Читать книгу Das Spiel heißt Mord - Madeleine Giese - Страница 6
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ОглавлениеScheppernd fiel der Plastikbecher in die Halterung. Der Automat dröhnte, gab sich einen Ruck und presste zischend einen Schwall braunes Wasser in den Becher. Vorsichtig nahm Magda ihn heraus, wandte sich um und stieß gegen Karl, der plötzlich hinter ihr stand. Erschrocken schrie sie auf, Kaffee schwappte über ihre Hand. «Mist. Ist der heiß heute!»
«Hey, ist doch alles gut», murmelte Karl besänftigend. Er nahm ihr den Becher ab, griff nach ihrer Hand und leckte zärtlich die Kaffeespritzer ab. Als er ihre Hand umdrehte und sanft mit der Zunge über ihr Handgelenk strich, schloss sie die Augen. «Lass das, Karl. Wir müssen zur Probenbühne ...»
Ohne sich unterbrechen zu lassen, zog er sie näher. «Wir müssen, müssen, müssen. Ist doch egal.»
Mit einem Ruck riss sie sich los. «Was Knoller wohl von uns will?»
Enttäuscht setzte Karl sich auf eine Tischkante. «Was wird er schon wollen. Irgendein Sermon über den tragischen Unfall, dass der Lappen trotzdem hochmuss. Durchhalteparolen eben, das wird er wollen.» Nachdenklich kam Magda näher, um sich ihren Kaffee zurückzuholen. Kaum war sie in seiner Reichweite, packte er sie und zog sie in seine Arme. «Komm, Süße. Knoller kann warten.»
Entwaffnet lachte sie auf und lehnte sich gegen ihn. «Kannst du eigentlich auch mal an was anderes denken?» Er vergrub seinen Kopf in ihrer Halsbeuge und atmete gierig ihren Geruch ein. Lächelnd griff sie in seine Haare und zog seinen Kopf zurück, sodass er sie ansehen musste. «Ich hab dich gefragt, ob du auch mal an was anderes denken kannst?» Unbeirrt suchte er mit geschlossenen Augen ihren Mund und murmelte: «Sex ist das einzige Mittel gegen den Tod.» Magda erstarrte. Irritiert öffnete er die Augen. Unverwandt sahen sie sich an. «Du hast Recht...», sagte Magda schließlich, beugte sich vor und küsste ihn.
In diesem Moment kam Peter in die Kantine. Abrupt blieb er stehen und beobachtete den Kuss. Ein kleiner, spitzer Pfeil bohrte sich in seinen Magen. Als er es merkte, konnte er sich selbst nicht leiden. Die beiden schienen seine Anwesenheit zu spüren und drehten sich zu ihm um. Sie lächelten, und Karl streckte seinen Arm nach ihm aus. Dankbar flüchtete Peter in die Umarmung. Kurz genoss er es, sie zu spüren.
Dann löste er sich und schwang sich neben Karl auf die Tischkante. Mit zusammengebissenen Zähnen zischte er: «Neuigkeiten aus der Hexenküche!»
«Erzähl!», forderte Karl neugierig.
«Josefine hat sich in den Trümmern unseres gemeinsamen Bettes das Bein gebrochen. Sie fällt aus. Und jetzt ratet, wer die Marthe Schwertlein übernehmen soll. Naaa...?»
Mit allen Anzeichen des Entsetzens tippte sich Magda fragend an die Brust. «Genau», bestätigte Peter grinsend. «Die liebe Magda! Aber es wird noch besser. Wisst ihr, wer für unsere teure Verblichene die Regie übernimmt?»
Tonlos fragte Karl: «Knoller?» Peters Grinsen wurde breiter. «Oh Gott», stöhnte Karl.
«Gott? Hölle und Teufel wäre passender. Dafür sind wir drei wenigstens zusammen in der Produktion.»
Wütend zischte Magda: «Geteiltes Leid ist dreifaches Leid, oder was?»
«Also ich versteh dich nicht», meinte Peter harmlos. «Immerhin wirkst du jetzt in einer Intendantenproduktion mit. Das ist doch was! Etwas mehr Enthusiasmus, wenn ich bitten darf!» Magda knuffte ihn in die Seite. Peter hob abwehrend die Hände. «Wenn du so zu mir bist, erzähl ich nicht weiter!»
Magda stöhnte auf. «Nicht noch mehr Neuigkeiten. Mein Bedarf ist erst mal gedeckt.»
Peters Gesicht wurde ernst. «Knoller hat einen von der Kripo dabei.»
«Was?», rief Karl. «Aber die haben uns doch gestern Nacht schon vernommen. Stundenlang. Was wollen die denn noch?»
«Es ist ein anderer als gestern», antwortete Peter. «Nicht der Dicke, sondern so ein großer Stiernackiger, in so ’nem abgeschabten Anzug. Nicht schlecht, wenn man den Typ mag. Für meinen Geschmack ein bisschen zu alt.»
«Hör schon auf», knurrte Karl.
«Ich glaube, er wird auch schon ein bisschen füllig um die Hüften. Konnte ich im Anzug nicht so genau sehen. Männer über vierzig haben ja dieses Testosteronproblem. Schade eigentlich.»
Karl stieß ihn an und deutete auf Magda. Sie sah an ihnen vorbei in das dunkle Foyer.
Ohne Theaterbesucher, die schwatzend herumstanden, vom Pausengong treppauf und treppab getrieben wurden oder die Bar belagerten, kam es ihr riesengroß vor. Ihr Blick verlor sich in seiner Weite wie in einem schwarzen Loch. In der Kantine waren nur noch das Surren des Neonlichts und entferntes Stimmengemurmel zu hören.
«Es ist alles so unwirklich. Gestern war noch alles normal, und heute...» Unentschlossen brach sie ab.
«Wir haben noch keine Zeit gehabt, uns an den Gedanken zu gewöhnen», sagte Karl in die Stille hinein.
Die drei sahen sich an. Peter lächelte. Aufmunternd begann er:
«Wann kommen wir drei uns wieder entgegen?»
Sie antwortete wie ein gehorsames Kind: «Im Blitz und Donner, oder im Regen?»
«Wenn der Wirrwarr stille schweigt, wer der Sieger ist, sich zeigt!», beendete Karl mit fester Stimme den Vers.