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1. Kapitel. Der Verzweifelte am Mühlenwehr.

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Es war an einem lauen Frühherbstabend, als ein junger Mann müde und schleppenden Ganges in der Nähe der Grenzstadt M. die Dorfstraße entlang schritt. Matt und müde schlich er dahin, nicht als habe er ein ersehntes Ziel vor sich, dem es gelte, mit allen Kräften zuzustreben, vielmehr wie ein Lebensmüder, für den es überhaupt auf dieser Erde nichts mehr gibt, was des Erstrebens wert wäre. Das schienen auch die Augen zu sagen, deren leerer, fast erloschener Blick die Trostlosigkeit verriet, mit der ihr jugendlicher Besitzer ins Leben schaute.

Eine untersetzte, gedrungene Figur, schien der Jüngling so recht für Strapazen geschaffen. Es musste also wohl eine innere, seelische Qual sein, die seinen Blick so matt und trostlos machte, die seine Körperkräfte völlig gelähmt zu haben schien.

Das zeigte auch eine gewisse Scheu, mit der er Begegnungen auszuweichen suchte, so sehr er wohl der Hilfe der Menschen bedürftig sein mochte.

Jetzt eben stand er vor der Mühle still. Er schien zu überlegen, ob er hier vielleicht bei guten, einfachen Menschen vorsprechen, kurze Rast und Erquickung erbitten solle. Als aber in diesem Augenblick ein junges Mädchen mit einem Korbe am Arm aus dem Hause trat und mit fragendem Blick nach ihm hinschaute, da wandte er schleunigst um und schritt weiter die Straße entlang. — Er konnte nichts sagen.

Plötzlich hemmte der Wanderer den Schritt. Fast erschrocken blieb er stehen.

Da vor ihm rauschte das Mühlenwehr. Brausend schoss die Sturzwelle von oben hernieder, sich gurgelnd und grollend überschlagend, um sofort im schäumenden Gischt sich auflösend, der nächsten Platz zu machen.

Sinnend stand der Jüngling am niederen Brückengeländer, dem Tode da unten zuschauend.

„Da hinunter — sich von den empörten Elementen fortreißen, dahintreiben lassen, unaufhaltsam, bis die Räder der Mühle den Körper erfassen und zermalmen, oder bis er irgendwo angetrieben wird, wo niemand den Unglücklichen kennt. —“

So murmelte er stieren Blickes vor sich hin, kein Auge verwendend von dem Kampfe der Wellen da unten. Es war, als hätten sie es ihm angetan, als riefen und lockten sie:

„Komm herunter! hier findest du Ruhe vor allem Erdenleid.“ —

„Nun wohl! Es sei!“

Fast laut, mit einem jähen Entschluss hatte der junge Mann es gerufen, das Geländer fest umklammernd, um mit einem Sprung unrettbar in der Tiefe zu verschwinden.

Da fühlte er sich plötzlich im Moment des Sprunges mit eisernem Griff an der Schulter gepackt und unerbittlich festgehalten.

„Halt! —!“ donnert eine Stimme ihn an. „Halt, junger Mann! Das wollen wir uns doch noch ein bisschen überlegen“

Tödlich erschrocken fährt der jugendliche Selbstmordkandidat herum und sieht in das bärtige Gesicht eines gutgekleideten Mannes in mittleren Jahren, aus dem ihn ein paar verständnisvoll zwinkernde Augen nicht ohne Teilnahme anschauen.

„Ja, ja! —“ nickt der Fremde einsichtsvoll. „Es kommen einem wohl zuweilen solche Momente.

Aber man lernt das bezwingen mit der Zeit, glauben Sie mir!“

Er fasst dabei beide Hände seines Schützlings und fährt fort, in dem ihm eigenen, fremdartigen Akzent aus ihn einzusprechen.

„Kommen Sie, junger Freund!“ redet er zu. „Kommen Sie mit mir. Es ist nicht gut für Sie, an einem solchen Abend und in solcher Stimmung hier allein zu bleiben.“ Dabei gleitet sein Blick unmerklich über die gefährliche Stelle am Mühlenwehr, als fürchte er einen erneuten Selbstvernichtungsversuch. „Sie werden gewiss hungrig und durstig sein.

Kommen Sie mit nach dem nächsten Gasthof. Ich habe noch nicht zu Abend gegessen. Wir wollen eine Flasche Wein zusammen trinken.

Dann erzählen Sie mir, was Ihnen das Leben verleidet und Sie schon in so jungen Jahren zum Selbstmord treibt.“

„Nein, nein! — Ich kann nicht mitgehen!“ stammelt der Gerettete und sucht sich loszumachen. „Lassen Sie mich! Ich habe —“

Hier verstummte er, über und über rot werdend. Er kann diesem feinen Manne doch unmöglich sagen, dass er nicht einen einzigen Pfennig mehr sein eigen nennt!“

Aber der Fremde errät sein Zögern und weiß seine Verlegenheit zu deuten.

„Natürlich sind Sie mein Gast. Sie dürfen mir das nicht abschlagen“, redet er dringlich auf den Widerstrebenden ein. „Was Sie auch vorhaben mögen — angesichts des soeben Geschehenen kann es nicht so wichtig für Sie sein, als die leibliche Erquickung. Ist erst der Körper gestärkt, dann fasst auch die Seele neuen Mut. Dann erleichtern Sie Ihr Inneres, indem Sie sich mir anvertrauen. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.“

So auf ihn einsprechend, zog er den jungen Mann ohne weiteres mit sich fort, indem er seinen Arm in den des anderen schob.

„Sprechen Sie französisch?“ fragte plötzlich der Ältere, als sie so miteinander dahinschritten.

„Tut nichts!“ entgegnete er, als der Andere verneinte. „Es geht auch so. Besser wäre es freilich gewesen“, fügte er halblaut, wie zu sich selbst sprechend, hinzu.

Der Jüngere horchte interessiert auf.

„Sie haben einen Plan?“ fragte er gespannt.

Aber der Begleiter wehrte ab.

„Später — später!“ sagte er. „Jetzt kommen Sie zu Tische. Wir sind gleich am Ziel, und ich habe einen mächtigen Hunger.“ Der nur noch kurze Weg wurde schweigend zurückgelegt. Sie hatten die Dorfstraße längst hinter sich zurückgelassen und wanderten jetzt durch einsame, aber sauber gehaltene Straßen einer kleinen Stadt, deren freundliche Häuser hell erleuchtet waren. Plötzlich hielt der Führer an einem Gasthofe still. Er schien hier bereits bekannt zu sein, denn ein vor der Tür mit Putzen beschäftigter Hausdiener redete ihn sofort mit seinem Namen in französischer Sprache an, wodurch der junge Mann gewahr wurde, dass sie bereits die Grenze überschritten hatten und sich auf französischem Boden befanden.


„Halt! — !“ donnert eine Stimme ihn an. „Halt, junger Mann! Das wollen wir uns doch noch ein bisschen überlegen.“

Machte ihn das im Moment etwas betreten, so ließ ihm der Fremde, den der Hausbursche mit: „Monsieur Sallét“ angeredet hatte, nicht lange Zeit zur Überlegung. Ein Wink von ihm machte dem dienstbaren Geist Flügel. Er stob davon, und binnen kurzem erschien ein ebenso diensteifriger Kellner, der sich nach den Wünschen der Herren erkundigte. Da die Unterhaltung nur französisch geführt wurde, so konnte der junge Mann nichts davon verstehen. Dafür sah er aber in unglaublich kurzer Zeit ein opulentes Mahl, sowie mehrere Flaschen Wein auf dem sauber gedeckten Tische auftragen, und sein Begleiter nötigte ihn alsbald, Platz zu nehmen und den verlockend duftenden Speisen zuzusprechen.

„Kommen Sie, mein junger Freund! Machen Sie es sich bequem“, nötigte er. „Werfen Sie alle Sorgen von sich. Hier ist der rechte Sorgenbrecher.“

Dabei entkorkte er eine der dunkel leuchtenden Flaschen und ließ den funkelnden roten Wein in die Gläser perlen.

„Trinken Sie! essen Sie! Betrachten Sie mich als Ihren Freund!“ redete er zu. — „Ihr Name?“ fragte er dann, indem er sein Glas gegen das des Jünglings klingen ließ.

„Edmund Gebhardt —“ stellte sich der junge Mann vor, ehrerbietig Bescheid tuend.

„Ein echter Deutscher, wie Ihr Name!“ bemerkte Sallét mit artigem Lächeln. „Ich wusste das sofort, mein Freund• Und nun lassen Sie uns essen.“

Beide widmeten sich nun diesem wichtigen Geschäft mit einem Eifer, der bewies, wie nötig sie der Stärkung bedurft hatten. Besonders der junge Gebhardt musste sich sehr zusammennehmen, dass er im nagenden Hungergefühl nicht mit unwürdiger Gier über die leckeren Speisen herfiel, die ihm schon so lange, lange Zeit nicht mehr geboten worden waren. Der Ältere dagegen sah zwischen den Esspausen hindurch mit wirklicher Befriedigung, wie es seinem jungen Schützling schmeckte. Schweigend bewunderte er den gesegneten Appetit des augenscheinlich völlig Ausgehungerten, vergaß aber dennoch nicht, ihn von Zeit zu Zeit zu mahnen, auch das Trinken nicht zu vergessen.

Endlich legte auch Edmund gesättigt Messer und Gabel hin und wollte sich erheben. Aber sein Beschützer protestierte eifrig.

„Nichts da, junger Freund!“ rief er, die Hand auf Edmunds Arm legend. „Jetzt trinken wir erst noch eins“, setzte er, eine frische Flasche öffnend, hinzu, und füllte die Gläser. „Auf gute Freundschaft und eine glückliche Zukunft!“

Er hielt Edmund sein Glas entgegen. Dieser musste Bescheid tun.

„Und nun erzählen Sie!“ sagte er, sich behaglich zurücklehnend.

Die Schmach der Fremdenlegion

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