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„Unglaublich, daß das leichte Heu so schwer werden kann!“ stöhnte Anneli und schleppte den dritten Armvoll Heu den steilen Weg vom See hinauf.

Tapio schob, so gut es ging, aber seine Hand schmerzte und war im Weg. Wenn er wenigstens diesen Fisch erwischt hätte, wäre es leichter gewesen, den Schmerz zu ertragen.

Anneli ließ das Heu auf den Boden der kleinen Scheune fallen. Das bißchen, was sie zusammengeschleppt hatten, würde der Kuh nur für ein paar Tage reichen ... Und die Ziegen ... die mußten so lange wie möglich draußen bleiben und sich anschließend um die Laubbüschel balgen.

„So, jetzt stell ich die Mehlsuppe auf“, sagte sie. „Vater hat sicher Hunger.“

Als sie über die Schwelle trat, sah sie zu ihrem Entsetzen, daß Vater Besuch hatte. Ein Mann saß ihm gegenüber am Tisch.

„Du kannst dir die Sache ja wenigstens noch einmal durch den Kopf gehen lassen“, sagte der Fremde und streckte die Hand aus.

Da erblickte er Anneli. Sein Gesicht wurde weiß. Anneli dachte, er wäre gekommen, um sie zu holen, und stürzte mit wild klopfendem Herzen auf den Wald zu. Niemals würde sie sich fangen lassen.

Tapio sah, wie seine Schwester mit schreckgeweiteten Augen vorbeirannte. Was konnte das sein, was sie so sehr erschreckt hatte? Er lief zum Haus hinauf. Auf der Schwelle stieß er mit einem Mann zusammen, der war so bleich wie der Tod.

Das war doch der Nachbar von jenseits des Waldes! Was hatte der hier zu suchen? War es möglich, daß er etwas über Anneli erfahren hatte?

Aber ihn hatte etwas anderes erschreckt. Drin im Haus saß Vater und lachte und rief:

„Geschieht ihm recht! Der kommt so schnell nicht wieder. Als er Anneli sah, glaubte er, Mutters Geist zu erblicken!“ Doch dann hörte Vater auf zu lachen, und sein Blick verfinsterte sich.

„Er wollte den Hof kaufen, weil er sich einbildete, wir kämen hier oben nicht zurecht. Jetzt glaubt er, daß er den Hof billig haben kann. Aber wir werden es ihnen zeigen, Tapio. Nicht wahr! Dich will er übrigens als Knecht übernehmen.“

Tapio antwortete nicht. Er war schon zum Wald unterwegs, um Anneli zurückzurufen.

Heute abend begnügte Vater sich nicht mit Mehlsuppe. Er verlangte Hafergrütze und Honigbier, das Anneli gebraut hatte.

Ist mir auch recht, dachte Anneli. Die Grütze mußte nicht gerührt werden, sondern brauchte nur vor sich hin zu köcheln. Ja, die Grütze wurde sogar besser, je mehr man sie in Ruhe ließ. Anneli leerte Fischsud und Hafermehl in den Topf.

Da sah sie, daß fast kein Mehl mehr da war. Und sie hatten kein Getreide, das sie hätte mahlen können. Wo sollten sie nur Mehl hernehmen?

Vater trank einen tiefen Schluck Honigbier aus dem Krug. Er mußte immer wieder von neuem über das Gesicht des Nachbarn lachen.

„Geschieht ihm recht ...“

Dann wurde er gesprächig und wollte erzählen. Anneli hörte ihm gern zu, obwohl sie Vaters Geschichten schon alle kannte. Sie setzte sich hin und begann, einen Fäustling zu stricken. Gesponnene Wolle hatte sie oben auf dem Dachboden gefunden, als sie das Bündel versteckt hatte. Mutter hatte die Wolle noch karden und zu Garn spinnen können. Aber zum Stricken hatte die Kraft nicht mehr gereicht.

Mutter ... Voller Sehnsucht berührte Anneli die weiche Wolle. Sie hatte das Gefühl, Mutters Händen dort zu begegnen. Wie schön wäre es gewesen, sich wieder einmal mit Mutter unterhalten zu können. Jetzt, wo sie selbst fast erwachsen war.

Aber Mutter war nicht mehr da. Die Wolle mußte verarbeitet werden. Der Winter stand vor der Tür.

Ich werde an jeden Fäustling zwei Daumen stricken, dann kann Tapio ihn umgedreht anziehen, wenn die Handfläche naß ist, dachte sie.

Tapio saß etwas verloren in der Ecke neben dem Herd. Eigentlich hätte er so fleißig sein sollen wie Anneli, er hätte zum Beispiel eine Rindendose flechten können. Aber seine Hand schmerzte. Innerlich verfluchte er den Fisch.

Vater genehmigte sich einen Extraschluck Bier. Seine Augen glänzten. Wenn er von alten Zeiten erzählen durfte, fühlte er sich wieder jung.

„Bin auf einem kleinen Hof in Finnland aufgewachsen“, sagte er. „Meine Eltern rackerten sich ab, und trotzdem waren wir arm. Mutter mußte Rinde mahlen, um das Mehl damit zu strecken.“

Anneli ließ das Strickzeug sinken. Rinde ins Brot mischen? Das würden sie wohl ebenfalls tun müssen, wenn sie über den Winter kommen wollten.

„Kiefer- oder Tannenmehl?“ wollte sie wissen.

„Tanne“, antwortete Vater. „Mit Tannenrinde geht es am besten.

Du hast mich gestört! Was wollte ich sagen? Ach ja, eines Tages hörten wir, daß es hier in Värmland reichlich Land geben solle. In Värmland könne man reich werden, hieß es.

Mein Bruder und ich machten uns auf den Weg. Wir hatten nicht viel dabei. Die Büchse auf der Schulter und das Messer im Gürtel. Und in der Rindenkiepe ein paar Kleider und ein Feuerzeug. Äxte wollten wir uns kaufen, wenn wir angekommen wären.

Anfangs war unser Gepäck noch leicht, doch mit der Zeit wurde es immer schwerer. Der Weg nach Värmland war nämlich viel weiter, als wir geahnt hatten. Manchmal mußten wir fischen und jagen oder eine Arbeit auf einem Hof annehmen, um Salz und Brot zu bekommen. Bald war der Winter da.

Eines Abends, als die Kälte ordentlich zugeschlagen hatte, entdeckten wir eine Reisighütte im Wald. Wir machten Feuer und brieten ein Auerhuhn, das wir gefangen hatten. Ich werde nie vergessen, wie gut es schmeckte! In der Hütte waren zwei weiche Lager aus Tannenzweigen. Wir legten uns hin und schliefen sofort ein.

Wir merkten nicht, daß Leute zur Hütte kamen. Zwei Diebe waren entflohen, und es war deren Hütte, die wir gefunden hatten. Daher hielten die Leute uns für die Diebe! Es gelang uns, uns frei zu kämpfen, obwohl wir zwei gegen zehn waren!“

Anneli strickte weiter. Letztes Mal waren es noch zwei gegen fünf gewesen.

„Endlich kamen wir ans Meer“, fuhr Vater fort. „Doch inzwischen war es dick zugefroren. Es dauerte Wochen, bis wir es überquert hatten.“

Er senkte die Stimme.

„Die anderen erfroren draußen auf dem Eis. Aber ich schaffte es. Dann traf ich Mutter. Und Mutter begleitete mich hierher nach Värmland. Inzwischen war es Frühling geworden. Ich kann mich ganz deutlich an den Tag erinnern, als wir vor den hohen Herren in Karlstad standen und um Land baten. Sie gaben uns die Erlaubnis, den Wald hier oben zu roden und das Land urbar zu machen. Wir kauften uns einen Kochtopf und Salz und eine Axt. Dann wanderten wir weiter hierher in den Norden.“

Jetzt seufzte Vater.

„Das Land, das wir bekommen hatten, war genauso steinig und karg wie daheim in Finnland. Wir mußten uns hier genauso plagen wie dort.“

Er trank den letzten Rest Honigbier aus und schlief mit dem Kopf auf dem Tisch ein.

Anneli fror. Draußen hatte der Wind zu heulen angefangen, jetzt schwoll er zum Sturm an. Der Herbst war gekommen, und der Winter konnte hart werden. Anneli stand auf, um mehr Holz aufs Feuer zu legen.

Aber es gab keine Holzscheite mehr. Sobald Tapio und sie genügend Heu in die Scheune geschleppt hätten, müßten sie Reisig sammeln. Tannenrinde für Mehl würden sie am besten auch gleich mitsammeln.

Vater schnarchte laut. Anneli breitete das warme Stoffell über ihn. Dann kletterte sie die Leiter zum Dachboden hinauf und holte ihr Bündel hervor. Darin war eine Salbe, mit der sie Tapios verletzte Hand bestreichen wollte. Die Salbe war viel wirkungsvoller als die Spinnweben.

Eigentlich sollte sie das ja nicht tun ...

Aber es half nichts, Tapio mußte gesund werden, sie hatten einfach zu viel zu tun.

Anneli tastete im Dunkeln zwischen ihren Rindendosen und Stoffbeuteln. Da ... Sie nahm den Deckel ab und roch an der Salbe. Ein scharfer, stechender Geruch drang ihr in die Nase. Ja, das war die richtige!

Dann stieß sie mit der Hand an das schwarze Buch, das sie ganz unten im Bündel versteckt hatte. Das Buch, das Ylva gehört hatte. Ihre Hand blieb auf dem kühlen Einband liegen. Plötzlich schien der Einband warm zu werden, und die Wärme strömte aus dem Buch in Annelis Hand. Mit der Wärme kamen Ruhe, Kraft und das Gefühl der Geborgenheit.

In dieser Nacht schlief Anneli fest und traumlos. Niemand tauchte zwischen den Bäumen auf, um sie zu fangen.

Die Hexentochter

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