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Prolog

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Sue

Amersham, England, August 2013

Manchmal frage ich mich, warum ich das hier mache. Warum ich jeden Tag vor meinen Büchern sitze und angestrengt versuche, alles in meinen Kopf zu bekommen. Besonders Mathe macht mir zu schaffen. Ich kann die Gleichung noch so lang fixieren, nur werde ich die Lösung dadurch doch nicht erhalten.

Der Stift in meinem Mund ist schon ganz zerbissen, weil ich ständig auf ihm herumkaue, sobald ich nicht mehr weiterkomme. Jetzt ist ein solcher Moment, wo ich lieber den Schreiber zur Seite legen möchte, um mit meinen Freundinnen eine Shoppingtour zu machen. Doch dann schleicht sich Dean in mein Ohr. Ich habe ihm versprochen, das College durchzuziehen, um später Ärztin zu werden. So wie er am Grab unserer Eltern versprochen hat, auf mich und unseren kleinen Bruder Jayson aufzupassen. Er glaubt an mich, was einer der wichtigsten Gründe ist, warum ich nicht aufgeben darf. Aber der bedeutendste Ansporn ist Kane.

»Niemand da?«

Als ich seinen tiefen Bass höre, zucke ich kurz zusammen. Unheimlich, als hätten meine Gedanken ihn angezogen, steht er nun in unserem Haus. Schnell kämme ich mit meinen Händen durch die Haare, um wenigstens passabel auszusehen. »Hier!«, rufe ich aus der Küche und spüre sofort dieses unverkennbare Kribbeln im Bauch. Mein Herz macht wilde Purzelbäume, mein Puls rast.

»Na?«, fragt er mit samtig-weicher Stimme, als er den Raum betritt und schenkt mir dabei ein Lächeln, das mir fast den Verstand raubt. Seine Lippen bilden einen sinnlichen Bogen, dabei erhasche ich einen Blick auf seine makellos weißen Zähne.

Ich werde wohl nie genug von seinen hellgrauen Augen bekommen, die jedes Mal eine hypnotische Wirkung auf mich haben. »Suchst du Dean?«

»Ist er denn nicht da?«, fragt Kane, als er sich ein Bier aus dem Kühlschrank holt und auf den Stuhl neben mir setzt.

»Nein, er musste noch mal weg. Er kommt erst in ein paar Stunden wieder.«

»Kommst du voran?« Er deutet auf die Bücher vor mir.

»Nicht wirklich. Ich stecke bei Mathe fest.«

»Brauchst du Hilfe?«

»Wenn du nichts anderes zu tun hast ...« Ich kann gerade noch ein verzücktes Seufzen unterdrücken, als er eins der Bücher zu sich zieht und dabei mit seinen langen, schlanken Fingern für eine Millisekunde meine berührt.

Es ist nicht das erste Mal, dass er mit mir den Mathestoff für mein Studium durchgeht. Bei ihm scheint alles so klar und einfach zu sein.

Kane erklärt mir die Aufgabe, bei der ich gerade hänge, und scherzt zwischendurch, wie er es auch sonst immer tut. Manchmal glaube ich, er flirtet mit mir, aber vermutlich ist das reines Wunschdenken.

Ich bin in Kane verschossen, seit er das erste Mal unser Haus betreten hat. Mein Bruder glaubt, dass es sich um eine bloße Schwärmerei handelt, die sich irgendwann geben würde. Doch ich bin mir sicher, dass ich mein Herz unwiderruflich an Kane verloren habe. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denken muss. An sein Lächeln. An seinen Blick. An seine rauen Hände, die mich in meinen Träumen berühren. Und an seine Lippen, die mich küssen – überall.

Sollte Dean jemals von meinen Gedanken über seinen besten Freund erfahren, wäre hier die Hölle los. Er mag Kane, der wie ein Bruder für ihn ist. Dean ist froh, dass wir uns alle so gut verstehen. Nur hält er Kane für einen schamlosen Playboy, der dauernd irgendwelche Frauen abschleppt. Mein Bruder würde mich ganz bestimmt nicht mit seinem Freund allein lassen, wüsste er von dessen Wirkung auf mich. Daher bin ich immer darauf bedacht, mir nichts anmerken zu lassen und meine Gefühle zu überspielen, was alles andere als einfach ist.

»Hast du alles verstanden?«, möchte Kane wissen, als ich die letzte Ziffer aufs Papier bringe.

»Ich denke schon.«

»Gut.« Er sieht auf seine Hände, die auf dem Tisch liegen. »Wo ist Jayson?«, fragt er nach meinem jüngeren Bruder.

»Dean hat ihn vorhin zu einem Freund gebracht. Er übernachtet da.«

Kane hebt den Kopf und sieht mich an. Sein Blick ist elektrisierend und so unglaublich intensiv, dass ich mich unmöglich abwenden kann.

»Und was machen wir jetzt?«

Bilde ich mir das ein oder klingt seine Stimme belegt? »Hast du Hunger?«, bringe ich kaum hörbar heraus.

»Ja.« Dabei lässt er mich nicht aus den Augen.

»Soll ich etwas zu Essen machen?«, frage ich mit einem dicken Kloß im Hals und fahre mir mit der Zunge schüchtern über die Lippen. »Wollen wir eine Pizza kommen lassen? Oder wäre dir chinesisch oder ein Burger lieber?«

»Pizza klingt gut. Dabei könnten wir uns einen Film ansehen.«

»Ich suche einen Film aus und du bestellst das Essen.« Bei der Vorstellung, mit Kane alleine auf einem Sofa zu sitzen, wird mir fast schwindelig. Auch wenn wir schon des Öfteren zusammen einen Film angesehen haben und er mich dabei auch hin und wieder leicht berührt hat, mich manchmal sogar an sich zog, ist es für mich immer wieder aufregend. Und jedes Mal hoffe ich auf mehr. Aber zu meinem Leidwesen ist dauernd jemand oder etwas dazwischengekommen. Allerdings kommen heute weder Jayson noch Dean nach Hause. Dieses Mal könnte es anders werden ... Jeder einzelne Nerv in mir vibriert.

Aber empfindet Kane so wie ich?

Langsam schiebt er seinen Stuhl zurück. »Quattro Stagioni, wie immer?«

»Wie immer«, bestätige ich lächelnd und gehe ins Wohnzimmer, während er den Pizzaservice anruft.

Ich versuche gerade, mich zwischen zwei Filmen zu entscheiden, als er sich über meine Schultern beugt. »10 Dinge, die ich an dir hasse oder Daniel Craig als James Bond

»James Bond«, antwortet er. Sein warmer Atem streift dabei meine Haut und ein Kribbeln geht durch meinen Körper.

Ich möchte mich zurücklehnen, um ihm näherzukommen. Stattdessen setze ich mich neben ihn, darauf bedacht, nur wenig Raum zwischen uns zu lassen. Seine Nähe macht mich ganz kribbelig. Ich wünschte, er würde den Arm um mich legen, mich halten, mich streicheln. Aber ich bin zu feige, den ersten Schritt zu machen, also bleibe ich still neben ihm sitzen und konzentriere mich auf den Film. Ich versuche es zumindest.

Irgendwann klingelt es und noch ehe ich reagieren kann, erhebt sich Kane vom Sofa und geht zur Tür. Ich lausche seiner Stimme. Höre, wie er den Pizzakurier bezahlt und sich bei ihm bedankt, bevor er mit einem großen Pappkarton ins Wohnzimmer zurückkommt.

»Abendessen«, sagt er feierlich und legt die geöffnete Pizzaschachtel vor uns auf den Tisch.

Wir nehmen beide ein Stück und beißen fast gleichzeitig hinein.

Wenn mich jemand fragen würde, was in den letzten Minuten im Film passiert ist, müsste ich lügen. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, Kane beim Essen zuzusehen. Bei jedem Bissen, den er macht, träume ich insgeheim davon, seine Lippen mit meinen zu berühren. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, sie zu küssen, sie zu schmecken.

Ein bezauberndes Lächeln umspielt seine Lippen. »Gefällt dir, was du siehst?«

Erschrocken reiße ich die Augen auf und mache einen Satz zur Seite. Meine Wangen werden rot, weil er mich dabei ertappt hat, wie ich ihn beobachtet habe. »Tut mir leid«, sage ich ganz verlegen.

»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Sehr«, antworte ich im Flüsterton. Jetzt glüht mein Gesicht noch mehr.

»Komm wieder zu mir«, sagt er sanft.

Nur zu gern rutsche ich wieder an seine Seite und ehe ich mich versehe, liegt sein Arm auf meinen Schultern.

Viel zu schnell beginnt der Abspann, viel zu schnell kommt der Gedanke, dass Kane bald nach Hause gehen könnte. Ich möchte nicht, dass er geht. Verzweifelt vergrabe ich eine Hand in seinem Shirt und bitte ihn stumm zu bleiben.

Als er mir dann plötzlich mit seiner Hand meinen Arm auf und ab streicht, setzt für einen Moment mein Atem aus. Vielleicht habe ich sogar ein leises Stöhnen von mir gegeben, ich bin mir nicht sicher. Ich lausche jedem seiner Atemzüge und fühle seine Finger abwechselnd in meinen Haaren und auf meiner Haut. Ich kuschle mich dichter an seine Brust, spüre dabei seinen ruhigen Herzschlag und als dann seine Lippen einen zarten Kuss auf meinen Scheitel drücken, dann noch einen auf meine Schläfe, rutschen mir Worte aus dem Mund, die ich mich sonst niemals getraut hätte zu sagen.

»Möchtest du mit mir nach oben gehen?«

Kane zuckt zusammen und sein Herz schlägt mit einem Mal schneller. Doch er bewegt sich nicht, hält mich nach wie vor in seinen Armen.

Ich schlucke schwer und habe Mühe, zu atmen. Verzweifelt warte ich auf seine Antwort.

Nach ein paar Sekunden, die sich anfühlten, wie eine halbe Ewigkeit, legt Kane einen Daumen unter mein Kinn und hebt es etwas an. Sein Blick bohrt sich in meinen. »Bist du sicher?«

»Ich war mir nie sicherer.«

Seine Augen wirken dunkler als zuvor. »Ich hatte gehofft, du würdest das fragen, Sweetheart.«

Mein Herz hört auf zu schlagen, um in der nächsten Sekunde in einen wilden Galopp zu verfallen. »Komm«, hauche ich. Ich stehe auf und halte ihm die Hand hin. Gemeinsam gehen wir zur Treppe und hinauf in mein Zimmer.

I fight for you

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