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Der Mey ist gekommen

Reinhard Mey

„Ich bin aus jenem Holze geschnitzt/ In das man ein Herz und zwei Namen ritzt/ Nicht nobel genug für Schachfiguren/ Und viel zu knorrig für Kuckucksuhren/ Zu störrisch, als dass man Holz auf mir hackt/ Grade recht für ein Männchen, das Nüsse knackt“

Aus: „Ich bin aus jenem Holze“ von Reinhard Mey

Auf der Burg Waldeck beginnt sie, die bis heute andauernde Karriere des Reinhard Friedrich Mey. Der Lehrersohn, der 1942 in Berlin geboren wird, lernt im Hunsrück aber auch einen Freund und musikalischen Wegbegleiter kennen – den fast gleichaltrigen Hannes Eckard Wader aus Bethel. Mit dem Westfalen verbindet ihn zudem die Liebe zur Grande Nation: Mey macht auf der französischen Schule in Berlin nicht nur das deutsche Abitur, sondern auch das Baccalauréat. Klassenkameraden sind damals übrigens die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan und der spätere Liedermacherkollege Ulrich Roski.

Seine frankophile Neigung führt dazu, dass Mey 1967 unter seinem zweiten Vornamen Friedrich – Frédérik – einen ersten Plattenvertrag bei den westlichen Nachbarn bekommt. Er muss dazu den Umweg über das schon damals renommierte belgische Knokke Festival gehen, wo er Deutschland vertritt.

In Frankreich kommt der Künstler recht gut an, seine Debüt-LP „Frédérik Mey, Volume 1“ wird mit dem „Prix International“ der „Académie de la Chanson Française“ ausgezeichnet. Deutsche Stücke hat er zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viele in petto. Denn das erste eigene Lied in Muttersprache – „Ich wollte wie Orpheus singen“ – ist anno 1967 gerade erst mal drei Jahre alt. Zuvor spielte er unter anderem in der Gruppe Les Trois Affamés zusammen mit Wolfgang Schulz, dem „Schobert“ im Duo Schobert & Black. Alles eine Mischpoke? Das kann man so sehen. Denn mit dem auch frankophilen und mit eigenen Texten ebenfalls noch nicht ausreichend gesegneten Wader geht es zweisprachig auf Tour. Dass sich Mey mit Wader und Schobert nicht nur auf künstlerischem Terrain versteht, ist verbrieft. In dem seiner ehemaligen Vermieterin Emma Pohl gewidmeten Dreiteiler „Trilogie auf Frau Pohl: Gespräch mit Frau Pohl“ heißt es unter anderem: „Herr Schobert habe, wie Sie sagen/Die letzten Dielen aus meinem Zimmer getragen/Und damit, als es kühl ward zur Nacht/Ein Feuerchen auf Ihrem Teppich gemacht … Beim Abschied schließlich, im Morgengraun/Erlegte Herr Wader den Gartenzaun/Und die anderen seien auch erst gewichen/ Nachdem sie Ihre Katze grün angestrichen!“ Das turbulente Stück stammt vom dritten, 1970 erschienenen Studioalbum Meys, von „Aus meinem Tagebuch“, wird aber erst mit dem Durchbruch des Künstlers 1971 richtig bekannt.

Die ersten drei LPs des Liedermachers, das 1967er-Debüt „Ich wollte wie Orpheus singen“, „Ankomme Freitag, den 13.“ – mit dem furiosen Titelstück – und eben jenes „Tagebuch“ sind in gut unterrichteten, aufgeklärten Kreisen durchaus beliebt. Aber die Verkäufe bleiben erst einmal so schlecht, dass Der Spiegel 1971 rückwirkend formuliert, es „schien (…) freilich, als würde die Karriere des Liedermachers im kommerziellen Abseits enden. Denn der Beamtensohn (…) tingelte (…) durch Studenten-Pinten, Keller-Kneipen und Provinz-Turnhallen – ohne nennenswerte Resonanz.“

Linke halten Mey für einen reaktionären Schlagersänger, die Mehrzahl der Deutschen – so sie den Künstler überhaupt kennen – für einen harmlosen Spinner. Dabei ist schon der frühe Reinhard Mey ein hervorragender Musiker und Gitarrist sowie ein besonderer Texter. Dessen Lieder sind sicher von Jacques Brel, Boris Vian und George Brassens beeinflusst – aber eben auch von Erich Kästner, Gottfried Benn oder Bertolt Brecht. Und er ist ein Entertainer, der mit pointierten Worten sein Publikum in den Bann zieht, was bei Meys Durchbruch 1971 endlich eine ebenso breite wie bereite Öffentlichkeit wahrnimmt: Denn fast zeitgleich mit dem vierten Album „Ich bin aus jenem Holze“ und der auch ohne Chartplatzierung populären Moritat „Der Mörder ist immer der Gärtner“ kommt das am 12. Dezember 1970 in Meys Heimatstadt Berlin aufgenommene Konzert-Doppelalbum „Reinhard Mey Live“ auf dem Markt. Es ist bis heute nahezu unerreicht, er zeigt einen Liedermacher in Bestform – und auch in Zeiten von Spotify und Co. wirkt dieser Mitschnitt zeitlos und modern. Knapp zwei Stunden und 25 Lieder lang ist das Werk, zwei seiner französischen Chansons gehören ebenso zum Programm wie seltene Stücke, etwa „Der Schuttabladeplatz der Zeit“ oder „Fast ein Liebeslied“ – oder Mey-Standards wie „Freitag, der 13.“, „Diplomatenjagd“ und eben die „Trilogie auf Frau Pohl“. Stolze fünf Monate hält sich „Reinhard Mey Live“ in den Albumcharts – und im Schlepptau mit der damals aktuellen Studioplatte „Ich bin aus jenem Holze“ werden dann spät aber doch auch die ersten drei LPs vergoldet.

Mey ist angekommen und kommt an. Er ist nie der linke Bänkelsänger, wie etwa Freund Wader oder Franz-Josef Degenhardt, aber als „unpolitisch“ kann man den Liedermacher auch nicht bezeichnen. Oft prangert er, etwa in „Bevor ich mit den Wölfen heule“ oder „Annabell, ach Annabelle“, beide vom ersten Nummer-Eins-Album „Mein achtel Lorbeerblatt“, das stumpfe Mitläufertum innerhalb von Massenbewegungen an oder hinterfragte gesellschaftliche Veränderungen. So wurde seine erfolgreichste Single „Annabelle, ach Annabelle“ als Kritik an der Frauenbewegung und dem Feminismus fehlinterpretiert. Eigentlich aber rückte der Text einen Mann in den Mittelpunkt, der aus seinem vertrauten Rollenmuster herausgerissen und dadurch erst mal haltlos wird. Das Ergebnis dieser Identitätssuche ist dann der „Softie“, ein Begriff, der in den Jahren nach „Annabelle“ zum Inbegriff des weichen, oft angepassten Mannes wird.

Mey selbst erzählt in späteren Jahren immer wieder, dass ihm das Lied „jede Menge Ärger, aber auch jede Menge Spaß“ eingebracht habe. 1998 bringt er – spät – eine anerkennende Entschuldigung heraus und zollt „Annabelle“ im Song „Der Biker“ den verdienten Respekt. Die Kritik an Mey und seiner Haltung bringt der österreichische Literaturwissenschaftler Thomas Rothschild in seinem Buch Liedermacher. 23 Porträts auf den Punkt und unterstellt dem Künstler, er betreibe mit „Anabelle“ sogar „Hexenjagd in Chansonform“: „Mit dieser Karikatur einer linken Studentin … entpuppte sich Reinhard Mey endgültig als einer, der seinen kleinbürgerlichen Zuhörern, die sich ihre heile Welt nicht rauben lassen wollen, nach dem Mund singt.“

Wie bürgerlich Reinhard Mey wirklich ist, lässt sich nicht beantworten. Dass er Texte über Hunde, Sofas, Kinder, die Ehefrau oder das Älterwerden schreibt und seinem nach fünf Jahren Wachkoma im Alter von nur 32 Jahren verstorbenen Sohn Maximilian mit „Ficus Benjamini“ und „Drachenblut“ posthum zwei Lieder schenkt – erklärt ein Stück weit seine ungebrochene Popularität: Mey kann zu allen Dingen des Lebens etwas sagen, zum Schimmel, der in deutschen Amtstuben wiehert („Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars“) genauso wie zum Charity-Wahnsinn der Superreichen („Die heiße Schlacht am kalten Buffet“) oder über einen zu unschuldig im Knast sitzenden Menschen („In Tyrannis (Von Wand zu Wand sind es vier Schritte))“.

Dass Mey als Autor unter dem Pseudonym Alfons Yondraschek sogar am Grand Prix d’Eurovision teilnehmen will, ist eine Fußnote in seiner Biografie. Das Duo Nina & Mike wird mit „Gute Nacht, Freunde“ beim Vorentscheid nur Vierter.


Ein Mann, viele kluge Worte: Reinhard Mey in den 1970er Jahren

Stattdessen erreicht Mary Roos am 25. März 1972 in Edinburgh den dritten Platz mit „Nur die Liebe lässt uns leben“, Vicky Leandros gewinnt mit „Aprés toi“ für Luxemburg. „Gute Nacht, Freunde“ wird dennoch – und trotz 39 Studioalben, die Mey zwischen 1967 und 2016 aufnimmt – zum Klassiker.

Reinhard Mey ist dank seiner langen Karriere und durch seine zeitlosen Texte ein zentrales Bindeglied zwischen der ersten Liedermacher-Generation und den neuen Songwritern. Selbst Campino von den Toten Hosen schätzt den Liedermacher – sein Song „Unter den Wolken“ zitiert im Titel einen poetischen Gassenhauer Meys. „Über den Wolken“ erreicht zwar nie die Charts, wird aber bei der anno 2005 vom ZDF durchgeführten Wahl zum „Jahrhunderthit der Deutschen“ auf Platz Vier gewählt. Über den Kollegen äußert sich Reinhard Mey in der Rheinischen Post.

Auf die Frage „Campino zieht im neuen Lied der Toten Hosen Bilanz, und sie fällt nicht gut aus. Berührt Sie das – sowohl die Verbeugung, als auch das Fazit des neuen Songs, der Ihr Lied zitiert?“ antwortete Mey angetan: „Als ich das Lied während meiner Flugausbildung vor 45 Jahren schrieb, war ich mir durchaus im Klaren darüber, dass der strahlenden Helligkeit über den Wolken Unrecht, Leid und Dunkelheit darunter gegenüberstehen. Und genau diese Erkenntnis ist im Refrain ‚alle Ängste, alle Sorgen’ ja schon ausgesprochen. Ich freue mich, wenn das Lied weiterlebt, gesungen, in Überschriften und in Zitaten, und wenn ein gestandener, schlauer Kollege wie Campino es zitiert, erst recht.“

Mey ist durchaus stolz darauf, ein Vorbild für Campino zu sein. Der Stellenwert des Liedermachers als Bindeglied zwischen den „Urvätern“, die auf der Burg Waldeck die deutsche Sprache vom Mief und dem Horror der Geschichte befreien und den Enkeln, die heute um Worte ringen, zeigt sich an diesem Beispiel sehr deutlich.

Zum Weiterhören


Reinhard Mey: „Reinhard Mey Live“ (Doppel-CD, Intercord, 1971)

Reinhard Mey: „Mein Achtel Lorbeerblatt“ (CD, Intercord, 1972)

Reinhard Mey: „Dann mach’s gut“ (CD, Odeon, 2013)

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