem Hauslehrer oder zum Reiten, und der Junge muss furchtbar viel lernen. Wir haben ihn zu einer Gesellschaft eingeladen, aber er ist nicht gekommen. Mutter meint, er sei sehr nett, auch wenn er nie mit uns Mädchen redete.«
»Einmal ist die Katze abgehauen, und er hat sie zurückgebracht. Wir haben uns am Gartenzaun unterhalten und sind wunderbar miteinander ausgekommen, es ging um Kricket, und dann hat er Meg kommen sehen und ist gegangen. Ich werde demnächst mit ihm Freundschaft schließen, da könnt ihr sicher sein«, sagte Jo bestimmt.
»Ich mag seine guten Manieren, er sieht aus wie ein kleiner Gentleman. Ihr könnt euch gern anfreunden, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Er hat die Blumen hergebracht, ich hätte ihn hereinbitten sollen, aber ich war mir nicht ganz sicher, was da oben los war. Er hörte den Krach und sah beim Gehen sehr wehmütig aus. Offenbar fehlt ihm ein bisschen Vergnügen.«
»Ein Glück, dass du’s nicht getan hast, Mutter!«, sagte Jo lachend und auf ihre Stiefel blickend. »Aber irgendwann werden wir ein neues Stück aufführen, das er sich ansehen kann. Vielleicht kann er sogar mitspielen. Wär das nicht witzig?«
»Ich habe noch nie einen so schönen Strauß bekommen – er ist einfach traumhaft!«, sagte Meg und inspizierte mit großem Interesse ihre Blumen.
»Sie sind wirklich wunderschön, aber Beths Rosen finde ich persönlich noch viel schöner«, sagte Mrs March und schnupperte an dem halbverwelkten Sträußchen an ihrem Gürtel.
Beth kuschelte sich an sie und flüsterte leise: »Ich wünschte, ich könnte meinen Strauß zu Vater schicken. Er hat bestimmt kein so fröhliches Weihnachten wie wir.«