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2.4Beispiel einer Forschungsarbeit mittels qualitativer Interviews
ОглавлениеBisher waren die Ausführungen eher abstrakt gehalten, um die Grundlagen einer qualitativ orientierten Forschungsstrategie unter besonderer Berücksichtigung von Gesprächsanalysen als zentrale Methode herauszuheben. Dieser Abschnitt soll nun exemplarisch vorführen, wie sich die Grundlagen qualitativer Forschung in die Forschungspraxis übersetzen lassen. Der Fall einer an der Schnittstelle zwischen autonomer Forschung und Auftragsforschung angesiedelten interpretativen Unternehmensanalyse (vgl. dazu auch Lueger 1997) wurde gewählt, um auch jene Schwierigkeiten zu verdeutlichen, die bereits im Zuge der Formulierung einer Forschungsfrage auftreten können. Darüber hinaus zeigt das Design, wie trotz ungünstiger Bedingungen (etwa kein größeres Forschungsteam, starkes Misstrauen seitens des Forschungsfeldes) eine sinnvolle Analysestrategie entwickelt werden kann. Die zusammenfassende Darstellung der Durchführung der Studie erfolgt entlang der oben vorgestellten Forschungsphasen.
a)Die Planungsphase als Aushandlung der Forschungsthematik
Den Ausgangspunkt der Studie bildeten zwei verschiedene Erkenntnisinteressen: Forschungsseitig griff die Studie eine grundlagentheoretische Fragestellung nach den Bedingungen und Möglichkeiten von sozialer Ordnung in Organisationen im Kontext alternativer Sicht- und Handlungsweisen auf. Die Analyse sollte sich daher mit der Analyse von Kommunikationsbeziehungen, den spezifischen sozialen Konstruktionsweisen von Wirklichkeit im Unternehmen und den kommunikativen Steuerungsmechanismen beschäftigen, die soziale Ordnung im Unternehmen erzeugen, erhalten oder verändern. Damit wurde eine grundlagenthematische Fragestellung aufgegriffen, die sich in Form einer fallorientierten Analyse der sozialen Logik in einer Organisation hervorragend für eine qualitative Analyse eignet. Zwei Kriterien wurden auf die Auswahl des Falles angelegt: Erstens sollte es sich um ein größeres Unternehmen handeln, um eine komplexe Dynamik untersuchen zu können; zweitens sollte es sich um ein Unternehmen mit deutlich hervortretenden Konflikten handeln.
[35]Im Verlauf der Suche nach einer geeigneten Organisation wurden Gespräche mit einem Vorstandsmitglied eines größeren Produktionsunternehmens geführt, das von sich aus ein spezifisches Organisationsinteresse vorbrachte: Das Unternehmen laborierte – so die von den Vorstandsmitgliedern geteilte Sichtweise – an einem massiven Kommunikationsproblem zwischen Vorstand und Belegschaft. Die Belegschaft misstraute den Vorstandsinformationen, was von ausgeprägten Verständigungsproblemen und Konflikten mit enormen Reibungsverlusten begleitet war. Versuche, die Information besser zu strukturieren und mehr Informationen zu geben, haben die Beziehung zwischen Vorstand und Belegschaft jedoch weiter verschlechtert. Die Auftragsidee war nun, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, die es ermöglicht, Informationen im Unternehmen so zu verbreiten, dass sie von der Belegschaft als zuverlässig akzeptiert werden.
Damit ist ein Basisproblem interpretativer Organisationsforschung angesprochen: Die Akzeptanz dieser Sichtweise des Vorstandes würde heißen, dass man (a) die Problemdefinition des Vorstands übernimmt, (b) eine rein technische Natur des ‚Kommunikationsproblems‘ unterstellt und (c) auch gleich die Lösung für das Problem (geschicktere Kommunikationsstrategie) billigt. Eine solche Vorgangsweise wäre sozialwissenschaftlich unergiebig, weil man in diesem Fall nur externe Expertisen zu bemühen bräuchte, aber nichts über die Bedeutung des ‚Kommunikationsproblems‘, die Sichtweisen der Belegschaft, den Prozess des Entstehens und des Erhaltens des ‚Problems‘ erfahren würde. Dies käme einer einseitigen Instrumentalisierung der Forschung durch den Vorstand als Auftraggeber gleich. Damit war klar, dass man zu einer gemeinsamen Definition des Auftrags gelangen musste, welche den Ansatzpunkt für das ‚Problem‘ umdefiniert und der Forschung einen entsprechenden Freiraum gewährt, um auch das grundlagentheoretisch fokussierte Phänomen in seiner Vielfalt erfassen zu können. Die in der Folge ausgehandelte gemeinsame Fragestellung redefinierte das Ausgangsproblem des Vorstands so, dass sie sowohl dem Forschungsinteresse als auch dem Auftragsinteresse entgegenkam: Im Rahmen des Projekts sollte untersucht werden, welche Organisationsdynamik hinter den Spezifika der organisationsinternen Kommunikation steht. Dies sollte die Forschung aus einer politischen Funktion heraushalten, nämlich die Lösung für ein definiertes Problem zu liefern und dadurch die vorgegebene Problemdefinition und Problemlösung zu legitimieren. Die Forschung bot ‚nur‘ an, zu verstehen, warum und für wen das Problem ein solches ist, was dahinter stecken könnte und wo daher Ansatzpunkte zu finden sind, die eine adäquate Bewältigung des wahrgenommenen Problems versprechen.
Die Forschung wurde von zwei Personen durchgeführt. Diese Konstellation erforderte bereits in der Planung zwei Vorkehrungen für eine seriöse Abwicklung der Studie: (a) Eine spezifische Aufgabenverteilung, um die Durchführung der Erhebung wie auch die Interpretation des Materials abzusichern. Dies ließ sich nur umsetzen, indem eine Person schwerpunktmäßig die Gesprächsdurchführung übernahm, die zweite Person jedoch die Interpretation. In der Organisierung der [36]Orientierungsphase spielte darüber hinaus die unternehmensinterne Vermittlungsperson eine wichtige Entlastungsrolle. (b) Zusätzlich erhöhte ein externes Forschungsumfeld (in diesem Fall andere Forscher*innen, die für eine intensive Diskussion sorgten) das Forschungspotenzial und übernahm partiell Supervisionsfunktionen.
Methodisch wurde (neben Artefaktanalysen und begleitenden Beobachtungen) das Hauptaugenmerk auf Gesprächsanalysen gelegt, weil diese die Ansichten der Beteiligten einer diskursiven Betrachtung erschließen. Aufgrund der Bedeutung der Analyse von Kommunikationsprozessen und der sozialen Konfliktdynamik bei dieser Thematik sollten Gesprächsrunden mit mehreren Teilnehmer*innen die wichtigste Erhebungskomponente bilden.
b)Die Organisierung der Orientierungsphase
Grundsätzlich kann man sich bei einer solchen Thematik nicht auf externes Wissen verlassen, sondern es ist notwendig, das Wissen der Mitarbeiter*innen, d. h. die feldinternen Expertisen, für die Studie fruchtbar zu machen. In diesem Sinne wurde bereits im Vorbereitungsstadium der Studie mit dem Auftraggeber die Möglichkeit ausgehandelt, mit allen Mitarbeiter*innen (deren Einverständnis vorausgesetzt) Gespräche zu führen, ohne dass die Unternehmensführung in die Organisierung der Gespräche interveniert. Für die Forschung sind grundsätzlich alle Mitarbeiter*innen, egal ob Vorstand oder Mitarbeiter*innen auf unterster hierarchischer Ebene, gleichberechtigte Gesprächspartner*innen, die sich nur durch ihre spezifische Expertise unterscheiden.
Interpretative Sozialforschung geht davon aus, dass die Ergebnisse der Forschung nicht nur vom analysierten Gegenstand, sondern auch vom Zugang der Forschung zum Gegenstandsbereich abhängen. Die Positionierung der Forschung im Unternehmen ist daher ein besonders sensibler Punkt, weil sie jene Zuschreibungen beeinflusst, mit denen Forscher*innen im Unternehmen belegt werden (z. B. Abgesandte des Vorstandes) und die nachhaltige Effekte auf die Forschungsarbeit haben können (z. B. Kooperationsbereitschaft, Gesprächsklima). Deshalb wurden für die hier thematisierte Studie drei Positionierungselemente berücksichtigt:
•Es wurde ein Organisationsmitglied als Koordinationsstelle zwischen Forschung und Unternehmen gesucht. Diese Person sollte drei Anforderungen erfüllen: (a) aufgrund des Konfliktes zwischen Vorstand und Belegschaft sollte sie strukturell vom Vorstand distanziert sein (Abkoppelung der Forschung vom Vorstand als Auftraggeber); (b) sie sollte das Unternehmen zumindest grob überblicken und über relativ gute Kontakte zu möglichst vielen Unternehmensbereichen verfügen (feldinterne Reflexionsexpertise); (c) sie sollte nicht in aktuelle Konfliktlinien involviert sein (organisationsinterne Akzeptanz). Der letztlich ausgewählte Koordinator fungierte als zentrale Anlaufstelle für das Forschungsteam, verhandelte Forschungsentscheidungen und organisierte im Unternehmen die Forschungsaktivitäten.
•[37]Aufgrund der Konfliktsituation wurde allen an der Untersuchung teilnehmenden Personen Anonymität zugesichert. In diesem Sinne bezogen sich die Analyseergebnisse ausschließlich auf Strukturen und Prozesse der Organisation (und nicht auf Personen). Diese Anonymität wurde aufgrund der angespannten Situation (Konkurrenzprobleme am Markt) auch dem Unternehmen zugesichert.
•Um darüber hinaus Vertrauen zu gewinnen, wurde ausgehandelt, dass alle Mitarbeiter*innen die Möglichkeit bekommen, über die Ergebnisse informiert zu werden (Feedback). Als vertrauensbildende Maßnahme sollte dies eine einseitige Verfügung über die Ergebnisse verhindern.
Als erste Informationsbasis fungierten die mit dem Vorstand geführten Aushandlungsgespräche über die Forschungsarbeit, weil die Problemsicht und die Vorstellungen über mögliche Ergebnisse bzw. Problemlösungsstrategien wichtige Erkenntnisse über organisationsinterne Prozesse versprachen. Diese Gespräche fokussierten die Beziehungen zwischen verschiedenen (weltweit verstreut tätigen) Betrieben und internen Bereichen, wobei die Entwicklung des Gesamtunternehmens, die Geschäftsaktivitäten, die Unternehmensstrategien und die spezifische Problemlage im Unternehmen im Zentrum standen (feldinterne Reflexionsexpertise aus der Perspektive der Unternehmensleitung).
Als Informationsbasis zur Projektdurchführung fungierten Gespräche mit dem Koordinator als feldinterner Reflexionsexperte. Das Erstgespräch mit diesem erfüllte drei Funktionen: Erstens wurde das vorgesehene Projekt ausführlich besprochen; zweitens vermittelte dieses Gespräch eine Orientierung über die Struktur, die internen Differenzierungen und Besonderheiten der Organisation; drittens erfolgte eine Absprache über die konkrete Durchführung (mögliche Ansprechpersonen). Thematisiert wurde hierbei, worauf man achten könnte oder mit wem man sprechen müsste, wenn man das Geschehen in der Organisation und deren Funktionsweise verstehen will. Auch in den weiteren Gesprächen mit diesem Koordinator stand das unternehmensinterne Reflexionswissen im Zentrum, allerdings nunmehr zentriert auf die Beziehungen zwischen den Organisationseinheiten. Die Analyse dieser Gespräche diente dem ersten Basisverständnis und bereitete die weiteren Gespräche für den ersten Zyklus der Hauptforschungsphase vor.
c)Die Vorgangsweise in der Hauptforschungsphase
•Erster Zyklus: Auf der Grundlage der ersten Analyseergebnisse wurde mit dem Koordinator eine Vorgangsweise ausgehandelt, um entsprechend dem jeweiligen Analysestand nach bestimmten Kriterien Gesprächsrunden zu organisieren, die feldinterne Handlungs- und Reflexionsexpertisen betrafen. Solche Kriterien waren auf der Ebene von Handlungsexpertisen etwa Verbindungen in einem spezifischen Handlungsfeld oder direkte Kooperationsbeziehungen. Zur Aktivierung feldinterner Reflexionsexpertisen wurden in Einzel- und Mehrpersonengesprächen Organisationsmitglieder einbezogen, [38]die Schnittstellen zum unternehmensrelevanten Umfeld oder innerhalb der Organisation besetzten. Mit dieser Vorgangsweise sollten organisationsinterne Beziehungsstrukturen bereits in die Gesprächszusammenstellung eingehen. Konsequenterweise boten die Schilderungen, wie die Teilnehmer*innen einer Gesprächsrunde zu dieser gestoßen sind, den Gesprächseinstieg, um so die Kommunikationsbeziehungen in der Organisation zu (re-)konstruieren.
Im Sinne des theoretischen Samplings (vgl. Glaser/Strauss 2010: 61ff.) wurde dem weiteren Analysefortschritt gemäß versucht, verschiedene für das Verständnis der Organisationsdynamik jeweils sensible feldinterne Expertisen in den Gesprächen zu aktivieren: Beispielsweise fanden Gesprächsrunden mit Mitarbeiter*innen von Betrieben statt, die erst vor kurzer Zeit zum Unternehmensverbund gestoßen waren (Neulinge, Außenseiter), mit Mitarbeiter*innen alter Kernbereiche des Unternehmens (Unternehmenstradition), mit Mitarbeiter*innen in ausführenden Tätigkeiten (Ausloten der Stimmung) und mit besonders exponierten Führungskräften (Konfliktpositionen).
Den analytischen Kernbereich bildete in diesem Zyklus die Ermittlung der zentralen Konfliktlinien und der diesen zugrundeliegenden organisationalen Differenzen. Ferner wurde untersucht, woran sich die verschiedenen Gruppen im Unternehmen orientieren und wie sie ihre jeweils spezifische Argumentations- und Handlungsorientierung aufbauen. Die Gespräche dieser Phase blieben sehr offen, um einen möglichst gründlichen Überblick zu bekommen.
Zweiter Zyklus: Nach dieser ersten Phase der Gesprächsführung und Interpretation wurden nach einem Zwischenschritt zur Forschungsreflexion Gesprächsrunden für eine zweite Analysephase zusammengestellt, die nunmehr drei Funktionen erfüllen sollte: (a) die Ergänzung im Sinne der Differenzierung und der Überprüfung der Verlässlichkeit von bis dahin erhobenen Perspektiven und Interpretationen; (b) die Präzisierung der Dynamik der Auseinandersetzung zwischen den beiden im ersten Zyklus identifizierten Unternehmensphilosophien; (c) die verstärkte Orientierung an den Handlungsweisen der Organisationsmitglieder.
Im Gegensatz zum ersten Zyklus bildete nunmehr die Berücksichtigung struktureller Ähnlichkeiten im Sinne des theoretischen Samplings die zentrale Auswahlstrategie, um die Plausibilität der bisherigen Argumentation zu überprüfen. Die Gespräche dieses Zyklus zentrierten sich zunehmend auf die Wirkungen der Organisationsphilosophien im Unternehmen. Darüber hinaus wurde bei der Auswahl der Gesprächspartner*innen verstärkt darauf geachtet, ob sie in den Gesprächsrunden innerhalb einer Unternehmensphilosophie oder übergreifend zusammengesetzt wurden. Dazu kamen Mitarbeiter*innen aus Arbeitsbereichen, die entweder im Zentrum des Konfliktes standen oder sich in neutraler Distanz dazu hielten. Aufgrund der unterneh-[39]mensinternen Kommunikationsbarrieren zwischen manchen Bereichen verfügten die Gesprächspartner*innen in all diesen Fällen über ein hochspezialisiertes Handlungs- und Reflexionswissen.
•Dritter Zyklus: Neben letzten unternehmensinternen Klärungen wurden in diesem Zyklus nun auch externe Expertisen in Anspruch genommen, weil sich aufgrund der Analyse zwei Kontextbereiche als besonders relevant für das Verständnis des Falles erwiesen: ein Gespräch mit einem Branchenexperten (Erkundung der Branchenentwicklung) und ein Gespräch mit einem Experten für Finanzierungsfragen, weil diese Punkte in den Konflikten eine gewichtige Rolle spielten. Diese Gespräche sollten die spezifischen Rahmenbedingungen der Konfliktgenese und die Einbindung des Unternehmenskontextes in die Organisationsdynamik der Untersuchung zugänglich machen.
Insgesamt ist bei diesem Forschungsdesign festzuhalten, dass deutlich mehr Gespräche geführt wurden, als tatsächlich einer extensiven Sinnauslegung unterzogen werden können. Dies hat vorrangig zwei Gründe:
•Erstens ist es aus Gründen der Qualitätssicherung nötig, möglichst vielfältiges Material zu generieren, um eventuelle Abweichungen oder Besonderheiten in der Organisation aufspüren zu können. Gerade in den abschließenden Forschungsphasen ist es wichtig, jene Stellen zu sondieren, die den Ergebnissen widersprechen könnten.
•Zweitens wird in den Gesprächen auch Beziehungsarbeit geleistet; das gelingt aber nur, wenn man auf breiterer Ebene den Kontakt sucht.
Da aber faktisch immer nur wenige Interviews einer ausführlichen Analyse unterzogen werden, wurden die in Kapitel 5 angeführten Grundregeln berücksichtigt: Die Basis für die ausführliche Analyse bildete ein Aushandlungsgespräch mit dem Vorstand und ein Vorbereitungsgespräch mit dem Koordinator. Ausschnitte dieser Gespräche wurden Feinstrukturanalysen (siehe Abschnitt 5.1), die Gesamtgespräche einer Systemanalyse (siehe Abschnitt 5.2) unterzogen. Während im ersten Zyklus Feinstrukturanalysen insbesondere für die Untersuchung von Einstiegsphasen von Gesprächen sowie von Schlüsselstellen oder Resümeephasen ein zentrales Analyseverfahren bildeten, standen im zweiten und dritten Zyklus eher Systemanalysen sowie Themenanalysen im Vordergrund. Ein Schlüsselelement bei der Analyse bildete generell die Variation der Perspektiven, indem man verschiedene Sinnhorizonte organisationalen Wissens kontrastiert und daraus Normalitätsfolien für unterschiedliche Kollektive von Akteur*innen ermittelt, um auf diese Weise das Zusammenspiel sehr verschiedener Handlungsstrategien zu erkennen. Die systematische Differenzierung in unterschiedliche feldinterne Handlungs- und Reflexionsexpertisen macht es möglich, die Dynamik wechselseitiger Koordination zu verstehen.
Die Gespräche mit externen Expert*innen wurden entweder einer Themenanalyse unterzogen (siehe Abschnitt 5.4) oder einfach in Hinblick auf die manifes-[40]ten Aussagen zusammengefasst (siehe Abschnitt 5.5) und keiner weitergehenden Sinnauslegung unterzogen.
d)Ergebnisse der Studie
Im letzten Schritt bleibt zu klären, zu welchen Erkenntnissen diese methodische Vorgangsweise führte. Diese Frage soll abschließend auf drei Ebenen kurz erläutert werden:
•Die Studie konnte nachweisen, dass das ursprüngliche Interesse seitens des Unternehmens, nämlich eine elaborierte Informationsstrategie zu entwickeln, an einem völlig falschen Punkt angesetzt hatte. Da im vorliegenden Fall das Vertrauen zwischen dem Vorstand und der Belegschaft zerstört war, wurden alle Initiativen in ein spezifisches Organisationsverständnis integriert, das alle Versuche des Vorstands zur Informationsverbesserung vor einem negativen Szenario interpretierte und den Widerstand der Belegschaft weiter befeuerte. Allerdings konnte die Studie zeigen, wie dieses Misstrauen als Problemhintergrund entstand und welche Ereignisse und Handlungsweisen es erhalten und stabilisieren (Ansatzpunkte für die Bewältigung).
•Auf wissenschaftlicher Ebene ergaben sich eine Reihe von Ergebnissen mit grundlagentheoretischer Bedeutung: So zeigte die Analyse beispielsweise, wie die alltagspraktische Interpretation der Geschehnisse im Unternehmen eine Eigendynamik gewinnt, die sich der Kontrolle der Akteur*innen weitgehend entzieht. Die im Entwicklungsprozess ausgebildete Polarisierung zwischen zwei verschiedenen Sichtweisen des Unternehmens führte so weit, dass in manchen Bereichen eine Verständigung aufgrund der kontextuell ausdifferenzierten Bedeutungshorizonte kaum mehr möglich war. Damit lässt sich erklären, warum und wie sich ganze Unternehmensbereiche wechselseitig nachhaltig in ihrer alltäglichen Arbeit blockierten, obwohl alle Beteiligten mit enormem Engagement zum künftigen Erfolg des Unternehmens beitragen wollten. Die Studie machte darüber hinaus deutlich, wie ein lang anhaltender Erfolg zu einem massiven Entwicklungshemmnis werden kann. In diesem Zusammenhang ergaben sich auch wichtige Erkenntnisse über Lernprozesse in Organisationen, wobei diese Erkenntnisse einen blinden Fleck ähnlicher Untersuchungen beleuchten, dass nämlich der Erwerb von Abwehrstrategien einen wichtigen Schutzmechanismus der Belegschaft bildet und einen zentralen Lernbereich in Organisationen darstellt.
•Darüber hinaus konnten auch methodische Erkenntnisse zur Durchführung solcher Analysen gewonnen werden: In Konfliktfeldern, so zeigte beispielsweise die Dynamik des Forschungsprozesses, verändern sich mit dem Fortschreiten der Erhebung die Zugangsbedingungen zum Feld. So waren am Beginn die Rahmenbedingungen durch Abwehr geprägt, welche die Ausgrenzungsstrategie im Unternehmen reproduzierte. Mit der Herstellung der ersten halbwegs vertrauensvollen Beziehung schlug dieses Misstrauen in große Offenheit um, wofür zwei Aspekte mitentscheidend waren: Forsch-[41]er*innen agieren organisationsintern gleichsam grenzüberschreitend, wissen daher innerhalb kurzer Zeit mehr (bzw. Anderes) über bestimmte (vorrangig ‚grenzüberschreitende‘) Vorgänge im Unternehmen als die Gesprächspartner*innen selbst. Die Zustimmung zu einem Gespräch produzierte einen Druck auf Offenheit, weil die Gesprächspartner*innen (gerade aufgrund der massiven Kommunikationsbarrieren im Unternehmen) nicht wissen konnten, was die Forscher*innen bereits wissen und was nicht, aber annehmen konnten, dass sie über eine Fülle an Informationen verfügten. Letztlich reagieren die Gesprächsteilnehmer*innen auf ihre direkten oder indirekten Erfahrungen in Hinblick auf die Seriosität der Forscher*innen.
Mehrere Punkte sollten an dieser Stelle noch festgehalten werden: (a) Es ist wichtig, Problemdefinitionen, die an die Forschung herangetragen werden, nicht einfach zu übernehmen, sondern kritisch zu hinterfragen. (b) Wissenschaftliche und praktische Erkenntnisinteressen können deutlich auseinanderklaffen und sollten daher klar voneinander getrennt werden. (c) Man sollte die meist ausgeprägte Heterogenität des Feldes berücksichtigen, um für die Forschung angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen, und sich nicht vorschnell von einer Gruppe instrumentalisieren lassen. (d) Jede Forschungsarbeit sollte auch einer methodischen Reflexion unterzogen werden.