Читать книгу Die Schmach der Fremdenlegion - M. von Felsenstadt - Страница 7

4. Kapitel. Das Erwachen.

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Ein unangenehm bedrückendes Gefühl war es, mit dem Edmund Gebhardt am nächsten Morgen erwachte. Er musste sich erst eine Zeitlang besinnen, was mit ihm vorgegangen, wie er hierher in diese gänzlich fremde Umgebung gekommen sei.

Nach und nach kam ihm langsam die Erinnerung an die Ereignisse des gestrigen Abends, an die einschneidende Wendung, die sein Geschick erfahren. Und leise, ganz leise kroch im nüchternen Lichte des Morgens eine bange Sorge an sein Herz heran, die ihm gestern in der ersten gewaltsamen Erregung nicht zu Sinne gekommen war.

Er besann sich, dass Monsieur Sallét ihm wieder und immer wieder von dem feurigen Wein kredenzt hatte, dass er spät, sehr spät zur Ruhe gegangen war. Eigentlich berauscht konnte er zwar nicht gewesen sein, nur einen schweren, nicht völlig klaren und freien Kopf hatte er gehabt. Wusste er doch ganz genau, nachdem er sich vollends ermuntert, dass er auf Sallét’s Drängen ein Schriftstück unterschrieben, sich für den Dienst in der Fremdenlegion verpflichtet hatte. Er konnte auch nicht eigentlich sagen, dass er es bereue; was sollte ihm in seiner Lage Besseres beschieden sein! Nur wollten jetzt im Tageslicht die gar so verlockenden Bilder nicht ganz standhalten, nur wollte es ihm scheinen, als ob Sallét wohl mit seinen Schilderungen ein wenig übertrieben haben möchte.

Und als er so sann und dachte, da kam wieder das Gespenst der Sorge an ihn herangeschlichen, da konnte er sich des quälenden Gedankens nicht erwehren, dass er übereilt gehandelt, eine Unbesonnenheit, vielleicht sogar eine große Dummheit begangen habe.

Aber Edmund wollte solche Gedanken nicht in sich aufkommen lassen. Mit einem energischen Ruck richtete er sich im Bett empor, und sich völlig ermunternd, suchte er sich selbst Mut und Zuversicht einzuflößen.

„Gleichviel, wie es auch sein möge!“ sprach er entschlossen vor sich hin. „Schlechter, als es mir jetzt ergangen, kann es auf keinen Fall werden! Monsieur Sallét hat mir das Leben gerettet, und selbst wenn seine Schilderungen von dem Leben eines Fremdenlegionärs vielleicht stark übertrieben sind, ich bin ihm dennoch Dank schuldig, dass er sich meiner so tatkräftig angenommen. Ohne sein Dazwischentreten läge ich jetzt zermalmt im Grunde des Mühlenwehrs — unkenntlich, für immer verschollen und vergessen. Oder was hätte wohl sonst aus mir werden sollen? — Bleibt mir denn überhaupt noch eine Wahl? — Muss ich nicht froh sein, dass mir Gelegenheit geboten wird, mir fern von der Heimat eine ehrenhafte Existenz zu gründen? — Durch Rechtschaffenheit und Pflichttreue kann man überall hochkommen. Und wer weiß, ob ich nicht durch Tapferkeit und militärische Tüchtigkeit doch mit der Zeit zu den Ehren und Auszeichnungen gelangen kann, von denen mein Lebensretter so viel Rühmens machte! —“ Soweit war er in seiner Selbstberuhigung gekommen, indem er rasch und behänd in seine Kleider schlüpfte, als es ihm abermals schwer auf die Seele fiel, dass er sich fest verpflichtet, sich unterschriftlich auf 5 Jahre gebunden hatte, dass er nun gar nicht mehr zurückkönne, selbst wenn es ihm im letzten Augenblick leid werden sollte. Und gegen diesen Zwang wollte sich sein Selbstgefühl immer wieder aufbäumen. Von neuem kehrte ihm dabei das beängstigende Gefühl zurück, dass er sich doch eigentlich verkauft habe, dass er nicht mehr Herr seiner selbst sei.

Dieses Bewusstsein lähmte seine innere Schwungkraft. Es war, als ob die Flügel seiner Seele beschnitten worden wären. Fast fühlte er sich in diesem Augenblick elender denn je im Leben. Doch nur eine Minute lang dauerte diese Empfindung. In der nächsten brach wieder die unversiegbare Hoffnungsfreudigkeit der Jugend durch.

„Ach was!“ sagte er sich. „Vorwärts mit frischem Mut! Eine neue Zukunft winkt! Wer weiß, ob sie nicht das Glück in ihrem Schoße birgt!“

So recht froh und zufrieden wollte es Edmund aber doch nicht zu Sinne werden. Es blieb, so sehr er sich auch zusammenraffte, ein Rest zagender Sorge in ihm zurück, der sich mit aller Willenstraft nicht bannen ließ.

Diese Sorge sollte in den nächsten Minuten noch verstärkt werden.

Als Edmund Gebhardt seine Toilette beendet hatte, klingelte er. Es erschien augenblicklich der Aufwärter, der die Herren gestern Abend bedient hatte; er brachte das Frühstück aus einem Tablett. Wie bedauerte der junge Mann, statt Latein und Griechisch, womit er auf dem Gymnasium weidlich gequält worden war, nicht lieber die neueren Sprachen, Englisch und Französisch, geläufig erlernt zu haben. Es war ihm nicht möglich, sich mit dem Markör zu verständigen, trotzdem dieser ein wenig das Deutsche radebrechte, er selbst ein ziemlich holperiges Französisch sprach.

Oder wollte ihn der dienstbare Geist nicht verstehen, als er nach seinem Freund und Gönner, nach Monsieur Sallét, fragte? So eifrig er auch schwatzte und gestikulierte, Edmund konnte aus seinen Worten und Gebärden nicht klug werden. Endlich aber schien ihm doch das Verständnis aufzudämmern, oder eine Erinnerung zu erwachen. Er schlug sich an die Stirn und langte aus seiner Tasche einen Brief heraus, den er vor seinen Gast hinlegte und sich dann schleunigst entfernte.

Edmund erkannte sofort die Schriftzüge des Werbeagenten und verfärbte sich ein wenig. Hastig und erschrocken öffnete er das Schreiben und überflog mit immer wachsendem Befremden die wenigen Zeilen.

Monsieur Sallét teilte seinem Schützling kurz mit, er sähe sich zu seinem lebhaften Bedauern gezwungen, abzureisen, müsse sich also die Freude versagen, seinen jungen Freund selbst in die neue Zukunft einzuführen. Es sei jedoch für alles gesorgt. Er solle sich keine Unruhe machen. Man werde sich in jeder Weise seiner annehmen und das Nötige veranlassen. Er wünsche ihm das beste Glück zu seiner Laufbahn in der Fremdenlegion.

Recht wie zur Bestätigung dessen meldete sich kurz darauf ein französischer Korporal bei dem neuen Legionär, der das von Edmund unterzeichnete Schriftstück in der Hand hielt und den nunmehrigen Rekruten in dem eigentümlichen Kauderwelsch der Elsässer verständigte, dass er ihn nach der nahen Festungsstadt Belfort abzuliefern habe.

„Venez avec moi — komme Sche mit. Mer schei glei zur Schtelle“, sagte er und fügte, die Bestürzung in Edmunds Zügen gewahrend, gutmütig tröstend hinzu: „Wirscht schon auschhalte. Bischt an kräftiger Kerl!“ Mit einem energischen Ruck richtete sich der Angeredete empor, um sich durch Vermittelung des Elsässers mit dem Kellner auseinanderzusetzen. Es sei schon alles in Ordnung, Monsieur Sallét habe vor seiner Abreise alles berichtigt, erklärte der Befrackte. Der Wirt ließ sich überhaupt nicht sehen. — Von einem Handgeld war nirgends die Rede. Außer den fünf Franken, die ihm der Agent am gestrigen Abend in die Hand gedrückt hatte — „als Abschlag aufs Werbegeld“ — wie er sich ausdrückte, würde er also aller Wahrscheinlichkeit nach nichts empfangen. Es war wohl in der opulenten Mahlzeit, in den Strömen von Wein enthalten, mit denen ihn der Agent willfährig gemacht hatte — so sagte sich der vielfach Enttäuschte mit tiefer Bitterkeit. „Sie brauche unterwegs nix. Dasch beschorgt alles d' Leschion“, tröstete der biedere Elsässer wiederum gutmütig. Er mochte wohl meinen, dass Edmund sich überflüssige Finanzsorgen in Bezug auf die Verpflegung mache. „Also schiebe mer los!“ setzte er aufmunternd hinzu. „Die Vorgesetzten wenigstens scheinen hier zu Lande ziemlich gemütlich zu sein“, sagte der bitter Getäuschte mit einem schweren Seufzer insgeheim zu sich selbst, indem er sich zum Gehen wandte. Er mochte wohl mit der hoffnungsfreudigen Elastizität der Jugend diesen französischen Korporal als typisch betrachten.

Die Schmach der Fremdenlegion

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