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Kapitel 5

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Anderwelt

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An Schlaf war nicht zu denken in dieser merkwürdigen Welt, die weder Tag noch Nacht kannte und wo die Ruhezeiten vom König befohlen wurden. So war es festgelegt seit Anbeginn der Zeit, und nicht im Entferntesten wären die Feen darauf gekommen, Althea könne sich dem widersetzen und diese Zeit nutzen und ihre Flucht planen.

Ihr war klar, dass die Feen sie niemals freiwillig gehen lassen und zur Vereinigung mit dem König zwingen würden. Nun, sie war nicht minder entschlossen zu fliehen, notfalls auch mit Gewalt. Ihr treuer, wenn auch etwas widerwilliger Verbündeter Ti’Anan stand ihr dabei zur Seite. Er verwischte die unsichtbaren Spuren, mit denen die Feen sie belegt hatten. Bisher hatte man ihr nicht erlaubt, den Palast zu verlassen, und auch innerhalb war sie streng überwacht. Dank seiner Hilfe – sie unterhielten sich in geflüsterter Menschensprache, damit niemand sie verstand – wusste sie inzwischen ziemlich genau, wie ihre Macht wirkte. Sie lähmte für kurze Zeit alles in etwa zehn Schritten Entfernung um sie herum. Wie sie das nutzen wollte, wusste sie noch nicht.

Es war ihr durch eine List gelungen, einen Aufschub zu dem ihr zugedachten Schicksal zu erlangen. Die Feen hatten noch nie eine Druidai bei sich aufgenommen, die gerade Mutter geworden war. Es überraschte sie und versetzte sie in Unruhe, dass eine Frau in diesem Zustand keineswegs gleich wieder empfangen konnte, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als nachzugeben.

Das verschaffte Althea den Aufschub, den sie brauchte, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Sie musste herausfinden, nach welchem Muster die Tore wanderten und vor allem, welches von ihnen in die saranischen Sümpfe führte. Es war ein schier aussichtsloses Unterfangen. Ti’Anan hatte bereits Dutzende entdeckt, konnte aber auch nicht sagen, welches wohin führte und wo sie als nächstes auftauchen würden. Sie waren einfach immer woanders. Althea machte es darum halb wahnsinnig, innerhalb des Palastes festzusitzen. Ihr lief die Zeit davon. Jahre waren drüben vergangen, ihre Tochter bereits ein richtiger kleiner Wirbelwind und ihre Jungen wuchsen in Riesenschritten heran, und sie konnte fast nichts tun, im Gegenteil. Nur ein falsches Wort, ein unbedachter Gedanke, und mit ihrer geringen Bewegungsfreiheit wäre es gänzlich vorbei.

Auch diesmal erwartete sie Ti’Anan zu Beginn der verordneten Nachtruhe ungeduldig zurück. Er hatte ihr schon von tausend Gefahren berichtet, giftige Pflanzen gezeigt, wie die tausendarmige Schlinge, die sie bei ihrer letzten Flucht so verletzt hatte. Doch so sehr er auch suchte, er fand das Tor nach Saran nicht und schon gar kein Muster. Es schien, als tauchten die Tore durch puren Zufall auf. Ti’Anan vermutete, es lag an den Seelen, dass sie über die Tore in das Meer des Lichts gelangten und diese sich deshalb so unberechenbar bewegten. Althea wusste es nicht. Als sie damals mit Asklepia über dem Meer gestanden hatte, war ihr kein Tor aufgefallen.

»Verdammt, was soll ich nur tun?«, flüsterte Althea frustriert. Sie hockte tief unter dem Königspalast, in Dunkelheit und Feuchtigkeit an einer Felsmauer, die Arme um die Knie verschränkt. Nur ein kleines, flackerndes Licht spendete ihr Helligkeit.

Ti’Anan setzte sich neben sie. Seine goldenen Augen blickten traurig. »Du wirst versuchen müssen, deine Leute zu rufen, so wie das letzte Mal.«

»Die Wächter werden sich aber nicht so leicht überrumpeln lassen wie das letzte Mal. Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Durch den Spiegel?«, fragte Althea, obschon sie die Antwort kannte.

»Das hab’ ich dir doch schon hundert Mal gesagt!«, fauchte er und sprang auf. »Du wirst sie rufen müssen, oder aber du bleibst hier. Und stirbst.« Abrupt wandte er ihr den Rücken zu und ließ die Flügel hängen. Todunglücklich sah er aus, Althea wusste genau, was in ihm vorging. Er wollte eine Freundin, eine Gefährtin später vielleicht, aber das war nicht möglich. Denn wenn sie hier blieb, würde sie sterben, bei der furchtbaren Geburt eines Mischlingskindes.

Althea stand auf und legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter. »Ich weiß. Glaube mir, ich weiß es. Eines Tages, viele, viele Generationen später in meiner Welt, wird es eine Druidai geben, die dir eine Gefährtin sein kann.«

»Ha!« Er schüttelte ihre Hand ab. »Das glaubst du doch selbst nicht!«

»Oh doch.« Althea setzte sich wieder hin und schüttelte ungeduldig den Kopf, weil er erbost zu ihr herumgefahren war und die spitzen Zähne bleckte. »Du wirst irgendwann deine Seelenhälfte treffen. Vielleicht ist sie bereit, bei dir zu bleiben.«

»Das sagst du nur, um es mir leichter zu machen!« Mutlos ließ er sich neben sie fallen. »Hab Dank, aber das brauchst du nicht. Sie werden es nicht zulassen. Ich werde wohl für immer allein bleiben.«

Es rührte sie an, sie konnte dem nicht widerstehen. Langsam griff sie nach seiner Hand. »Da unterschätzt du deine Reize«, sagte sie mit einem leichten Lächeln, als er erstaunt die Augen aufriss und ganz starr wurde. Althea strich mit ihrem Daumen über seinen Handrücken. Die Berührung verursachte ein leichtes Prickeln auf ihrer Haut und auf seiner auch, so schnell, wie er die Hand zurückzog. »Du hast etwas ungemein Anziehendes, du weißt es nur nicht. Wärest du älter gewesen und ich auch, wer weiß, vielleicht wäre ich sogar hiergeblieben. So aber«, sie stand auf und lächelte auf den höchst überraschten Ti’Anan herab, »musst du noch ein paar Jahre warten. Ich werde mein Bestes tun, dass es eines Tages wahr wird. Aber nun komm, sie werden bald wach werden. Tun wir so, als hätten wir geschlafen.«


Althea wurde immer verzweifelter. Wieder war ein Tag vorbei, wieder stand sie mit ihrem Körper halb im Spiegel und sah ihre Kinder gewachsen und konnte ihnen außer ein paar schnellen unauffälligen Handzeichen keine Hoffnung geben, musste sogar streng zu ihnen sein. Mit großen Augen hörten sie ihren Worten zu, die ihr die Königin eingab, wachsam und misstrauisch auf die vielen Hände schauend, die sie festhielten. Es kostete Althea stetig mehr Kraft, einen kleinen, selbstbestimmten Teil ihrer Gedanken abzuschirmen und zu erhalten. Ihre Hände bewegten sich in einem fort. ›Sie halten mich gefangen, ich komme zurück, ich komme zurück.‹ Wie unheimlich musste es für die beiden sein, und wie tapfer sie waren, es so regungslos zu ertragen! Althea hasste sich dafür, ihnen das anzutun, und die Feen hasste sie noch mehr. Je stärker dieser Hass wurde, desto mehr Kraft brauchte sie, das zu verbergen. Es war ein Teufelskreis, und als hätten sie es gespürt, wie angeschlagen Althea war, zwangen die Feen sie hinterher, sich zu entblößen und zu beweisen, dass ihre Mondzeit noch nicht eingesetzt hatte. Dafür war es noch viel zu früh, beteuerte Althea vehement, aber es half nichts, sie glaubten ihr nicht und waren misstrauisch. Also musste sie es tun, sie schluckte ihren Stolz und ihre Scham herunter und zog sich aus.

Danach lag Althea auf ihrer Schlafstätte und weinte lange, das erste Mal, seit sie hier war. Ti’Anan saß dabei und wusste nicht, wie er sie trösten sollte. Althea hielt sich nicht mehr zurück, sie gab sich dem Schmerz ganz hin. Der nach außen gezeigte Schmerz schirmte ihre rasenden Gedanken genügend vor den Feen ab. Sie musste fort von hier, sonst war es zu spät!

Es half. Bald reifte in ihr ein vager Einfall, nur ein Hauch davon, aber es war besser als nichts. Ihr Weinen verstummte. ›Geht es wieder?‹, fragte Ti’Anan nach einiger Zeit in Gedanken. Er hatte ihr die ganze Zeit tröstend über den Rücken gestrichen.

Augenblicklich schwebte die Königin herein. Es war, als hätte sie darauf gewartet, dass Althea sich beruhigte. ›Was fehlt dir, Althea?‹

›Ach, ich bin so erschöpft!‹, klagte Althea und seufzte übertrieben, dass es wie ein Windstoß durch den Raum fegte. ›Eure Art zu sprechen und zu denken ist so ungewohnt für mich und verursacht mir Kopfschmerzen. Kann ich nicht zur Quelle gehen und dort Kraft schöpfen?‹ Aus den Erzählungen der Königin wusste sie, dass die Druidai das von Zeit zu Zeit für sich und ihre ungeborenen Kinder taten. Das Leben war für Fremdwesen anstrengend in dieser Welt. ›Wer weiß, vielleicht geraten dann meine Körpersäfte eher ins Gleichgewicht‹, fügte sie arglos hinzu und drückte innerlich die Daumen.

Und tatsächlich, die Königin seufzte, der Hauch eines Windes. ›Mein Gemahl ist wahrlich ungeduldig. Wenn du denkst, das könnte dir helfen, dann tue es. Ich gebe dir die Wächter zum Schutz mit.‹

›Als Bewachung‹, dachte Althea gallig, aber sie dankte der Königin ruhig und ließ nichts von ihren wahren Gedanken durchblicken. Endlich durfte sie den Palast verlassen, in Ti’Anans Begleitung und mit der Wolke der Wächter über sich, die die ganze Zeit den Palast bewacht hatten, damit sie ja keinen unbedachten Schritt tat. Sofort flatterte ihr kleiner Freund herbei und schwebte vor ihrem Gesicht in der Luft. Das schlechte Gewissen, dass er sich nicht bei ihr hatte blicken lassen, die ganze Zeit nicht, es vermutlich nicht gedurft hatte, war ihm deutlich anzusehen. Auch jetzt verursachte sein eigenmächtiges Handeln einiges an Verwirrung unter den anderen Wächtern.

›Ist schon gut‹, zeigte Althea unauffällig. ›Ich weiß, du konntest nicht anders.‹

›Herrin, es tut mir leid.‹

Mehr brauchte er nicht zu zeigen. Althea dankte ihm mit einem Lächeln und schritt voraus, immer weiter auf das warme Licht der Quelle zu. Ihr Gesang war verführerisch, doch Althea versperrte sich dem. Sie kannte die Gefahr nur allzu gut. Schweigend ließ sie sich oberhalb des Ufers nieder, in sicherer Entfernung, aber doch so, dass sich die Kraft wohltuend auf sie übertrug. Alles, was sie wollte, war ein Moment Ruhe, um ihren Plan weiter fortzuführen.

Die Wächter schwirrten unschlüssig über ihr, zu weit weg für eine Berührung mit ihrem Licht. Ihre Gefühle konnte Althea nicht ganz ausmachen. Sie spürte die vielen, vielen Blicke, wachsam, neugierig, nicht unfreundlich, aber voller Vorbehalte. Sie durfte nicht vergessen, dass sich in dieser Welt seit Menschengedenken nichts verändert hatte und ihr kleiner Wächter mit seinem aufgeweckten, manchmal rebellischen Geist die große Ausnahme bildete. Bei dem Gedanken seufzte sie vernehmlich, sodass ein Windstoß durch die Wächter fegte und sie durcheinanderwirbelte. Althea merkte es nicht. Sie starrte mit leerem Blick auf das leuchtende Meer.

›Was fehlt dir, Herrin?‹

Althea schrak aus ihren Gedanken und wandte den Kopf. Ihr kleiner Freund hatte sich auf seinem gewohnten Sitz auf ihrer Schulter niedergelassen. ›Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Herrin‹, gestand er.

›Ich danke dir, kleiner Freund. Ich bin geschwächt, ich brauche die Kraft der Quelle.‹

›Deine Menschen haben es nicht gut mit dir gemeint. Es ist gut, dass du jetzt hier in dieser Welt weilst‹, sagte er mit großem Ernst.

Althea widersprach nicht. Sie wusste, er sagte das aus tiefster Überzeugung. Am liebsten hätte sie gesagt: ›Mein Gemahl fehlt mir, meine Kinder, meine Freunde.‹ Stattdessen griff sie zu einer Ausrede. ›Ich musste gerade an den Kampf mit Phileas denken.‹ Bei dem Namen fuhren die Wächter bedrohlich zischend auf. ›Ich hatte damit begonnen, die Geschichte für unsere Nachfahren aufzuschreiben. Du weißt ja, dass Menschen dazu neigen, solcherlei Dinge zu vergessen oder im Nachhinein anders zu erzählen.‹

›Oh ja, das Gedächtnis der Menschen ist wahrlich schlecht‹, nickte der kleine Wächter.

Althea unterdrückte jede Regung. Langsam nahm der Plan in ihr weiter Gestalt an. ›Nun, meine Kinder werden es vollenden müssen, aber mir fehlt noch ein Stück, nämlich der Teil, nachdem ich Phileas zum Tor lockte und ihr anfingt, IHN zu bekämpfen.‹

›Herrin!‹ Der kleine Wächter flog hoch und verneigte sich vor ihr. ›Auch uns fehlt ein Teil. Wir beide fanden den gefangenen Mann in der Schlucht...‹

›Meinen Vater‹, verbesserte Althea, aber das überhörte er in seinem Eifer.

›... und von da an, bis du das Tor für uns öffnetest, fehlen uns die Ereignisse. Willst du es uns erzählen?‹

Althea hob den Kopf. Alle Wächter waren näher gerückt, erwartungsvoll und nicht mehr so wachsam. Ihr Plan begann zu funktionieren. ›Ja, das will ich. Aber sagt mir, wie besiegt man einen Geist? Was war ER eigentlich genau?‹

›ER war eine von bösen Mächten am Leben gehaltene Seele, ein Untoter.‹ Der kleine Wächter machte ein Zeichen, und es kam Bewegung in die Wolke der Wächter.

Althea staunte einmal mehr, wie schnell sie sich völlig aufeinander abgestimmt bewegen konnten. Als sie wieder stillstanden, nur einen Wimpernschlag später, entfuhr ihr unwillkürlich ein Aufschrei. Vor ihr schwebte Phileas, ein Abbild geformt aus Hunderten schimmernder Wächterflügel. So geschickt lenkten sie Licht und Schatten, dass es beinahe echt aussah. ›Oh! Das ist... wie ihr das könnt! Es ist sehr beeindruckend.‹

›Wir denken und formen Geschichten, Herrin, alle zusammen, wir erzählen sie nicht wie ihr Menschen.‹ Mit stolzgeschwellter Brust machte der kleine Wächter ein Zeichen. Die Wächter erhoben sich in die Luft, teilten sich, formten sich neu, unheimlich schnell. Die ganze Geschichte erstand vor Altheas Augen, Phileas, die Feen, die Wächter, das Tor. Sie zeigten ihr, wie sie Phileas eingefangen, mit ihrer vielfachen Macht gefesselt und durch das Tor gebracht hatten. Es war ein gewaltiger Rausch aus Bildern, so schön, dass Althea nur staunen konnte und sie für einen Moment ihre Absicht völlig vergaß. Auch Ti’Anan kam nun näher und setzte sich zu ihr, war ebenso gebannt wie sie. Dergleichen bekam er wohl nicht oft zu sehen.

Der kleine Wächter erklärte ihr: ›Seht, Herrin, besiegen konnten wir Phileas nicht, wir konnten IHN nur gefangen nehmen. Die Macht, IHN zu bannen, hat allein der König.‹

Die Macht des Königs. Die große Unbekannte. Althea schluckte und sah dem schimmernden Reigen weiter zu. Die Wächter fesselten Phileas und SEINE Getreuen und zwangen sie nieder an das Ufer des Meeres. Dann hatte der König seinen Auftritt. Er spaltete die Geister auf, trennte Seelen von der bösen Macht und zwang sie ins Meer hinein. Die böse Macht zerstob in einem Funkenregen und wurde von der drehenden Säule aus Licht aufgesogen.

›Verteilt auf viele Seelen, will ich hoffen‹, seufzte Althea.

›Herrin‹, der kleine Wächter verneigte sich noch einmal, ›dafür hat der König gesorgt, aber jenseits der Quelle endet seine Macht. Er kann nicht verhindern, dass sich vielleicht eines Tages diese Macht wieder in einem einzigen Lebewesen vereinigt. In der Welt der Menschen oder anderswo. Das weiß niemand.‹

Die Wächter hatten ihre Darbietung beendet und kamen nun langsam wieder auf sie zu. ›Oh, ich danke euch. Eure Erzählung war wunderschön. Nicht die Geschichte, sondern die Darbietung‹, beeilte sie sich hinzuzufügen, als sich den Wächtern die Flügel sträubten. ›Das möchte ich euch gleich zurückgeben, wenn ihr es erlaubt.‹

›Herrin, wir erlauben esss‹, antworteten die Wächter und taten das, was Althea sich erhofft hatte. Sie ließen sich um sie und Ti’Anan herum nieder, in einem perfekten Kreis. Das war dicht genug.

Aber Althea wollte sie nicht einfach so überrumpeln. Schließlich hatten die Wächter ihr ein Geschenk gemacht, und das wollte sie ihnen zurückgeben. Wie schwer es ihr fiel, sich die Ereignisse wieder ins Gedächtnis zu rufen! Mit Bildern, die alles enthielten, jeden Anblick, jedes Gefühl, jedes Wort und jeden Schmerz. So viel Zeit war vergangen, dass sie sich gewaltig anstrengen musste, die verschütteten Erinnerungen wieder hervorzuholen. Beinahe fiel sie dabei in eine Art Traum, gemeinsam mit den Wächtern. Nur Ti’Anans Krallen, die sich schmerzhaft in ihren Arm bohrten, wie er sie gleichsam festzuhalten versuchte, bewahrten sie davor, den Halt zu verlieren.

Sie erzählte von Phileas’ Überfällen auf die Völker, von SEINEN Wesen, vom Fall Temoras und Gildas und wie ER wieder Mensch wurde. Auch SEINE Rache an Asklepia und ihre eigene Furcht, sie könnte SEIN Kind in sich tragen, verschwieg sie nicht. Es schlug die Wächter in ihren Bann. Sie saßen stumm und regungslos da, die kleinen katzenförmigen Augen geschlossen, und tauchten in ihre Bilder ein, Hunderte von kleinen Besuchern in ihrem Kopf. Althea brauchte fast all ihre Kraft, nicht einmal einen Schimmer ihrer Absichten durchblicken zu lassen, sie hätten es sofort bemerkt.

Schließlich endete ihre Darbietung: ›In letzter Not konnte ich mich vor den einstürzenden Trümmern bewahren und schleppte mich in Sicherheit, wo ich dann zusammenbrach. Die Begegnung mit Phileas’ und eurer Macht hatte mir alle Kräfte geraubt, und ich fiel... in einen... langen... langen... Schlaaaaaf.‹

Ti’Anan starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Alle Wächter um sie herum waren zu Boden gesunken und rührten sich nicht mehr. Sie schliefen. Althea lächelte leicht. »Sei mir nicht böse«, flüsterte sie und umfasste sein Gesicht, gab ihm einen Kuss auf die Wange und ließ ihn einschlafen wie zuvor auch schon die Wächter. Vorsichtig ließ sie ihn zu Boden gleiten, damit er keine Wächter zerdrückte. Dann bahnte sie sich einen Weg durch die reglosen kleinen Gestalten, indem sie eine nach der anderen aufhob und behutsam beiseitelegte. Als sie zurückblickte und in Gedanken leise Abschied nahm, sah sie einen perfekten Kreis mit einem Ausgang. Der Ausgang zu ihrer Freiheit.


Im Gegensatz zum letzten Mal wusste sie genau, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie durfte sich nur mit Menschenkraft bewegen, nicht mit den Kräften dieser Welt. In ihrem Kopf herrschte im Vordergrund absolute Leere, sie hatte all ihre Gedanken und Empfindungen hinter einer harten Mauer eingeschlossen. Dank Ti’Anans Erzählungen erkannte und umging sie diesmal die vielen Tücken des Waldes und konnte sich geschickt verbergen. Das Toben des Königs, als man ihre Flucht entdeckte, die Wächter, die mehr verwirrt als zornig umherflogen und sie suchten, all dies bekam sie nur am Rande mit. Sie konzentrierte sich auf die Suche nach den Toren, und tatsächlich, nach einigem Umherirren fand sie endlich eine Spur. Sie spürte etwas, nur einen Hauch, mehr durfte sie nicht wagen. Mit geschlossenen Augen, passiv in Gedanken, lief sie vorwärts, und dann stolperte sie fast hinein.

In einem undurchdringlichen Gebüsch schimmerte fast unsichtbar die Fläche eines Tores. Es nahm die Farbe und Kontur seiner Umgebung an, deshalb konnte man es von Weitem nicht sehen. Staunend stand Althea davor. Damals hatte sie es nicht bemerkt, es war alles so schnell gegangen.

Doch nun wurde sie sich der Gefahr bewusst und sah hastig um sich. Sie war von allen Seiten von einem dichten Blättergewirr umgeben, auch von oben. Sollte sie es wagen? Althea hob zögernd die Hand. Konnten die Feen es spüren, wenn sie das Tor berührte? Sie musste einen Versuch wagen, beschloss sie, und sich bereithalten, notfalls zu fliehen. Aber gerade, als sie die Hand auf die schimmernde Fläche legen wollte, griff sie ins Leere. Das Tor war verschwunden!

Althea zwang den unwillkürlich in ihr aufsteigenden Aufschrei mit aller Macht nieder. Es war fort! Sie trat zurück und lehnte sich an den Stamm eines großen Baumes. Mit geschlossenen Augen verharrte sie dort und merkte nicht, wie sie sich die eine oder andere verstohlene Träne mit dem Handrücken fortwischte. Wie sollte sie nur das Tor, ihr Tor, in diesem Wirrwarr finden?

Gerade, als sie sich mutlos abwenden wollte, spürte sie wieder etwas. Es war wieder da, wieder schimmerte die Fläche vor ihr. Althea zögerte nicht mehr. Sie legte die Hand darauf. Und staunte. Sie musste sich doch sehr zusammennehmen, nicht völlig in dem Anblick zu versinken, der sich ihr dort bot.

Das war nicht ihre Welt, ganz und gar nicht. Ein fremdartiger Schimmer umgab sie, mit durchscheinenden Wolken und drei Monden, die in verschiedenen Farben am nächtlichen Himmel standen. ›Nicht deine! Löse die Verbindung!‹ Sie zwang sich, die Hand zurückzuziehen. Das Tor schloss sich wieder und lag stumm schimmernd vor ihr. Althea schloss die Augen und lauschte angestrengt. Hatten sie das gespürt? Waren sie auf dem Weg zu ihr?

Es schien nicht so zu sein. Die Stimmen der Feen und das Summen der Wächter waren nach wie vor weit entfernt. Kaum hatte sie die Augen wieder geöffnet, verschwand das Tor vor ihr genauso lautlos, wie es gekommen war.

Merkwürdig. Althea beschloss, erstmal zu bleiben, wo sie war, und zu beobachten, was nun weiter geschah. Wann tauchte es wieder auf?

Es vergingen nur ein paar Augenblicke, da war es wieder da. Althea konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie trat heran und öffnete es erneut. Und erlebte eine handfeste Überraschung. Ihr bot sich nicht der fremdartige Anblick, den sie schon kannte, sondern ein anderer, nicht minder fremder. Diesmal sah sie eine Welt bestehend aus rötlich gleißendem Sand, beschienen von zwei Sonnen. Wind fegte über den Sand und formte dabei die wundersamsten Gebilde. Althea schaute und schaute und schaute und vergaß dabei beinahe die Zeit, bis sie aus der Ferne einen Alarmruf vernahm. Erschrocken sprang sie zurück. Das Tor schloss sich und ein Zittern lief durch den Boden, und mit einem Mal kamen die Stimmen sehr viel näher. Sie hatte zu lange gewartet, sie spürten das Zittern! Hastig schlich sich Althea ein Stückchen fort und verbarg sich tief im Gebüsch, ängstlich auf die Regungen der Feen und Wächter lauschend.

Doch es schien, als hätten sie ihre Spur wieder verloren. Die Stimmen entfernten sich wieder, wurden erneut zu einem leisen Rauschen im ewig währenden Gesang der Quelle. Althea atmete auf. Das war knapp gewesen! Sie konnten also spüren, wenn sich die Zeit zwischen den Welten zu sehr dehnte. Das musste sie sich merken, sie durfte das Tor nicht zu lange offen halten.

Als sie das Gesumm der Wächter kaum noch spürte, kehrte sie zum Tor zurück. Ein anderes erschien dort gerade anstelle des alten. Althea verspürte eine leichte Panik, als sie daran dachte, wie viele es womöglich waren und dass dann nicht einmal gesagt war, dass das Tor zu ihrer Welt unter ihnen war. Mühsam zwang sie ihre Gefühle wieder hinter die Mauer in ihrem Innern und machte sich an die mühevolle Aufgabe, den Weg nach Hause zu finden.


Althea konnte die vielen Eindrücke nicht mehr verarbeiten, die auf sie einstürmten. Nach wenigen Stunden – oder waren es Tage? Sie wusste es nicht zu sagen – war sie restlos erschöpft. Sie sperrte die Bilder tief in ihrem Innern ein, wie sie es einst mit Asklepias Erinnerungen getan hatte, um ihrer überhaupt noch Herr werden zu können. Eines Tages könnte sie diese hervorholen, betrachten und ihren Kindern davon erzählen – wenn sie denn das Tor zu ihrer Welt fand. Aber das war weiter entfernt denn je. Sie hatte alle möglichen Arten von Welten erblickt. Frei stehende Tore, mitten in tosenden Meeren, in der Wüste, im Wald, oder verborgene Tore in Schluchten und Höhlen, einsam und verlassen oder mit gefallenen Wesen im Todesring. Und was für Wesen das waren! Sie hatten nicht annährend Ähnlichkeit mit Menschen, manche glichen mehr großen Insekten oder gar Monstern. Immerhin meinte Althea jetzt herausgefunden zu haben, dass diese Tore zu einer einzigen Welt oder mehreren bestimmten Welten gehörten. Manchmal waren die Sonnen oder Monde dieselben, manchmal die Wesen, nur die Tore standen woanders. Das bedeutete aber auch, dass sie hier an der falschen Stelle suchte, denn die menschliche Welt war ganz sicher nicht unter ihnen gewesen.

Ratlos saß sie schließlich da und überlegte, was sie tun sollte. Sie musste eine andere Reihe Tore finden, nur wo? Es gab einfach zu viele. Sie brauchte etwas, das sie auf die richtige Fährte brachte, so wie das letzte Mal, als Currann als kleines Licht zu ihr gekommen war. Wie lange hatte es gedauert, bis die Wächter sie gefunden hatten? Nicht lange, und Althea wollte das nicht riskieren. Irgendwie wusste sie, dass sie nur einen Versuch hatte.

Doch halt... auf einmal kam ihr eine Idee. Wenn die Tore immer auf denselben Pfaden wandelten, dann mussten sie auch an den Orten vorbeikommen, die sie schon kannte. Die schimmernde Blumenwiese zum Beispiel. ›Du bist wirklich dumm, Thea!‹ Anstatt hier im Wald zu sitzen, hätte sie sich schon längst auf die Suche machen müssen. Sie musste gar nicht so weit vom Palast entfernt liegen, so schnell, wie Ti’Anan das letzte Mal dort gewesen war.

Da war natürlich höchste Vorsicht geboten. Quasi unter der Nase der Wächter und der entrüsteten Feen hindurch umrundete Althea den Palast in immer größeren Kreisen, und ihr Einfall wurde von Erfolg gekrönt. Als der Feenkönig seine Getreuen zur Nachtruhe rief, stand sie am Rande des Areals, das sie gesehen hatte, als sie vom Tor Gildas aus die Feen gewarnt hatte. Nur, wo in diesem Wirrwarr aus Felsen und mannshohen Blumen wanderten die Tore? Vorsichtig schlängelte sich Althea durch sie hindurch, bemüht, ja keine zu berühren, denn sie sonderten bei der kleinsten Bewegung diesen schillernden Staub ab, und das konnte man von Ferne sehen. Dennoch war sie bald über und über bedeckt davon, ein nicht unangenehmes Gefühl. Es kühlte ihre erhitzte Haut und heilte in Windeseile ein paar Schrammen, die sie sich im Wald zugezogen hatte.

Sie versuchte sich zu erinnern, wo sie damals herausgekommen war. Ti’Anan hatte von oben auf sie herab geblickt, also musste er auf einen Felsen geklettert sein oder... Althea hielt abrupt inne. Sie stand plötzlich vor einem Abgrund, nicht tief, aber es ging etwa eine Mannshöhe steil nach unten. Ein Felsen. Sie sah nach links und rechts und entdeckte, dass es eine richtige Bruchkante in der Landschaft war. Das musste es sein. Irgendwo hier unten war das Tor.

Sie kletterte hinab und hatte gleich darauf das erste Tor gefunden. Keine menschliche Welt, wie sie bald enttäuscht feststellte, aber immerhin. Sie war auf der richtigen Spur. Doch das nächste, das an dieser Stelle erschien, versetzte sie in helle Aufregung. Sie sah aus einer Höhle auf ein Ufer, eine sanft vom Mond beschienende Bucht. Ihr Mond, da war sie sicher, auch wenn er so merkwürdig schräg am Himmel hing. Die Verteilung der dunklen Flecken war exakt dieselbe, die sie kannte. Mit vor Aufregung klopfendem Herzen trat Althea zurück und löste zögernd die Verbindung. Sollte sie hier übertreten? Aber was, wenn sie dann wie Phelan auf irgendeinem Eiland landete, wo es kein Fortkommen gab? Oder feindliche Völker lebten?

Da war das Tor auch schon verschwunden und Althea die Entscheidung abgenommen. Sie versuchte, ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Keine Gefühle zeigen, das konnten sie spüren! Es blieb ihr keine Zeit, sich darum zu kümmern, denn das nächste Tor erschien. Und wie sie eines nach dem anderen öffnete, menschliche und nicht menschliche Welten entdeckte, bemerkte sie nicht, wie sich ganz in ihrer Nähe etwas veränderte.

Plötzlich erhob sich ein Donnern in der Luft, dass sich alle Blumen bogen und Althea einen erschrockenen Satz zurück machte. Durch das Donnern klang ein Rufen, Worte, die klangen wie... »Mama! Mama!«

Beinahe hätte Althea geschrien, mit allen Sinnen, aber sie bezwang sich gerade noch rechzeitig. Irgendwo in Richtung des Palastes erhob sich das Gesumm der Wächter. ›Wassss issst dasss?!‹ Sie kamen näher, sie spähten.

›Nein!‹, dachte Althea und ging in der Wiese Deckung. Und dann gab sie ihren Schutz auf und versuchte den Rufer zu spüren. »Wo bist du?«, rief sie leise, dass es keinen Sturm auslöste.

»Mama?« Diesmal waren es zwei Stimmen. Es toste wie ein Sturm in ihre Richtung.

»Faye? Bjarne?« In Althea kam Verzweiflung auf, denn sie wagte nicht, laut zu rufen, und ihre Kinder konnten sie unmöglich hören. Sie hatten das Tor geöffnet und schwebten in tödlicher Gefahr! Das Summen der Wächter kam immer näher. Althea spähte hektisch hinter sich und rannte ein Stückchen von ihrem letzten Standort fort, in Richtung des Rufes.

»Mama, wo bist du?«

›Da issst etwassss!‹ Die Wolke der Wächter schoss vorwärts, gefährlich dicht an Althea vorbei, auf einen bestimmten Punkt an der Felswand zu. Es folgte ein Aufschrei, der sich wie Donnerhall in der Welt der Feen ausbreitete und die Wächter hoch in die Luft schleuderte, und dann war es still.

Die Wächter stürzten zurück zum Tor, aber es war bereits verschwunden. Da erhoben sie sich in die Luft und drehten zornig ihre Kreise über der Felsenkante. Althea kniff verzweifelt die Augen zusammen und spürte, wie ihr die Tränen herunter rannen. Jetzt war ihr Aufenthaltsort entdeckt und ihr die Möglichkeit genommen, weiterhin ein Tor nach dem anderen zu öffnen. Sie konnte nur... da! Da tauchte es wieder auf! Ein paar Schritte von den Wächtern entfernt und etwas näher zu ihr.

›Oh bitte, bitte, lass es dasselbe sein und kein anderes!‹, flehte Althea innerlich und begann, mit dem Tor zu wandern. Verborgen in der Wiese schlängelte sie sich leise wie eine Schlange durch die mannshohen Blumen und versuchte, mit dem Wandern des Tores Schritt zu halten, ohne dass die Wächter sie bemerkten. Doch auch deren Kreise wurden immer größer, auch sie wussten, dass das Tor wanderte, aber sie konnten offenbar nicht sehen wohin. Zu dicht, immer noch zu dicht... sobald Althea die schützenden Pflanzen verlassen würde, hätten sie sie sofort. Und das Ende der Felsen kam näher. Danach wusste sie nicht, wo das Tor als nächstes erscheinen würde.

Althea schlug das Herz bis zum Halse. Nur mit Mühe hielt sie ihre aufgewühlten Gefühle, ihre Furcht, die Hoffnung, hinter der harten Mauer in sich im Zaum. Was sollte sie tun? Nur noch zwei oder drei Mal, dann wäre das Ende erreicht. Sie wagte sich so dicht an die Felsen heran, dass die Pflanzen sie gerade noch verbargen. Da war es wieder. Der Wächterschwarm zog über sie hinweg ans andere Ende der Felsenschlucht. Sie könnte jetzt... da war es wieder weg. Die Panik, die schon die ganze Zeit wie ein Gespenst im Hintergrund gelauert hatte, wallte wieder in ihr hoch. Althea presste sich die Faust auf den Mund, um nicht zu schreien.

›Wenn sie dich kriegen, werden sie dich einsperren in die tiefsten Tiefen des Palastes, und der König wird dich nicht mehr aus seinen Fängen lassen‹, hämmerte es in ihrem Kopf, dass er fast zersprang. ›Er wird es wieder und wieder und wieder tun, bis du sein Kind empfangen hast. Das Kind, das dich umbringen wird, wenn es...‹ Da zerbarst der Schutz um ihr Innerstes, als sei er aus feinem Glas. Althea wusste hinterher nicht mehr, was in ihr die Entscheidung fällte und wann sie den ersten Schritt aus den Blumen heraus gemacht hatte. Plötzlich rannte sie los, hörte hinter sich den Aufschrei der Wächter, ihr bedrohliches Zischen, das Rauschen ihrer Flügel. Egal, welche Welt oder ihr Tor in Saran, sie musste von hier fort, und sie hatte nur diese einzige Gelegenheit. Dort, dort vorne entstand es gerade neu. Mit einem Schrei warf sie sich vorwärts. Er war so laut, dass er die heranschwirrenden Wächter zurückschleuderte und ihr den winzigen Vorsprung verschaffte, die Hand auf das Tor zu schlagen und sich hindurch zu werfen. Das Fauchen der Wächter folgte ihr wie ein böser Hauch, doch dann war das Tor zu und die Fläche dehnte sich unter ihren wütenden Schlägen, so sehr, dass Althea fürchtete, es würde sie wieder berühren und sich öffnen. Mit letzter Kraft rollte sie sich fort, bis sie an ein Hindernis stieß und nicht mehr weiter konnte. Dort blieb sie mit geschlossenen Augen liegen und versuchte, ihren keuchenden Atem zu beruhigen. So lag sie dort, bis es vor ihr wieder still geworden war und die Fläche des Tores ruhig vor sich hin schimmerte. Dann setzte sie sich auf und lauschte, innerlich und äußerlich.

Kein Zittern lief durch den Boden, und auch in ihrem Körper schien sich nichts Dramatisches zu verändern, bemerkte sie erleichtert. Ihre Knochen schmerzten etwas, wo sie beim Sturz hart aufgekommen war, aber das heilte sie mit ihrem Licht im Handumdrehen. Atmen konnte sie auch, und zwar mühelos. Ihre Haare begannen zu wachsen und ihre Nägel auch, aber damit hatte sie gerechnet und streifte schnell ihre Schuhe ab, bevor sie zu lang wurden.

Sie war in einer Höhle, so viel hatte sie schon am Echo ihres keuchenden Atems gemerkt, und groß war sie nicht, hinter ihr türmten sich Felsbrocken auf. Dies passte nicht zur Höhle in den Sümpfen Sarans, wo sie und ihr Großvater einen freien Zugang zum Tor geschaffen hatten. War sie in einem fremden Land, in einer Höhle ohne Ausgang? Aber nein, es drang frische Luft hinein, von weiter oben, wo der Steinhaufen im Dunkeln verschwand. Also gab es einen Ausgang, zumindest hoffte sie das.

Schließlich schalt sie sich eine Närrin, sperrte ihre Furcht fort und begann vorsichtig zu klettern. Das schwache Schimmern des Tores reichte nicht weit, sodass sie bald ihr Licht in ihre Hände senden musste, um wenigstens etwas sehen zu können.

Der Weg nach oben war kurz. Bald stieß sie sich den Kopf schmerzhaft an einem Felsvorsprung an der Höhlendecke, und sie musste sich durch einen schmalen Spalt quetschen, der gerade groß genug war für jemanden wie sie. Auf der anderen Seite ging es steil abwärts. Sie verlor den Halt, rutschte und prallte mit einem Aufschrei unten auf. Für einen Augenblick schwanden ihr die Sinne, und als sie wieder zu sich kam, roch sie kühle, feuchte Luft, die von draußen hereinströmte.

Das war schon mal gut, dachte Althea, außerdem schien der Mond, ihr Mond, erkannte sie erleichtert, gut sichtbar durch den Eingang der Höhle. Wo war sie? Da stieß ihre Hand gegen einen harten Gegenstand. Es schepperte laut und vernehmlich. Altheas Herz machte einen Satz, und tatsächlich, als sie das Licht ihrer Hände zu Hilfe nahm, leuchtete es überall um sie herum golden auf. Sie hätte am liebsten einen lauten Jubelschrei von sich gegeben, doch dazu war sie nicht mehr fähig. Stattdessen saß sie da, die goldene Schale, die sie angestoßen hatte, in der Hand und brach in Tränen aus. Der Schatz der Sumpfjäger! Sie hatte das richtige Tor gefunden, und wer anderes als Regnar hätte die Felsbrocken auftürmen können, um zu verhindern, dass ihre Kinder nicht das taten, was sie dann doch getan hatten: Nach ihrer Mutter zu forschen?

»Verdammte Goi! Verdammte Feen! Oh, wie sehr müsst ihr euch nach mir gesehnt haben!«, schluchzte sie in einem fort. Die gesamte Anspannung fiel von ihr ab, und zum ersten Mal seit ihrer Entführung wurde sie wieder vollkommen ruhig. Sie würde nach Hause zurückkehren, und wenn sie den gesamten Weg durch die Sümpfe schwimmen musste.

Dass ihre Kinder – oder ihr Großvater – an diese Möglichkeit gedacht hatten, bemerkte sie, als sie nach langer Zeit endlich einen Blick in die halb verfallene Hütte warf. Dort fand sie zu ihrer Überraschung eines dieser langen Flachboote, die auch die Männer des Sedats benutzten, sowie ein Bündel mit Kleidung, eine Decke und Felle, ein weiteres mit frischer Nahrung und ihren Heilerkorb! Daneben lagen ihr Schwert und ihr Messer. Fassungslos starrte Althea auf die so lang vermissten Sachen. Die Kinder mussten erst vor Kurzem hier gewesen sein und fest mit ihrer Rückkehr gerechnet haben. Warum sonst hätten sie das alles hierher bringen sollen? Ihr wurde warm ums Herz, und auf einmal war sie völlig erschöpft. Da sie im Dunkeln den Weg durch die Sümpfe niemals finden würde, beschloss sie, sich für den Rest der Nacht auszuruhen und sich bei Sonnenaufgang auf den Weg zu machen.

Doch sie unterschätzte die kräftezehrende Zeit in der anderen Welt. Die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag schlief sie durch und wachte erst auf, als die Sonne sich schon weit gen Westen neigte, und selbst dann schaffte sie es nur mit Mühe, sich auf den Weg zu machen.


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Trägerin des Lichts - Vererben

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