Читать книгу Schwarzwald - FernSichten und EinSichten während einer Wanderung über den Westweg und den Ostweg - Malte Kerber - Страница 15
Von der Poesie der Adressen
ОглавлениеAdressen verraten immer – mehr oder weniger – etwas über den Ort, den sie benennen. Deine Heimatadresse sagt eine Kleinigkeit darüber aus, wo du lebst. Wenn ich einen Briefumschlag adressiere, überlege ich mir manchmal, warum der Empfänger gerade in dieser Stadt oder in jener Straße mit diesem oder jenem Namen wohnt. Da muss es doch einen Zusammenhang geben! Wenn nicht, so ist das Nachdenken darüber doch auf jeden Fall phantasieanregend und damit nützlich.
In meiner Jugend wohnte unsere Familie einige Jahre in der Berliner Bornholmer Straße. Das ist die Straße, deren Endpunkt einmal nicht nur Endpunkt dieser Straße war, sondern auch zum Endpunkt der Geschichte eines deutschen Staates wurde. Die Bilder über das Geschehen auf der Bornholmer Brücke in den nun schon fernen Novembertagen 1989 gingen um die Welt und fanden Aufnahme in den Bildbänden der Geschichte. Lange davor in meinen jüngeren Jahren überlegte ich damals manchmal, wo denn die Insel Bornholm liegen würde, die der Straße den Namen geliehen hatte. Ich sann darüber nach, wie es auf ihr wohl aussehen möge. Eine unbestimmte Sehnsucht hatte mich erfasst. Sie verstärkte sich, als ich den Roman „Pelle der Eroberer“ gelesen hatte. Meine Sehnsucht sollte sich erst Jahrzehnte später erfüllen. Ein „Bornholmer Wandertagebuch“ erzählt darüber.
In dem Tagebuch hielt ich fest, wie ich Martin Andersen Nexö, dem Autor des Pelle-Romans, näher kam. Vor allem aber schilderte ich unsere Wanderung auf dem „Kyststi“, dem alten Küstenweg. Rund um die Insel liefen wir diesen ehemaligen Weg der Bornholmer Fischer und Lotsen. Der meerumschlungene Hammeren auf der nördlichsten Spitze der Insel ist wohl der seltsamste Berg, auf dem wir je herumkraxelten. Er hat deshalb einen festen Platz in unseren Erinnerungen gefunden. Noch etwas blieb mir von unserer Bornholmwanderung: Ich sah die unbeschreiblichen Herbstfarben der Ostseeinsel und fand zu den Bildern der Bornholmer Impressionisten.
Adressen-Deuterei kann wie in diesem Falle folglich durchaus positive Wirkungen haben. Selbstverständlich lässt sich aus Adressen nicht mehr als eine Ortsangabe herauslesen. Es lässt sich aber mit Phantasie doch einiges in sie hineinlesen. Aber das sollte nicht in eine Handleserei mit Wahrheitsanspruch ausufern.
Wir wurden während unserer Schwarzwaldwanderung meist gastfreundlich aufgenommen, fühlten uns heimatlich für einen Abend, eine Nacht oder einen Tag – unter Adressen, die mich ebenfalls ins träumerische Nachdenken brachten. Vor und nach unseren Aufenthalten. In unseren Wanderpässen finden sich die Stempel unserer Etappenorte bzw. der Unterkünfte, in denen wir übernachteten. Einige habe ich ausgesucht und durch eine Unterstreichung sichtbar gemacht, was ich an diesen Adressen phantasieanregend fand. Vielleicht kann der Leser meiner Notizen nachvollziehen, warum es mir im konkreten Falle so erging.
Landgasthof und Metzger „Zum Rössle“,
Conweiler ~ Landgasthof „Waldhorn“,
Forbach ~ „Hochkopf Stube“ auf der
Rauen Halde ~ „Darmstädter Hütte“,
Seebach ~ „Haus Tannwald“, Kniebis ~
Vesperstube „Harkhof“, Hark 1 ~ Vesperstube Silberberg, Schonach ~ Naturfreundehaus „Brend“, Auf dem Brend ~
„Schweizerhof“, Titisee ~ Haus „Alpenblick“, Wieden ~ Jugendherberge „Hebelhof“, Feldberg ~ „Haldenhof“, Kleines
Wiesental ~ Wanderheim „Stockmatt“ ~
Gasthaus „Lehre Post“, Sunthausen ~
Pension „Jasmin“, Geisingen ~ „Haus
Rothfuss“, Schramberg ~ Gasthaus „Zur
Traube“, Altensteig ~ Gasthof-Pension
„Linde“, Pfalzgrafenweiler ~ Gasthof
„Lamm“, Steinegg ~ Hotel „Europa“, Pforzheim …
Ich habe im Gegensatz zum Leser den Vorteil, dass ich nun nach unserer Schwarzwaldwanderung bei jeder dieser und der anderen Adressen Bilder im Kopf und vor Augen habe: von Häusern, Straßen, Orten und Räumen. Und vor allem Bilder von Menschen sehe ich, denke an die Gespräche mit ihnen. Auch bestimmte Stimmungen kommen mir dabei ins Gefühl. Ich werde darauf noch einmal zurückkommen.