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Die weibliche Macht der Malinche
ОглавлениеDie Expeditionsflotte segelt um die Halbinsel herum in den Golf von Mexiko und macht Halt an der Mündung des Tabascos. Die dort ansässigen Mayas sind vorgewarnt und begegnen den goldgierigen Neuankömmlingen feindlich. Es kommt zum Kampf, den die Spanier mit Leichtigkeit gewinnen. Der unerfahrene Cortéz lernt eine wichtige Lektion: Auf die Maya-Krieger mit Waffen der Bronzezeit haben die Gewehre und Kanonen der Spanier eine verheerende Wirkung. Das heißt, dass die Spanier selbst dann mit einem Sieg rechnen können, wenn die Feinde zehnfach in der Überzahl sind.
Die unterworfenen Indianer am Tabasco-Fluss geben den Spaniern 20 Frauen als Geschenk. Eine von ihnen heißt Malinali, die Mexikaner nennen sie später Malinche. Als Cortéz herausfindet, dass sie Nahuatl, die Sprache der Azteken, spricht, macht er sie zu seiner Geliebten. Schnell lernt Malinche Spanisch – und wird damit zum Schlüssel für Cortéz' Erfolg in Mexiko. Cortéz und sie werden ein unzertrennliches Duo, ein Team, das sich mit Überredungskunst, subtiler Drohung, Raffiniertheit und Brutalität den Weg nach Mexiko ebnet. Eine einheimische Frau führt die Spanier nach Mexiko – eine Ungeheuerlichkeit für die schockierten Azteken.
Malinche ist bis heute eine problematische Figur. Ihr Bild im Volk ist das einer Hure, Betrügerin, Todesgöttin. Im heutigen Mexiko wird jemand, der der US-amerikanischen Kultur verfällt, als „Malinchista“ beschimpft, als Verräter Mexikos. Die Wahrheit ist natürlich komplexer. Alle wichtigen Gespräche zwischen den beiden Welten, zwischen Spaniern auf der einen und Mayas und Azteken auf der anderen Seite, gingen über Malinche, und sehr wahrscheinlich hat sie die Ereignisse durch ihre Dolmetscherrolle manipuliert.
Vermutlich hatte keine andere Frau ihrer Zeit, in beiden Kulturkreisen, so viel Freiheit und Macht wie sie. Ihre Geschichte bleibt uns verborgen – und so ist Malinche eine der rätselhaftesten und faszinierendsten Figuren der Weltgeschichte. Bis zum Schluss blieb sie Cortéz treu ergeben. War es Lust an der Macht in einer von Männern beherrschten Welt, die sie trieb? War es Stolz, eine Schlüsselrolle im Lauf der Welten zu spielen? Oder war es vielleicht einfach nur Liebe? War sie, wie viele Mexikaner glauben, dem bärtigen, weißen Fremden verfallen? Nur das wissen wir: Durch diese Verbindung fand Cortéz sein Schicksal.
Cortéz segelt weiter nach Norden entlang der Küste bis zu einer kleinen Insel, die vor der heutigen Stadt Veracruz liegt. Hier begegnet er zum ersten Mal den Azteken. Das ist am Ostersamstag des Jahres 1519. Er trifft auf eine Gesandtschaft des Herrschers Mexikos, des „Großen Sprechers“ der Azteken. Sein Name: Motecuhzoma der Zweite, auf Nahuatl „der zürnende Fürst“. Verballhornt ging er unter dem Namen Montezuma in die Geschichte ein. Er hat von den fremden Neuankömmlingen gehört, auch von ihren seltsamen Waffen und den Scharmützeln. Und trotzdem, das ist das Überraschende, lässt er ihnen Essen und Geschenke schicken, Edelsteine, Federschmuck und Gold.
Die Reaktion der Spanier fasziniert die Azteken: „Die Spanier waren völlig aus dem Häuschen, sie stürzten sich auf das Gold wie Affen, mit hochroten Gesichtern. Ihr Durst nach Gold war ganz offensichtlich unstillbar. Sie hungerten, sie gierten danach, sie wollten es in sich hineinstopfen wie Schweine. Sie hörten nicht auf, das Gold zu befingern und es hin und her zu reichen, und dabei quasselten und kicherten sie wie Kinder.“
Cortéz kratzt hastig ein paar Gegengeschenke zusammen und nutzt die Gelegenheit, um den Azteken eine Demonstration seiner Waffengewalt zu geben. Er lässt seine Kavallerie in vollem Galopp den Strand entlang stürmen und gleichzeitig die große Kanone feuern. Die Gesandten fallen buchstäblich um vor Angst. Cortéz kennt damit seinen entscheidenden Vorteil. Er und seine Männer sind den Azteken zwar zahlenmäßig weit unterlegen, aber seine Technologie ist der ihren um Jahrtausende voraus.
Bevor die Gesandtschaft aufbricht, stellt Cortéz die Frage, die ihm auf den Lippen brennt: „Habt ihr noch mehr Gold? Denn ich und meine Männer leiden an einer Krankheit des Herzens, für die es nur ein Heilmittel gibt: Gold.“ „Ja“, sagt der Botschafter, „sie hätten noch viel mehr.“ Er hätte keine schlimmere Antwort geben können.