Читать книгу Die Hexentochter - Maj Bylock - Страница 8
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ОглавлениеDie Salbe aus dem Bündel half, Tapios Hand war nach ein paar Tagen geheilt. Aber vom Angeln hielt er sich vorerst fern. Brav schleppte er Heu und Holz nach Hause.
Die Scheune wurde nicht einmal halbvoll, und dennoch hatten sie sehr viel mehr Heu zusammengetragen, als Anneli zu hoffen gewagt hatte. In der einen Ecke stapelten sie belaubte Zweige, die dort trocknen sollten. Die Ziegen konnten später daran knabbern, wenn sie nicht mehr im Freien sein durften.
Noch blieben die Tiere tagsüber draußen. Sie waren sehr anspruchslos, und als sie nicht mehr genügend Gras fanden, nagten sie das Preiselbeerreisig am Waldrand ab.
Eines Abends wollte Tapio allein zum See runtergehen und angeln. Die Sonne würde bald untergehen, und die Wasseroberfläche breitete sich blank wie ein Spiegel aus. Anneli war müde. Sie sehnte sich danach, schlafen zu dürfen. Aber trotzdem ... es würde guttun, ein Weilchen am See zu sitzen. Sie könnte ja unterdessen stricken.
Rasch steckte sie das Strickzeug in die Schürzentasche und lief hinter Tapio her zum See hinunter. Dort setzte sie sich ans Ufer, atmete die kühle Abendluft ein und tauchte die müden Füße in das erquickende Wasser ein.
Weiter hinten in der Bucht tanzten die Elfen wie Nebelschleier überm Wasser. So leicht, so leicht ...
Wenn sie nur eine Elfe wäre! Bestimmt hatten die Elfen nie wunde Füße von scheuernden, harten Rindenschuhen.
Hier war es ganz still. Außer dem Schnalzen eines Fisches war nichts zu hören. Tapio warf seine Angelschnur aus. Bald darauf zappelte ein Fisch oben auf dem Felsen. Schon wand sich ein neuer Wurm an der Hakenspitze. Tapio warf die Angel erneut aus.
Ein Schatten löste sich aus dem schützenden Dunkel des Schilfdickichts. Jetzt näherte er sich dem Haken. Ein Hecht!
Tapio wagte nicht zu atmen. Der alte Seehecht, der immer schlauer gewesen war als die Menschen mit ihren Angeln. Vielleicht ...
Jetzt war er ganz nah!
Jetzt packte er den Wurm am äußersten Ende.
Jetzt ...
Knall!
Ein Schuß!
Der Schuß kam oben vom Haus!
Die Angelrute blieb am Ufer liegen.
Das Wollknäuel rollte verloren in den See. Tapio lief bereits den Pfad hinauf, der zum Haus führte.
Anneli dagegen rannte direkt in den Wald. Ihre Verfolger waren hier, um sie zu holen!
Sie kam nicht weit. Tapio rief ihren Namen. Seine Stimme war schrill vor Entsetzen und Kummer. Sie vergaß ihre eigene Angst und rannte nach Hause.
Vater lag vornübergestürzt auf der Treppe, unter ihm das Gewehr. Und weiter hinten neben der Scheune lag eine zerfetzte Ziege.
„Ein Bär“, flüsterte Vater. „Aber er ist entkommen.“
Ja, der Bär war entkommen, aber Vater nicht. Er hatte vom Fenster aus gesehen, wie der Bär die Ziege angegriffen hatte. Rasch hatte er seine Flinte gepackt und war auf die Haustreppe hinausgegangen – und hatte sich dabei auf das Bein gestützt, das ihn schon so lange nicht mehr getragen hatte.
Vor dem Haus hatten die Beine unter ihm nachgegeben. Er war gestürzt. Und der Schuß war losgegangen und hatte anstelle des Wildes den Jäger getroffen.
Vater, der Bärenjäger, der den größten Bären aller Zeiten im Tal erlegt hatte! Das war zu schwer, das konnte er nicht ertragen.
Noch lebte er.
Anneli und Tapio trugen ihn ins Haus. Tapio vergaß, was Vater gesagt hatte – daß Jungen nicht weinen dürfen. Er legte seinen Kopf auf Vaters Brust und schluchzte laut.
Anneli kletterte die Treppe hinauf und holte ihr Bündel runter. Mit klammen Händen suchte sie etwas, das heilkräftig genug wäre, denn Vaters Wunden waren tief.
Was sollte sie nehmen? Im Buch konnte man für jedes Leiden etwas Hilfreiches finden. Aber Anneli hatte bei weitem nicht alles gelesen, was im Buch stand. Jetzt hatte sie keine Zeit, lange zu suchen. Vaters Wangen waren schon blasser geworden als vorhin, und das Atmen fiel ihm schwer.
Wenn sie nur mehr in dem Buch gelesen hätte! Wenn sie es nur auswendig gelernt hätte wie Ylva.
Sie öffnete ein Fläschchen und ließ drei Tropen einer gelbgrünen Flüssigkeit auf Vaters Zunge fallen. Ylva hatte gesagt, daß diese Tropfen Ruhe und lichte Träume schenkten.
Die Tropfen schienen zu helfen. Vater hörte auf zu jammern und verstummte.
Tapio weinte jetzt still vor sich hin. Er saß auf dem Boden und hielt Vaters Hand. Tapios Hand war sonnengebräunt und klein, Vaters Hand dagegen war groß und blaß.
Plötzlich ließ Vater Tapios Hand los. Er lag regungslos da, als blickte er zum Fenster hinaus. Anneli legte seine Hand aufs Schaffell zurück, strich ihm sachte über die Stirn und schloß seine Augenlider.
Tapio glaubte, Vater sei eingeschlafen.
Anneli ließ ihn in diesem Glauben, solange Nacht über der Erde lag.
Doch dann brach der Tag an.