Читать книгу "Sweetheart, es ist alle Tage Sturm" Lyonel Feininger – Briefe an Julia (1905–1935) - Lyonel Feininger - Страница 7

Die Vorgeschichte bis 1905

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Es klingt wie im Märchen: Eine Frau und ein Mann begegnen sich im Zug auf dem Weg in die Ferien. Amor verschießt seine Pfeile gut gezielt. Es kommt zu der berühmten »Liebe auf den ersten Blick«. Sie verbringen die Ferien gemeinsam und bleiben ein halbes Jahrhundert lang – bis zum Tod des Mannes – ein Paar. Allerdings sind beide, als sie sich begegnen, anderweitig verheiratet. Er hat zwei Töchter, knapp drei und vier Jahre alt. Aber ohne zu zögern lösen sie sich aus ihren bisherigen Bindungen, um sich auf das Neue einzulassen.

Es ist kein Märchen, sondern so geschehen mit Lyonel Feininger und Julia Berg, geborene Lilienfeld. Aber natürlich lief nicht alles reibungslos. Jedoch erfahren wir von den Problemen, die bei der Trennung von ihren bisherigen Lebenspartnern entstanden, aus ihren Briefen nur wenig. Julia ist anscheinend zunächst von ihrer Familie verstoßen worden. Und Lyonels Frau Clara hat den Scheidungsprozess wohl lange erschwert. Die beiden Töchter waren noch jung, aber doch alt genug, um das Ausbleiben ihres Papas bewusst zu erleben. Allerdings hielten sie auch in späteren Jahren den Kontakt aufrecht. Die Tochter Lore, eine geachtete Fotografin, brachte nach dem Tod Lyonels ein Buch mit Grafiken und Aquarellen ihres Vaters heraus, die sie im Laufe der Jahre von ihm geschenkt bekommen hatte und deren Reproduktionen sie in den 500 gedruckten Exemplaren mit der Hand kolorierte. Die Biografie ihres Vaters, die sie dem Buch voranstellte, schloss sie mit den Sätzen: »Wir alle sind in treuem Gedenken Vater Lyonel in herzlicher Liebe verbunden geblieben. Sein stiller, feiner Humor, sein liebevolles Verständnis für die Freuden und Bedrängnisse seines Familienkreises, seine bezaubernde, kluge und freundliche Art in der Unterhaltung mit uns und seinen Freunden, die zugleich so demütig und überaus taktvoll war, machten ihn überall beliebt. Sein Leben lang war er der ›Papileo‹, nicht nur für seine Kinder, auch für alle, die ihn kannten.«11

Leider wissen wir nicht allzu viel über Julia, selbst eine junge Künstlerin, als sie 1905 in Lyonels Leben tritt. Julia Lilienfeld wird am 23. November 1880 als Tochter Jeannette (Jenny) Lilienfelds und des Großkaufmanns und Handelsrichters Bernhard Lilienfeld in Berlin in eine wohlhabende Familie hineingeboren. Ihre Eltern, eigentlich jüdischer Abstammung, sind zum Christentum übergetreten. Jenny gehört zur Familie Zuntz, die seit dem frühen 19. Jahrhundert in Bonn eine angesehene Kaffeerösterei mit Zweigstellen in mehreren Städten betreibt. Bernhard leitet die Berliner Niederlassung. Julia zeigt früh künstlerische Begabung und besucht mit sechzehn Jahren ein »Damenatelier«, wo jungen Frauen die Grundlagen der bildenden Kunst vermittelt werden. 1900 nimmt sie für ein Jahr am Unterricht von Martin Brandenburg, einem Künstler der Berliner Secession, im »Verein der Berliner Künstlerinnen« teil, wo sich fünf Jahre vorher schon Käthe Kollwitz ausbilden ließ. 1903 heiratet Julia den Arzt Walter Berg. Als dessen Frau ist sie nicht auf einen eigenen Beruf angewiesen. Aber ein solches Leben genügt ihr anscheinend nicht, und so entschließt sie sich 1905, an der renommierten Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar zu studieren, die 1895 auch für Frauen geöffnet worden war. Sie gibt Lyonel in dieser Zeit wichtige künstlerische Impulse, stellt jedoch, als sie eine Familie gründen, ihr eigenes künstlerisches Schaffen mehr und mehr zurück, auch um sich mit Lyonels zunehmendem Erfolg um die Organisation von dessen geschäftlichen Angelegenheiten zu kümmern.

Lyonel Feininger kommt am 17. Juli 1871 in New York auf die Welt. Seine Eltern sind angesehene deutsch-amerikanische Musiker, die Pianistin und Sängerin Elizabeth Feininger und der Konzertgeiger und Komponist Karl (später Charles). 1873 und 1876 werden Lyonels Schwestern Helen und Elsa geboren. Als Kind genießt er die Musik, die von den Proben der Eltern zu ihm herüberdringt. Vom Vater wird er im Violinspiel angeleitet und als Halbwüchsiger tritt er bereits in Kammerkonzerten auf. Aber als er sich 1880 mit Francis Kortheuer aus der Nachbarschaft befreundet, erhält er von dessen Tante, einer Malerin, auch Zeichenunterricht. Mit Francis zusammen baut er Modell-Lokomotiven und -Schiffe. Letztere erproben die Jungen auf dem See im Central Park.

Der Vater unternimmt 1886 eine Konzertreise nach Deutschland, die Mutter begleitet ihn. 1887, sechzehnjährig, reist Lyonel den Eltern nach, die zu der Zeit in Berlin in der »Pension Müller«, Unter den Linden 16, wohnen. Ursprünglich sollte er nach dem Willen des Vaters wie dieser einst in Leipzig ein Violinstudium aufnehmen, doch mit Erlaubnis der Eltern besucht er stattdessen den Zeichenunterricht an der Allgemeinen Gewerbeschule in Hamburg.

1888 zieht er nach Berlin und wohnt zur Untermiete am Lützowplatz 6, um sich auf die Aufnahmeprüfung der Königlichen Akademie Berlin vorzubereiten, die er Anfang Oktober besteht. Die Eltern trennen sich 1889 und der Vater kehrt allein nach New York zurück. Lyonel zieht in die »Pension Müller« und teilt sich dort ein Zimmer mit dem Organisten Fred Werner, der ihm die Fugen Johann Sebastian Bachs nahebringt. Auch Lyonels Schwestern Helen und Elsa kommen nach Berlin. Um einem Freund, der finanziell in der Klemme steckt, zu helfen, verkauft der junge Lyonel eine Uhr. Als Strafe dafür schickt ihn der Vater im September nach Lüttich in das Collège Saint-Servais der Jesuiten.

Lyonel kehrt 1891 nach Berlin zurück, studiert ab Oktober weiter an der Berliner Kunstakademie und wohnt mit Fred Werner nun in der Köthener Straße 2. Erstmals verbringt er den Sommer auf Rügen, was in den nächsten Jahren sein bevorzugter Ferienaufenthalt wird. 1892 verlässt er die Akademie, da er mit den dortigen Lehrmethoden unzufrieden ist, und reist nach Paris, wo er die Académie Colarossi besucht, die zeitgemäßen Unterricht bietet und daher auch viele deutsche Künstler anzieht. Nach seiner Rückkehr nach Berlin im Mai 1893 wohnt er bei der Mutter, die inzwischen in die Schillstraße 16 gezogen ist. Anschließend wohnt Lyonel in der Courbierestraße 12. Seit mehreren Jahren veröffentlicht er bereits Karikaturen in Zeitschriften, und er versucht sich nun als freier Karikaturist.

1895 werden die Eltern geschieden. Lyonel zieht im folgenden Jahr zu seiner Schwester Helen und ihrem Mann Arthur Berson, einem Meteorologen und kühnen Ballonfahrer, in die Albastraße 16 in Friedenau. Nachdem beide Schwestern im November 1898 und im Januar 1899 an Tuberkulose gestorben sind, zieht Lyonel wieder zu seiner Mutter, nun in die Fasanenstraße 48.

Lyonel Feininger wird schnell einer der gefragtesten Karikaturisten Deutschlands. Von 1896 bis 1914 arbeitet er unter anderem für die bekannte Zeitschrift »Lustige Blätter« und für ein Jahr hat er eine feste Anstellung bei der ebenso prominenten Zeitschrift »Ulk«. In seinem künstlerischen Umfeld lernt er den jungen Maler und Illustrator Edmund Fürst kennen, dessen Schwester Clara, eine Pianistin, er 1901 heiratet. Sie ziehen nach Wilmersdorf, in die Ringbahnstraße 16. Im selben Jahr wird die Tochter Lore und 1902 Marianne geboren.

Lyonel ist mit seiner Tätigkeit als Karikaturist unzufrieden, weil die Redaktionen weitgehend vorschreiben, was er zu zeichnen hat. Er sehnt sich danach, frei seinen eigenen künstlerischen Intentionen folgen zu können. Und mit Julia Berg lernt er einen Menschen kennen, der ihn auf diesem Weg kritisch unterstützt und an seine Begabung dazu glaubt.

11Lore Feininger: »Aus der Werkstatt Vater Lyonels«, Berlin 1957.



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