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Zum Verständnis der Zeugnisse

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Mithras ist in dem Pantheon der antiken Götter einer unter vielen, mit vielen verwandt, mit vielen identisch. Wir sollten uns hüten, in dieser Vielzahl und in der synkretistischen Angleichung der Göttergestalten Schwäche und Dekadenz zu sehen. Die Christen sahen es so und handelten entsprechend. Als Replik auf christliche Angriffe formulierte Symmachus seine verzweifelten Worte, es gebe nicht nur einen Weg zur Wahrheit (Symmachus, relatio 3, 10); ich möchte hinzufügen: und zum Heil. Der Mithras-Kult bot eine von zahlreichen Möglichkeiten; seine Attraktivität ist nicht zu leugnen. Dabei soll keineswegs verkannt werden, dass wahrscheinlich nur ein paar Prozent der Gesamtbevölkerung des Reiches in diese Mysterien eingeweiht waren.41

Die Verbreitung des Kultes reicht von Britannien bis zum Schwarzmeergebiet, vom Rhein bis an den Nil, und dies über beinahe drei Jahrhunderte hinweg, in denen sich die Bedingungen des Imperium Romanum veränderten. Das bedeutet, dass der Kult, wenn auch die Hauptlehren und die wichtigsten Elemente überall gleich waren, zahlreiche Wandlungen mitgemacht hat. Dies wurde dadurch erleichtert, dass er keine überregionale Organisation kannte und somit sehr flexibel auf die Wünsche seiner Anhänger in kleinen Gemeinschaften eingehen konnte. Über den Mithras-Kult als einheitliche Religion zu sprechen, ist daher schwierig; es vereinfacht die Sachlage, aber es verfälscht sie. Wir können zwar nicht anders verfahren, aber wir sollten uns der Problematik bewusst bleiben.

Es gab eine Fülle von lokalen und regionalen Besonderheiten und Einflüssen, die am Rhein anders aussahen als am Nil. So finden wir beispielsweise Mithras als Jäger in Dieburg (Abb. 39) in Hessen ebenso dargestellt wie in Dura-Europos (Taf. 1), an der östlichsten Grenze des Imperium Romanum. Die palmyrenischen Bogenschützen in Dura-Europos, die einen bedeutenden Anteil der dortigen Kultanhänger stellten, erblickten Mithras als reitenden Jäger mit Pfeil und Bogen, in der mit bestickten Bordüren besetzten Uniform eines Offiziers ihrer Truppe. In Dura-Europos jagt der Gott Gazellen, in Dieburg Hasen; die örtlichen Erfahrungen des Alltäglichen schlagen durch, ohne dass wir sie immer so leicht erkennen wie an diesem Beispiel.

Völlig aus dem Rahmen des uns bislang Bekannten fallen Gemälde aus dem Mithräum in Hawarte (Syrien; Taf. 2). Das sonderbarste Bild zeigt eine Mauer aus roten Blöcken mit einem Tor, das in einen schwarzen Gang führt. Auf der Mauer sitzen sieben Köpfe. Ihre Lippen sind schwarz, ihre Haut schwarz, rot oder gelblich-braun, das Haar wirr abstehend. Ihre Augen sind heute ausgestochen, was sicherlich auf jene Christen zurückzuführen ist, die wohl unmittelbar nach der Zerstörung des Mithräums dort eine Kirche errichteten. Auf jeden der Köpfe trifft ein Lichtstrahl. Zu diesen Bildern gibt es keine Parallele, weder in anderen Mithras-Heiligtümern noch in der übrigen Ikonographie.42

Viele Unterschiede der Reliefs dürften Ausdruck lokalen Geschmacks oder der jeweiligen Kunsttradition sein. Manche örtlichen Eigenheiten können sogar die Schreibweise der Namen betreffen; in einem Mithräum in Alba Iulia (Rumänien) erscheint der Name des Gottes auffällig oft als Mythras (CIMRM-02, 01939, 01943, 01945). Um dieser Vielfalt der Erscheinungsweisen gerecht zu werden, stelle ich möglichst viele Varianten vor; dies hat gelegentlich eine nicht zu vermeidende Aneinanderreihung von einzelnen Fundobjekten zur Folge.

Da die Kultgemeinschaften stets klein blieben (S. 63), hingen die jeweiligen Anschauungen in religiöser Hinsicht stark von der gesellschaftlichen Stellung, der beruflichen Tätigkeit oder dem Bildungsgrad der Mitglieder ab. Wenn eine Religion sich auf Reisen macht, sich in den unterschiedlichsten Regionen und sozialen Schichten ausbreitet, dann bleiben oft nur noch die Worte und Bilder gemeinsam, nicht aber die Inhalte und die Substanz; denn die Bedeutung eines Symbols ergibt sich aus seiner Umgebung. Eine vorwiegend soldatische Gemeinschaft artikulierte andere Interessen, betonte andere Akzente des Kultes, deutete Zeichen anders als etwa eine Gemeinschaft, in der Sklaven überwogen. Zweifellos waren nur die wenigsten Mithras-Anhänger in der Lage, die Schriften Platos zu lesen.43 Es macht ferner einen Unterschied, ob ein solcher Kult innerhalb einer urbanen Gesellschaft in Rom oder Ostia oder von Bauern in den Bergen im Inneren des Balkans gepflegt worden ist.44 Schließlich schaffen auch die Einflüsse anderer Kulte oder religiöser Strömungen Unterschiede, je nachdem, wie intensiv diese rezipiert werden. Der Philosoph Celsus bezeugt gegen Ende des 2. Jahrhunderts den Einfluss gnostischer Sekten auf den Mithras-Kult,45 und der war sicherlich am Nil stärker als etwa am Rhein.

Mithras verdankte seine Popularität gewiss auch der sanften Ermutigung durch Autoritäten, doch vor allem einem überzeugenden Kultvollzug, beeindruckenden Riten und Legenden, von denen wir nur noch weniges greifen und noch weniger begreifen. Der Mithras-Kult ist ein Beispiel für den Bilderreichtum der Antike, des antiken Denkens, des antiken Menschen und für die Wirkung von Symbolen, für symbolhafte, das heißt in Symbolen verhaftete Existenz.

Mithras

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