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6. Kapitel Sethos-Tempel, Abydos 2. März 2014, 15 Uhr

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Ahmed Nur ed-Din war angespannt wie selten zuvor in seinem Leben. Dies war die erste echte Krise, die er seit seinem Amtsantritt als Inspektor zu bewältigen hatte, und ihm saß ein fürchterlich wütender Bernard Tedritov im Nacken.

„Was sagst du da?“, hatte er Nur ed-Din am Telefon angebrüllt. „Er hat zwei Krüge von der Fundstelle entfernt?“

„In einem davon sei eine Papyrusrolle gefunden worden, sagte er“, fügte der Inspektor ungeschickterweise hinzu und begann noch im selben Moment zu fürchten, dass Tedritov nun vor Wut bersten werde, doch sonderbarerweise war der Chef auf einen Schlag absolut ruhig – bis auf ein unheilverkündendes Vibrieren in seiner Stimme, als er sagte:

„Die Regeln sind ganz klar: Das Zeug hätte in eines unserer Labore gebracht werden müssen. Du machst jetzt Folgendes: Du würgst die Grabungen ab. Beide, die auf dem Tempelgelände und die von diesem Carnavaughn-Affen Sheridan!“

„Chef …“, hob Nur ed-Din zaghaft an, stockte aber, ehe ihm Widerspruch über die Lippen kommen konnte. Tedritov fiel ihm auch sofort ins Wort.

„Die Carnavaughns sollen aus Abydos verschwinden“, zischte er. „Ich kann sie da nicht gebrauchen.“

„Alles klar!“

Nur ed-Din hatte sich sofort auf den Weg gemacht und das Gaspedal durchgetreten. Die Fahrt von Sohag nach Abydos dauerte eine knappe Stunde – genug Zeit für den Inspektor, die Sache noch einmal zu durchdenken und sich eine Strategie zurechtzulegen.

Tedritov reagierte deswegen so scharf, weil er keine Ahnung hatte, welche Informationen die Papyri enthielten – vielleicht irgendwelche Angaben, die Tedritovs eigenen Plänen in Abydos einen Strich durch die Rechnung machen könnten? Informationen, die die Carnavaughns zu Gräbern führen könnten, die bisher noch unentdeckt waren und die Tedritov für sich haben wollte? Immerhin lag der Fundort auf dem Gelände des Sethos-Tempels! Zudem waren es ausgerechnet die Carnavaughns, die diesen Erfolg eingefahren hatten. Nur ed-Din konnte diese blasierten Blaublüter genauso wenig leiden wie sein Chef, aber man musste vorsichtig mit ihnen sein. Tedritovs Reaktion kam ihm daher überzogen vor, und vielleicht war sie sogar gefährlich.

Es würde alles andere als leicht werden, Bill Sheridan am Zeug zu flicken. Der Mann war ein angesehener Archäologe und über jeden Zweifel erhaben. Niemals würde er etwas auf eigene Rechnung von einer Fundstelle entwenden. Er hatte zweifellos so gehandelt, wie es für die Artefakte das Beste war. Hätte er die Papyri ins Labor der Altertümerverwaltung in Sohag gebracht, wozu er bei genauer Auslegung der Regeln verpflichtet gewesen wäre, dann wären sie zwar schneller im Labor gewesen, aber dort hätte man sie auf eine Warteliste gesetzt und dann unter stabilisierenden Bedingungen eingelagert, bis ein Restaurator Zeit für sie gefunden hätte. Bei den Carnavaughns in Luxor kümmerte sich zweifellos sofort jemand darum. Deren Labor war zertifiziert und vertrauenswürdig. Die Papyri waren dort in guten Händen. Sheridans Verfehlung verdiente daher eigentlich kaum mehr als eine freundliche Rüge. Nur ed-Din sah die Gemeinde der Wissenschaftler schon die Köpfe schütteln, wenn er scharf gegen Sheridan vorginge.

Doch die Zeiten änderten sich gerade, und dazu hatte Nur ed-Din vorhin erst entscheidend beigetragen und ihnen einen kräftigen Tritt in den trägen Hintern verpasst. Das Gespräch mit Scheich Abu Turab war kurz und schmerzlos gewesen. Wenn einer wie dieser Scheich Wind davon bekam, dass Ungläubige auf den Koran uriniert und ihn so geschändet hatten, dann brauchte er kaum noch weitere Informationen, dann wollte er höchstens noch wissen:

„Wer?“

„Ein paar Ungläubige einer Grabungsexpedition, die aus London gesteuert wird.“

„Namen!“

„Verantwortlich für die Grabung ist Professor Liam Graysmark. Die Namen der Schänder kenne ich nicht.“

„Wo?“

„Amarna.“

„Der Ort der Ungläubigen!“ Amarna war die längst zerfallene Hauptstadt des Ketzerkönigs Echnaton. „Sie werden büßen.“

„Keine unnötige Gewalt!“, sagte Nur ed-Din noch, aber der Scheich hatte das Gespräch schon beendet.

Nur ed-Din hatte sich also für Amarna als Ort des Islamisten-Übergriffs entschieden, den Tedritov angeordnet hatte. Eine Viertelstunde später war der Anruf von Bill Sheridan gekommen – zu spät! Unter den neuen Voraussetzungen hätte Nur ed-Din die Extremisten nach Abydos geschickt statt nach Amarna. Das ließ sich nun nicht mehr rückgängig machen. Die Sache lief.

Doch wenn er jetzt ein Grabungsverbot gegen die Carnavaughns in Abydos aussprach, während fast zur selben Zeit Carnavaughn-Leute in Amarna überfallen wurden – würde das nicht gewaltige Wellen schlagen? Würde nicht jemand auf den Gedanken kommen, einen Zusammenhang zu konstruieren und anzunehmen, dass die Altertümerverwaltung plötzlich mit allen Mitteln gegen die ehrenwerten Carnavaughns vorging und sich dabei sogar mit Islamisten verbündete? Nur ed-Din überlegte, ob er nicht vielleicht einen schweren taktischen Fehler machte, wenn er Tedritovs Anweisung umsetzte. Andererseits: Würde irgendjemand ernsthaft glauben, dass Verschwörer, die es auf die Carnavaughns abgesehen hätten, so blöd wären, beides gleichzeitig durchzuziehen und so den Verdacht geradezu auf sich zu lenken? Nein, es würde wie Zufall aussehen. Vielleicht war dieser Zeitpunkt sogar der günstigste überhaupt, die Lords aus dem Spiel zu drängen. Und dennoch …

Nur ed-Din hatte noch keine Entscheidung getroffen, als er in Abydos ankam. Er wusste nur: Wenn er Tedritovs Anordnung nicht umsetzte, konnte er sich auf etwas gefasst machen, dann würde es Ärger mit Tedritov geben, und dann bräuchte er gute Argumente. Die besten!

Er parkte auf einem der reservierten Parkplätze vor dem Sethos-Tempel und eilte auf das Gelände hinter dem Haupthaus. Die Tempelwärter kannten ihn und verlangten nicht, seinen Ausweis zu sehen. Im Zentrum des hinteren Areals klaffte die tiefe Grube mit dem Osireion darin, und von hier aus fand er auch schnell den Fundort der Tonkrüge und Papyri. Drei Personen knieten neben der Grube, die Bill Sheridan freigelegt hatte, und untersuchten ihren Inhalt.

„Inspektor Nur ed-Din!“, schnappte er herrisch und hielt den Dreien seinen Ausweis hin. „Was soll das hier? Warum wühlen Sie in diesen Scherben herum? Wo ist der Grabungsleiter?“

Die beiden ägyptischen Arbeiter zogen instinktiv die Köpfe zwischen die Schultern, obwohl Nur ed-Din allein schon wegen seiner geringen Körpergröße keine eindrucksvolle Erscheinung war. Doch er hatte den richtigen Ton getroffen, und am liebsten hätten sie sich wortlos aus dem Staub gemacht.

Die dritte Person war eine Frau von vielleicht 30 oder 35 Jahren, die Nur ed-Din noch nie gesehen hatte. Sie blickte ihn von unten her aus klaren, stahlgrauen Augen an und wirkte nicht im Geringsten eingeschüchtert, im Gegenteil: Sie schien sogar amüsiert.

„Welche dieser Fragen soll ich zuerst beantworten, Inspektor?“, fragte sie ungerührt.

„Wo ist der Grabungsleiter?“

Die Frau nickte und begann, sich aufzurichten. Das dauerte ein Weilchen, denn sie war groß, ziemlich groß sogar, und überragte den Inspektor um einen ganzen Kopf, als sie sich schließlich aufgerichtet hatte. Erstaunt verfolgte Nur ed-Din diese Entfaltung – wie ein großer Schmetterling, der gerade aus seinem Kokon schlüpfte. Verärgert registrierte er, dass die beiden Arbeiter sich in der Sphäre von Selbstsicherheit, die sich um die Frau ausbreitete, sofort wieder beruhigten. Der kalkulierte Effekt, mit dem er seinen Auftritt eingeleitet hatte, verpuffte schnell.

Die Frau war nicht nur groß, sie war auch stark, ohne massig zu wirken. Ihren Bewegungen wohnte eine eigentümliche Eleganz inne, die etwas von einer großen, kraftstrotzenden, selbstgewissen Raubkatze an sich hatte, eine Eleganz, die bedrohlich auf Nur ed-Din wirkte. Er unterdrückte den Reflex, einen Schritt zurückzuweichen.

Noch immer ruhte ihr stahlgrauer Blick auf ihm. Ihr Haar war zu einem strammen Pferdeschwanz nach hinten gebunden, ihr Gesicht hatte klare, energische Konturen. Geschwungene Augenbrauen, eine gerade Nase, volle Lippen – Nur ed-Din hätte sie zur Schönheit erklärt, wenn sie nicht so groß gewesen wäre. Und wenn nicht dieses kühle, beunruhigende Lauern in ihrem Blick gewesen wäre.

„Maat“, sagte sie, und ihre Stimme klang dunkel und fremdartig.

„Wie bitte?“

Sollte das etwa ihr Name sein? Der Name einer altägyptischen Göttin? Nur ed-Din wusste, dass er in seiner Verwirrung zu tief einatmete und sie so diese Verwirrung erkennen ließ, aber er hatte ohnehin den Eindruck, nichts vor ihr verbergen zu können. Vor dieser Frau fühlte er sich wie ein Praktikant. Dieser Ausstrahlung von Selbstgewissheit hatte er nichts entgegenzusetzen, er, der kleine, hässliche Mann mit den ständig triefenden, viel zu großen Augen. Sie gehörte zu dieser Kategorie von Mensch, zu der auch Tedritov gehörte. Er fühlte sich einfach klein in der Gegenwart solcher Menschen, und er konnte nichts daran ändern.

„Ich würde gern die erste ihrer Fragen zuerst beantworten“, sagte die Frau. „Was soll das hier? Die Antwort ist: Maat. Wir wahren und mehren das Bestehende. Sie kennen das Maat-Prinzip aus der ägyptischen Mythologie, Inspektor? Es war die ureigenste Aufgabe der Pharaonen, das Bestehende zu wahren und zu mehren, und am Ende ihres Lebens, wenn sie vor das Totengericht traten, wurden sie der Prüfung unterzogen, ob sie diese Aufgabe gut bewältigt hatten. Ihr Herz wurde gegen die Feder der Maat gewogen. Wir folgen diesem Prinzip, indem wir diesen Fundort sichern, die Scherben untersuchen und dokumentieren und so gute Voraussetzungen für die Mehrung der bisher bestehenden Kenntnisse über das alte Ägypten schaffen.“

„Nachdem zwei wichtige Fundstücke entfernt wurden“, versuchte Nur ed-Din aufzutrumpfen.

„Das wurde alles sauber dokumentiert“, erwiderte die Frau gelassen. „Ich zeige Ihnen gern das Bildmaterial. Die Papyri in den Tonkrügen befanden sich in bedenklichem Zustand und mussten sofort verarztet werden. In einem der Krüge befanden sich sogar nur noch wenige Reste von Papyrus.“

Sie verzog ihre vollen Lippen zu einem Lächeln, das unter anderen Umständen vielleicht sogar freundlich auf Nur ed-Din gewirkt hätte.

„Nachdem das geklärt ist“, sagte sie, „komme ich gern auf Ihre Frage zurück, wo der Grabungsleiter ist: Nämlich hier. Ich bin von der Firma Deep Dry beauftragt, die Sondierung des Tempelareals zu leiten, die der Installation eines Grundwassermanagements vorschriftsgemäß vorangehen müssen.“

Sie wies auf sich selbst. Dann streckte sie ihm plötzlich ihre große, staubige Hand hin, so dass Nur ed-Din erschrak, und sagte:

„Belzoni.“

Nur ed-Din konnte nicht anders, er musste diese Hand anstarren, die sich ihm da entgegenreckte wie aus einer anderen Zeit. Er hüstelte und verzog das Gesicht.

„Netter Gag“, antwortete er mit einer Stimme, die ihm zittrig vorkam. Wenn er doch nur diese Unsicherheit in den Griff bekäme! „Belzoni hockt vor einer kleinen Grube und begutachtet Tonscherben – sehr hübsch. Der Mann hat Löcher in Pyramiden gesprengt. Seine Methoden waren rabiat.“

„Tja, aber Tonscherben können einem so viel erzählen, Inspektor. So ist sie nun mal, die Archäologie.“

„Sie meinen das aber nicht ernst, oder?“

„Was?“

„Belzoni.“

„Das ist mein Name. Serafina Belzoni.“

„Aber Sie sind nicht …“

„… mit ihm verwandt? Dem großen Belzoni?“ Sie grinste. „Doch, allerdings bin ich das.“

„In den Grabungsunterlagen steht dieser Name nicht, sondern da steht als Grabungsleiter …“

„Serafina.“

„Ja.“

„Das bin ich. Ich wollte kein Aufsehen erregen.“

„Das ist gegen die Regeln.“

„Es ist gegen die Regeln, kein Aufsehen erregen zu wollen?“

„Nein, aber sich nur mit dem Vornamen anzumelden.“

„Meinetwegen. Dann ist es eben gegen die Regeln. Sonst noch was? Oder können wir jetzt hier weitermachen?“

Ihre kühle Dominanz machte ihn hilflos und wütend zugleich. Zorn stieg in ihm auf.

„Sind das Tonscherben von Krügen oder von Tontafeln?“ Mühsam beherrscht deutete er in die Grube.

„Wonach sieht es denn aus?“

„Datierung?“

„Etwa 1300 vor Christus.“

„Geht es etwas genauer?“

„Nein.“

„Sie haben doch angeblich Papyri gefunden.“

„Ja, aber die haben wir natürlich nicht angerührt, sondern sofort ins Labor gebracht.“

War da gerade eine leichte Unsicherheit zu merken? Irgendetwas an ihrer Körperhaltung oder ihrer Mimik hatte sich verändert – nur für einen ganz kurzen Moment, sie hatte sich schnell wieder im Griff. Doch Nur ed-Din ahnte, dass sie ihm etwas verheimlichte. Von wegen „nicht angerührt“! Bill Sheridan hatte sich die Papyri sehr wohl angesehen! Er wusste also, was drinstand, und Serafina Belzoni wusste es ebenfalls. Sie log ihm frech mitten ins Gesicht!

Nur ed-Din beschloss mitzuspielen. Plötzlich überkam ihn eine eisige Ruhe. Belzoni? Wer war denn Belzoni? Bill Sheridan, ja, der wäre ein Kaliber gewesen, bei dem hätte er vorsichtig sein müssen. Doch bei dieser blutjungen Archäologin, die niemand kannte, brauchte er keine Rücksicht zu nehmen. Er konnte mit ihr tun, was er sich bei Bill Sheridan niemals zu tun getraut hätte: Er konnte sie fertigmachen.

„Sie haben die Papyri in Ihr eigenes Labor gebracht. Das ist gegen die Regeln.“

„Genau, aber so war es das Beste.“

„Das war nicht rechtens.“

„So haben wir das immer gehandhabt, und bisher hatte Ihre Behörde nichts dagegen einzuwenden.“

„Sollte Ihnen wirklich noch nicht aufgefallen sein, dass sich die Zeiten gerade ändern?“

„Die Zeiten ändern sich andauernd“, erwiderte Serafina Belzoni schulterzuckend. „Das haben sie so an sich. Es ist gewissermaßen ihre Natur.“

„Ich bin gehalten, die Regeln künftig strikter auszulegen. Ihr Labor wird hiermit von der Liste der akzeptierten Labors in diesem Land gestrichen. Sie dürfen damit keine Aufträge mehr für Ihr Labor annehmen, und alle ägyptischen Artefakte, die Sie gerade in Bearbeitung haben, müssen in ein regulär anerkanntes Labor überführt werden.“

Er sah das Entsetzen in ihren Augen und war zufrieden. Das Blatt hatte sich mit einem Schlag gewendet. Das war in der Tat eine der Maßnahmen, die Tedritov mit ihm besprochen hatte, um ausländische Aktivitäten in Ägypten zurückzudrängen. Er griff ihrer Verkündung nur ein wenig vor.

„Auf welcher Grundlage beruht diese Entscheidung?“, fragte sie fast zahm.

„Auf der Grundlage meines Willens!“, brüllte er sie urplötzlich mit der vollen Kraft seiner Stimme an, und sie erschrak tatsächlich und zuckte zusammen. „Ihr Labor wird von Ungläubigen geführt!“

„Von …“ Serafina brach in ein nervöses, heiseres Lachen aus. „Von Ungläubigen? Welche Rolle hat der Glaube zu spielen, wenn es um wissenschaftliche Fragen geht?“

„Von heute an eine große Rolle.“

„Das ist unglaublich!“ Sie schien verunsichert, doch dann lachte sie verächtlich und sagte: „Sie haben das nicht zu entscheiden. Unser Labor ist in Luxor, und Luxor liegt nicht in Ihrem Bezirk.“

„Sie bekommen in den nächsten Tagen Post vom Direktorat“, versetzte er. „Eigenmächtige Entscheidungen von Ungläubigen werden nicht mehr geduldet. Sie sind lediglich Gäste in einem islamischen Land, das bald zur islamischen Republik werden wird. Dann ist es sowieso vorbei mit Ihrer Anmaßung.“

„Wer ist hier anmaßend?“

„Warum waren Sie eigentlich nicht vor Ort, als diese Grube gefunden wurde?“

Der abrupte Themenwechsel verunsicherte Serafina Belzoni erneut.

„Weil ich in Luxor war.“

„Sie haben Ihre Männer allein arbeiten lassen?“

„Unter der Aufsicht eines bewährten, vertrauenswürdigen Vorarbeiters. Ich bin davon ausgegangen, dass auf diesem Areal nichts mehr auftauchen würde. Der Tempel ist ja vor hundert Jahren schon einmal komplett freigelegt worden. Es ging nur darum sicherzustellen, dass durch unsere künftigen Bohrungen nichts beschädigt wird.“

„Es ist egal, wovon Sie ausgegangen sind“, versetzte Nur ed-Din scharf. „Sie sind Grabungsleiterin, Sie hätten vor Ort sein müssen. Dieser Regelverstoß wiegt noch schwerer als die Entfernung der Papyri. Ich werde dafür sorgen, dass Sie nie wieder eine Grabung leiten werden.“

Er sah, wie Wut in ihr aufstieg, wie ihr Körper sich spannte, als setze sie zum Sprung an, und der Eindruck drohender Gefahr verstärkte sich, doch Nur ed-Din ließ sich nicht die geringste Spur von Furcht anmerken.

„Sie werden an diesem Fundort bis heute Abend fertig“, ordnete er an. „Das dürfte leicht zu schaffen sein. Sollten Sie wider Erwarten noch etwas von Bedeutung in der Grube finden, erwarte ich sofortige Benachrichtigung. Das wär’s. Wir sind fertig mit der Inspektion. Ich schicke nachher Leute zur Kontrolle vorbei. Machen Sie es gut.“

Er verzichtete darauf, ihr die Hand zum Abschied zu reichen, obwohl es eine schöne, erniedrigende Geste gewesen wäre, und drehte sich ohne ein weiteres Wort um. Sofort begann er zu grinsen. Dem jungen, hochgewachsenen Mann mit dem Rucksack, der am Rand der Osireion-Grube stand und ihn prüfend ansah, lachte er gar triumphierend ins Gesicht.

Das war ein guter Anfang, fand er. Nun würden die Dinge ihren Lauf nehmen.

Er sah auf die Uhr. Fast halb vier.

Jetzt wäre er gern in Amarna.

Der Osiris-Punkt

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