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Freitag

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Als ihn sein Handy am nächsten Morgen mit dem Gitarrenriff von Smoke on the Water weckte, wurde sich Petersen angesichts der tristen möblierten Umgebung, seiner trostlosen Lage wieder bewusst. Er hatte noch nicht richtig ausgepackt, geschweige denn für das Frühstück eingekauft. In einer halben Stunde musste er unten in der Dienststelle antreten. Auf keinen Fall wollte er Onno Siebelts enttäuschen. Den Empfang gestern empfand er als äußerst kollegial, wenn nicht sogar als liebevoll. Beim Aufstehen sah er auf einem Kleiderbügel an diesem hässlichen Schrank seine neue Uniform hängen. Als Zivilfahnder hatte er seit Jahren keine Uniform mehr getragen. Zwischen Bremen und der Polizeidirektion Wilhelmshaven, die für den Polizeiposten Wangerooge zuständig war, musste erst einmal geklärt werden, in welcher Uniform er durch Wangerooge stolzieren sollte. Formal war er noch bremischer Beamter, sollte aber seinen Dienst in Niedersachsen ableisten. Wilhelmshaven bestand auf der niedersächsischen Uniform, die sich ja nur durch das Länderwappen von der bremischen unterschied. Widerwillig zog er die Uniform an, sie passte ganz gut, obwohl die Hose reichlich eng ausfiel, was sicherlich auf seinen Bauchansatz zurückzuführen war. Er hatte seine Maße vor einer Woche nach Wilhelmshaven durchgegeben. Das hatte schon mal geklappt!

Er musterte sich im Spiegel. Seine halblangen, etwas wirren Haare, wurden von der Uniformmütze nicht ganz bedeckt. Auch egal, dachte er. Auf keinen Fall wollte er die bereitliegende Wollmütze, die er schon bei Onno auf dem Bahnhof bewundern durfte, aufsetzen. Er empfand sie als irgendwie deppig.

Langsam ging er die Treppe zum Revier hinunter. Onno schien noch nicht da zu sein. Er schloss die Bürotür auf und sah in ein gemütliches Büro mit drei Schreibtischen und drei PCs. Wie man es aus vielen Fernsehserien kannte, war der Bürobereich mit einem Tresen aus hellem Holz abgetrennt, so dass der Publikumsverkehr von den Schreibtischen getrennt war. An den Wänden hingen ein großer Lageplan von der Insel und mehrere Nachdrucke von maritimen Motiven, die wohl von Ole West Bildern stammten. Neben dem Hauptbüro lag eine Art Besprechungszimmer, das nur mit Regalen und einem Besprechungstisch mit 4 Stühlen ausgestattet war. In diesem Moment ging die Tür auf und Onno kam mit einem kräftigen „Moin, Moin“ auf den Lippen in den Raum. Er hatte eine große Brötchentüte in der Hand.

„So mien Jung, jetzt wird erst mal gefrühstückt“, brummte er in den Raum.

Während des sehr ausgiebigen Frühstücks, erläuterte Onno die groben dienstlichen Abläufe. Petersen erinnerte sich an die Worte von Frieda Siebelts am gestrigen Abend. Sie sprach von 24 stündiger Bereitschaft. Onno schien die Besorgnis im Gesicht von Petersen zu bemerken.

„Wenn keine Saison ist, passiert hier kaum etwas. Die Insulaner hängen allerdings am Brett aufeinander und dann kann es schon mal in den Kneipen rumsen. Aber in der Regel holen sie uns nicht und wenn, dann wird die Anzeige am nächsten Morgen wieder zurückgezogen. So ist das hier! Manchmal kann es Ärger mit den Handwerkern vom Festland geben, aber auch das hält sich in Grenzen.“

Petersen schaute etwas beruhigter in Onnos Gesicht. Den Ausdruck Brett, der ja wohl ein anderes Wort für Theke sein sollte, kannte er aus Bremen nicht. Onno fuhr mit seinem Vortrag fort: „In der Saison kommen dann zwei bis drei zusätzliche Beamte vom Festland, um uns zu unterstützen. Da geht hier natürlich die Post ab. Randale in Kneipen, Drogendelikte, freilaufende Hunde, Fahrradunfälle und Schulklassen, die von ihren Lehrern nicht beherrscht werden. Also der ganze Kleinscheiß, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Na ja, Kleinscheiß ist das ja nicht alles“, warf Petersen ein, „über die Drogensachen musst du mir später mehr erzählen. Ich war nämlich lange Zeit in Bremen als Drogenfahnder eingesetzt.“ So jetzt ist es raus, dachte Petersen. Was wohl jetzt in Onno vorgeht? Drogenfahnder, Mafia, Korruption?

Aber Onno war nichts anzumerken.

„Hier liegt das Reviertagebuch, schau dir das in Ruhe an“, fuhr er fort, „Diensthandy und zwei digitale Funkgeräte haben wir auch.“

Während er das sagte, ging er an einen Blechschrank, schloss ihn auf und händigte Petersen die Dienstwaffe aus.

„Ich brauch dir dazu ja nichts zu sagen. Du bist ja lang genug im Geschäft.“

Petersen nickte. War das eine versteckte Warnung oder überinterpretierte er jetzt die letzte Äußerung von Onno. Der aber machte weiter im Text, indem er ihn auf die für die Polizei wichtigen Telefonnummern der Insel hinwies. Freiwillige Feuerwehr, Krankentransporte, Ärzte, Gemeinde usw.

„So, ich habe dich jetzt genug vollgelabert. Ich würde vorschlagen, du gehst jetzt auf deine erste Streifenrunde, machst dich mit der Insel vertraut. Zwischendurch werde ich dich mal anfunken, damit wir wissen, ob alles funktioniert und ob du die Technik auch beherrscht. Einkaufen kannst du natürlich nebenbei auch.“

Bei den letzten Worten grinste Onno Petersen freundlich an.

Petersen verabschiedete sich und nahm Kurs auf die Zedeliusstraße, der Hauptstraße Wangerooges.

Es waren kaum Menschen zu sehen. Viele Lokale waren augenscheinlich geschlossen. Nur das „Café Treibsand“ hatte geöffnet. Auf einer Tafel stand: Hier immer Bundesliga-Live! Für Petersen eine wichtige Information. In Bremen war er regelmäßig ins Stadion gegangen. Das würde ihm fehlen. Nun hatte er das „Café Pudding“ erreicht, welches auch geschlossen hatte. Das Café war ein Rundbau, der auf einem alten Bunker aus dem 2. Weltkrieg stand. Auf diesem Bunker war einmal eine Funkmessantenne angebracht, einer Vorläufertechnik des heutigen Radarsystems. Beim Anblick des „Café Puddings“ kam ihm die Redewendung „einmal um den Pudding gehen“ in den Sinn. Der Wind pfiff mächtig kalt aus dem Durchgang zur Strandpromenade. Er musste seine Dienstmütze festhalten. Da war er nun, der freie Blick auf Strand und Nordsee. Die Wellen hatten Schaumkronen, was immer ein Zeichen für erhöhte Windstärken war. Bei seiner Sportbootführerscheinprüfung musste er eine Frage nach den Schaumkronen beantworten. Mit einigen Kumpels hatte er regelmäßig Segeltörns auf Charterbooten unternommen.

„Lars, bitte kommen“, quäkte es aus seinem Funkgerät.

„Ja, Onno, bin auf der Promenade“, antwortete Petersen. „Okay, das klappt ja gut. Hier ist gerade der Spediteur. Er will einen Gitarrenverstärker für dich bringen. Ist das okay?"

„Ist okay, lass ihn bitte in meine Wohnung bringen! Over!“

Das klang professionell, dachte er sich. Er konnte das Grinsen von Onno förmlich erahnen.

Links neben dem Haus Monopol schien auch noch eine Kneipe geöffnet zu haben, der „Strandkorb." Mehrere Fahrräder standen im Eingangsbereich, neben einem eingepackten Strandkorb. Er drehte um und ging die Zedeliusstraße wieder hinunter und tätigte im Spar-Markt seine Einkäufe. Im Laden wurde er von mehreren Leuten mit einem freundlichen „Moin, Moin“ begrüßt.

Als er ins Revier zurückkam, hatte Onno Kundschaft. Ein hochgewachsener, bärtiger Mann stand vor dem Tresen und unterhielt sich mit Onno. Petersen betrat das Zimmer mit einem „Moin, Moin“ und stellte seine Einkäufe ab. Onno wies auf den Bärtigen:

“Darf ich dir unseren Bürgermeister vorstellen, Günter Depken und das ist hier mein neuer Kollege Petersen.“

Beide gaben sich die Hand. Depken hatte gerade gegenüber Onno eine Einladung ausgesprochen:

“Auf der nächsten Gemeinderatssitzung haben wir als Tagesordnungspunkt 2, Verkehrssicherheit auf der Zedelius-straße. Ihr seid hiermit eingeladen. Es wird wohl darum gehen, dass ihr eure Kontrollen in der Saison erhöht, weil zu viele Leute in der Fußgängerzone Fahrrad fahren."

„Wir kommen“, antwortete Onno.

Der Bürgermeister dampfte ab.

„Dieses Problem ist ein Dauerbrenner auf der Insel, so lang ich hier bin und das ist schon sehr lang. An dem Punkt kriegst du auch immer Ärger mit den Insulanern. Die halten sich nämlich auch nicht an das Fahrradverbot in der Saison. So, nun ist Mittagspause, wir treffen uns um 2 Uhr wieder hier.“

Petersen ging in seine Wohnung packte seine Einkäufe aus und überlegte, wo er seinen Marshall-Gitarrenverstärker hinstellen sollte. Er hatte mindestens zwanzig Jahre in verschiedenen Bands in Bremen gespielt, meistens im Rock-Oldie-Bereich. Sein ständiger Schichtdienst verhinderte leider eine feste Bandmitgliedschaft. Er half hier und da mal aus, wenn ein Gitarrist ausfiel. Es gab auch immer Komplimente, viele der verschiedenen Bandkollegen hielten ihn für einen sehr guten Gitarristen. Ob er diese Leidenschaft für die Musik ausgerechnet in Wangerooge ausleben könnte, bezweifelte er sehr.

Nach der Mittagspause trafen sich beide Beamte wieder im Revier. Petersen drückte Onno einen Schnellhefter mit Zeitungsausschnitten in die Hand:

„Hier habe ich alle Presseartikel über meinen Fall gesammelt. Lies dir das mal durch, danach können wir darüber reden."

Onno schaute Petersen verdutzt an:

„Du musst dich hier nicht rechtfertigen oder erklären, schon gar nicht vor mir!“

„Das ist mir aber wichtig, Onno. Vielleicht brauche ich das auch für mich selbst,“ insistierte Petersen.

„Okay, wenn ich alles durchgelesen habe, besprechen wir alles bei einem Bierabend."

Onno nahm die Mappe und steckte sie in seine Aktentasche. Plötzlich ging die Tür auf und eine kleine pummelige Frau mit Hund stürzte völlig außer Atem in die Dienststelle.

„Onno, auf der Baustelle der neuen Feuerwehr spielen Kinder auf dem Mauerwerk in ziemlicher Höhe“, prustete die Frau heraus. Onno setzte sein Pokerface auf und wandte sich an Petersen:

“Einsatz, Herr Kollege!“

Kurz erläutere er Petersen, wo sich die Baustelle befand. Petersen schwang sich auf sein Dienstfahrrad, für ihn eine völlig neue Art der polizeilichen Fortbewegung. Als Drogenfahnder war er meistens mit schnellen Zivilautos unterwegs. An der Baustelle angekommen, sah er auch schon die beiden Jungs, die auf den frisch gemauerten Wänden in ungefähr sieben bis acht Meter Höhe herumturnten. Die beiden etwa sieben bis achtjährigen Jungs erschraken beim Anblick des uniformierten Polizisten.

„Sofort runterkommen!“ rief Petersen in durchaus scharfem Ton. Er half dann beiden beim Abstieg über die wacklige Gerüstleiter. Fieberhaft überlegte Petersen, was er jetzt machen sollte? Er, der prominente Drogenfahnder, der Drogenringe aushob und schon in Schusswechseln verwickelt war, wusste nicht weiter. Die Absurdität der Situation war ihm durchaus bewusst. „Mitkommen!" herrschte er die Jungs an. So trotteten nun die beiden Jungs und der fahrradschiebende Polizist in Richtung Wache. Dort angekommen, war von Onno nichts zu sehen. An der Pinnwand hing ein Zettel, bin auf der Gemeinde. „Ach, du Scheiße!“ dachte Petersen. Jetzt musste er hier auch noch den Pädagogen spielen.

„Jungs, ihr wisst, warum ich euch da runter geholt habe?“ begann Petersen die Unterhaltung mit etwas milderem Ton. Beide Jungs nickten. „Die Mauer hätte einstürzen können oder ihr hättet abstürzen können. Dann wärt ihr jetzt tot!“ setzte Petersen seine Predigt fort. Bei den letzten Worten erschrak er selbst. Hier übertrieb er wohl. Einer der beiden Jungs hatte Tränen in den Augen. „Einsperren tue ich euch aber nicht!“ fuhr er fort. „Jetzt geht es ab nach Haus!“

Er ließ sich von beiden die Adresse sagen und lieferte beide bei ihren Eltern ab. Von der Polizei nach Hause gebracht zu werden, das reicht als Maßnahme fand er.

In der Wache traf er Onno, dem er kurz über den Vorfall berichtete. „Du hättest Lehrer werden sollen“, wurde er von

Onno angeflachst.

„Niemals“, antwortete Petersen, „meine geschiedene Frau ist Lehrerin. Ich kenne die Lehrerszene in der Großstadt, das muss ich mir nicht antun.“

Er machte einen kurzen Eintrag ins Reviertagebuch. Onno instruierte ihn noch, dass er heute Abend das Diensthandy mitnehmen müsse, wenn er noch eine private Runde machen würde. Sie verabschiedeten sich und wünschten sich ein schönes Wochenende, denn es war Freitagnachmittag.

Den späten Nachmittag verbrachte Petersen mit dem Einräumen seiner Sachen. Wirklich gemütlich fand er diese Wohnung mit ihrem 60-er Jahren Charme ja nicht, aber irgendwie musste er damit klarkommen. Er stöpselte seine Gitarre in den Verstärker und fing an zu spielen. Rücksicht brauchte er nicht nehmen, denn er war allein im Haus. Er nahm sich den Gitarrenriff von Sweet Home Alabama vor, den er immer noch nicht fehlerfrei beherrschte. Nach dem Üben beschloss er, noch eine Runde zu drehen. Ihm fiel ein, dass er vergessen hatte, Onno zu fragen, wie es mit Alkohol in Kneipen aussah. Er war in Bremen passionierter Kneipengänger gewesen. Schon von Berufs wegen hatte er sich häufig in Kneipen aufgehalten, was ihm nicht unbedingt missfiel. So ganz wollte er aber davon nicht lassen. Ihm war schon klar, dass er in einem solchen kleinen Ort wie Wangerooge unter Beobachtung stand. Er erinnerte sich an seinen Freund Lothar, der drei Jahre lang Lehrer auf Helgoland gewesen war und es immer vorgezogen hatte, mit ihm in seiner Wohnung zu trinken. Petersen hatte das immer wieder bedauert, weil es in Helgoland so schöne Kneipen gab.

Ohne Uniform zog er gegen 20 Uhr los. Als er aus dem Revier trat, kam ihm eine zierliche, etwas blässliche Frau entgegen.

„Waren Sie das eben?“ sprach sie ihn an.

„Wie, was meinen Sie, “antwortete er.“

„Na, ja, Lynyrd Skynyrd kennt man doch“, lachte sie ihn an.

„Danke für das Kompliment“, murmelte er und schon war die Frau weiter gegangen. Vielleicht hätte ich doch mit Kopfhörer spielen sollen, ging es ihm durch den Kopf.

Im „Café Treibsand“ angekommen, setzte er sich an die Theke und bestellte ein Bier. Auf der Leinwand im hinteren Bereich lief das Freitagsspiel der Bundesliga. Eine Dartscheibe schien dort auch vorhanden zu sein. Die Kneipe war recht leer. Einige Fußballfans saßen direkt vor der Leinwand. Sie hatten blaue Schals um. Schalke spielte.

„Zeigt ihr morgen Werder?“ sprach Petersen die junge Bedienung an, die gelangweilt auf einem Barhocker saß.

„Nein, nur Konferenz!“

„Was soll das denn?“ entfuhr es Petersen.

„Wir müssen hier Rücksicht auf die Touris nehmen und auch nicht alle auf der Insel sind Werder-Fans“, flötete sie in Richtung Petersen. Es kam ihm vor, als hätte sie diesen Satz schon mehrfach gesagt.

„‘Iss ja gut“, beruhigte er die junge Frau. Aber irgendwie fühlte er sich provoziert und schoss zurück: „Ich glaube nicht, dass in Garmisch-Partenkirchen oder Oberstdorf aus Rücksicht auf Touris Bayern nicht gezeigt wird.“

„Anweisung von der Wirtin“, zog sich die Bedienung jetzt auf die Order ihrer Chefin zurück.

Hier machte es jetzt keinen Sinn nachzuhaken. Die Diskussion war beendet. Petersen bestellte sich noch ein Bier und folgte gelangweilt dem Schalke Spiel. Ein Gast, der zwei Hocker neben ihm an der Theke saß, rückte jetzt näher an ihn ran. Der Typ schien kein Feriengast zu sein. Er war sehr vertraut mit der Bedienung und beide schienen auch über ihnen bekannte Personen auf der Insel zu sprechen.

„Wenn du Werder sehen willst“, sprach der Kneipengast, der Schwede genannt wurde, „dann musst du zu „Schlocki" gehen. Das ist unten am Flugplatz, „Tower-Stübchen“ heißt das Lokal. Ich selbst bin Dortmund-Fan, aber ich kann dich verstehen. Diese Konferenz-Scheiße bringt nix, man will ja Fußball sehen.“

An diesem Punkt traf er auch die Meinung von Petersen, der mit der Konferenz im Fernsehen nichts anfangen konnte. Im Radio war das was anderes.

„Manchmal macht auch der Magister früher auf, der ist auch Werder-Fan“, setzte der Kneipenkollege nach.

Als der Name Magister fiel, horchte Petersen auf. Diesen Namen hatte er schon einmal gehört und zwar aus Bremen. War das nun Zufall? „Wer und wo ist das denn?" fragte Petersen.“

„Der hat hier die Kneipe „Zum Störtebeker“, unten am Brunnen. Da musst du mal hin. Der Typ ist ein Original, der bezeichnet sich selbst als Kult-Wirt und wenn der voll ist, kann der sehr witzig sein.“

„Und warum nennt der sich Magister?" setzte Petersen nach.

„Da macht der ja gerade so ‘n Tamtam drum. Wenn der gut drauf ist, erzählt der an jedem Abend die Geschichte. Über seinem Tresen hängt ein Ausschnitt aus einer alten Chronik über Störtebeker. Dort werden seine Gesellen aufgeführt, unter anderem auch Wigbold, „een mester an den seven kunsten." Ich kenn das schon auswendig. Dieser Magister Wigbold war also ein Studierter, der sich den Seeräubern um Störtebeker anschloss. Da macht der nun so ein Buhei drum, ein intellektueller Seeräuber. Manchmal glaub ich, er meint, er sei das selbst.“

Diese Geschichte kam Petersen sehr bekannt vor. Leichte Unruhe kroch in ihm hoch.

„Er ist aber auf der Insel umstritten. So manchen Insulaner hat er schon mal blöd angemacht. Die gehen dann lieber oben in den Korb."

„Strandkorb, da oben an der Promenade?“ fragte Petersen.

“Ja, genau. An den Kneipen hier scheiden sich die Geister. Das ist fast so etwas wie eine Weltanschauung, eigentlich blöde."

Es entspann sich nun ein längeres Kneipengespräch, in dem Petersen einiges über die Insel erfuhr. Auch warum sein Kneipenkollege Schwede genannt wurde, war ihm klar geworden. Wenn Jürgen, so hieß der Gast wirklich, sein Erstaunen über etwas zum Ausdruck bringen wollte, kam „alter Schwede“ über seine Lippen. Man gab sich gegenseitig das eine oder andere Bier aus, bis Petersen zahlte und sich in sein Revier verzog, nicht ohne beim „Störtebeker“ vorbei zu gehen. Einkehren würde er dort morgen, hatte er sich vorgenommen, pünktlich zum Werder-Spiel.

Schatten über Wangerooge

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