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Zwölftafelgesetz und Dezemvirat
ОглавлениеEin erster wichtiger Schritt für einen gesellschaftlichen Ausgleich und die Festigung des Gemeinwesens überhaupt war das Zwölftafelgesetz aus den Jahren 451 und 450 v. Chr., in denen jeweils ein Zehnmännergremium amtierte (decemviri consulari imperio legibus scribundis; MRR 1,45–47). Das für das Gesetz überlieferte Datum bleibt zweifelhaft, obwohl der Zeitrahmen durchaus stimmig erscheint. Das Gesetz stellte künftig die Quelle allen Rechts dar und blieb lange gültig, sodass es noch zu Ciceros Zeiten in den Schulen gelehrt wurde. Nachdem die ursprünglichen Tafeln im Galliersturm von 387 v. Chr. untergegangen waren, stellten Juristen wohl spätestens im 2. Jh. v. Chr. eine neue schriftliche Fassung der Gesetze her, aus denen sich Zitate erhalten haben.
Diese Überlieferung ist insofern relativ zuverlässig, als sie nicht über die Annalisten lief, auch wenn spätere Ergänzungen nicht auszuschließen sind. Schriftsteller wie Cicero, Festus und Gellius bezogen sich an manchen Stellen darauf und die Juristen Gaius, Pomponius, Paulus und Ulpianus zitierten im 2./3. Jh. n. Chr. daraus. Der wesentliche Inhalt ging dann auch in die Digesten aus der Zeit des Kaisers Iustinian ein, welche die Zitate aus den juristischen Schriften in einem Lehrbuch vereinigten. Aus diesen Quellen ist ungefähr ein Drittel des Gesamtinhalts rekonstruierbar. Soweit der Originalwortlaut erhalten ist, wirkt dieser altertümlich und umfasst knappe Bedingungssätze. Die heute vorliegende Einteilung in Tafeln ist allerdings eine moderne Rekonstruktion.5
Die Tafeln 1–3 betreffen das Zivilprozessrecht, das insbesondere dem Schutz der Schuldner diente, aber auch die Rechte der Gläubiger sicherte. Tafel 1,1–3 besagt, dass der Kläger selbst handeln muss, wobei der Beklagte eine Erscheinungspflicht hat; bei Nichterscheinen sind Zeugen nötig, bevor der Beklagte ergriffen und auf das Forum gebracht werden kann. Gemäß Tafel 1,6–9 wird zunächst ein Verfahren (in iure) eröffnet, bei dem sich die Parteien einigen können. Ist dies nicht der Fall, muss der Praetor einen Richter (iudex; Tf. 2,1b) besorgen, der in einem nächsten Verfahren (apud iudicem) ein Urteil herbeiführt.6 Tafel 3 hält im Falle eines Schuldspruchs eine dreißigtägige Erfüllungsfrist fest, nach der die Ergreifung des Schuldners statthaft ist. Kam innerhalb von weiteren 60 Tagen und dreimaligem Erscheinen vor dem Praetor im Comitium immer noch keine Einigung bzw. Bürgschaft zustande, »sollen die Teile geschnitten werden« (Tf. 3,6). Dies bedeutet jedoch nicht die Zerstückelung des Schuldners (Gell. 20,1,48), sondern bestimmt im Falle von mehreren Gläubigern die Aufteilung des Erlöses aus dem Besitz oder Verkauf des Schuldners.7
Die Tafeln 4–7 beinhalten weiteres Privatrecht (ius civile), darunter das Familien-, Vormundschafts- und Erbrecht (Tf. 4–5) sowie das Sachen- bzw. Nachbarrecht (Tf. 6–7). Sie regeln den Verkauf bzw. die »Verpfändung« des eigenen Sohnes (Tf. 4,2) sowie die »manusfreie« Ehe, bei der die Ehefrau unter der Hausgewalt ihres Vaters verbleibt (Tf. 6,4). Bei Diebstahl wird doppelter Wertersatz in Aussicht gestellt (Tf. 6,8). Bäume, die auf benachbarte Grundstücke hinüberragen, können zurückgeschnitten werden (Tf. 7,9a), und Eicheln, die auf die angrenzenden Parzellen fallen, dürfen vom Besitzer der Bäume aufgelesen werden (Tf. 7,10).
Die Tafeln 8–9 umfassen das Strafrecht bzw. öffentliches Recht (ius publicum). Sie beinhalten den Grundsatz, Gleiches mit Gleichem zu vergelten (Tf. 8,2), erlauben die Tötung im Falle von nächtlichem Diebstahl (Tf. 8,12), legen für Darlehen einen Zinssatz von 8 1/3 % fest (Tf. 8,18a), begründen ein Treueverhältnis zwischen Patronen und Klienten (Tf. 8,21) und verbieten nächtliche Zusammenrottungen (Tf. 8,26). Tafel 10 bezieht sich auf das Sakralrecht (ius sacrum) und begrenzt den Aufwand bei Begräbnissen, wobei diese außerhalb der Stadt stattfinden müssen. Die Tafeln 11–12 haben verschiedene weitere Gegenstände zum Inhalt, darunter das angebliche Eheverbot zwischen Plebejern und Patriziern (Tf. 11,1). Die beiden letzten Tafeln sollen allerdings erst im Jahre 450 v. Chr. von einem zweiten, nicht nur mit Patriziern besetzten Dezemvirat festgelegt worden sein (MRR 1,46 f.).
Der Inhalt der zwölf Tafeln zeigt Überreste von Selbsthilfe, Privatrache und Vergeltung, die bis dahin an der Tagesordnung waren. Die privaten Belange wurden nun aber ins Gemeinwesen eingeordnet und dienten der Aufrechterhaltung des inneren Friedens. Durch das Prozessrecht erscheint die Stadt als eigentliche Rechtsgemeinschaft und schafft Rechtssicherheit. Das Zwölftafelgesetz bildete dennoch keine umfassende, homogene Satzung und stellte auch keine Neuordnung dar, sodass es sich vielmehr um eine Aufzeichnung des Gewohnheitsrechts handelte. Regelungen in Bezug auf eine Gerichtsverfassung und die politische Ordnung wurden ausgeklammert. Während die Rechtskenntnis bis dahin ein Privileg der patrizischen Priester gewesen war, wurde das Recht jetzt aber öffentlich.
Das Gesetz kennt eine grundlegende Unterscheidung von assidui (Grundbesitzer) und proletarii (Besitzlose; Tf. 1,4), was anfänglich wohl der Einteilung in das Heeresaufgebot der Schwerbewaffneten (classis) und der Leichtbewaffneten (infra classem) entsprach. Im Weiteren wird auch zwischen Patronen und Klienten (Tf. 8,21) unterschieden, nicht aber zwischen Patriziern und Plebejern. Diese treten nur in Tafel 11,1 auf, wo das Eheverbot zwischen den beiden Gruppen erwähnt wird, was jedoch ein erst später verfasster Einschub sein dürfte.8 Die zwölf Tafeln spiegeln insgesamt eine differenzierte Gesellschaft mit einer timokratischen Ordnung wider, bei der nicht die Geburt entscheidend war. Auch wenn die sozialen Verhältnisse nicht infrage gestellt wurden, sollte Rechtsgleichheit für alle Bürger bestehen. Damit war zugleich ein wesentlicher Fortschritt im Hinblick auf die Verfestigung der Gesellschaft erreicht.
Nach der Verabschiedung des Zwölftafelgesetzes erfolgte im Jahre 449 v. Chr. angeblich der zweite Aufstand der Plebejer (secessio plebis). Das zweite Dezemvirat unter der Führung des Patriziers Ap. Claudius sei nämlich nicht zurückgetreten, obwohl seine Aufgabe, die Ergänzung der ursprünglich zehn Tafeln, erledigt war. Dazu kam das tyrannische Gebaren der Zehnmänner. Es soll ein Übergriff des Ap. Claudius auf ein plebejisches Mädchen namens Verginia erfolgt sein, die an die vergewaltigte Patrizierin Lucretia am Ende der Königszeit erinnert (Liv. 3,44 f.). Daraufhin zogen sich die plebejischen Soldaten zunächst auf den Aventin, dann zusammen mit der Plebs auf den Mons Sacer zurück (Liv. 3,50,11–13. 52,3). Die Dezemvirn wurden zur Abdankung gezwungen, sodass es angeblich zur Wiedereinsetzung von Konsuln und Volkstribunen kam (Liv. 3,54,9–15; MRR 1,47–49).
Die Geschichte präsentiert sich insgesamt als annalistische Ausschmückung, denn das zweite Dezemvirat folgt ganz dem Triumvirat des Octavian, Antonius und Lepidus vom Jahre 43 v. Chr. (triumviri rei publicae constituendae). Dieses war auf fünf Jahre festgelegt, trat aber ebenfalls nicht zurück.9 Zu vermuten ist zudem, dass sich hinter dem Dezemvirat eine frühe Auseinandersetzung um das Volkstribunat und dessen Gerichtsbarkeit verbirgt. Diese sollte in Kapitalfällen nicht mehr vor der plebejischen Versammlung, sondern vor den patrizisch-plebejischen Centuriatcomitien ausgetragen werden. Im Gegenzug hatten die Patrizier damals wohl offiziell die sacrosanctitas (Unverletzlichkeit) der Volkstribunen anzuerkennen (Liv. 3,55,6 f.).