Читать книгу Schatten über Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 7

Montag

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Am Montagmorgen sorgte Onno wieder für das obligate Frühstück. Allerdings entpuppte sich das Frühstück eher als ein Arbeitsessen. In Vorbereitung der Gemeinderatssitzung am Dienstag, zu der sie ja offiziell durch den Bürgermeister eingeladen waren, versuchte Onno Petersen einen Überblick über die Inselpolitik zu geben. Im Gemeinderat hatten CDU, SPD, die Grünen und die Wählergemeinschaft Bürger für Wangerooge jeweils zwei Sitze. Der parteilose Bürgermeister hatte eine Stimme. Er war kommunaler Beamter und gleichzeitig Direktor der Kurverwaltung.

„In einer solch kleinen Gemeinde geht es nicht um die großen parteipolitischen Auseinandersetzungen, wie vielleicht bei euch in Bremen. In vielen Fragen zieht man schon an einem Strang“, führte Onno aus, „aber in den letzten Jahren hat sich das Klima verschlechtert. Um zwei Fragen haut man sich im Moment die Köppe ein: der Golfplatz und die Bebauung der sogenannten Polizeiwiese an der Promenade. Vielleicht hast du den freien Platz schräg hinter dem „Korb“ gesehen. Natürlich ein Sahnegrundstück. Hier steht ein großer Teil der Insulaner gegen den Gemeinderat. Man hat dieses Grundstück an einen Investor verkauft und verspricht sich dadurch eine Sanierung der Gemeindefinanzen. Der Investor will dort Eigentums-wohnungen bauen und ein Aparthotel."

„Und die Insulaner fürchten jetzt die Konkurrenz durch neue Appartements mit Seeblicklage“, unterbrach Petersen Onno.

„Genauso ist es! Diese Appartements müssen während einer langen Zeit im Jahr in die Vermietung gegeben werden. Außerdem werden die Eigentumswohnungen zuerst gebaut und viele befürchten jetzt, dass das Hotel gar nicht kommt."

„Was haben denn die Grünen dazu gesagt?" bohrte Petersen weiter.

„Die hat man damit geködert, dass man einige behindertenfreundliche Wohnungen eingeplant hat. Ich sage nur peinlich! Nur die Frau Dunker hat dagegen gestimmt. Das sind doch "Bauernfängertricks“, redete Onno sich jetzt in Rage.

„So was würde ich öffentlich nicht sagen. Du weißt ja, der Beamte muss sich zurückhalten, das gilt besonders auf so ‘ner kleinen Insel. Du musst ja hier als Polizist irgendwie mit allen klar kommen. Das ist in Bremen bestimmt anders.“

„Stimmt“, warf Petersen ein, „wir haben in Bremen sogar Demos in voller Uniform gemacht."

Ihre Unterhaltung wurde jetzt durch das Läuten des Telefons unterbrochen. Onno nahm ab. Es war die Direktion Wilhelmshaven, die die Graffiti-Aufnahmen an den Waggons der Inselbahn von Petersen ausgewertet hatten. Es wurde eine Übereinstimmung mit Tags an einer Gesamtschule in Wilhelmshaven festgestellt. Nach Beendigung des Gesprächs mit Wilhelmshaven schlug Petersen vor, zu überprüfen, ob eine Klasse aus der besagten Schule gerade eine Klassenfahrt

auf der Insel macht.

Onno nickte anerkennend: „Man merkt, dass du mal Ermittler warst. Jetzt trinken wir aber erst einmal „Tass Tee“ und dann machen wir uns an die Arbeit."

Dieses „Tass Tee“, was Onno da immer raus ließ, erinnerte Petersen an die Werbung: „und was is‘ mit Tee?“

Er hatte immer vermutet, dass es sich um ein Klischee handelte. Dem war aber offensichtlich nicht so......

Nach der Teezeremonie telefonierten sie die Schullandheime, die es auf Wangerooge gab, ab. In der Jugendherberge, die sich tatsächlich noch im Westturm befand, wurden sie fündig. Hier war, im Rahmen einer Projektwoche, eine 9. Klasse der IGS Wilhelmshaven einquartiert.

„Na du Superermittler, das hast du nun davon, dann fahr mal schön in den Westen“, flachste Onno Petersen an.

„Das mach ich auch! Ich wollte da sowieso mal hin, ob das da noch so ist, wie zu meiner Schulzeit“, überraschte Petersen Onno.

Er zog seine Segeljacke über die Uniform, schwang sich auf das Dienstfahrrad und radelte gen Inselwesten. Nachdem er das kleine Wäldchen am Inselfriedhof durchfahren hatte, musste er nun auf dem Deich weiterfahren. Hier pfiff ihm ein eisiger Westwind entgegen. Er musste kräftig treten, um gegen den Wind anzukommen. Je näher er dem Westturm kam, desto besser konnte er erkennen, dass es einen modernen Vorbau gab, der zu seiner Zeit noch nicht da war. Das „Westturm Café“ machte einen erbärmlichen Eindruck. Die Fensterscheiben waren eingeschlagen und innen drin sah es äußerst verwahrlost aus. Er bog nun direkt auf das Grundstück der Jugendherberge ein, öffnete seine Segeljacke, damit man die Uniform erkennen konnte. Der Herbergsvater begleitete ihn zu dem Gruppenraum im neuen Anbau, in dem sich die 9. Klasse aus Wilhelmshaven befand. Sein Eintreten in den Gruppenraum löste bei den Schülern größtes Erstaunen aus. Er steuerte auf eine etwas ältere, aber durchaus attraktive Frau zu:

„Sind Sie hier die Klassenlehrerin?“ begann er.

„Ja, ist etwas vorgefallen?“ fragte die Lehrerin sofort.

„Ich würde Sie erst einmal gern unter vier Augen sprechen“, fuhr Petersen fort.

Sie gingen in eines der Gruppenleiterzimmer. Petersen stellte sich kurz vor und konfrontierte die Lehrerin mit den Fotos von den bemalten Eisenbahnwaggons. Die Lehrerin wirkte leicht verlegen und nervös. „Doch die Symbole oder auch Tags wie man in der Fachsprache sagt, kommen mir bekannt vor. Es gibt zwei Jungs, in deren Heften habe ich schon einmal solche Zeichen gesehen. Da die Schüler im Moment schriftliche Aufgaben haben, schlage ich vor, dass wir mal rumgeh'n."

Soviel Entgegenkommen hatte Petersen von einer Lehrerin nicht erwartet. In Bremen schlug ihm immer sehr viel Skepsis von lehrerseite entgegen, wenn er die Pädagogen mit möglichen Drogendelikten ihrer Schüler konfrontierte. Es entspann sich dann immer eine Grundsatzdiskussion über Datenschutz und darüber, ob die Polizei überhaupt im schulischen Raum tätig werden dürfte. Gemeinsam gingen sie zu den Arbeitsgruppen der Schülerinnen und Schüler, die eine Präsentation zum Thema Nationalpark Wattenmeer erarbeiten sollten. Und tatsächlich, bei zwei Schülern entdeckten sie dieselben Zeichen wie auf den Waggons. Unvorsichtigerweise hatten sie ihre Tags auf die Tischoberfläche gemalt. Petersen bat beide Schüler mit in den Gruppenleiterraum und konfrontierte sie mit den Bildern. Beide konnten dem Druck, den er aufbaute, nicht lange standhalten. Letztlich gaben sie dann zu, dass sie in einer Freizeitphase am Vormittag aus der Herberge geflüchtet waren und die Waggons am Westanleger besprüht hatten. Petersen protokollierte die Aussagen, nahm die Personalien der Schüler auf und fotografierte die Tischplatte. Er war mit sich sehr zufrieden, nur die völlig verstörte Lehrerin tat ihm leid.

„Wenn Sie noch Platz in ihrem Programm haben, dann kommen Sie mit Ihrer Klasse mal auf der Polizeistation vorbei. Wir beantworten dann Ihre Fragen. Aber nur wenn Sie Lust haben und es Ihnen passt?“

„Da komm ich drauf zurück“, antwortete die erleichterte Lehrerin.

Sie verabschiedeten sich und Petersen stieg wieder aufs Fahrrad, aber diesmal schob ihn der Rückenwind gewaltig an. Auf dem Deich wurde er von einem bärtigen Mann mit einem E-Bike überholt:

„Moin, Moin Sheriff“, rief dieser in den Wind.

„Jetzt habe ich aber meinen Spitznamen auf der Insel weg“, brummte Petersen in sich hinein.

Es war schon irgendwie grotesk, dass er sich über seinen ersten Fahndungserfolg auf Wangerooge freute. Im Verhältnis zu dem, was er in Bremen gemacht hatte, geradezu lächerlich. Zurückgekehrt in die Dienststelle, berichtete er Onno von seinem Erfolg.

„Das schraubt unsere Aufklärungsrate in die Höhe. Wir werden bestimmt belobigt“, frotzelte Onno. „Du bist heute Abend bei Frieda und mir zum Essen eingeladen. Danach machen wir unseren Bierabend. Ich habe einige Fragen zu deinem Prozess."

Petersen willigte ein, aber von seinem Stolz war jetzt nicht mehr viel übrig geblieben. Die Niedergeschlagenheit hatte ihn wieder eingeholt. Die Ereignisse von Bremen saßen ihm wieder

im Nacken.

Gegen 19 Uhr trudelte er bei den Siebelts ein, nicht ohne für Frieda einen Blumenstrauß besorgt zu haben. Diesmal gab es Rinderbraten mit Rotkohl. Petersen schmeckte es außerordentlich gut, obwohl er innerlich sehr angespannt war. Würden die Ereignisse in Bremen sein Verhältnis zu Onno belasten? Bevor es überhaupt zu dem Gespräch über die Bremer Vorkommnisse kam, konfrontierte Onno Petersen mit einer Neuigkeit:

„Auch wenn mir das jetzt sehr unangenehm ist, Lars, ich bekomme den Platz für meine Kur schon in einer Woche."

Petersen war wie vor den Kopf geschlagen. „Was bedeutet das jetzt für mich?“ fragte er sichtlich verunsichert.

„Nun mal langsam! Ich habe schon mit Wilhelmshaven gesprochen. Du wirst ca. eine Woche allein sein. Ich sehe darin kein Problem, weil du die Dinge hier beherrscht. Man merkt schon, dass du ein erfahrener Polizeihase bist. Ich hab‘ das Wilhelmshaven auch genauso gesagt. Nach einer Woche bekommst du Unterstützung durch einen Polizeianwärter. Das ist zwar nicht das Gelbe vom Ei, aber du kannst die Bereitschaften aufteilen. So und ab dem 15. Dezember kommt dann sowieso die Aufstockung für die Weihnachtsferien. Vielleicht bin ich dann auch schon wieder da."

Der Schrecken stand Petersen im Gesicht geschrieben. Er traute sich den Job schon alleine zu, aber 24 Std. Bereitschaft war schon eine Hausnummer. Er hatte sich gerade an den gemütlichen Dienstablauf mit Onno gewöhnt, zumal er mittlerweile große Sympathie für diesen Inselpolizisten empfand.

„Ich brauch erst mal ‘nen Schnaps“, unterbrach jetzt Petersen die Stille.

„Den kannst du haben“, antwortete Onno und holte die Flasche Strothmann aus der Küche. Beide stießen mit den kleinen Gläsern an, aber irgendwie war jetzt die Gesprächsbereitschaft abhandengekommen. Onno fühlte sich sichtlich unwohl, weil er Petersen augenscheinlich die Laune verdorben hatte.

„Lars, die Sache mit dem Graffiti hat sich auf der Insel wie ein Lauffeuer rumgesprochen. Das wir hier mal was aufklären, kommt nicht so oft vor. Die Leute sind ganz angetan von dir. Der Musiklehrer der Inselschule, der einen Shantychor leitet, hat mich auch schon angesprochen, ob er dich mal wegen deiner Gitarrensache ansprechen darf. Du hast einen guten Start hingelegt."

„Danke, ich fühl mich ja auch ganz wohl, aber ob das noch ohne dich so sein wird, weiß ich nicht."

„Quatsch, du wirst hier auch noch andere nette Leute kennen lernen. So, nun Schluss mit dieser Miesepeterstimmung."

Er stand auf und holte aus seiner Wohnzimmerschrankwand die Mappe mit den Zeitungsausschnitten, die Petersen ihm gegeben hatte und legte sie auf den Tisch. Frieda brachte noch zwei Flaschen Jever.

„Danke für das Bier, aber nun lass uns mal allein“, knurrte Onno Frieda an. Mit einem „is‘ ja schon gut“ verzog sie sich wieder.

„Wenn ich das hier alles richtig verstanden habe, hast du in Bremen ein sehr erfolgreiches Drogenfahnderteam geleitet. Ihr habt große Erfolge gehabt. Und nun wurde euch oder insbesondere dir vorgeworfen, dass ihr Dealern, die euch ‚nen Tipp gegeben haben, mit beschlagnahmten Stoff belohnt habt. Richtig?“ schloss Onno erst einmal seine Zusammenfassung ab.

„Das ist richtig und das bestreite ich auch nicht, aber nur so ist Drogenfahndung möglich, um an die Hintermänner ranzu-kommen. Wir standen damals unter enormem politischen Druck. Im Ostertor– und Steintorviertel, das ist in Bremen das Szeneviertel, wurden wir regelrecht vorgeführt."

„Kenn ich Lars, ich sag nur Helenenstraße“, lachte Onno.

„Ja, richtig, aber um den Puff ging‘s nicht“, unterbrach ihn Petersen grinsend. „An der berüchtigten Siewallkreuzung und an anderen Stellen hatte sich eine offene Drogenszene entwickelt und die Politik verlangte von der Polizeiführung, die Sache zu unterbinden. Es wurde mit schnellen Beförderungen gelockt und unter der Hand wurde auch eine Zusammenarbeit mit Kleindealern nicht ausgeschlossen und das haben wir eben dann auch gemacht."

„Wenn ich mal als kleiner Dorfpolizist was dazu sagen darf, aber anders geht das doch auch nicht oder?“ unterbrach Onno Petersen.

„Natürlich nicht“, fuhr Petersen fort, „durch reines Observieren und Razzien läuft gar nichts und wenn du mal jemanden hast, lassen die Richter ihn sofort laufen. Kleindealer, die mit uns zusammenarbeiten, hab’n dann auch was von uns gekriegt, aber nur kleine Mengen, und nur Hasch, kein Koks und kein Heroin. Irgendwann sind wir dann verpfiffen worden. Ich denke von Kollegen, die neidisch auf uns waren, die haben natürlich einige Kleindealer weichgekocht und die haben dann im Prozess gegen uns ausgesagt."

„Und die Polizeiführung, wie hat die sich verhalten?“ hakte Onno nach.

„Einige haben durchaus versucht, die internen Ermittlungen gegen uns runterzufahren, aber das ging dann nicht mehr, als bekannt wurde, dass ich bei diesem Brechmitteleinsatz mit dem toten Afrikaner dabei war. Wir hatten einen Nigerianer festgenommen, der direkt bei der Festnahme mehrere Drogenbeutel verschluckt hatte. Die damals geltende Anweisung lautete, Brechmittel zuführen, um den Drogenbesitz nachweisen zu können. Heute steht keiner mehr zu der Anweisung."

„Davon haben sie auch hier in der Nordwest-Zeitung berichtet."

„Ja, das war natürlich auch 'ne heftige Sache. Aber es gab die Anweisung von Oben, das zu machen. Damals, als der Mann starb, wollte es keiner gewesen sein. Die Szenen mit dem Afrikaner verfolgen mich noch heute. Ich hatte da überhaupt keine aktive Rolle und musste als ermittelnder Beamter nur zuschauen, ein Albtraum. Man sucht die Schuldigen dann ja immer bei den kleinen Beamten." Petersen war jetzt sichtlich erregt. „In diesem Fall hat es den Polizeiarzt getroffen, obwohl der erst einmal freigesprochen wurde. Jetzt soll es ein Wiederaufnahmeverfahren geben. Das hat das Bundesgericht verfügt. Die politische Stimmung ist dann gekippt. Die Politik hat sich aus dem Staub gemacht. Man hat sogar versucht, mir Drogenbesitz, Drogenkonsum und persönliche Bereicherung vorzuwerfen."

„Das kann doch nicht wahr sein“, mischte sich Onno wieder ein, der spürte wie erregt und verbittert Petersen immer noch war. Er holte die Kornflasche und zwei neue Buddel Jever.

„Lass uns mal eben einen trinken. Ich kann deine Verbitterung verstehen“, versuchte er Petersen vergeblich zu beruhigen.

„Was nachher wirklich überblieb, war die Sache mit den Dealern als Tippgebern. Alles andere mussten sie fallen lassen. Im Richterspruch wurde ausdrücklich die Polizeiführung kritisiert. Rausgekommen ist ja dann nur eine kleine Geldstrafe“, sprudelte es aus Petersen raus.

Onno unterbrach ihn: „Und deshalb haben die dich hierher abgeschoben. Ich verstehe."

„Na ja, was meinst du was in unserer Abteilung los war. Da ging ein richtiger Riss durch die Kollegen. Und ich wollte dann auch nicht mehr. Ich hatte die Schnauze voll! Hinzu kam dann noch, dass meine Frau sich von mir getrennt hatte. Du weißt ja, Lehrerin hoch moralisch und ich musste mir ständig Vorträge über moralisch anständiges Verhalten anhören. Wenn das denn auch noch kommt, bist du platt."

„Das wusste ich ja nicht, aber ich glaube, dass das ganz gut ist, dass du jetzt auf der Insel bist. Das tut dir gut.“

Onno griff erneut zu den Getränken.

Langsam beruhigte Petersen sich wieder:

„Das tat gut, Onno, danke."

Sie tauschten noch für den Rest des Abends Belanglosigkeiten aus. Petersen verließ das Haus Siebelts mit einiger Schieflage. Zum Einschlafen musste wieder ACDC herhalten Highway to Hell.......

Schatten über Wangerooge

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