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Wohin gehört nun die Frage der Geschlechtsidentität?

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Auf Grundlage anglo-europäischer Definitionen wird das biologische Geschlecht (engl. sex) bei der Geburt zugewiesen und das soziale Geschlecht (engl. gender) als selbstbestimmter verstanden. Wir verstehen heute, dass die beiden eigentlich dasselbe sind. Beide beschreiben Menschen auf der Grundlage gesellschaftlicher Konstrukte.

Gender ist im Englischen sowohl ein Nomen als auch ein Verb. Als Verb, »to gender«, bedeutet es, einer Person oder einem Gegenstand männlich oder weiblich konzipierte Eigenschaften zuzuschreiben. Zum Beispiel, wenn du das falsche Pronomen [z.B. »er« oder »sie«] für eine Person benutzt (das ist nie in Ordnung!), hast du diese Person falsch gegendert, ihr das falsche Geschlecht zugeschrieben. Als Nomen bezeichnet Gender, wie eine jede Person sich geschlechtlich selbst definiert. Dein Geschlecht ist eine Identität, die im Verhältnis dazu steht, wie du dich selbst siehst und wie du von anderen gesehen werden möchtest. Geschlechtsidentitäten und die Möglichkeiten, wie wir sie ausdrücken, sind im wörtlichen Sinne unendlich, weil sie so vielfältig sind wie die Menschen selbst. Eine Person kann ein Mann oder eine Frau sein, sie kann sich jenseits der Zweigeschlechterordnung verorten oder das Geschlecht wechseln, sie kann Geschlechtervorstellungen erweitern, bewegen und untergraben, mehrere Geschlechter haben, Weiblichkeit zelebrieren und vieles mehr. Du kannst eine Geschlechtsidentität haben oder eine Million. Dein Geschlecht kann dein ganzes Leben lang gleich bleiben oder sich verändern.


Es folgt eine kurze Liste mit einigen Geschlechtsidentitäten. Da die englischsprachigen Bezeichnungen auch im deutschsprachigen Kontext recht weit verbreitet sind, orientiert sich die Liste an den englischen Begriffen. Darüber hinaus gibt es weltweit zahllose weitere Geschlechtsidentitäten, die alle – wie auch die hier gelisteten – in bestimmten Kontexten verortet sind und überall unterschiedlich gelebt werden.

gender expansive/wörtlich: Geschlecht erweiternd, hier: geschlechtlich nicht-konformEine Person, die über die, in ihrer Gesellschaft vorausgesetzten, meist zweigeschlechtlichen, Konzepte von Geschlecht hinausweist, ihnen nicht entspricht. Unter diesen Menschen sind transgeschlechtliche, nicht-binäre, gender queere, androgyne Menschen sowie alle anderen, die die verallgemeinerten Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit (Frau/Mann) erweitern.

gender queerEine Person, die nicht einem bestimmten Geschlecht entspricht und damit Geschlechternormen überschreitet.

gender questioning/wörtlich: Geschlecht hinterfragendEine Person, die auf dem Weg ist, ihr Geschlecht zu finden oder eine Person, die dauerhaft das Konzept von Geschlecht infrage stellt, die keinem bestimmten Geschlecht entspricht und/oder mit Geschlecht nichts zu tun haben will.

gender fluid/geschlechtlich veränderlichEine Person, deren Geschlechtsidentität an eine Ebbe und Flut sozial konstruierter männlicher und weiblicher Eigenschaften erinnert. Ihr Geschlecht kann sich ständig ändern oder gleich bleiben. Eine geschlechtlich veränderliche Person beschränkt sich nicht auf die Zweiteilung von Frau und Mann.

nonbinary/nicht-binär, nichtbinärEine Person, die sich außerhalb der Zweiteilung von Mann/Frau bewegt, die sich keiner der beiden gegenüberstehenden Geschlechteroptionen zugehörig fühlt.

transgender/transgeschlechtlich5 bzw. trans oder trans*Eine Person, die ein anderes Geschlecht lebt, als ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Zum Beispiel wurde einer trans Frau bei der Geburt das Geschlecht »männlich« zugewiesen, ihre Identität ist aber die einer Frau/weiblich. Beachte, dass Transgeschlechtlichkeit bzw. trans zu sein nichts mit der sexuellen Orientierung, also dem sexuellen Begehren, einer Person zu tun hat.

cisgender/cisgeschlechtlich bzw. cisEine Person, die das Geschlecht lebt, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Zum Beispiel wurde einer cis Frau bei der Geburt das Geschlecht »weiblich« zugewiesen und ihre Identität ist die einer Frau/weiblich. Beachte, dass Cisgeschlechtlichkeit bzw. cis zu sein nichts mit der sexuellen Orientierung einer Person zu tun hat.

intersex/intergeschlechtlich bzw. inter oder inter*Es handelt sich um einen Überbegriff für Menschen, die mit einem Körper auf die Welt kommen, der Eigenschaften außerhalb der strengen Zweiteilung von männlich und weiblich aufweist. [Intergeschlechtliche Menschen können sich selbst als inter* identifizieren oder weibliche, männliche oder queere Geschlechtsidentitäten haben.]

MannEine Person, die typischerweise mit dem ›männlichen‹ Geschlecht verknüpft wird. Beachte: Sowohl trans als auch cis Männer können männlichen Geschlechts/Männer sein.

FrauEine Person, die typischerweise mit dem ›weiblichen‹ Geschlecht verknüpft wird. Beachte: Sowohl trans als auch cis Frauen können weiblichen Geschlechts/Frauen sein.

Mehr als zwei Optionen der Geschlechtsidentität zu haben, ist weder ein vorübergehender Trend oder eine neue Mode noch ist es kompliziert. Jenseits westlicher anglo-europäischer Gesellschaften hat es immer mehr als zwei Geschlechter gegeben. In Südasien sind »Hijras« seit Jahrhunderten als drittes Geschlecht anerkannt. In Indigenen Gesellschaften Nordamerikas bilden »Two-Spirit«-Menschen eine eigene Geschlechtsidentität, die nicht mit den Geschlechterbezeichnungen für Mann und Frau verbunden ist. In den Zapotekischen Kulturen Oaxacas in Mexiko gibt es die »Muxe« (oder »Muxhe«), eine traditionelle und breit akzeptierte dritte Geschlechtsoption. Die »Leitis« in Tonga und die »Fa’afafine« in Samoa sind dritte Geschlechter im südpazifischen Kulturkreis. Darstellungen und Schriften auf antiker Töpferware zeugen schon 2000–1800 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung von drei Geschlechtern. Angesichts der Komplexität von Menschen erscheint es sinnvoll, dass so viele Kulturen es nie für vernünftig hielten, alle Leute in nur zwei kleine Kategorien zu zwängen.

Während es stimmt, dass uns diese Kategorisierung potenziell helfen kann, einen kleinen Teil einer Person zu verstehen, stimmt es ebenso, dass diese Ordnung genutzt wurde und wird, um Menschen zu kontrollieren und zu diskriminieren. Das Konzept des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts ist besonders gefährlich, weil es als unveränderlich verstanden wird. Wenn eine Person bei der Geburt als ›männlich› ausgewiesen wird und später feststellt, dass sie ›weiblich‹ ist, ist die Wahrscheinlichkeit dennoch groß, dass sie ihr Leben lang von ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht geplagt wird. Anstatt als Frau medizinische Versorgung zu erhalten, strafverfolgt zu werden oder die öffentliche Toilette zu nutzen, kann es sein, dass sie weiter als männlich wahrgenommen und behandelt wird. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern in den meisten Fällen sogar gefährlich. Unsere sozialen, medizinischen und rechtlichen Systeme müssen dem Spektrum unserer Körper und unterschiedlichen Persönlichkeiten endlich gerecht werden, damit unser aller Wohlbefinden gewährleistet werden kann.

Die einzige Person, die entscheiden kann, ob du dich als männlich, weiblich, Mann, Frau, nicht-binär, gender queer, androgyn oder auf eine andere Art und Weise definierst, bist du selbst – in all deiner Schönheit und Vollkommenheit. Die Vorstellung, dass Menschen ›im falschen Körper geboren‹ sind, ist fehlleitend, denn es gibt keine richtigen oder falschen Körper. Wenn eine Person entscheidet, ihren Körper zu verändern oder ihn zu ergänzen, bedeutet das nicht, dass der Körper an sich richtig oder falsch ist. Beispielsweise entscheiden manche trans Menschen, ihren Körper zu verändern und andere entscheiden, das nicht zu tun (beide Entscheidungen gehen niemand anders etwas an!). Ob eine Person den Körper und die Genitalien behält, mit denen sie geboren ist, oder sich für eine chirurgische Veränderung entscheidet, nimmt oder gibt ihrem selbstbestimmten Geschlecht nicht mehr oder weniger Berechtigung. Wir alle verändern unser Äußeres, um uns mehr wie wir selbst zu fühlen: sei es durch Schminke, plastische Chirurgie, das Färben unserer Haare, eine Tätowierung, die Rasur, das Tragen von Strap-Ons oder von bestimmter Kleidung usw. Die Philosophin und Geschlechtertheoretikerin Judith Butler sagt in einem von Christan Williams geführten Interview:

»Es ist immer mutig, auf Transformationen zu beharren, die sich notwendig anfühlen. Wir alle – als Körper – sind in der aktiven Position, herauszufinden, wie wir mit und gegen die Normen leben können, die uns formen (…). Jede Person sollte die Freiheit haben, den Lauf des eigenen vergeschlechtlichten Lebens zu bestimmen.«6

Während sich die Geschlechtsidentität bei manchen Menschen verändert und bei manchen nicht, ist es ein Gebot der Höflichkeit, Menschen mit ihrem richtigen Geschlecht anzusprechen und mit den richtigen Pronomen über sie zu sprechen. Das bedeutet, niemanden »Frau/Herr«, »sie/er«, »Lady«, »Mann« o.ä. zu nennen, bevor wir das gewünschte Pronomen der Person erfahren haben. Es ist einfacher und höflicher, eine Person nach ihrem Pronomen zu fragen als es zu erraten und vorauszusetzen. Ein einfaches, »Hallo, ich heiße und mein/e Pronomen ist/sind . Und du?« funktioniert prima, besonders wenn du mit den Ich-Botschaften beginnst. Wenn du eine Antwort erhalten hast, stehen diese Pronomen nicht zur Debatte, sondern sollten respektiert und immer benutzt werden. Eine Person hat auch jedes Recht, dir ihr/e Pronomen nicht mitzuteilen – sei es, weil sie sich nicht sicher fühlt oder weil es etwas ist, das sie eher im Privaten hält.


Wenn es dich stresst, das Geschlecht einer Person nicht zu kennen, ist das eine gute Gelegenheit, dich zu fragen, warum das so ist. Was soll dir das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht oder die Geschlechtsidentität einer Person über ihre Persönlichkeit verraten? Was würde passieren, wenn das Kennenlernen nicht über vorgefertigte Annahmen und Konzepte von Geschlecht abliefe, sondern etwa anhand der Lieblingsfußballer*innen der Person, ihres politischen Engagements, ihrer phänomenalen Backkunst, ihrer unglaublichen Fähigkeiten im Kopfrechnen oder beim Schlagzeugspielen (oder auch anhand all dieser Dinge zusammen)? Ja, Geschlecht ist daran beteiligt, zu welcher Person wir werden, aber es muss keine wichtigere Information sein als andere. Und es muss keinen Einfluss oder Auswirkungen auf alle anderen Aspekte haben, die dich zu dem Menschen machen, der du bist.

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