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Magistratur, Senat und leges Liciniae Sextiae
ОглавлениеEin nächster Schritt in der Überlieferung zu den Ständekämpfen stellt die vermeintliche lex Canuleia von 445 v. Chr. dar, die auf den Volkstribunen C. Canuleius zurückgeführt wurde (Liv. 4,1). Sie soll das im Zwölftafelgesetz festgehaltene Eheverbot zwischen Patriziern und Plebejern aufgehoben haben, was einer privatrechtlichen Gleichstellung der Plebejer mit den Patriziern gleichkommt. Sowohl ein Eheverbot als auch ein diesbezüglicher Kompromiss erscheinen aber als unhistorisch, weil sich die Stände noch nicht abschließend formiert hatten und Brautvergaben generell in der Hand des Familienvorstandes lagen.10 Ein Volkstribun konnte zudem gar keine lex verabschieden, sondern nur ein plebiscitum. Auch aus formaler Sicht ist es unwahrscheinlich, dass einem plebejischen Beschluss im Hinblick auf das Eherecht allgemeine Verbindlichkeit verliehen wurde oder ein zusätzlicher Beschluss des Gesamtvolkes zustande kam.
Für das Jahr 445 v. Chr. ist im Weiteren die Einführung von Militärtribunen, die anstelle der Konsuln amtierten, bezeugt (Liv. 4,6,8). Dabei handelte es sich angeblich um Oberkommandanten, die mit konsularischer Gewalt ausgestattet waren (tribuni militum consulare potestate). Dies soll einen Kompromiss herbeigeführt haben, um das Eindringen der Plebejer ins Konsulat zu verhindern, denn bei der Wahl von Konsulartribunen sei das Konsulat jeweils ausgefallen. Bezeugt sind solche Fälle bis zum Jahre 367 v. Chr.11 Die Existenz des Konsulats ist in dieser frühen Zeit allerdings noch gar nicht gesichert. »Konsulartribunen« dürfte daher eine spätere Bezeichnung sein und eine militärische Führungsposition umfasst haben, die auch für Plebejer zugänglich war.12
Dazu kommt, dass vom Volk für das Jahr 444 v. Chr. angeblich nur Patrizier gewählt wurden (Liv. 4,6,11). Ferner gibt es Konsulartribunen in Jahren, in denen keine Kriege geführt wurden.13 Eigentliche Militärtribunen (tribuni militum) der Plebs sind zudem erst in der Zeit um 400 v. Chr. belegt, was wohl auch der Zeitpunkt war, an dem diese Einrichtung ins Leben gerufen wurde.14 Im Zuge der Erweiterung der Armee wurde die Zahl der Truppenführer seit der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. erweitert und von den Centuriatcomitien gewählt. Für das frühe 4. Jh. v. Chr. ist daher auch die Einrichtung einer zweiten Legion anzunehmen.15
Im Jahre 409 v. Chr. sind erstmals Plebejer als Quaestoren belegt (Liv. 4,54,2 f.). Diese besaßen ein untergeordnetes Amt, das im Jahre 447 v. Chr. zur Verwaltung der Staatskasse und Kriegskasse eingerichtet worden war (Tac. ann. 11,22,4) und anfänglich auch zur Untersuchung von Straftaten diente (quaestores parricidii; MRR 1,22). Zunächst waren die Quaestoren von den Oberbeamten als Gehilfen ernannt worden. Am Ende des 5. Jhs. v. Chr. wurde offenbar die Volkswahl für Quaestoren eingeführt, deren Zahl seit dem Jahre 421 v. Chr. vier betrug (Liv. 4,43,12).16 Dabei wurde das Amt nicht nur von den Oberbeamten unabhängig, sondern auch den Plebejern zugänglich. Zudem konnten die Plebejer nach der Quaestur die Übernahme von weiteren Ämtern ins Auge fassen.
In diesem Zusammenhang ist spätestens jetzt auch mit der Zulassung von Plebejern in den Senat zu rechnen, wo sie als patres conscripti bezeichnet wurden. Die Aufnahme von gewesenen Beamten wurde allerdings erst im späteren 4. Jh. v. Chr. üblich (lex Ovinia; Fest. p. 290L s. v. Praeteriti senatores). Ob die conscripti zu Beginn schon das Stimmrecht besessen hatten, ist unklar. Die patrizischen Senatoren behielten sich möglicherweise die patrum auctoritas vor, welche die nachträgliche Bestätigung von Volksbeschlüssen umfasste. Spätestens mit dem Eindringen der Plebejer ins Konsulat ab 367 v. Chr. sind Plebejer als ordentliche Senatsmitglieder akzeptiert worden.
Damit waren die Plebejer nun auch an den Senatsbeschlüssen (senatus consulta) beteiligt, die immer wieder Anweisungen für die Magistrate enthielten. Die Stimmabgabe im Senat erfolgte nach einer Rangordnung, die anhand der bereits ausgeübten Ämter festgelegt wurde.17 Die patrum auctoritas wurde jedoch im Jahre 339 v. Chr. insofern eingeschränkt, als die Zustimmung zu Gesetzesvorlagen vor der Abstimmung in der Volksversammlung erfolgen musste und deren Beschlüsse nicht mehr korrigiert werden konnten (Liv. 8,12,15). Damit war im Prinzip schon der Grundstein für die Verbindlichkeit von Plebisziten gelegt, wie er dann im Jahre 287 v. Chr. durch die lex Hortensia bestätigt wurde.18
Bis zum Jahre 367 v. Chr., als die Plebejer zum Konsulat zugelassen wurden, bleibt der Titel der römischen Oberbeamten unbekannt – wobei einiges auf praetor/ es hindeutet.19 Diese stellten neben militärischen Befehlshabern auch die politische Spitze dar. Sie leiteten die Centuriat- und Tributcomitien sowie die Senatssitzungen und standen zugleich der Rechtspflege vor, wobei sie die Richter für die Streitparteien einsetzten. Durch die vielen Aufgaben dürfte sich im früheren 4. Jh. v. Chr. bzw. nach dem Überfall der Gallier eine prekäre Situation abgezeichnet haben, die auch durch die Konsulartribunen kaum aufzufangen war.
Im Jahre 377 v. Chr. wurden ausschließlich Patrizier als Konsulartribunen gewählt (Liv. 6,32,3) und in den Jahren 375–371 v. Chr. erscheinen überhaupt keine hohen Beamten in den Magistratsverzeichnissen (fasti). Hingegen waren C. Licinius Stolo und L. Sextius Sextinus Lateranus zehn Jahre in Folge Volkstribunen (377/6–367 v. Chr.). Am Ende erreichten sie offenbar einen Kompromiss: die sog. leges Liciniae Sextiae (367 v. Chr.). Diese umfassten die Zulassung der Plebejer zum Konsulat, wobei ein Konsul Plebejer sein sollte (Liv. 6,35,5. 40,18. 42,11). Damit waren jetzt also drei Staatsbeamte mit der höchsten Amtsgewalt (imperium) ausgezeichnet: zwei Konsuln, die auch als Feldherren fungierten, und ein Praetor, der für die Rechtsprechung zuständig war.
Ferner verfügten die licinisch-sextischen Gesetze eine Schuldenermäßigung und legten angeblich das Höchstmaß an Staatsland (ager publicus), das von einem Bürger bewirtschaftet werden durfte, auf 500 iugera (125 Hektar) fest (MRR 1,109). Die Hortung und Begrenzung von Staatsland erscheinen im frühen 4. Jh. v. Chr. wiederum zweifelhaft, da die römische Expansion noch in den Anfängen steckte. Die Eroberung von Veji (396 v. Chr.) hatte eine Verdoppelung des Territoriums auf 1500 bis 1600 Quadratkilometer zur Folge gehabt und dürfte einen Teil der Landbedürfnisse der kleinen Bauern abgedeckt haben.20 Erst mit dem Abschluss der Samnitenkriege um 270 v. Chr. kam es zu einer erheblichen Vermehrung des Staatslandes, die auch die Möglichkeit zur Hortung von Ländereien eröffnete. Eigentliche Landprobleme traten dann nach dem Ende der Koloniegründungen in der ersten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. auf und dürften erst in dieser Zeit eine Obergrenze für die Okkupation von Staatsland hervorgerufen haben.21
Statt um leges handelte es sich bei den licinisch-sextischen Maßnahmen wohl um einen formlosen Kompromiss, der durch die Annalisten verrechtlicht wurde. Das Recht auf eine plebejische Konsulstelle blieb zudem zwischen 355 und 343 v. Chr. verschiedentlich ungenutzt. Trotzdem trat jetzt eine entscheidende Wende in den Ständekämpfen ein, da sich eine neue Herrschaftsschicht bilden konnte, nämlich die Nobilität, eine aus Patriziern und Plebejern gemischte Elite. Ihr gehörten die Familien mit gewesenen Konsuln an. Seit 367/6 v. Chr. amtierten ferner zwei kurulische Aedilen (Liv. 6,42,14; 7,1,1), welche die Aufsicht über Märkte und Bauten führten und sowohl aus Patriziern als auch Plebejern rekrutiert wurden.22
Im Jahre 356 v. Chr. ist der erste plebejische Diktator zu verzeichnen, der zugleich einen plebejischen magister equitum (Reiteroberst) mit einbezog (Liv. 7,17,6). Im Jahre 351 v. Chr. ist der erste plebejische Censor bezeugt (Liv. 7,22,7), im Jahre 336 v. Chr. der erste plebejische Praetor (Liv. 8,15,9), nämlich Q. Publilius Philo, der insgesamt auch viermal Konsul war. Ab 339 v. Chr. musste angeblich einer der beiden Censoren Plebejer sein (lex Publilia; Liv. 8,12,16).23 Somit waren am Ende des 4. Jhs. v. Chr. alle wichtigen Ämter Plebejern zugänglich. Dennoch gab es nur wenige Plebejer, die davon Gebrauch machten. Zudem galt, dass nur patrizische Senatoren infrage kamen, wenn bei einer Vakanz des Konsulats ein Interrex zur Abhaltung von Neuwahlen eingesetzt werden musste (Liv. 6,41,6; Cic. dom. 38).
Im Jahre 342 v. Chr. wurde durch die Plebiszite des L. Genucius angeblich untersagt, Ämter innerhalb von zehn Jahren zu wiederholen oder in einem Jahr zwei Ämter auszuüben; hingegen durfte das Konsulat künftig auch von zwei Plebejern besetzt werden (Liv. 7,42). Dies scheint insofern kein dringliches Bedürfnis gewesen zu sein, als ein entsprechender Fall erst im Jahre 172 v. Chr. eintrat. Denkbar wäre für das Jahr 342 v. Chr. die Anordnung, dass ein Konsulat jeweils in plebejischer Hand sein musste.24 Im Jahre 300 v. Chr. verfügte die lex Ogulnia des Volkstribunen Cn. Ogulnius die Vermehrung der Priesterämter und die Zulassung von Plebejern zu diesen Stellen (Liv. 10,6).25 Um 254 v. Chr. ist der erste plebejische Pontifex Maximus zu verzeichnen (Liv. per. 18). Erst im Jahre 131 v. Chr. waren aber erstmals beide Censoren Plebejer (MRR 1,500).
Angesichts der Schuldenprobleme war bereits im Jahre 347 v. Chr. eine Halbierung des jährlichen Zinssatzes von 8 1/3 % vorgenommen worden (Liv. 7,27,3; Tac. ann. 6,16,2). Im Jahre 326 v. Chr. hatte dann die konsularische lex Poetelia Papiria die Abschaffung der Schuldknechtschaft verfügt (Liv. 8,28; Dion. Hal. 16,5), sodass künftig nicht nur eine freiere Entwicklung der Bürgerschaft, sondern auch eine Konstanz des Militäraufgebots für die bevorstehenden Auseinandersetzungen mit den Samniten gesichert war.26 Eine politische Karriere setzte dennoch weiterhin eine beachtliche Vermögensbasis voraus. Dies war auch für den Zugang zum Senat unabdingbar. Obwohl die Ämter im Prinzip allen offenstanden, waren sie letztlich nur einer beschränkten Zahl von wohlhabenden Bürgern zugänglich.
Als das römische Territorium im späteren 4. Jh. v. Chr. wesentlich ausgeweitet wurde, gewann auch die Censur an Bedeutung. Die lex Ovinia des Volkstribunen Ovinius von 312 v. Chr. (oder kurz davor) legte fest, dass die Senatoren von den Censoren statt von den Konsuln bestimmt werden sollten (Fest. p. 290L s. v. Praeteriti senatores), wobei im Wesentlichen auf die gewesenen Beamten zurückgegriffen wurde.27 Dadurch emanzipierte sich der Senat vom Konsulat und wurde als eigenes Beratungsgremium weiter gestärkt.
Im Jahre 312 v. Chr. ist der erste bedeutende Censor zu verzeichnen, nämlich Ap. Claudius Caecus. Dieser wollte die Freigelassenen, die als ehemalige Sklaven in die Bürgerschaft aufgestiegen waren, in alle Tribus aufnehmen, um ihr Gewicht bei Abstimmungen zu erhöhen (Liv. 9,46,10 f.).28 Diese Maßnahme wurde im Jahre 304 v. Chr. aber bereits wieder geändert, sodass die Freigelassenen nur in eine der vier städtischen Tribus gelangten und in ihrer politischen Bedeutung eingeschränkt blieben (MRR 1,167 f.). Im Jahr darauf soll der Aedil Cn. Flavius auf Veranlassung von Appius Claudius das ius civile und den Festkalender (fasti) veröffentlich haben (Liv. 9,46,5; Cic. Mur. 25; Plin. nat. 33,17). Dadurch wurden die Markt- und Gerichtstage allgemein bekannt, was für das Volk mehr Transparenz und Verbindlichkeit schuf.29 Als bedeutende Bauprojekte während der Censur des Appius Claudius sind die Via Appia von Rom nach Capua sowie die Aqua Appia als erste große Fernwasserleitung zu verzeichnen (MRR 1,160).
Im Jahre 300 v. Chr. wurde durch die konsularische lex Valeria de provocatione das Provokationsrecht, das angeblich schon seit Beginn der Republik bestanden hatte, verbrieft.30 Gemäß Cicero (rep. 2,53) sollte kein Magistrat einen römischen Bürger gegen die Provokation strafen oder züchtigen; d. h. jeder von einem Magistrat bedrohte Bürger konnte das Volk anrufen. Dies garantierte Schutz vor einem schrankenlosen staatlichen Zugriff. Die Provokationsgesetzgebung trug dazu bei, dass Kapitalklagen vor die Centuriatcomitien gelangten, die in diesem Fall auch von einem Volkstribunen geleitet werden konnten. Die Volksversammlung wurde dadurch in der Funktion des höchsten Gerichtshofes bestätigt. Zugleich übernahmen die Volkstribunen vermehrt Verantwortung für den Gesamtstaat, da sie künftig gerade auch Prozesse im Zusammenhang mit Hochverrat (perduellio) leiteten.31
Wie erwähnt, sind die Ständekämpfe nach moderner Auffassung durch die lex Hortensia im Jahre 287 v. Chr. zu einem Abschluss gekommen. Vorangehend war die dritte secessio plebis erfolgt, der Auszug der verschuldeten Plebejer auf den Ianiculum-Hügel (Liv. per. 11). Q. Hortensius gelang es als Diktator, den Streit beizulegen. Durch seine lex erhielten die Plebiszite Gesetzeskraft, d. h. sie waren als allgemeingültige leges anerkannt und für den ganzen populus Romanus verbindlich.32 Das Volkstribunat wurde dadurch ein Teil der staatlichen Ämter und vereinfachte die Gesetzgebung auch im Sinne der Führungselite. Der erreichte Ausgleich der Interessen brachte der Republik politische Stabilität und verhinderte zugleich eine weitergehende Volksherrschaft bzw. Demokratisierung.