Читать книгу "Sweetheart, es ist alle Tage Sturm" Lyonel Feininger – Briefe an Julia (1905–1935) - Lyonel Feininger - Страница 12
1907
ОглавлениеIn Paris entsteht im April Lyonels erstes Gemälde, ein Stillleben. Zuvor hat Lyonel das Frühjahr dafür genutzt, damit zu beginnen, die »Willie-Winkie«-Geschichte in ein Kinder-Bilderbuch für das deutschsprachige Publikum umzuarbeiten, von dem Julia und er sich auch finanziell viel erhoffen. Lyonel will das Buch dem Cassirer-Verlag anbieten. Da aus dem für April angekündigten Besuch des Verlegers in Paris jedoch nichts wird, bleibt das Projekt unvollendet.
In der sich inhaltlich und stilistisch neu ausrichtenden Zeitschrift »Das Schnauferl – Blätter für Sporthumor«, in der die neuesten technischen Entwicklungen satirisch kommentiert werden, können sowohl Lyonel als auch Julia Zeichnungen veröffentlichen.
Im Frühsommer reist die Familie nach Günterstal bei Freiburg im Breisgau, wo Lyonel nach der Natur malt. Ab 22. August hält sich Lyonel allein in Baabe und Lobbe auf Rügen auf, um zu malen, das erste Mal getrennt von seinem Sohn »Butzi«.
Lyonel wird von Clara Feininger, geborene Fürst, geschieden.
Im Oktober ist die Familie wieder zurück in Paris. Lyonel sieht in der Galerie Bernheim-Jeune und im Salon d’Automne Werke von Vincent van Gogh und Paul Cézanne.
Baabe a. Rügen Hotel Fortuna d. 22. Aug. 07
My darling, my little one! Nun habe ich den ganzen Ort begrüsst; den Wald, den Strand, das Dörflein selbst. Eigentlich ist es ein etwas schwermütiges Wiedersehen. Erstens von wegen dem Alleinsein und dann weil sich in drei kurzen Jahren so vieles hier geändert hat. Lauter Neues, lauter Villen, Hotels, Rasirbuden, Waschküchen etc.; und so vieles Liebe, alte, auf ewig verschwunden. Eine Sturmflut von vor 2 Jahren hat die ganze Küste verändert ausserdem. Aber Hotel Fortuna besteht immer noch unter derselben Leitung und so traf ich wenigstens nicht unter fremden Menschen ein. Und als ich mich im Dorfe umsah, fiel mir eine förmliche Last vom Herzen; denn das wundervolle 300 Jahre alte Haus mit dem fabelhaften Dache steht immer noch – nur haben sie den einen, gerade so notwendigen Birkenbaum, der daneben stand, gefällt, und dafür eine nagelneue Telegraphenstange hingesetzt. … Oh girlie, wenn Du kommst, wirst Du alles sehen, was ich seit so vielen Jahren hier lieb habe, und dann wird es unsagbar schön sein. […] Dear little one, you must not feel lonely or sad, because you have little Butzi anyway to comfort you – and I shall commence tomorrow, with work, and that will do me good.31 …
Baabe, d. 25. Aug. 07
[…] Das Bild ist monumental geworden, das ist das Haus, wie ich’s habe all die Jahre auffassen wollen. Nachmittags habe ich’s von der anderen Seite, hinter einem blühenden Lupinenfeld gemalt – bei griesegrauer Regenstimmung.32 Dabei habe ich eine so ausgesprochene frappante Contourwirkung beobachtet, dass ich kein Bedenken trug sie kühn wieder zu geben, obwohl ich noch in keinem Bilde so etwas jemals gesehen habe. Nämlich: links der Gegenstände waren die Konturen blau, rechts warm grünlich und dies schien sich absolut vom Gegenstand auch auf den anliegenden Himmel zu übertragen. Drum habe ich links im warmgrauen Himmel einen breiten blauen Streifen neben der bereits dunkelblauen Kontur, rechts einen breiten hellgrünen Streifen im Himmel gemalt. Auf die Weise haben nicht nur das Hausdach und die sonstigen, in die Luft ragenden Gegenstände ihren farbigen Kontur, sondern, umgekehrt, auch der Himmel seine Konturen farbig. …
Baabe, d. 27. Aug. 07 spät Abends.
… denn ich fühle, dass ich nicht halb genug dort mich concentrieren konnte. Hier bin ich einfach wie ein Dampfkessel, der so lang versperrt gewesen, bis der Druck fürchterlich geworden. Es ist mir auch gut und heilsam, allein zu arbeiten – d. h. ohne darüber einstweilen zur Rede gestellt zu werden (verstehe mich nur recht … wenn ich sage »zur Rede«) – das will sagen, dass ich meine Fehler allmählich selbst einsehe, und dass ich nicht während des Weiterarbeitens durch Verdauung einer wenn noch so lehrreichen Kritik am naiven Schaffen aufgehalten werde. Der Glaube ist so nötig während des Schaffens. […] Ich male naiv das was ich sehen lerne. Ich habe seit einigen Tagen mich in Harmonie mit den Mitteln befunden, die Überlegung fehlt dabei nicht, es ist wundervoll, diese neu-entwickelte Fähigkeit – Töne und Farben nebeneinander versetzen zu können und miteinander zu vergleichen und sie zu analysieren. …
d. 29. Aug. 07 [Baabe]
… mir schweben schon ganz andere Leucht-und-Ton-Werte – andere Übersetzungsmöglichkeiten als bisher vor – aber es ist so fast unmöglich, von der gewohnten Wirklichkeit abzugehen. Das Gesehene muss innerlich umgeformt und crystalisiert werden. …
Montag, Abend 8 ¼ Uhr d. 2. Sept. 07 [Baabe]
[…] Es ist zu komisch, anfangs quetschte ich meine geliebten Bauernhäuser in die vier Ränder meiner Leinewand ein, jetzt stehen bei meinen Studien … (die eigentlich Bilder immer zu werden bezwecken) die Häuser ganz weit im Mittelgrund … Du wirst ja sehen. Nicht umsonst fängt man mit 36 Jahren als vergnügter Greis, an zu malen und malt mit lokomotivartiger Leidenschaft 8–10 Stunden täglich. Aber mir dämmert eine Hoffnung auf … wenn ich nur nicht vor übergrosser Lebensfreude überschnappe, Girlie. Da wird nichts helfen, Du musst mitmachen. Arbeit ist mir Lebensgesetz und soll sie uns nicht trennen, muss sie uns vereint arbeiten sehen, und das wollen wir. …
Lobbe, d. 11. Sept. 07 Abends gegen 9 Uhr
… was war das heute für ein himmlisch-schöner, warmer Sommer Tag, sonnig und dunstig, das Meer fast zu blau, aber dafür der Himmel einfach schmelzend … Vormittags machte ich garnichts. Ich ging an den Strand vor die Klippen und suchte nach einem Strand-Motif – – und deren gibts viele, aber ich fand gerade heute und bei der Stimmung (allmählich vergehender Nebel, und noch nicht richtig sonnig), gar nichts das mich hätte veranlassen können, mein letztes hierher mitgebrachtes Stück Leinewand auf dem allergrössten Klappbrett zu opfern. Darum lagerte ich mich faul in die Sonne, schmiss Steine, beobachtete das Liebesleben der Strandfliegen, und liess die Arbeit Arbeit sein. […] Gott schenke uns nur so (diesen Klex hat eine wildgewordene Motte oder Nachtfalter soeben gemacht) schöne Tage, wenn wir zusammen hier sind. So schön, so ohne Makel von Anfang bis Ende. Der Nachhauseweg in der Dämmerstunde war einzig – draussen auf den Marschfeldern lag schon der buntschillernde wattige Grundnebel, und Lobbe ragte daraus mit seinen Dächern und Bäumen wie in Cotton eingepackt. Im Süden stand der zarte Neumond und der West-Himmel war glühend rot im Abenddunst. […] Sweetheart, nun ist dieses der letzte Brief. … Versäume nur nicht den Zug … Der dicke Nebel liegt draussen und Hammel blöken auf der Wiese, man sieht sie garnicht. …