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4. Kapitel

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Sue

Als ich am nächsten Morgen aufwache, dröhnt mein Kopf, als würde ihn jemand mit einem Hammer bearbeiten. Daran ändert sich auch nach zwei Aspirin nichts. Schlimmer als der Schmerz ist jedoch mein schlechtes Gewissen. Ich habe Jayson versprochen, vorsichtig zu sein, keine unnötigen Risiken einzugehen, doch nun habe ich gleich vier neue Jobs am Hals und stecke damit noch tiefer in der Sache drin als jemals zuvor.

Aber mein Gewissen bezahlt unsere Rechnungen nicht. Das Geld, das ich bei diesen Jobs verdiene, würde Jayson und mich für eine ganze Weile über Wasser halten. Der Staubsauger macht bereits seltsame Geräusche und die Schulgebühren für das nächste Semester sind auch bald fällig. Überlegungen, die ich in meine Entscheidung miteinbeziehen muss. Egal, wie ich es drehe oder wende, ich werde Ike nicht absagen können.

Ich lege meinen Laptop auf den Küchentisch, schalte ihn ein und hole mir ein Glas Orangensaft aus dem Kühlschrank. Dann klicke ich auf meinen Internetbrowser. Kaum ist das Fenster offen, gebe ich Brandt Conners in das Suchfeld ein. In weniger als zwei Sekunden erscheinen hunderte Einträge mit diesem Namen. Ich fange oben an und arbeite mich nach unten durch. Er scheint wirklich sauber zu sein. Ein junger Mann, der sich mit dem Geld seiner Eltern ein schönes Leben macht. Mehr feiert, als arbeitet und sich anscheinend nur um sein eigenes Wohl kümmert. Wie Ike bereits sagte: verwöhnt und geil auf Spritfresser.

Als ich gerade Fotos von Conners durchsehe, ertönt Jaysons Stimme hinter mir. »Was ist denn so interessant, dass du derart gebannt auf den Bildschirm starrst?«

Erschrocken klappe ich das Notebook zu und drehe mich zu meinem Bruder um. »Mann, Jayson!« Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. Ich hasse es, wenn er sich so anschleicht.

»Nicht immer so schreckhaft, Schwesterchen«, sagt er und grinst wie ein kleiner Junge, dem ein besonders toller Scherz gelungen ist – auf meine Kosten.

»Das nächste Mal ziehe ich dir das Fell über die Ohren.« Um meine Drohung zu unterstreichen, hebe ich meinen Zeigefinger in die Höhe.

»Wer ist dieser braunhaarige Sonnyboy, der dich so abgelenkt hat?« Er nickt Richtung Laptop und ein albernes Lächeln umspielt seinen Mund.

»Niemand.«

»Für einen Niemand hat er aber sehr viel deiner Aufmerksamkeit bekommen.« Er zwinkert mir zu und ich verdrehe die Augen.

»Du bist ein Idiot, Jayson.«

»Ach wirklich? Wie heißt der Typ denn? Und wo hast du ihn kennengelernt? Sieht gut aus.«

»Ich kenne ihn nicht.«

Jayson zieht die Augenbrauen zusammen und plötzlich ändert sich die Stimmung im Raum. »Warum glaube ich dir nicht?«

»Ich habe den Kerl zufällig auf Facebook gefunden und recherchiert. Aber glaub doch, was du willst.« Ich ziehe gespielt lässig die Schultern hoch.

Jayson starrt mich an, bis es mir unangenehm wird und ich aufstehen muss. Offenbar bin ich eine verdammt schlechte Lügnerin oder mein kleiner Bruder hat ein besonderes Gespür entwickelt. Früher war es einfacher, ihm Halbwahrheiten unterzujubeln.

»Du willst sein Auto klauen, stimmt’s?«, fragt er, als ich bereits an der Treppe nach oben angelangt bin. Ich bleibe stehen, drehe mich jedoch nicht um. »Stimmt’s? Du spionierst den Kerl aus, den du bald bestehlen willst.«

»Nein, so ist es nicht.« Ein kläglicher Versuch, es zu erklären, wenigstens entspricht es der Wahrheit. Ich klaue nicht Conners Autos, sondern stehle welche für ihn.

»Ich möchte, dass du damit aufhörst.«

Ich lasse den Kopf hängen. »Das kann ich nicht.«

»Im Augenblick weiß ich echt nicht, was ich von dir halten soll«, sagt Jayson und ich höre die Enttäuschung in seiner Stimme. Er klingt nach einem kleinen Jungen, der mehr von mir erwartet hat. Aber was? Dass ich alles aufgebe, was uns über Wasser hält?

»Jayson, lass mich dir ...«

»Spar dir die Mühe, Sue«, fällt er mir ins Wort. Ich drehe mich zu ihm um. Jayson steht bereits an der Haustür und hat die Hand auf den Türknauf gelegt. Sein Blick ist eine Mischung aus Frust und Wut. »Warte heute Abend nicht auf mich. Ich werde bei Jill übernachten.«

***

Die Auseinandersetzung mit Jayson zerrt an meinen Nerven und lenkt mich auch am Abend noch ab. Ich sollte mich konzentrieren, endlich diesen verflixten Mercedes hacken und dann verschwinden. Stattdessen steige ich aus meinem Auto und gehe auf den Panther zu. Ich strecke meine Hand aus und fahre leicht über die glatte Oberfläche; erkunde die lange Haube mit meinen Händen. Während ich die feinen Linien des Sterns, das Markenzeichen des Mercedes’, unter meinen Fingerspitzen fühle, kommt mir nur ein Gedanke: Der wäre wie für Kane gemacht. Er liebt schnelle Autos. Sportliche Fahrzeuge mit gewissen Extras haben es ihm immer schon angetan. Er wäre bestimmt hin und weg von diesem Wagen.

Ich gehe um das Auto herum und beuge mich nach vorn, um durch das Beifahrerfenster ins Innere zu sehen. Natürlich kann ich nichts erkennen, auch wenn eine Laterne nur wenige Meter entfernt Licht auf die Straße wirft. Außer dem Lenkrad und einem rot blinkenden Warnlicht in der Mitte des Armaturenbretts ist nichts zu erkennen.

»Sweetheart.«

Kane. Ich zucke zusammen, suche Halt am Auto, woraufhin sofort die Alarmanlage losgeht. Sie schrillt laut in die Nacht, was meinen ganzen Körper noch mehr verkrampfen lässt. Unzählige Gefühle rasen durch mich hindurch und mein Herz hämmert viel zu schnell gegen meinen Brustkorb. Ich kann kaum atmen, versuche nur, mich auf den Beinen zu halten, während plötzlich Bilder aus der Vergangenheit auf mich einprasseln.

Die Alarmanlage hat mittlerweile aufgehört zu heulen, trotzdem nimmt das Schrillen in meinem Kopf kein bisschen ab. Diese Stimme hätte ich unter tausenden wiedererkannt. Diese Stimme, die mir immer eine gewisse Geborgenheit schenkte.

Ich kann nicht glauben, dass er hinter mir steht und dennoch weiß ich, dass er genau das tut. Wie oft habe ich mir gewünscht, er würde sich melden? Inzwischen sind fast drei Jahre verstrichen, seit er weggegangen ist und mich einfach zurückgelassen hat.

Ich spüre, dass er sich nähert und bekomme Angst, von ihm berührt zu werden. Obwohl ich mir in den vergangenen fünfunddreißig Monaten nichts sehnlicher gewünscht habe, als seine Arme um mich zu spüren, mache ich vorsichtig einen Schritt nach links und gehe, ohne auch nur einmal aufzublicken, auf mein Auto zu, das in diesem Moment viel zu weit weg steht. Mein ganzer Körper zittert, meine Beine sind wie Watte, mein Herz ein einziger Scherbenhaufen. Und auch wenn ich unendlich viele Fragen habe, kann ich keine einzige stellen. Ich kann ihm nicht mal ins Gesicht blicken. Ich will nur noch weg von hier und all das Chaos in mir wieder in Ordnung bringen.

»Sue.«

Es tut weh, meinen Namen aus seinem Mund zu hören. Ich gehe schneller auf meinen Honda zu, öffne ihn mit der Fernbedienung und schlüpfe hinter das Steuer. Dann schließe ich ab und stecke mit zittrigen Händen den Schlüssel ins Zündschloss. Ohne den Kopf zu heben, drücke ich das Gaspedal durch und fliehe.

Zu Hause angekommen, erwartet mich Dunkelheit und totale Stille. Mir fällt der Streit zwischen Jayson und mir ein und dass er bei seiner Freundin übernachtet. Meine Knie geben nach und ich muss mich an der Couch abstützen. Bisher ungeweinte Tränen brennen mir in den Augen und laufen über meine Wangen.

Ich brauche einen Drink. Mit einem Glas Whisky gehe ich hoch in mein Zimmer, setze mich auf den Boden, die Bettkante in meinem Rücken und nehme einen kräftigen Schluck.

Deans Tod hat eine schreckliche Leere hinterlassen, ebenso Kanes Verschwinden. Ich habe seine ruhige Stimme vermisst, seinen Charme, seine Nähe. Unzählige Male habe ich mir gewünscht, wieder in seine Augen blicken zu können. Doch jetzt, wo ich die Gelegenheit hatte, fehlte mir der Mut.

All die Jahre glaubte ich, so etwas wie einen Pakt mit mir selbst geschlossen zu haben, um auf diese Weise meine Gefühle tief in mir zu vergraben. Allerdings brauchte es nur ein kleines Wort – eine schwach gehauchte Begrüßung, als würde er selbst nicht glauben, mich zu sehen –, um alles in mir zum Einsturz zu bringen.

Ich nehme einen weiteren Schluck, um den Schmerz nicht mehr zu fühlen, der sich in meinem Herzen ausbreitet. Er schmeckt wie Verrat.

In jener Nacht vor drei Jahren verlor ich meinen älteren Bruder. Nur Stunden nachdem ich Kane meine Unschuld geschenkt habe. Ich habe ihn in mein Herz sehen lassen, weil ich annahm, er würde genauso empfinden wie ich. Allerdings war er am nächsten Morgen nicht mehr da, obwohl er es mir versprochen hatte. Er war nicht mehr da, als ich die Nachricht bekam, dass Dean tot sei. Er kam nicht wieder, obwohl ich ihn mehr denn je gebraucht hätte. Er ist einfach verschwunden. Ohne ein Wort. Ohne eine Erklärung. Ohne auf Wiedersehen zu sagen.

Ich musste Dean mit Jayson allein begraben. Sein bester Freund hielt es nicht für nötig, sich blicken zu lassen oder Abschied von ihm zu nehmen.

Dass ich Kane noch immer über alles liebe, nach allem, was passiert ist, macht mir Angst, weshalb ich vorhin nur eins tun konnte: wegrennen.

Die Wahrheit darüber, was ihn damals fortgetrieben hat, ist vielleicht schmerzhafter, als mit einer Illusion zu leben.

***

Es dämmert bereits, als ich die Lider öffne und mich langsam aufsetze. Jemand ruft meinen Namen.

»Sue?«

Warum liege ich auf dem Boden? Meine Kehle ist wie ausgetrocknet und mein Kopf fühlt sich an, als hätte ihn jemand zu oft gegen eine Wand geschlagen. Ich setze mich vorsichtig auf. Neben mir steht das leere Whiskyglas, das ich mehrmals nachgefüllt habe.

»Sue?« Hände legen sich auf meine Schultern.

Ich neige den Kopf, um in ein besorgtes Gesicht zu blicken. »Jayson«, flüstere ich und bittere Reue überkommt mich, als mir klar wird, dass ich in den gleichen Klamotten wie gestern und mit einer Alkoholfahne auf dem Boden hocke. Und vermutlich so aussehe, wie ich mich fühle: verdammt armselig. Jayson sollte mich nicht so sehen.

»Komm.« Er nimmt meinen rechten Arm, legt ihn über seine Schulter und hilft mir hoch, um mich auf meinem Bett abzusetzen. Dann verschwindet er für einen Moment. Als er zurückkommt, hält er einen feuchten Lappen in der einen Hand, in der anderen ein Glas Wasser. Behutsam fährt er mit dem Lappen über mein Gesicht. »Hier.« Jayson reicht mir das Glas.

Ich trinke es aus und stelle es neben mir ab.

Mein Bruder sieht mich ernst an. »Ist er es wirklich wert, dass du dich auf diese Weise zerstörst?«

Fragend starre ich ihn an. »Was meinst du damit?«

»Du hast mir letzte Nacht eine Nachricht geschickt. Darin stand ein einzelnes Wort. Sein Name. Und jetzt finde ich dich ziemlich neben der Spur in deinem Schlafzimmer auf dem Boden. Du riechst wie eine Flasche Scotch. Was ist los?« Sein Gesicht hat einen mitfühlenden Ausdruck angenommen.

»Er ist hier. Er ist in London. Kane ...« Sein Name kommt nur mit einem schwachen Flüstern über meine Lippen. »Er hat mich letzte Nacht angesprochen.«

»Kane?«

»Ja«, bestätige ich seine fassungslose Vermutung.

»Wo?«

Sollte ich ihm erzählen, dass ich plane, Kanes Auto zu stehlen? Ich sehe vieles von letzter Nacht verschwommen, aber bei einem bin ich mir hundertprozentig sicher: Dass der schwarze Mercedes Kane gehört. Was das zu bedeuten hat, werde ich wohl noch herausfinden müssen. »Vor seinem Haus, in der Innenstadt«, antworte ich schließlich.

»Hat er dir erklärt, warum er sich so lang nicht hat blicken lassen?«, will Jayson wissen und setzt sich neben mich.

»Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich konnte nicht. Ich habe ihn nicht mal angesehen. Er stand direkt hinter mir, als er meinen Namen sagte. Daraufhin bin ich ohne ein Wort davongelaufen. Ich hatte zu große Angst, ihm in die Augen zu sehen.«

»Ach Schwesterherz.« Jayson nimmt mich in die Arme und ich lasse es zu. »Was wirst du jetzt tun?«

»Nichts.«

»Vielleicht solltet ihr euch aussprechen?«

Bedrückt schüttle ich den Kopf. »Dafür bin ich nicht stark genug.« Nicht jetzt. Vielleicht niemals. Kane hat mich zu sehr verletzt. Ich wüsste nicht einmal, wo ich anfangen sollte.

»Du bist eine der stärksten Personen, die ich kenne. Du bist immer für mich da und seit Dean tot ist, hältst du hier alles am Laufen.«

»Das ist etwas völlig anderes.«

»Wenn du mit Kane redest, wird sich bestimmt einiges klären. Ich möchte dich endlich wieder glücklich sehen.«

Warum sollte ich nach einem Gespräch mit Kane wieder glücklich sein? Er hat mir wehgetan und mich im Stich gelassen. Weiß Jayson etwas, was ich nicht weiß? Ich könnte ihn fragen, lasse es aber. Lieber sage ich: »Mir geht es gut.«

»Nein, geht es dir nicht. Vor drei Jahren hast du nicht nur Dean und deinen besten Freund verloren, sondern auch dich selbst. Ich möchte die Sue zurück, die du davor warst.«

»Ich auch. Aber dafür ist es zu spät.«

»Sag das nicht.«

Wenn wir so weitermachen, zieht uns dieses Gespräch beide in die finstere, kalte Tiefe, in der ich schon seit Stunden feststecke. »Lass uns das Thema wechseln. Wo ist Jill?«

Sofort leuchtet sein Gesicht auf. Seine Augen strahlen. »Sie ist mit einer Freundin unterwegs.«

»Seht ihr euch später noch?«

»Ja, aber vorher könnte ich was zu essen vertragen.«

»Wie wär’s mit unserem Spezialburger?«

Mein Bruder verzieht angewidert das Gesicht. »Burger? Um diese Zeit?«

»Okay, okay«, sage ich einlenkend. »Dann eben weiße Bohnen, Speck und Ei?« Wie auf Kommando knurrt Jaysons Magen, woraufhin wir beide grinsen müssen. »Wie es scheint, ist dein Magen einverstanden. «

»Und wie«, meint er.

»Dann komm«, sage ich noch immer lachend und kneife ihm kurz in den Oberschenkel.

Mittlerweile sitzen wir auf der Couch, haben die Füße hochgelegt und essen unser Frühstück. »Weißt du eigentlich, dass ich ab heute Ferien habe?«, fragt mich Jayson, während er sich Rührei auf die Gabel schaufelt.

»Oh Gott«, entfährt es mir. Das habe ich völlig verschwitzt.

»Kein Ding«, meint er lächelnd. »Ich brauche keinen Aufpasser mehr. Ich habe mir sogar einen Job besorgt.«

»Im Ernst?«

»Ich kann mindestens vier Wochen im Baumarkt arbeiten. Wenn ich die Arbeit gut mache, kann ich vielleicht länger aushelfen.«

»Und was ist mit diesem Sommerlager, an dem du unbedingt teilnehmen wolltest? Das ist doch in wenigen Wochen.« Bereits im Frühjahr kam er zu mir und fragte mich, ob er mit seinen Rugbykumpels ins Camp fahren dürfe. Damals wusste ich noch nicht, ob ich genug Geld zusammenbringen würde. Aber als er sich dann enttäuscht in seinem Zimmer verkrochen hatte, schwor ich mir, dass ich ihm diesen Wunsch erfüllen würde. Koste es, was es wolle. Jeden Cent, den ich während der vergangenen Monate zur Seite legen konnte, habe ich ihm vor einigen Tagen in sein Sparschwein gestopft.

»Erst in fünf, aber das ist nicht so wichtig.«

»Jayson.« Ich schiebe meinen Speck zur Seite und drehe mich in seine Richtung. »Du freust dich schon so lang auf dieses Ferienlager. Du darfst meinetwegen nicht darauf verzichten. Das würde ich mir nie verzeihen.«

Er reagiert mit einem vagen Schulterzucken. »Es ist in Ordnung, glaub mir.«

Ich schüttle den Kopf. »Versprich mir, dass du gehst.«

»Aber ...«

»Du bist ein einzigartiger Spieler«, unterbreche ich ihn. »Dieses Camp könnte dir Türen öffnen, die sonst vielleicht für immer verschlossen bleiben. Außerdem hast du bereits viel zu viel zurückstecken müssen. Jetzt bist du dran.«

»Denkst du das wirklich?«, fragt er. Seine Stimme ist eine Spur leiser als sonst.

Ich nehme seine Hand, die zwischen uns auf dem Sofa liegt und schaue ihm fest in die Augen, sodass er auch sehen kann, wie ernst es mir damit ist. »Auf jeden Fall und weißt du was? Ich bin unheimlich stolz auf dich.«

»Danke.« Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, ehe er mich in eine Umarmung schließt. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«

»Das weiß ich.«

***

Die Stunden mit meinem Bruder taten gut. Sie haben mich wieder geerdet und ein klein wenig aufatmen lassen. Für einen Moment konnte ich so tun, als wäre meine Welt in Ordnung.

Es ist Mittag, die Sonne drückt durch die Wolken. Ich sitze auf dem Dach meines Hondas, den ich auf der Anhöhe geparkt habe, lasse die Beine über die Kante baumeln und überblicke die Stadt. In der Hand halte ich mein Handy. Ich sollte Ike eine Nachricht senden, aber was soll ich ihm schreiben? Ich kann ihm nicht von Kane erzählen und auch nicht von unserer Begegnung. Nicht, weil es ihn nichts angeht, sondern weil ich meinen einstigen besten Freund nicht bestehlen kann.

Ich habe viel über die letzte Nacht und die Tage davor nachgedacht, an denen ich den schwarzen Mercedes beobachtet habe. An den Moment im Parkhaus ... Da begriff ich, was ich insgeheim schon von der ersten Sekunde an, als er aus dem Wagen stieg, wusste.

Er ist es.

Heute bin ich mir sicher, dass es kein Zufall war, dass er mir sein Gesicht nicht zeigte. Er wusste, dass ihn jemand verfolgte. Auch, dass ich diese Person war? Warum zeigte er sich mir dann erst gestern? Und warum zum Teufel musste Ike ausgerechnet Kanes Sportwagen aussuchen? Wie, verflucht noch mal, komme ich aus dieser Sache wieder raus?

»Es gefällt mir, dass du noch immer diesen Ort besuchst.«

Ich fahre zusammen, als hätte mir jemand einen elektrischen Schlag verpasst und falle vom Autodach. Oder beinah, denn ehe meine Füße den Boden berühren, halten mich starke Hände an der Taille fest.

»Lass mich los!« Ich boxe gegen Kanes Brust, die sich unheimlich hart anfühlt. Seine Finger an meinen Seiten brennen sich in mein Fleisch, als wären sie aus purem Feuer. »Nimm deine Hände weg!« Ich verpasse ihm weitere Schläge auf den Oberkörper. Nur scheinen ihm meine Fausthiebe nicht im Geringsten zuzusetzen. Er rührt sich nicht und sagt nichts, hält mich einfach fest, bis ich keine Kraft mehr habe.

Mein Puls rast, nicht nur von der Anstrengung, vielmehr wegen seiner Nähe. Es ist so lang her, seit er mich das letzte Mal berührt hat, dennoch fühlt sich das hier viel zu vertraut an.

Ich habe Angst, meinen Blick zu heben. Angst, in seine wunderschönen Augen zu sehen, die mich jede Nacht in den Träumen heimsuchen. Angst, meine Mauer aus Selbstschutz zu verlieren, wenn ich ihn nicht sofort von mir stoße. »Lass mich los. Bitte, Kane, lass mich los«, flehe ich ihn an.

»Ich kann nicht.« Sein Atem streift warm über meine Haut. »Sieh mich an, Sue. Bitte, sieh mich an.«

Langsam hebe ich das Kinn und lasse dabei meinen Blick über seinen Körper wandern. Seine Beine stecken in verwaschenen Jeans, sein angespannter Bizeps zeichnet sich deutlich unter dem Stoff seines schwarzen Shirts ab. Er ist muskulöser als früher. Offenbar hat er viel trainiert.

Ich halte die Luft an, als mein Blick weiter nach oben gleitet. Seine feinen Locken sind einem Kurzhaarschnitt gewichen, die Gesichtszüge markanter und, oh Gott, sein Mund und seine Augen sind anziehender denn je. Zwar strahlen seine hellgrauen Augen nicht wie früher, trotzdem ziehen sie mich sofort in den Bann, wie sie es schon immer getan haben und ich ringe zitternd um Atem.

Schon so oft habe ich mir gewünscht, dass er eines Tages zurückkommen und mich in seine Arme schließen würde, mir eine plausible Erklärung für sein Verschwinden gäbe und es wieder wie damals sein könnte. Doch jetzt, wo ich in ansehe, steigen erneut so viele Gefühle in mir hoch, dass ich nicht mehr weiß, was ich fühlen soll. Hoffnung, Enttäuschung, Liebe, Wut, Erleichterung und Angst wüten gleichzeitig in meinem Innern, wobei sich der Zorn immer mehr an die Oberfläche drängt.

»Warum bist du hier, Kane?«

»Weil ich dich sehen musste.«

»Nach drei Jahren?«, frage ich ihn kalt.

Er legt seine Stirn in Falten und wirkt zerknirscht. Doch das bilde ich mir sicher nur ein.

»Ich sollte nicht mal jetzt hier sein.«

»Dann geh! Es hat dich niemand gebeten, herzukommen.« Ich versuche, mich aus seinem Griff zu lösen und zu meiner Überraschung gibt er mich frei.

»Verzeih mir, Sue.« Seine Stimme klingt ruhig und zugleich besorgt, aber das ist mir egal. Jedenfalls ist es das, was ich mir versuche, einzureden. Es ist einfacher, Distanz zu bewahren und mich glauben zu machen, ich würde ihm nichts mehr bedeuten, als noch mal Gefühle zuzulassen, die schlussendlich nicht erwidert werden.

»Was soll ich dir verzeihen? Dass du mich verlassen hast, obwohl du versprochen hast, da zu sein, wenn es Morgen wird? Dass du nach Deans Tod einfach verschwunden bist, ohne ein Wort zu sagen? Was davon soll ich dir denn vergeben, Kane? Was?«, frage ich aufgebracht.

Seine Züge wirken traurig und irgendwie leer. »Sue.« Er hebt die Hand, um mich zu berühren, lässt sie jedoch wieder an seine Seite fallen, nachdem er mir in die Augen gesehen hat.

»Ich dachte, ich würde dir etwas bedeuten. Aber an jenem Tag, an dem du einfach gegangen bist, hast du mir gezeigt, wie viel das ist. Nämlich nichts!«

Bei meinen Worten weicht er einen Schritt zurück, als hätte ich ihn geschlagen. Ja, genau so fühlt sich das auch für mich an. »Du weißt, dass das nicht stimmt. Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen und vieles anders machen. Aber das geht nicht. Glaub mir, ich wollte dir nie wehtun.«

»Aber genau das hast du getan, Kane und zwar jeden Tag aufs Neue, bis ich endlich begriffen habe, dass du mich nur im Bett haben wolltest.« Ich ersticke fast an meinen Worten, weil ich sie nur unter großer Anstrengung über meine Lippen bringe. Ich öffne die Fahrertür. Ich muss weg von hier.

»Gib mir eine Chance, dir alles zu erklären«, fleht er mich an, als ich ins Auto steige. »Sweetheart ...«

»Lass mich in Ruhe, Kane«, sage ich und werfe die Tür zu. Hastig starte ich den Motor und fahre los.

Ich kann gar nicht schnell genug von ihm wegkommen, zugleich vergrößert sich der Abstand zwischen uns viel zu rasch.

Mein Herz schmerzt, während sich mein Magen krampfartig zusammenzieht. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Seele noch mehr zerbrechen kann, als sie es ohnehin schon ist. Dass ich noch mehr von mir verlieren kann.

I fight for you

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