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Kapitel 1
ОглавлениеAllein und einsam sitze ich im Flugzeug von Philadelphia nach Mexiko Stadt und denke über die letzten Monate meines Lebens nach, wobei mein dreißigster Geburtstag vor zwei Tagen völlig unspektakulär vorübergegangen ist.
Den Nachmittag habe ich mit meiner Familie verbracht, doch am Abend habe ich meine Reisetasche gepackt, die mich nach Palenque in Mexiko begleiten soll.
Dass dieser Flug letztendlich mein ganzes Leben völlig auf den Kopf stellt, ahne ich zu diesem Zeitpunkt nicht im Entferntesten.
Palenque ist mir archäologisch völlig unbekannt, denn ich hatte bisher ausschließlich in Ägypten gearbeitet.
Vor vier Monaten habe ich meine Lebensgefährtin Faith aus meiner Wohnung geschmissen, weil sie mich ständig mit anderen Männern betrog und mich laufend hintergangen hat.
Es hat verdammt wehgetan sie hinauszuwerfen, aber ich konnte einfach nicht mehr.
Der ständige Betrug und vor allem die Streiterei darum, hat noch mehr wehgetan als der Umstand, dass sie plötzlich von heute auf morgen nicht mehr da war.
Obwohl ich einmal dachte, sie wäre die Liebe meines Lebens und die Frau, die ich einmal heiraten und vielleicht sogar Kinder mit ihr haben werde.
So schnell kann ein Traum zu Ende gehen und das Leben muss sich plötzlich einen neuen anderen Weg suchen, damit man vielleicht eines Tages wieder glücklich sein kann.
Doch davon bin ich im Moment ziemlich weit entfernt.
Ich ging also weiterhin meiner Arbeit als Dozent für ägyptische Geschichte an der University of Pennsylvania in Philadelphia nach.
Das ist die gleiche Universität, an der ich fünf Jahre lang Archäologie und Anthropologie studiert hatte.
Nach dem Studium war ich zunächst einige Jahre in Ägypten bei verschiedenen Ausgrabungsstätten tätig, bis mir die Universität die Beschäftigung als Dozent anbot.
Ich nahm die Stelle dankbar an, weil mich der staubige Job im Wüstensand, im Tal der Toten und nach einer leidigen Geschichte mit der Presse nach drei Jahren doch ziemlich mitgenommen hatte.
Letzte Woche jedoch sprach mich Professor Collins völlig unerwartet darauf an, ob ich nicht wieder einmal Lust hätte eine archäologische Stätte zu untersuchen?
Ein gewisser Mr. Lázló Dunaway, millionenschwerer Finanzmagnat und Börsenmakler aus New York hätte ihn darauf angesprochen, ob er nicht einen Archäologen kenne, der zwar fleißig aber sehr diskret sei.
Er suche einen Archäologen für Palenque in Mexiko, wofür er eine Grabungsgenehmigung hätte.
Ich war zunächst sehr erstaunt darüber, dass Collins gerade auf mich kam, ausgerechnet bei dem Thema Mittelamerika, das noch nie mein Wirkungskreis war.
Immerhin hatte ich mich auf Ägypten spezialisiert und von den mittelamerikanischen Kulturen bei meinem Studium nur am Rande etwas aufgeschnappt.
Aber Collins hatte das Dilemma mit Faith mitbekommen und meinte, eine kleine Abwechslung täte mir ganz gut und ich könne jederzeit wieder als Dozent an die Universität zurückkommen, wenn ich gar nicht mit dem Thema klar käme…
Gut! Habe ich mir gedacht, warum eigentlich nicht, wieder einmal heraus aus dem tristen Philadelphia in ein etwas wärmeres Klima und vor allem weit weg von Faith.
Nach nicht allzu langem Überlegen habe ich dann neugierig geworden, begeistert zugesagt.
Die letzte Woche habe ich hauptsächlich damit zugebracht, mich über die mittelamerikanischen Kulturen und vor allem über Palenque zu informieren und mich möglichst schlau zu machen.
Dabei mir fiel auf, dass dieses Thema mindestens genauso interessant ist wie Ägypten, wenn nicht sogar noch mehr.
Warum ist mir das bisher noch nie aufgefallen?
Meine Passion war bis jetzt immer nur das alte Ägypten mit seinen Pharaonen und ich habe gar nicht gesehen, dass es sogar Parallelen zu Mittelamerika gibt.
Jetzt werde ich mich wohl oder übel sowieso weiter damit beschäftigen müssen, vor allem wenn es um die Schriftzeichen der Maya geht, welche mir im Moment noch völlig fremd sind.
Dabei fällt mir gerade so ein, dass ich es versäumt habe, mich gleichzeitig über meinen neuen Arbeitgeber Mr. Dunaway zu informieren oder ihn wenigstens im Internet zu recherchieren.
Nachdem Collins aber meinte, Mr. Dunaway mache einen sehr seriösen Eindruck und da er sogar eine Grabungserlaubnis für den Tempel der Inschriften hat, welche mit großer Wahrscheinlichkeit nicht jeder bekommt, hielt ich das erst einmal nicht für so wichtig.
Ich werde mich einfach überraschen lassen.
Nach der Landung in Mexiko-Stadt geht es erst einmal weiter nach Villahermosa im mexikanischen Bundesstaat Tabasco.
Von dort aus geht es weiter nach Palenque im Landesteil Chiapas, mit einer kleinen privaten Cessna Caravan Propellermaschine, die für höchstens zwei Piloten und sechs Passagiere ausgerichtet ist.
Heute bin ich allerdings der einzige Passagier und wir fliegen Richtung Südost Palenque Stadt entgegen, das inzwischen einen eigenen kleinen Flughafen besitzt und schon fast an der Grenze zu Guatemala liegt.
Dort wartet man bereits auf mich, weit weg von den Badestränden Mexikos und das Ziel liegt ziemlich weit im Inland und mitten im Regenwald Mexikos.
Mr. Dunaway wollte mich vom Flughafen abholen und ich hoffe er ist pünktlich, denn der lange Flug war ziemlich anstrengend und ich freue mich auf ein kleines Dinner und vor allem auf ein Bett oder wenigstens auf einen einigermaßen bequemen Schlafplatz.
Mein Tag begann ziemlich früh damit, dass ich meiner sehr netten Nachbarin Mrs. White erst einmal erklären musste, wohin sie meine Post nachsenden soll und ihr dann meinen Wohnungsschlüssel überlassen habe, damit sie meine … naja eher die Pflanzen von Faith, gießen kann.
Sie soll sich auch nach dem Gefrierschrank, der Heizung und allem anderen umschauen, damit nicht irgendwann, das Wasser einen Stock tiefer läuft, wenn es im Winter kalt wird.
Ich werde meine Wohnung wohl ein paar Monate nicht mehr sehen, aber im Moment wo es in Philadelphia Mitte Oktober bereits ungewöhnlich kalt ist, bin ich gar nicht so böse darum.
Danach war ich noch kurz in der Universität und habe meinen Schreibtisch leer geräumt, wobei ich zeitgleich meine Eltern telefonisch darüber informierte, dass ich wahrscheinlich die nächsten Monate in Mexiko zubringen werde.
Meine Mutter war gar nicht begeistert, sie meinte nur warum ich mir das wieder antun wolle im Staub der Zeit herum zu kratzen.
Ich hätte doch einen wunderbaren bequemen Job als Dozent und die Gefahren in Mexiko mit den dort herrschenden Drogenkriegen wären ja auch nicht zu unterschätzen.
Ich konnte sie aber damit beruhigen, dass es in Chiapas nicht ganz so schlimm wäre mit den Drogenbanden, wie in anderen Teilen Mexikos und wir ja abgeschottet im Regenwald arbeiten.
Außerdem habe ich jetzt wieder einmal richtig Lust, vor Ort an den Objekten zu arbeiten und mich das Thema Mittelamerika archäologisch inzwischen sehr interessiert.
Damit hat sie mir dann endlich ihren Segen gegeben und mir viel Glück gewünscht.
Die Sonne nähert sich dem Horizont und geht relativ rasch in einen tiefroten Farbton über.
Der Abend naht und ich weiß in den Tropen ist es dann sehr schnell Nacht, deshalb bin ich froh, dass der Pilot Mr. Cooper endlich in den Sinkflug übergeht und zur Landung ansetzt.
Mr. Cooper ist ein etwa achtundfünfzigjähriger Mann mit inzwischen ergrautem zerzaustem Haupthaar und ebenso grauem kurzem Bart.
Das Gesicht ist von der Sonne gebräunt und er trägt eine Sonnenbrille in der typischen Pilotenform.
Seine Gestalt ist hochgewachsen und schlank, er sieht jedoch so aus, als hätte er sein ganzes Leben im Regenwald verbracht.
Sehr gesprächig ist er während des Fluges jedenfalls nicht, deshalb gehen mir ja so viele Dinge durch den Kopf.
Wir setzen butterweich auf dem Boden auf und Mr. Cooper lässt die Maschine ausrollen, woraufhin ich den Sicherheitsgurt löse, mir meine Reisetasche und meinen Laptop schnappe und zum Ausgang gehe.
Mr. Cooper öffnet die Tür und hängt eine kleine Metalltreppe ein, welche ich hinuntersteige und im Augenwinkel sehe ich, dass ein sportlich elegant gekleideter Herr auf mich zukommt, vermutlich Mr. Dunaway!
„Mr. Bolder, ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen!“
Der etwa fünfundfünfzigjährige Herr reicht mir freundlich die Hand.
„Ich bin Lázló Dunaway, ihr Auftraggeber! Herzlich willkommen in Mexiko!“
Der sehr schlanke, feingliedrige und etwas größere Mann als ich, trägt eine beigefarbene Flanellhose, ein dunkelblaues Hemd dessen Ärmel er bis zum Ellenbogen hochgekrempelt hat und darüber einen hellblauen, ärmellosen V-Pullunder.
„Oh, Mr. Dunaway! Guten Abend! Die Freude ist ganz meinerseits, ich war schon sehr gespannt darauf Sie kennenzulernen!“
Der Mann hat für sein Alter noch erstaunlich schwarzes, kurz geschnittenes Haar und ich kann nicht ein einziges graues Haar entdecken.
Mr. Dunaway blickt mich aus dunkelgrünen Augen an, in denen ein seltsames Glitzern liegt!
Er ist etwa einen Meter fünfundachtzig groß und seine Haut ist tief gebräunt, ob von der Sonne oder ob sie von Natur aus so braun ist kann ich nicht ausmachen.
Denn wenn er nicht so groß wäre und ich es nicht besser wüsste, dass er Amerikaner ist könnte man ihn glatt für einen Indio halten.
„Kommen Sie Mr. Bolder, beeilen wir uns, dass wir zur Ausgrabungsstätte kommen, die Sonne ist schon so gut wie untergegangen und wenn wir uns nicht beeilen ist es stockdunkle Nacht!
Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass Sie sicher sehr müde sind und vielleicht noch einen Happen essen wollen.
Unser Koch Miguel hat für Sie extra etwas übrig gelassen.“
Gemeinsam machen wir uns auf dem Weg zu seinem Jeep Wrangler Black Edition, welchen wir sogleich erreichen.
„Das ist aber sehr nett von Miguel, ich habe tatsächlich Hunger. Der kleine Bissen im Flugzeug reicht ja gerade einmal aus um den Appetit anzuregen.“ sage ich verhalten schmunzelnd.
„Sie haben Humor Mr. Bolder! Das gefällt mir!“
Mr. Dunaway grinst mich an, während er sich auf den Fahrersitz zwängt und ich werfe meine Reisetasche auf den Rücksitz.
Daraufhin schwinge ich mich auf den Beifahrersitz und nehme meinen Laptop auf den Schoß, währenddessen Mr. Dunaway auf eine Straße in südwestliche Richtung einbiegt.
„Die Strecke zwischen dem Flughafen und den Ausgrabungsstätten beträgt nur circa acht Kilometer, wir werden also in etwa zehn Minuten da sein.
Haben Sie schon einmal Ausgrabungen in Mittelamerika betrieben Mr. Bolder?“ fragt mich Mr. Dunaway neugierig.
„Nein Sir, bisher war ich nur in Ägypten tätig! Ich habe mich aber die ganze letzte Woche eingehend informiert und ich denke, ich kann mich auch in dieses Metier einarbeiten.
Die Methoden von Ausgrabungen sind ja schließlich immer gleich. Nur die zeitliche Bestimmung von Funden, ihre Bedeutung und ihren Wert einzuschätzen, werde ich noch lernen müssen.
Aber ich denke, das bekomme ich mit der Fachliteratur die ich teilweise dabei habe und anderweitig auf meinem Laptop gespeichert habe, schon hin.
Nur das mit der Schrift der Maya und ihrer Bedeutung macht mir noch etwas Kopfzerbrechen. Wie ich gelesen habe, ist sie bis heute noch immer nicht hundertprozentig entziffert!“ antworte ich und lege meine Stirn in Falten.
„Darüber brauchen Sie sich keinen Kopf machen, ich kenne mich da hervorragend aus. Ich bin zwar kein gelernter Archäologe, beschäftige mich aber schon seit Jahrzehnten damit und kann Wertvolles durchaus von Schund oder Fälschungen sehr gut unterscheiden.
Auch wegen den Schriftzeichen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich habe da jemanden in London, der sie entziffert. Wir müssen Miss Spencer nur gute Bilder zu mailen … und Sie Mr. Bolder müssen einfach nur etwas finden, das ist alles!“
Mr. Dunaway schmunzelt in sich hinein und ich staune über so viel Selbstbewusstsein.
Sagte Collins nicht, der Mann wäre Finanzmagnat und Börsenmakler?
„Miss Spencer? In London? Warum haben Sie sie dann nicht auch hierher geholt?” frage ich überrascht.
„Weil sie zwar eine hervorragende Kennerin der Mayasprache und deren Schriftzeichen ist, aber von Ausgrabungen keine Ahnung hat und auch nicht im feuchten Urwald im Dreck buddeln will.
Die Großstadt ist ihr lieber, sie neigt eher dazu in einem Büro oder in einem Labor zu arbeiten. Zudem habe ich die Auflage erhalten einen ausgebildeten Archäologen zu beschäftigen, um die Grabungsgenehmigung zu erhalten.“
„Aha! Na, dann hoffe ich, dass wir bald etwas finden!“ ich mache enttäuscht eine kurze Pause.
„Darf ich Sie noch etwas fragen, Sir!“
„Natürlich, was immer sie wissen wollen.“
Mr. Dunaway lächelt mich von der Seite an.
„Wenn Sie hier in Mexiko sind, wer macht dann eigentlich ihre Börsengeschäfte?“
Er lacht kurz laut auf und grinst mich wieder an.
„Ich glaube, darüber brauchen Sie sich wirklich keine Gedanken zu machen Mr. Bolder, das Geld für die Ausgrabung wird schon nicht ausgehen.“ schüttelt er belustigt mit dem Kopf.
„Nein, ich habe eine eigene Firma, die sich nur mit Börsengeschäften beschäftigt und durchaus einige fähige Mitarbeiter, die meine Arbeit während meiner Abwesenheit ganz gut erledigen.
Außerdem habe ich hier über das Internet Kontakt zu ihnen und kann jederzeit eingreifen, wenn mir etwas nicht passt.
Obwohl die Verbindung erst so richtig funktioniert, seitdem ich vor zwei Wochen einen eigenen Sendemast neben dem Ausgräbercamp habe errichten lassen.“ erneut wirft er mir schmunzelnd einen Seitenblick zu, während ich nach vorne blickend die Lichter von Gaslaternen entdecke und daneben einige Zelte, die für solche Ausgrabungsstätten typisch sind.
Mir graut nun plötzlich bei dem Gedanken an die harten Pritschen, die meistens zum Schlafen darin stehen, was mir gerade eben erst wieder einfällt, wo ich die Zelte sehe.
Allein schon wegen der unbequemen Holzliege bereue ich nun fast meinen Entschluss hierhergekommen zu sein.
Daran hatte ich in der ersten Euphorie gar nicht gedacht und ich bedauere schon jetzt meinen Rücken.
„Tut mir leid, dass wir das mit dem elektrischen Strom noch nicht ganz im Griff haben, aber das wird in den nächsten Tagen auch noch gemacht.
Ich hoffe, Sie kommen noch ein paar Abende auch mit Gaslampen aus. Die Sache mit dem Strom funktioniert im Moment nur ein paar Stunden am Tag, aber die Leitung von Palenque Stadt wird gerade verlegt und das dauert leider noch ein paar Tage.
Die Indios arbeiten leider nicht so schnell, wie wir das aus den USA gewohnt sind.“ sagt Mr. Dunaway bedauernd.
Damit stoppt er den Jeep ein Stück weg von den Zelten und macht den Motor aus.
Inzwischen ist es schon ziemlich schummrig geworden und ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell es in diesen Breitengraden dunkel werden kann.
Somit kann ich von den Schönheiten Palenques kaum noch etwas erkennen, aber ich freue mich schon auf morgen früh um sie alle in Augenschein zu nehmen.
„Ach, das macht mir nichts aus, in Ägypten musste ich manchmal monatelang ohne Strom auskommen … beziehungsweise in manchen Gräbern mit einem Generator arbeiten. Es ist mir also nicht unbekannt.“ versuche ich zu lächeln, doch ich glaube es misslingt mir entsetzlich.
Zum Glück ist es schon so dunkel, dass Mr. Dunaway es nicht mehr sieht.
Wir steigen beide aus dem Jeep und ich nehme meinen Laptop in die linke Hand, während ich gleichzeitig meine Reisetasche vom Rücksitz hangle.
Mr. Dunaway wendet sich dem Küchenzelt zu, wohin ich ihm ohne zu Zögern folge, denn mein Magen meldet sich inzwischen mit lautem Knurren.
„Miguel?“ ruft Mr. Dunaway in das Zelt.
“Bist du da?”
„Si, Señor Dunaway, Miguel ya esta aqui! Essen auch gleich warm, un momento, Señor, sofort fertig! Kein Problem! Bitte setzen einstweilen!“
Der Koch, ein nicht sehr groß gewachsener, etwas rundlicher Mann mit pechschwarzen kurzen Haaren und verschwitztem Gesicht beginnt unruhig hin und her zu laufen und den Gaskocher anzumachen.
Sein spanischer Dialekt ist unüberhörbar und ich schmunzle unvermittelt, denn ich muss unweigerlich an das Kauderwelsch denken, das die ägyptischen Arbeiter immer an den Tag legten und das Gemisch aus Englisch und Spanisch hört sich fast genauso an.
Ich lasse meine Reisetasche in der Nähe des Eingangs fallen, setze mich auf einen Hocker vor einem Klapptisch auf dem ich meinen Laptop platziere und klappe ihn auf um meine E-Mails zu checken … eine schlechte Angewohnheit von mir.
Zum Glück ist mein Akku voll aufgeladen und ich hatte mir vorsichtshalber noch einen WLAN-Stick besorgt, das dürfte mit dem Sendemast eigentlich kein Problem sein.
Mr. Dunaway setzt sich mir gegenüber und betrachtet mich interessiert.
„Oh, entschuldigen Sie Mr. Dunaway, ich bin es nur gewohnt, abends meine E-Mails abzurufen oder sollte ich das hier lieber lassen?“ verunsichert blicke ich in sein amüsiertes Gesicht.
„Nein, natürlich nicht, machen sie ruhig weiter, der Sendemast erledigt seine Arbeit ja inzwischen. Sie müssen nur morgen früh ihren Akku wieder aufladen, wenn wir wieder für ein paar Stunden Strom haben, sonst sitzen Sie morgen Abend auf dem Trockenen.“ grinst er mich schelmisch an.
„Ach ja, mit den Mobile Phones ist das auch so eine Sache! Wir haben hier keinen geeigneten Roaming-Partner, der sie unterstützt. Deshalb gehen sie meistens überhaupt nicht im Gegensatz zu den Laptops, die funktionieren hervorragend.“
„Oh, Entschuldigung, ich glaube ich muss mich an das Campleben erst wieder gewöhnen! Es ist doch schon fast zwei Jahre her und man lernt das Angenehme einer Großstadt nur allzu schnell zu schätzen. Nur einen Moment noch bitte.“
Ich gehe auf ‚E-Mail abholen’ und es erscheinen einige Werbemails, die ich sofort lösche und nur eine einzige interessante Mail bleibt übrig, welche ich abhole und von meiner Mutter stammt.
Ich beschließe jedoch spontan sie mir später anzusehen, wenn ich alleine bin, also fahre ich den Laptop wieder herunter und klappe ihn mit den Worten zu.
„Nichts Interessantes dabei, nur eine Mail von meiner Mutter, die kann ich später auch noch lesen! Ich möchte Ihnen gegenüber nicht unhöflich erscheinen. Entschuldigen Sie bitte Mr. Dunaway!“
Dieser grinst mich immer noch amüsiert an und macht eine offene Handbewegung.
„Mr. Bolder, Sie können die Mail ruhig lesen, ich empfinde das nicht als unhöflich!
Ich stelle nur die erste Gemeinsamkeit zwischen uns beiden fest, ich bin auch ein Mensch, der bei jeder Gelegenheit seinen Laptop aufklappt und irgendetwas nachschaut.
Wie zum Beispiel die Börsennachrichten und ähnliches oder ebenfalls meine Mails durchsehe ohne auf die Umstände zu achten, die gerade um mich herum herrschen.“
Miguel stellt in dem Moment einen Teller mit Besteck vor mich hin und eine dampfende Pfanne daneben, in der eine Schöpfkelle steckt.
Der Inhalt ist jedoch etwas Undefinierbares aus dicken Bohnen und Maisbrei.
Na wunderbar, das wird ja lustig werden!
Somit fasse ich mir ein Herz und haue mir eine Kelle von diesem fragwürdigen Brei auf den Teller und Miguel bringt noch einen Korb mit frisch gebackenen Maisfladen, den er ebenfalls auf den Tisch stellt.
Verunsichert nehme ich einen Löffel in die Hand und drehe ihn erst einmal gedankenverloren zwischen meinen Fingern hin und her.
„Greifen Sie ruhig zu, das Zeug schmeckt nicht halb so schlecht, wie es aussieht.“ grinst mir Mr. Dunaway mitten ins Gesicht.
Er steht lachend auf und holt sich ebenfalls einen Teller und einen Löffel und ich stecke mir beherzt den ersten Löffel dieses undefinierbaren Etwas in den Mund und beginne zu kauen.
Mr. Dunaway setzt sich wieder mir gegenüber auf den Hocker und ich mache wohl ein gleichzeitig sehr erstauntes und auch komisches Gesicht.
Er fängt an lauthals zu lachen und ich pruste meine Mundfüllung Bohnenbrei fast auf den Teller zurück, weil ich ebenso lachen muss.
Schnell schlucke ich es aber hinunter, weil ich feststelle, so schlecht schmeckt es wirklich nicht. Ein wenig scharf, aber sehr gut und ein hungriger Magen ist für jede feste Nahrung dankbar.
Wir lachen uns beide erst einmal aus und ich beiße ebenso hungrig, wie begierig in das noch warme Maisbrot, welches mir vom ersten Augenblick an hervorragend mundet.
Somit beschließe ich den scharfen Brei mit einem Löffel auf den Maisfladen zu laden, in der Hoffnung, dass er dann nicht mehr ganz so pikant ist um das Ganze mit den Händen zu essen, wobei Mr. Dunaway es mir gleich tut.
„Mr. Bolder, Sie gefallen mir! Ich glaube, ich hatte den gleichen Gesichtsausdruck wie Sie gerade eben, als ich den seltsamen Brei von Miguel zum ersten Mal essen musste und ich habe es genauso wie Sie gemacht und ihn mir auf das Fladenbrot geschaufelt.
Das ist unvergleichlich besser und dann ist es auch nicht so scharf, obwohl ich Miguel immer wieder versuche beizubringen mit dem Tabasco und dem Chili etwas zu sparen, vor allem wenn wir Amerikaner auch mit essen.
Denn die Indios hier essen ja noch schärfer, da kommt man sich manchmal vor wie ein Feuerspucker, wenn man zu viel davon erwischt!“
Wieder lachen wir beide aus vollem Hals!
Nie hätte ich gedacht, dass ich mich mit meinem neuen Arbeitgeber so gut verstehen würde, aber das ist ein guter Anfang für die nächsten Wochen und Monate, die mir hier im Regenwald bevorstehen.
Miguel stellt inzwischen ein Krug mit einer trüben Flüssigkeit vor uns hin mit zwei Gläsern und Mr. Dunaway meint interessiert „Haben Sie schon einmal Chicha getrunken, Mr. Bolder?“
„Chicha? Mr. Dunaway?“ frage ich erstaunt, denn ich habe kein Ahnung wovon er spricht.
„Chicha ist Mais-Bier, es stammt ursprünglich aus Südamerika, aber Miguel, macht es selbst und es schmeckt hervorragend zum Essen. Miguel ist ein Meister in seiner Herstellung. Probieren Sie es einfach und Sie fühlen sich danach bestimmt viel besser.“
Mr. Dunaway schenkt mein Glas voll und ich finde immer noch, dass es sehr seltsam aussieht. Eher wie Bier in das man Milch gegossen hat, aber ich setze das Glas dennoch an Lippen, denn das sehr pikante Essen macht durstig und ich lasse die ungewöhnliche kühle Flüssigkeit langsam meine Kehle hinunter rinnen.
„Hm, ich bin überrascht! Das schmeckt wirklich gut, aber ich habe das Gefühl, dass es auch ganz schön viel Alkohol in sich hat!“ äußere ich bedenkend, als ich merke dass mir das verdammte Scheißzeug sofort zu Kopf in steigt.
„Ja, das hat es. Ich schätze, es hat so etwa sechs Prozent. Man sollte vorsichtig damit sein.“ lächelt mir Mr. Dunaway schelmisch ins Gesicht und ich bemerke erneut das Glitzern in seinen dunkelgrünen Augen.
„Woraus besteht denn dieser ungewöhnliche Zaubertrank?“ will ich von ihm wissen.
„Wollen Sie das wirklich wissen Mr. Bolder?“ das Glitzern in seine Augen verstärkt sich und ich bemerke ein verschmitztes Zucken um seine Mundwinkel.
„Ja, natürlich möchte ich gerne wissen was ich trinke!“ erwidere ich ungerührt.
„Nun ja, es wird vor allem aus gekeimten Mais hergestellt und aus gebackenen Maisfladen, die meistens von Frauen durchgekaut werden, also mit viel Speichel versetzt werden.
Die Stärke aus den Fladen wird durch die im Speichel vorhandenen Enzyme in Zucker verwandelt, was die Masse sehr schnell gären lässt und am Ende daraus dieses wunderbare Getränk entstehen lässt.“ erneut grinst er mir mitten ins Gesicht.
Ich stelle das Glas zunächst angewidert auf den Tisch zurück und schlucke erst einmal schwer.
„Sie müssen sich nicht ekeln Mr. Bolder. Von dem Speichel ist durch den Gärungsprozess inzwischen nichts mehr vorhanden.“ stellt er fest und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Glas.
„Ich musste mich auch erst an den Gedanken gewöhnen, aber das Zeug schmeckt einfach hervorragend.“ er prostet mir zu und mir bleibt gar nichts anderes übrig als zurückzuprosten und erneut einen Schluck aus meinem Glas zu nehmen.
Schon nach dem halben Glas Chicha merke ich die Wirkung des Alkohols, an den ich eigentlich gar nicht gewöhnt bin, weil ich in der Regel so etwas nicht trinke.
Doch das Ekelgefühl lässt wenigstens allmählich nach.
Das Chicha schmeckt tatsächlich gar nicht so schlecht und ich beiße erneut in meinen Maisfladen mit dem seltsamen Bohnenbrei.
Nach weiteren drei Kellen dicken Bohnen mit dem undefinierbarem Drumherum, vier köstlichen Maisfladen und ganzen drei Gläsern Chicha, scheine ich fast wie auf Wolken zu schweben.
Ich habe langsam das Gefühl, statt in Mexiko eher im Himmel angekommen zu sein.
„Ich glaube, Mr. Dunaway, entschuldigen Sie bitte, aber ich glaube, ich sollte mich auf meine Pritsche zurückziehen, damit ich morgen früh einigermaßen meinen Chicha-Schwips ausgeschlafen habe.“ murmle ich und fahre mir mit der linken Hand durch die Haare.
„Das ist mir jetzt sehr peinlich, Sir! Ich trinke normalerweise keinen Alkohol, aber Ihr Chicha…? Das ist einfach zu viel für mich!“ ende ich leise und ich fürchte, dass ich jetzt einen etwas dümmlichen Gesichtsausdruck mache, aber ich kann ihn selbst wenn ich wollte nicht ändern.
Mr. Dunaway lächelt mich süffisant an.
„Ich bringe Sie gerne zu Ihrem Bett Mr. Bolder! Ach und morgen haben Sie übrigens noch frei, damit Sie sich alles genauestens ansehen können. Kommen Sie!“ sagt er gnädig und steht auf, woraufhin er mit einer Hand zum Zeltausgang zeigt.
Ich versuche sehr langsam aufzustehen, damit mir der jetzt sehr spürbare Alkohol keinen Strich durch die Rechnung macht und ich merke, dass mir trotzdem etwas schwindelig dabei wird.
Aus den Augenwinkeln erkenne ich wie Mr. Dunaway meine Reisetasche am Eingang vom Boden aufhebt und das Zelt verlässt.
Somit folge ich ihm mit unsicheren Schritten und klemme mir meinen Laptop unter den Arm, wobei er mir noch eine Gaslaterne in die Hand drückt und sich selbst auch eine schnappt.
Er führt mich ein Stück weg von den kleinen Schlafzelten, die für die Arbeiter errichtet wurden und in die man in der Regel zum Schlafen nur kriechen kann.
Er lotst mich jedoch auf drei etwas größere Hauszelte zu, wo wir vor einem davon stehen bleiben.
„Das ist ihr Zelt! Ich denke, Sie schaffen es noch alleine ins Bett! Sehe ich das richtig?“ schaut er mich fragend von der Seite an.
Die frische Nachtluft hat mir gut getan und mich wieder etwas wach gemacht, obwohl mir immer noch etwas schwummerig ist.
„Ja, natürlich, das schaffe ich schon noch, trotz Ihres Chicha. Vielen Dank für alles!“
Ich nehme ihm meine Reisetasche ab und öffne den Eingang zum Zelt.
„Ach, Mr. Bolder…“ ruft mir Mr. Dunaway hinterher und wendet sich bereits zum Gehen.
„Sie sollten sorgsam darauf achten, dass das Fliegengitter gut geschlossen ist, sonst belagern Sie die Stechmücken und die können hier sehr unangenehm sein!
Schlafen Sie gut, Gute Nacht!“ er dreht sich um und geht nicht auf das Zelt neben mir zu, sondern auf das daneben, wer wohl in dem Zelt zwischen uns schläft?
Naja, vielleicht, werde ich es ja morgen erfahren.
Somit schmeiße ich meine Reisetasche in das Zelt und betrete es, woraufhin ich meinen Laptop auf dem Tisch ablege, der gleich neben dem Eingang steht.
Ich hänge die Gaslaterne an den Haken, der an der Decke inmitten des Zeltes angebracht ist und stelle erstaunt fest, dass das Zelt nicht nur eine einfache Pritsche enthält, welche in Ausgräberstätten üblich sind.
Es befindet sich sogar ein richtiges altmodisches Metallbett mit Matratze und dünner Zudecke darin.
Mein Rücken macht in dem Moment gedanklich einen Dreifachsalto, sollte das etwa eine Ausgrabung ohne Rückenschmerzen werden?
Ich fühle mich im Moment wie im siebten Himmel, beherzige den Tipp von Mr. Dunaway und mache den Eingang mit dem Fliegengitter sorgfältig zu.
Nachdem ich mich von meinen verschwitzten Klamotten bis auf meine Shorts befreit habe, schnappe ich mir meinen Laptop und lasse mich auf das sehr bequeme Bett fallen.
Sehr gespannt darauf was meine Mutter von mir will, denn so schnell nach meiner Abreise hat sie mir noch nie eine Mail geschickt.
Ich fahre den Laptop hoch, bis er mir nach einer halben Ewigkeit mit einem „Ping“ meine Mails anzeigt, so schnell wie die Leitung in Philadelphia scheint der Sendemast leider doch nicht zu sein.
Absenderadresse: Laura Bolder
Datum: 13. Oktober 2014 EDT 4.31 p.m.
Empfänger: Matt Bolder
Betreff: Hurrikan braut sich zusammen!
Mein geliebter Sohn, Matt!
bitte entschuldige, dass ich dir jetzt schon schreibe. Wahrscheinlich befindest du dich jetzt noch in der Luft, aber in den Nachrichten sehe ich gerade, dass sich in der Karibik ein Hurrikan zusammenbraut, der vermutlich auf die Küste von Mexiko Kurs nimmt.
Bitte nimm‘ dich in Acht, ich habe solche Angst um dich, dass dir etwas passiert, denn mit so einem Hurrikan ist nicht zu spaßen und ich hoffe du erreichst möglichst bald sicheren Boden.
Deine dich liebende Mum Laura
Ach Mummy! Du und deine Fürsorge, als wäre ich noch ein kleines Kind! Ich schreibe also schnell zurück, damit sie sich nicht unnötig sorgt:
Absenderadresse: Matt Bolder
Datum: 13. Oktober 2014 UTC 9.13 p.m.
Empfänger: Laura Bolder
Betreff: Hurrikan braut sich zusammen? Merke nichts davon!
Meine liebste Mum,
bitte entschuldige, dass ich erst jetzt zurück schreiben kann. Es dauerte fast bis Sonnenuntergang, als wir das Camp endlich erreichten und dann habe ich mit Mr. Dunaway ein sehr amüsantes Dinner eingenommen.
Jetzt befinde ich mich im meinem Quartier, das sogar ein richtiges Bett aufweist, es ist also alles in bester Ordnung.
Von einem Hurrikan wurde hier noch gar nicht gesprochen und während des Fluges habe ich auch nichts bemerkt. Außerdem befinden wir uns etwa einhundertfünfzig Kilometer weit weg von der Küste im Regenwald. Ich denke also nicht, dass wir von einem Hurrikan irgendetwas zu befürchten haben.
Bis der uns erreicht, hat er sich mit Sicherheit soweit abgeschwächt, dass wir hier vielleicht nur noch ein laues Lüftchen wahrnehmen.
Mach’ dir bitte nicht so viele Sorgen, ich bin in Sicherheit und kein kleines Kind mehr Mum. Ich bin ein erwachsener Mann, der sich auf seine kommende Arbeit und im Moment noch mehr auf sein Bett freut.
Gute Nacht, Mum!
In Liebe dein Sohn Matt!
Ich fahre den Laptop wieder herunter, lege ihn vor das Bett auf den Boden und kuschle mich in die weichen Kissen.
Ach wie schön!
Kuschelige Kissen und eine wunderbare Matratze, das hätte ich hier im Regenwald nicht erwartet.
Doch bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass die Gaslaterne noch brennt, also erhebe ich mich erneut um sie auszudrehen und taste mich abermals in dieses traumhafte Bett zurück, um selbstzufrieden einzuschlafen.