Читать книгу Die Schmach der Fremdenlegion - M. von Felsenstadt - Страница 5

2. Kapitel. Die Geschichte eines Zwangsstudenten.

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Edmund Gebhardt fühlte sich nach der guten und reichlichen Mahlzeit, nach den lang entbehrten Genüssen so auserlesener Tafelfreuden vollkommen gestärkt und gekräftigt, körperlich und seelisch wie neu belebt. Der reichlich genossene feurige Wein tat das übrige. War es ein Wunder, dass sein jugendliches Gemüt von Dankbarkeit erfüllt war für seinen Retter und Beschützer, der sich seiner so opferfreudig angenommen, der sich erboten hatte, ihm Freund und Berater sein und auch ferner tatkräftig ihn unterstützen und fördern helfen zu wollen. War es nicht seine natürliche Pflicht, — so sagte er sich, — diesem Gönner und Wohltäter offen und ehrlich sein bisheriges Leben und Schicksal zu bekennen. Zudem konnte dies nur zu seinem Vorteil sein, umso mehr, als er keine bösen Streiche zu vertuschen oder zu verheimlichen hatte.

So begann er denn seine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, wie sie leider in unserer Zeit gar nicht selten ist; eine Geschichte, die nichts sonderlich Romanhaftes in sich birgt, und doch in ihren verschiedenen Variationen so unendlich viel Weh und Leid hervorgebracht, so viel harmloses Familienglück, so manche vielversprechende Existenz grausam zerstört hat — die Geschichte eines Zwangsstudenten.

Edmund Gebhardt war der zweitgeborene Sohn eines begüterten Grundbesitzers in der Rheinprovinz. Dieser setzte seinen ganzen Stolz darein, aus seinen Kindern „etwas Großes zu machen“. Er hatte es ja dazu. War der älteste Sohn von vornherein zum Nachfolger seines Vaters bestimmt, der das väterliche Gut dereinst übernehmen, mit allen Erfindungen und Errungenschaften der Neuzeit erfolgreich bewirtschaften, vermehren, verbessern und ausbreiten sollte, so hatte er seinen Zweiten zu noch Höherem bestimmt. Obgleich der Knabe schon frühzeitig durch Neigung und Begabung auf eine praktische Tätigkeit hingewiesen schien, bestimmte ihn der Vater zum Studium. Er sollte die Staatskarriere einschlagen, ein großer Diplomat und Politiker werden. So bezog Edmund nach einem unter großen geistigen Anstrengungen mit Not und Mühe durchgedrückten Abiturium die Universität, um daselbst zunächst Jura zu studieren. Aber obwohl er seine Studentenfreiheit sehr wenig ausnützte, vielmehr zum Verdruss und heimlichen und offenen Gespött seiner Studiengenossen fast immer aus seiner „Bude“ saß, wo er ganz „philisterhaft“ „ochste“ und „büffelte“, obwohl er keine Anstrengung scheute, sich keine Mühe verdrießen ließ, oft genug noch nächtelang über schwierigen Aufgaben studierte und grübelte, so fühlte der junge Mann doch nur zu deutlich sein Unvermögen, fühlte, dass seine geistigen Fähigkeiten den an sie gestellten hohen Anforderungen nicht gewachsen waren. Und je mehr ihm das zum Bewusstsein kam, je mehr er einsah, dass es ihm mit aller aufgewandten Energie nicht gelingen könne und werde, die sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten zu überwinden, umso mehr sank sein Mut, schwand seine Hoffnung, das vom Vater gesteckte Ziel jemals zu erreichen. Mut- und Hoffnungslosigkeit aber sind schlechte Bundesgenossen. Und wenn es vielleicht noch eine Möglichkeit gegeben hätte, dass Edmund bei seinem enormen Fleiß, seiner seltenen Energie wenigstens vorläufig den Sieg erringen könne — die ihn ergreifende Mutlosigkeit erstickte jeden in die Höhe strebenden Geistesflug, lähmte zuzeiten beinahe gänzlich seine Leistungsfähigkeit.

Dabei wagte er nicht zu klagen und seinen ehrwürdigen Vater zu betrüben; trotzdem er nur zu deutlich fühlte, wie die fortwährende Geistes- und Seelenmarter, die stete erfolglose Nervenanspannung, verbunden mit Nachtwachen und Mangel an körperlicher Ausarbeitung, sein Hirn zermürbte. Wusste er doch, wie es der höchste Wunsch seines Erzeugers war, seinen Edmund dereinst eine hohe Staffel als Staatsmann erklimmen zu sehen; tat doch der gute Vater sonst alles Mögliche, ließ sich keine Opfer verdrießen, scheute keine Kosten, wenn es galt, ihm irgendeine Freude zu machen, eine Erquickung oder sonst eine Erleichterung zuteilwerden zu lassen. Dann büffelte Edmund unermüdlich weiter, obgleich ohne Hoffnung auf Erfolg seiner Mühen, also doch im Grunde auch ohne die rechte innere Befriedigung, die doch allein ein aussichtsreiches Streben zu verleihen vermag.

So gingen die Dinge ihren Weg, und es kam, wie es kommen musste. Edmund fiel durch im Examen. Die durch das Gefühl des Nichtkönnens erzeugte Mutlosigkeit brachte ihn vollends zu Falle.

Die Professoren schüttelten die Köpfe. Manche bedauerten ihn, die seinen Fleiß und seine rastlosen Anstrengungen kannten. — Helfen konnten sie ihm auch nicht. —

Die Scham über seinen eklatanten Misserfolg, über dieses negative Resultat all seiner eifrigen Bestrebungen, der Gram über die gewisse Aussicht, dem verehrten Vater Schmerz bereiten, ihn so gründlich enttäuschen, all seine hochgehenden Erwartungen vernichten, im niederdrückenden Gefühl seiner vollständigen, hoffnungslosen Niederlage vor ihn hintreten zu müssen, brachten den jungen Mann an den Rand der Verzweiflung. Er glaubte, es nicht überstehen zu können. Die furchtbare Nervenüberreizung der jüngsten Zeit tat das übrige.

„Ich kann nicht heim! — nie wieder! Ich kann meinem armen braven Vater nicht mehr unter die Augen treten! Vor den Geschwistern — vor Nachbarn und Freunden muss ich mich schämen — kann mich vor niemandem mehr sehen lassen — ein verkrachter Student!“

So sagte er sich in bitterster Selbstverhöhnung.

Und dann kam die völlige Verzweiflung über ihn. — Was nun aus ihm werden solle? fragte er sich. Es sei doch nun einmal aus und vorbei mit ihm — so oder so, er sei verloren! — Was hatte er also noch im Leben zu suchen? —

Finstere Selbstvernichtungsgedanken ergriffen den Armen, nahmen Besitz von seiner Seele, ließen ihn nicht mehr ruhen. Aber nicht hier, so nahe der Heimat wollte er sein Leben beenden. Fort! fort! — weit fort in die Fremde, wo niemand ihn kannte. Dort sollte seine Pein enden, dort wollte er sich Ruhe schaffen vor der inneren Qual, Ruhe und Frieden um jeden Preis! —

So hatte sich Edmund heimlich entfernt, von niemandem gesehen und bemerkt. So war er gewandert von Ort zu Ort, wie von Furien gejagt, immer in der Furcht, angehalten, befragt, erkannt und zurückgebracht zu werden. Er hatte nicht gewagt, irgendwo vorzusprechen, trotzdem er zunächst noch nicht ganz mittellos war. Er nächtigte in den einfachsten Dorfgasthöfen, und auch da noch nicht ohne stete Sorge und Angst. Endlich aber waren seine Mittel völlig erschöpft, seine Taschen leer. Nun konnte er erst recht nirgend mehr einkehren. Man hätte ihm den Landstreicher sogleich auf den ersten Blick angesehen, so meinte er.

Zwei Tage schon hatte er sich nur von Fallobst genährt, das er auf seinen Streifzügen gefunden; zweimal schon hatte er bei „Mutter Grün“ genächtigt. Die milde Witterung begünstigte solches.

An diesem Morgen war sein Entschluss unwiderruflich gefasst. Er wanderte nur in diesem Gedanken dahin. Am Mühlenwehr sollte seiner Wanderung letztes Ziel sein.

Dort hatte ihn dann sein gütiger Gönner gefunden.

So schloss Edmund Gebhardt seine Erzählung.

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