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15 und 17 Jahre später

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In den ersten Jahren nach ihrem Tod hatte Georg mit Yvonne um Saskias Zimmer gekämpft. Seine eindrücklichen Bitten, doch alles zu lassen wie es ist, hatte sie mit höhnischen Bemerkungen zurückgewiesen. Erst als er mit drohendem Ton sagte, wenn sie das Zimmer auch nur ein bisschen verändere, würde er das ganze Haus verkaufen und zwar umgehend. Das saß. Seit dieser Zeit ging er, so oft er in Hamburg war, immer für ein paar Minuten in ihren Raum, um an sie ganz im Stillen zu denken. Er freute sich an dem riesigen Bücherregal, in dem auch so viele englische und französische Bücher standen, die sie alle verschlungen hatte. Wegen ihrer außergewöhnlichen Sprachbegabung wollte sie ja Anglistik und Romanistik studieren. Bis alle ihre Ziele wie eine Seifenblase platzten. Gewöhnlich beendete er seine Erinnerungsandacht mit einem kurzen Blick aus dem Fenster und begab sich dann in andere Räume der großen Villa an der Elbchaussee. Am liebsten ging er als Erstes in die Küche, weil es dort warm und gemütlich war und so köstlich nach den Speisen roch. Auch konnte er sich ausgezeichnet mit der Köchin unterhalten, die sie in den letzten Jahren angestellt hatten. Helge wohnte zwar noch im Haus, hatte aber einen so unsteten Lebenswandel, dass es sehr schwer war, ihn anzutreffen. Yvonne war, wie er nicht ungern bemerkte, sehr häufig mit irgendwelchen Damen zum Shoppen, Golf oder Bridge verabredet, sodass er ungestört seinen Gedanken und Gefühlen nachhängen konnte.

In manchen Momenten wurde ihm sehr schmerzlich bewusst, wie unbefriedigend seine Beziehung zu Yvonne inzwischen geworden war. Dabei hatte alles so heiter und normal angefangen! Als er sie kennen lernte, war sie ein hübsches, natürliches Mädchen, die ihn ansteckte mit ihrer Lebensfreude. Sie hatte mit viel Talent sein Büro organisieren können und sah einfach fantastisch aus. Wie toll sie tanzen konnte! Ja, damals trug sie ihr blondes Haar noch lang und wenn ihr eine Locke ins Gesicht hing, warf sie sie mit Schwung zurück. Daran erinnerte er sich genau. Er genoss es, dass sie ihn offensichtlich bewunderte und ließ sich gern mit ihr sehen. Was war es eigentlich, das sie so verändert hatte, grübelte er. Das Geld? Als die Kinder klein waren, war es verständlich, dass sie nicht mehr so viel Zeit hatte für ihn. Sie gab ihren Beruf auf und kümmerte sich viel um die Kinder, während er jahrelang mit seiner Karriere im Konzern beschäftigt war. War das nicht normal? Das Auseinanderleben begann erst richtig, als die Kinder größer wurden. Vielleicht lag es an ihren Freundinnen, welche Yvonne, die sich damals zuhause langweilte, in die Besessenheit von Mode, Schmuck und Luxusurlaube getrieben hatten. Keine Ahnung, wem sie damit imponieren wollte! Ihm wurde der neue Lebensstil jedenfalls immer mehr zuwider. Und wie viel Gewese sie um Helge gemacht hatte! Sie hatte ihn ganz verweichlicht und verwöhnt. Aber am schlimmsten war dann der Skandal mit Philipp! Sich an einen jungen Verehrer der Tochter ranmachen- das war einfach zu viel. Wenn er bei diesen Erinnerungen angekommen war, fragte er sich, ob er den Graben, der sich zwischen ihnen entwickelt hatte, wohl je werde überwinden können. Sein bester Freund hatte ihn einmal darauf angesprochen, warum er sich nicht von Yvonne trennen würde. Er hatte schlicht seinen Vater zitiert, Trennung sei ein Zeichen menschlichen Versagens. Deswegen käme es nicht in Frage. Und Yvonne würde sich wegen des Geldes erst recht nicht von ihm trennen. So einfach sei das.

Wenn er in seinen Gedanken bei diesem Punkt angelangt war, schob er sein Nachsinnen über die Ehe meist beiseite und wandte sich wieder seinem Geschäftsalltag und dem Geheimnis mit seiner Tochter zu. Zwischen seiner noch immer sehr angespannten Tätigkeit im Konzern und den vielen Flugreisen genoss er meist die Ruhe im eigenen Haus. Am liebsten verbrachte er Stunden in seinem Arbeitszimmer am Computer und versuchte im Internet alles herauszufinden, was es über genetische Interventionen gab. Über Kryonik fand er viel seltener etwas. Als er aber mitbekam, dass ein aufgetautes Organ wieder funktionsfähig war oder gar ein Kaninchen aufgeweckt worden war, wuchs seine Aufregung fast ins Grenzenlose. Wann endlich wird es soweit sein? fragte er sich immer wieder. Und dann kam der große Tag.

Er wird diesen Augenblick nie vergessen. Die Sonne scheint gerade in den verschneiten Garten, sodass es ihm draußen überwältigend hell erscheint. Auf seinem Monitor taucht die Nachricht auf, dass es gelungen ist, einen eingefrorenen Menschen wieder zum Leben zu bringen. Glaub ich nicht, ist seine erste Reaktion. Ist heute der 1. April? Eine Nachrichtenente? Er fährt den Computer herunter und wählt erneut das Programm. Wieder steht da die skandalöse Nachricht. Weiter unten finden sich schon zahlreiche Kommentare von Journalisten. Morgen wird es die ganze Welt wissen, denkt er. Dann liest er weiter. Der erste aufgetaute Mensch ist ein 64jähriger Professor, der sich als einer der ersten einfrieren ließ. Aber er hat nur ein paar Stunden gelebt. Ernüchternd. Aber es ist immerhin ein Anfang. Georg weiß nicht wohin mit seiner freudigen Aufregung. Wenn er doch mit irgendwem sein Geheimnis teilen könnte, wünscht er sich zum hundertsten Mal. Er mag nicht mehr länger zuhause sein und macht sich auf an die Elbe. Dem wohlbekannten Weg folgt er heute viel länger als sonst. Bei der Kälte sind nur die Hundebesitzer unterwegs. Ich sollte mir auch einen Hund anschaffen, dann freut sich jedenfalls jemand, wenn ich nach Hause komme, sagt er sich mit etwas Bitterkeit. Auf seinem Rückweg fallen große Schneeflocken so dicht, dass er kaum den Weg vor sich noch erkennt. Gelegentlich wischt er sich mit dem Arm den Schnee vom Gesicht. „Wir werden es schaffen!“ redet er jetzt halblaut zu sich. Jetzt sollten sie nur schnell Fortschritte mit der genetischen Behandlung des Lynchsyndroms machen. Auch in der genetischen Forschung hatte sich in der letzten Zeit erstaunlich viel getan. Die versuchten Eingriffe konnten immer gezielter und damit effektiver sein. Bald werde er die Leitung des Konzerns aufgeben und nur noch dem neuen Geschäftsführer beratend zur Seite stehen. Wie herrlich viel Zeit werde er haben! Viel intensiver könne er sich bald mit den beiden Wissenschaften befassen. Als er die Einfahrt zu seinem Haus entlang schreitet, lässt der Schnee nach. Er trampelt mit den Füßen und schüttelt sich wie ein Hund, ehe er den erleuchteten Flur betritt. Gute Aussichten, sagt er seinem rotwangige Gesicht im Garderobenspiegel.

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