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Kerzenschein schimmerte tückisch in der schon nadelnden Weihnachtsdekoration, die, gespickt mit vergoldeten Tannenzapfen und Waldbeeren, in die Tischvasen gerammt worden war. Dieser komische Flaum da sollte wohl Engelshaar darstellen. Das kannte er noch aus seiner Kindheit. Hatte ihn früher schon immer an Greisenhaar erinnert. Als Prottengeier sich missmutig zurücklehnte, verfing sich eine am Fenster hängende Girlande in seinem Hemdkragen. Bei dem Versuch, sich davon zu befreien, hielt er plötzlich eine rote Christbaumkugel in der Hand.

Neben ihm lachte jemand auf. «Sie verstehen es aber wirklich, sich die Zeit zu vertreiben.» In einen grellbunten Poncho gehüllt stand Magda Mann vor ihm.

«Die Girlande hat angefangen», sagte er trocken.

Wieder lachte sie und setzte sich. «Sie mögen keinen Weihnachtsschmuck?», fragte sie, während sie sich aus ihrem Poncho schälte. Das Gewand war genauso befremdlich wie ihr Männerpullover. Entweder war es ihr egal, wie sie aussah, oder sie hatte definitiv einen merkwürdigen Geschmack.

«Ich mag keinen Weihnachtsschmuck im Januar», knurrte er.

«Nein!» Entschieden schüttelte sie ihre Locken. «Sie sind ein Weihnachtshasser. Schon im Dezember, da bin ich sicher.»

Hatte sie ihn hier warten lassen, um sich mit ihm über Weihnachten zu unterhalten?

Der kleine griechische Kellner kam an ihren Tisch und ließ seine Hand auf ihre Schulter fallen. «Hallo Magda. Ein Espresso?» Kurz legte sie ihre Hand auf seine. «Heute brauch ich Alkohol. Ein Pils bitte, Kosta. Hattet ihr viel Betrieb?»

«Du weißt, is kein Theater, is kein Betrieb. Pils kommt.»

«Ist das Ihre Stammkneipe?», fragte Prottengeier.

Wieder schüttelte sie den Kopf. «Die Kneipe lebt von den Theaterbesuchern. Und die sehen ab und zu mal gerne Schauspieler in freier Wildbahn. Also kommen wir her, damit Kosta Geschäfte macht.»

«Kosta, das ist der Besitzer? Und Sie sind mit ihm befreundet?»

Sie drehte sich zum Tresen und rief durch den Raum: «Kosta, sind wir befreundet?» Das Paar am Nebentisch sah interessiert zu ihnen herüber. Der kleine Kellner brachte grinsend ihr Bier.

«Klar, wir gute Freunde. Arbeiten beide in Dienstleistungsgewerbe.» Vertraulich beugte er sich zu Prottengeier und flüsterte: «Is gleich: Theater und Essen. Ob gut, ob schlecht, endet beides in Klo.» Er zwinkerte Magda zu und widmete sich wieder seinen anderen Gästen.

Sie sah ihm lächelnd nach. «Nach der ganzen Theaterhysterie gibt Kosta mir immer wieder das Gefühl, in der normalen Welt angekommen zu sein.»

«Eben kamen Ihre Kollegen mir nicht besonders hysterisch vor. Den Tod von Frau Zadurek haben Sie alle recht gefasst aufgenommen.»

Genüsslich nahm sie erst einen Schluck von ihrem Bier und meinte dann: «Das ist vermutlich ein Fehler. Vor allem wenn man bedenkt, dass unser Intendant jetzt die Regie von ‹Faust› übernimmt. Vielleicht wäre Hysterie doch angebracht gewesen.»

«Frau Zadurek war wohl nicht sehr beliebt am Theater?»

Sie sah ihn offen an. «Nein, das war sie nicht!»

«Frau Mann, Sie wollten mir etwas Wichtiges sagen?»

Wieder trank sie zuerst, bevor sie antwortete. «Können wir damit noch kurz warten? Herr Less und Herr Brandner wollten noch dazukommen. Zwei Kollegen. Knoller hat sie noch dabehalten, um über das Stück zu sprechen, aber das kann nicht mehr allzu lange dauern. Die zwei spielen die Hauptrollen. Ich habe mich beeilt, damit Sie nicht zu lange alleine herumsitzen müssen.»

Prottengeier nickte. Er hatte Zeit. Mit einer Handbewegung bestellte er einen weiteren Kaffee bei Kosta. Die Schauspielerin zerrupfte unterdessen ihren Bierdeckel. Was sie ihm wohl sagen wollten?

«Ihr Kollege, Jochen – leider weiß ich den Nachnamen nicht –, ist sehr aufbrausend?»

Sie lächelte. «Nur wenn es um das Theater geht. Eigentlich ist er gutmütig.»

«Was war das denn für eine Diskussion, die er eben mit Ihrem Intendanten hatte?»

«Oje», seufzte sie. «Das ist ein unerschöpfliches Thema. Die Theaterkrise! Dazu gibt es so viele Meinungen wie Schauspieler. Aber wenn es Sie interessiert, kann ich eine Kurzfassung versuchen.»

Es interessierte ihn. Alles, was mit dem Theater zu tun hatte, interessierte ihn jetzt. Auffordernd sah er sie an.

Sie legte die Reste des Bierdeckels beiseite und fragte: «Was wissen Sie über Theater?»

Was wusste er eigentlich? «Ich fürchte, relativ wenig.»

Sie nickte. «Sie wissen, dass Theater Subventionsbetriebe sind? Sie werden durch öffentliche Gelder finanziert. Ihnen ist sicher auch bekannt, dass die Städte und Gemeinden, die den Großteil der Theater finanzieren, pleite sind. In einem Punkt hat Jochen Recht: An Kultur wird zuerst gespart. Also werden immer mehr Theater geschlossen. Oder auch nur einzelne Sparten. Das Ballett trifft es meist zuerst, Schauspiel wird auch gerne dichtgemacht. Bei der Oper zögern sie am längsten. Dadurch sind wir zu so etwas wie einer bedrohten Art geworden.»

«Und Ihr Intendant will der drohenden Schließung durch hohe Aufführungszahlen entgehen?»

Sie nickte ihm anerkennend zu. «Genau das versucht er. Eine leistungsorientierte Gesellschaft durch Leistung beeindrucken.»

«Aber was gibt es dagegen einzuwenden?», fragte Prottengeier.

«Eine ganze Menge», antwortete sie ernst. «Erstens ist diese Leistungssteigerung keine inhaltliche. Das heißt, die Produktionen werden nicht besser, sondern einfach nur mehr. Bei einer Schraubenfabrik mag das prima sein, wenn sie plötzlich ihren Ausstoß erhöht. Bei Kultur ist zumindest fraglich, ob mehr gleich besser ist. Und zweitens, das war Jochens Kritikpunkt, ist unser Betrieb dafür gar nicht ausgerüstet. Wir arbeiten mit immer weniger Leuten immer mehr. Das mindert die Qualität und erhöht die Unfallgefahr.»

«Moment», hakte der Kommissar ein. «Unfälle am Theater gibt es doch ständig. Der Gemeindeunfallverband hat unserer Abteilung ein Dossier über Bühnenunfälle zugefaxt. Vor allem in älteren Häusern passiert mit diesen Zügen öfters etwas. Erst vor vierzehn Tagen ist an einem bayrischen Theater eine ‹Niedervoltrampe mit Hauk’schem Korb› heruntergekommen. Was auch immer das ist.»

«Eine Niedervoltrampe ist ein mit Scheinwerfern beladener Zug, und der Hauk’sche Korb ist ganz einfach die Stromverbindung.»

Prottengeier sah sie aufmerksam an. Ungefähr so hatte ihm das der stellvertretende technische Leiter heute Mittag auch erklärt. Und er hatte voller Verachtung hinzugefügt, dass er die Schauspieler gar nicht erst befragen müsse. Von denen könne keiner an den Zügen gewesen sein, die hätten alle keine Ahnung von Bühnentechnik. Er, Triller, sei schon froh, wenn sie die Bühnentür fänden. Und bis ein Schauspieler wisse, wie das Probenlicht anginge, müsse er mindestens vierzig Jahre am Theater arbeiten. Und auch dann könne man sich nicht darauf verlassen.

«Sie kennen sich aber gut aus mit der Bühnentechnik», sagte Prottengeier freundlich.

Spöttisch sah sie ihn an. «Ich kenne mich mit allen Theaterdingen gut aus. Schließlich bin ich schon lange genug dabei. Außerdem...»

«Oh, hallo Magda», unterbrach eine helle Stimme sie. «Und das ist doch der Herr von der Polizei, nicht wahr? Ihr seid ja ganz vertieft in euer Gespräch. Da will ich mal nicht stören.»

Wie ein Spuk war eine kleine, ältere Frau neben Magda aufgetaucht und auch schon wieder vorbeigetrippelt. Überrascht sah die Schauspielerin ihr nach.

«Wer war das?», fragte Prottengeier, der sich nicht erinnern konnte, die Frau auf der Studiobühne gesehen zu haben.

«Mona Questen, unsere Souffleuse», antwortete Magda zerstreut. Wieder drehte sie sich zu der Souffleuse um, die sich allein an einem entfernten Tisch niederließ und ihnen freundlich zunickte.

«Ist etwas nicht in Ordnung?», fragte Prottengeier.

«Nein, nein. Es ist nur ... Sie geht nie in eine Kneipe. Oder nicht hierher zumindest. Deshalb wundere ich mich etwas.»

Zwei Männer betraten den Raum. Der Mönch und der Schönling. Erleichtert winkte Magda sie heran. «Herrn Less kennen Sie ja schon, und das ist Herr Brandner.» Beide reichten Prottengeier die Hand und beugten sich dann zu Magda, um sie auf den Mund zu küssen. Dabei hatten sie sich doch eben erst gesehen.

Während sie sich setzten und ihre Bestellungen bei dem eilig herbeigeeilten Kosta aufgaben, fragte die Schauspielerin neugierig: «Und? Wie war’s?»

«Menschen, Tiere, Sensationen», grinste Peter Less und sah dabei den Kommissar an.

«Wie erwartet», stimmte ihm Karl Brandner zu.

«Genauer!», forderte die Schauspielerin. Mit einem entschuldigenden Blick zu Prottengeier sagte Brandner rasch: «Faust ist ein geiler, alter Knacker, der durch Zauberei ein junges Ding ins Bett bekommt. Ende.»

«Oh nein!», stöhnte Magda auf und zerwühlte in gespielter Verzweiflung ihre nicht vorhandene Frisur.

«Oh doch!», antwortete der schöne Karl mit Nachdruck.

Peter Less wandte sich an Prottengeier: «Beachten Sie die beiden Schmierenkomödianten am besten gar nicht. Unser Intendant vollstreckt nun anstelle von Frau Zadurek den Faust. Und er neigt eben zu ausgeklügelten Stückinterpretationen, die über den Horizont der beiden hinausgehen.»

Prottengeier nickte. Er erinnerte sich nur dunkel an den Faust. Irgendeine Geschichte von einem Wissenschaftler und dem Teufel. Faust erinnerte ihn hauptsächlich an seine Schulzeit, an Langeweile und den Blick aus dem Fenster seines Klassenzimmers. Eine Eberesche hatte davor gestanden. Während des Deutschunterrichts hatte er meistens versucht, ihre Blätter zu zählen. So viel zu «Faust». Wahrscheinlich müsste er ihn kennen. Vielleicht sollte er ihn noch einmal lesen. Auch das noch!

Kosta brachte zwei Bier an den Tisch. Als er gegangen war, fragte der Kommissar: «Sie wollten mir etwas erzählen?»

Schlagartig änderte sich die Stimmung. Magda Mann beschäftigte sich wieder mit ihrem Bierdeckel und sah niemanden an. Peter Less blickte auffordernd zu Karl Brandner, dem es sichtlich schwer fiel, einen Anfang zu finden. «Es geht um gestern Abend. Der Unfall ...» Er stockte.

«Sie und Herr Less standen auf der Bühne, als der Unfall geschah», versuchte Prottengeier ihm weiterzuhelfen. Überrascht sah Brandner ihn an. «Ich habe die Vernehmungsprotokolle gelesen, die mein Kollege gestern noch angefertigt hat.»

«Ach so. Ja, natürlich. Eigentlich wollte ich es gar nicht erzählen, aber Magda meinte, ich muss. Auch wegen Klaus ...» Wieder unterbrach er sich und sah Hilfe suchend zu seinen beiden Kollegen. Magda legte ihm die Hand auf den Arm und lächelte ermutigend. Karl Brandner atmete durch und fuhr fort: «Also, da oben war jemand.»

«Sie haben jemanden auf der Arbeitsgalerie gesehen?», fragte der Kommissar hastig.

«Nein, gesehen hab ich niemanden. Nicht direkt. Als der Zug nach unten gesaust kam, hab ich hochgeschaut. Ein Reflex wahrscheinlich. Erst war da gar nichts, aber dann hab ich gesehen, wie die Tür auf- und zuging.»

«Sie haben die Tür gesehen?», fragte Prottengeier.

Verlegen zuckte der Schauspieler die Schultern. «Man kann die Arbeitsgalerien nicht einsehen. Der Blickwinkel ist zu steil. Aber bei der ersten Arbeitsgalerie kann man sehen, wenn die kleine Stahltür aufgeht. Die ist direkt neben dem Stellwerk, also den Zügen.»

«Sie haben also gesehen, wie die Tür auf- und zuging?», fragte Prottengeier nochmals.

Karl Brandner nickte. «Magda meinte, das könnte wichtig sein. Alle Türen, die zur Bühne führen, haben nämlich Türstopper. Damit sie während der Vorstellung nicht knallen und Lärm machen. Sie gehen ziemlich schwer auf und zu. Es muss also jemand oben gewesen sein.»

Nachdenklich fragte Prottengeier: «Und Sie sind sicher, dass es die Tür auf der ersten Arbeitsgalerie war? Die Arbeitsgalerie, von der aus die Handzüge bedient werden?»

Wieder nickte der Schauspieler. «Ganz sicher. Bei der zweiten und dritten Arbeitsgalerie kann man die Türen gar nicht sehen. Zu hoch oben. Ich hab das eben mit Peter nochmal überprüft.»

«Das entlastet doch Klaus, oder?», fragte Magda eifrig. «Es kann doch sein, dass jemand oben war und zufällig an den Hebel gekommen ist. Und dann ist er schnell weggerannt!» Erwartungsvoll sah sie Prottengeier an.

Es tat ihm fast Leid, sie enttäuschen zu müssen. «Nein, Frau Mann. Das entlastet Herrn Töpfer nur bedingt. Wenn jemand zufällig an den Hebel gekommen ist, heißt das immer noch, dass die Bremse nicht vorschriftsmäßig eingerastet war. Herr Töpfer beteuert, dass das nicht der Fall sein kann. Irgendwelche Materialfehler oder Materialermüdung konnte die Kriminaltechnik auch nicht feststellen.»

Sekundenlang sah sie ihm direkt in die Augen. «Also Fremdverschulden?»

Er hielt ihren Blick fest. «Das ist die nächstliegende Erklärung. Mord. Vor allem, wenn wirklich jemand auf der Galerie war, worauf die Aussage von Herrn Brandner ja hindeutet.»

Es wurde kurz still am Tisch. Peter Less erholte sich als Erster. «Ich glaube, jetzt brauchen wir einen Schnaps.»

Prottengeier hob abwehrend die Hand, aber die beiden anderen nickten.

Kaum hatte Kosta die Bestellung aufgenommen und war wieder hinter seinem Tresen verschwunden, fragte der Kommissar: «Wer hält sich denn im Normalfall auf der Arbeitsgalerie auf?»

Wieder war es Less, der antwortete. «Während der Vorstellung nur die Techniker natürlich. Während der Proben auch mal der eine oder andere Schauspieler, oder jemand vom Haus, der nicht gesehen werden will.»

Der Kommissar horchte auf. «Wieso nicht gesehen werden will?»

Peter Less zuckte die Achseln. «Na ja, manchmal ist die Stimmung schlecht, oder der Probenprozess ist schwierig, und da will man keine Zuschauer. Manchmal ist es auch zu intim. Bei schweren Psychoszenen oder auch bei Nacktszenen. Da ist es einfach besser, wenn kein Fremder dabei ist, kein Probenfremder. Dazu gehören auch die Leute vom Haus, die nicht an der Produktion teilnehmen. Dann heißt es eben geschlossene Probe>. Und wenn die trotzdem zusehen wollen, gehen sie eben auf die Galerie.»

«Auch Theaterfremde waren schon oben», warf Brandner ein. «Familienangehörige von Schauspielern oder Technikern. Knoller ist manchmal oben, wenn er einen Regisseur überwacht. Einfach alle möglichen Leute.»

Also hätte jeder dort oben sein können, na wunderbar. Der kleine Kosta brachte die Schnäpse. Die drei Schauspieler hoben die Gläser und sahen sich an. Für einen Sekundenbruchteil hatte Prottengeier das Gefühl, als fände irgendeine Art von verborgener Kommunikation zwischen ihnen statt. Etwas, wovon er ausgeschlossen blieb. Aber der Moment ging zu schnell vorbei, sodass er nicht wusste, ob er es sich nicht doch nur eingebildet hatte.

«Und gestern Abend, war das auch so eine geschlossene Probe?»

Jetzt war es Magda, die süffisant grinste und sagte: «Fast alle Proben bei Pia waren geschlossene Proben. Aber das sollen besser die anderen beantworten. Ich war ja nicht dabei.»

«Sie spielen nicht im ‹Faust›?»

«Jetzt schon. Ich muss für die Kollegin mit dem gebrochenen Bein einspringen. Bis jetzt war ich im Märchenteam. Andere Baustelle.»

«Das ist auch so ein Punkt, den ich nicht ganz verstehe», bohrte der Kommissar freundlich. «Bei dieser Probe gab es ja noch diesen Unfall mit dem Bett. Eine Kollegin hat sich sogar das Bein gebrochen. Trotzdem haben sie gestern alle ausgesagt, es sei eine normale Probe gewesen. Ohne besondere Vorkommnisse.»

«War es auch», antwortete Brandner bestimmt. «Eine normale Probe bei Frau Zadurek. Mit dem üblichen Stress, den sie verbreitet hat, den üblichen Beschimpfungen, den üblichen Krachen und den üblichen Magengeschwüren.»

«Dass sich jemand das Bein bricht, ist aber nicht so üblich», warf Peter Less ein.

«Ist es nicht?», fragte Brandner zurück. «Was ist mit dem zusammengekrachten Gerüst bei ‹Antigone›, dem Perückenbrand bei ‹Wie es euch gefällt›, dem Fechtmassaker im Sommerstück?»

«Vergiss nicht den Bänderriss bei ‹Groß und Klein› oder die Flasche, die Achim beim ‹Klassenfeind› über den Kopf gekriegt hat. Und dann die eingeschlagenen Zähne bei Albee», warf Magda ein.

Peter Less hob abwehrend die Hände und sagte lachend: «Ist ja gut. Ihr habt Recht, eigentlich ist auch das gebrochene Bein normal.» Erklärend wandte er sich an Prottengeier. «Meine Kollegen haben Recht. In den Produktionen, die Pia gemacht hat, gab es immer wieder Unfälle und Verletzungen.»

«Und warum?», fragte Prottengeier.

Less überlegte einen Moment. «Sie hat sich nicht viel um die Sicherheit der Schauspieler geschert. Was gefährlich ist, sieht auch meist am besten aus. ‹Theater hat mit Artistik zu tun› war ihr Standardspruch. Ist ja auch nicht falsch, aber die muss man üben, damit nichts passiert. Das kostet Zeit, und die hatten wir nicht. Pia war enorm ehrgeizig und hat die Schauspieler immer wieder in Situationen gehetzt, die sie nicht beherrschten; Und dann ist eben was passiert.»

Der Kommissar betrachtete das Schauspielertrio. Für einen Moment schien jeder der drei in seine eigenen Erinnerungen versunken, Er würde das alles nachprüfen müssen, die Unfälle, die Verletzungen. Zumindest die äußerlichen. Bei den inneren, von denen es eine ganze Menge zu geben schien, würde er sich auf Erzählungen verlassen müssen. Auch eingebildete Kränkungen waren ein Mordmotiv.

«Aber bei all diesen Unfällen, ist da niemand aufmerksam geworden? Der Betriebsrat? Ihr Chef?»

«Unser Betriebsrat besteht aus einem Haufen Angsthasen!», antwortete Brandner verächtlich. «Und unser Chef ... Für Knoller zählen Zahlen. Und die Zuschauerzahlen waren gut bei ihren Produktionen.»

«Sie müssen wissen, dass es am Theater keine Festverträge gibt, Herr Prottengeier. Wir haben alle Ein- bis Zweijahresverträge. Und für uns gilt, was für alle Zeitarbeiter gilt: Schnell geheuert, schnell gefeuert», fügte Magda hinzu.

«Das Totschlagargument war: Arbeitsverweigerung!», trumpfte Peter Less auf. «Arbeitsverweigerung ist, wenn man nicht tun will, was der Regisseur gerne hätte. Ein sofortiger Kündigungsgrund! Damit hat sie dauernd gedroht.»

«Und die Künstlerehre hielt sie auch immer wie ein Damoklesschwert in der Hand», ergänzte Less.

Langsam bekam Prottengeier den Eindruck, als seien die drei auch noch stolz auf ihre miesen Arbeitsbedingungen. Wie sie sich gegenseitig übertrumpften. Was stimmte, und was war maßlos übertrieben? Schon auf der Studiobühne hatte er den Eindruck gehabt, dass diese Schauspieler sehr überschwänglich waren. In ihrer Kritik genauso wie in ihrer Begeisterung. Anstrengend. Ein bisschen verrückt.

So wie diese kleine Souffleuse, die sie von der gegenüberliegenden Seite des Raums ununterbrochen beobachtete. Sie lehnte über ihrem Tisch, als versuchte sie durch wundersame Osmose die Gespräche aufzufangen. Völlig ungeniert. Schnell sah er wieder weg.

Magda Mann hob ihr Glas und prostete ihm und ihren Kollegen zu. «Auf die letzte Bastion des Feudalismus! Auf das Theater.»

Ein bisschen glanzvoller hatte er sich das Ganze schon vorgestellt. «Noch eine letzte Frage, Frau Mann. Sie haben also Herrn Brandner überredet, der Polizei von seinen Beobachtungen zu erzählen. Das heißt doch, dass Sie gleich an Fremdverschulden gedacht haben? Warum?»

Sie lächelte ihn an. Sie hatte ein sehr schönes Lächeln.

«Vielleicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Pia einfach so verschwindet. Nicht, ohne noch jede Menge Ärger zu machen. Vielleicht, weil ich einfach ein dramatischer Mensch bin. Ich weiß nicht, es ist einfach ein Gefühl.»

Ein Gefühl hatte auch er von Anfang an gehabt. Schon als sein Kollege Schmidthahn ihm von dem Unfall erzählte. Vielleicht, weil er an Unfälle genauso wenig glaubte wie an den Weihnachtsmann.

Das Spiel heißt Mord

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