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Vorwort

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Mit willkürlichen Grenzziehungen ist das so eine Sache – egal, ob es sich dabei um eine Obergrenze für Flüchtlinge, eine Frauenquote im Management oder um deutschsprachige Musik handelt. Man kann leidenschaftlich darüber diskutieren, ob solche Festlegungen „von oben herab“ gerecht sind, dem Wunsch der Menschen entsprechen oder ob sich die Realität durch eine solche Maßnahme nachhaltig lenken lässt.

Im Herbst 2004 befand sich die Musikindustrie im freien Fall. Die durch die Popkultur verwöhnte Branche setzte Jahr für Jahr weniger Tonträger ab, musste sich mit illegalen Tauschbörsen und einem veralteten Urheberrecht auseinandersetzen. Eine Folge war klar: Im öffentlich-rechtlichen wie auch im privaten Formatradio wurden hauptsächlich in englischer Sprache gesungene Titel eingesetzt. Denn diese wurden von den meist in den USA sitzenden Mutterkonzernen bevorzugt „beworben“. Schließlich waren die Kosten für ein Album von Madonna, U2 oder Robbie Williams immens, die Weltstars verschlangen ein riesiges Marketingbudget. Damit sich Werke von Madonna und Co. rechneten, mussten deren Songs logischerweise in die sogenannte „Heavy Rotation“ der Sender gelangen, dort also besonders häufig eingesetzt werden. Dieser musikalischen Globalisierung, die freilich schon wesentlich früher begann, wollten rund 500 Künstler, darunter Udo Lindenberg, Xavier Naidoo oder Heinz-Rudolf Kunze mit einer Quotenregelung begegnen – und bekamen Unterstützung durch die Politik. Im Magazin Stern wird die Kulturpolitikerin Antje Vollmer von den Grünen seinerzeit mit dem Satz „die hier lebenden Künstler müssen eine Chance haben, am Markt einfach teilhaben zu dürfen“ zitiert. Wie bei Grenzziehungen üblich, waren längst nicht alle Künstler für ein solches Reglement. So argumentierte Sven Regener, der Kopf von Element Of Crime, gegen die Quotenregelung. Mittlerweile sind einige Jahre ins Land gezogen und die Forderung wird in unregelmäßigen Abständen – jedes Mal etwas leiser im medialen Nachhall – neu formuliert. Mal sollen Helene Fischer oder Andrea Berg öfter gespielt werden, mal die Songs deutscher Rapper wie Sido oder Prinz Pi. Der Sinn einer solchen Regelung wäre heute allerdings beim besten Willen nicht wirklich mehr erkennbar: In den deutschen wie auch österreichischen Albumcharts dominieren einheimische Produktionen – deutscher Hip-Hop steigt in der Regel auf Platz eins ein, Schlagerkünstler aber auch moderne Liedermacher sind extrem erfolgreich, der „Austro-Pop“ feiert ein verdientes Comeback. Und das nicht nur in den Hitparaden, die längst den Verkauf von Tonträgern und Downloads abbilden, sondern auch im Radio und bei Streamingdiensten wie Amazon Music oder Spotify.

Nur mal so zum Vergleich: „Neymar“, der Hit des deutsch-russischen Rappers Capital Bra bricht alle Rekorde: Allein bei Spotify wird das Lied zwischen Ende April und Ende Mai 2018 knapp 23 Millionen Mal gestreamt. Der kanadische Hip-Hop-Star Drake und sein „Nice For What“ werden im gleichen Zeitraum mit allerdings über 262 Millionen Mal angehört. Sein Welthit „God’s Plan“ kommt bislang sogar auf 775 Millionen Streaming-Klicks beim Marktführer Spotify. Bei den Followern, also den „echten“ Fans, sieht es ähnlich aus: Robbie Williams hat – Stand: Mai 2018 – pro Monat über 4,2 Millionen Follower bei Spotify, Mark Forster rund 1,6 Millionen, der Rapper Bushido immerhin fast 1,1 Millionen. Auch wenn das im Vergleich zu Ed Sheeran (39,5 Millionen), Shawn Mendes (30,5 Millionen), Taylor Swift (26,5 Millionen) oder Pink (16,5 Millionen) eher nach wenig klingen mag: Die Zahlen von Bushido, Forster oder Capital Bra werden fast ausschließlich im begrenzten heimatlichen Sprachraum erzielt.

Bleibt das Problem mit der deutschen Sprache in der Musik: Global war und ist sie – von Ausnahmen abgesehen – nicht erfolgreich zu vermarkten. Auch hierzulande war die angloamerikanische Popmusik eigentlich immer schon erfolgreicher. Die Gründe dafür werden in diesem Buch genauso angesprochen wie das Problem der Künstler, aus dem während des Dritten Reichs systematisch missbrauchten Deutsch eine gesunde Sprache neu zu entwickeln. Das gelang letztlich auf so beeindruckende Weise, dass die aktuellen Künstler daraus durchaus eine kreative Leichtigkeit schöpfen können. Natürlich schaffen die modernen Liedermacher das nicht immer und ebenso selbstverständlich versuchen sie sich öfter mal im Wiederholen des eigenen Erfolgsmodells. Das ist freilich kein deutsches, sondern ein generelles Erfolgsphänomen.

Dieses Buch widmet sich nun der Geschichte der deutschsprachigen Popmusik. In den einzelnen Kapiteln werden die richtungsweisenden Künstler genauso beleuchtet wie die wichtigen Strömungen. Liedermacher, Rapper, Punks, Rocker, Scherzbolde und Sprachvirtuosen werden in den jeweiligen zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext eingebunden. Das führt auch dazu, dass zweimal die Perspektive des beobachtenden und kommentierenden Autors verlassen wird. Man begreife es als Gnade der rechtzeitigen Geburt, denn das Phänomen „Udo Lindenberg“ und die Bedeutung des Künstlers für die deutsche Jugendsprache werden aus der persönlichen Sicht besonders deutlich. Die Schilderung einer Pubertät mit den Liedern Lindenbergs in den 1970er-Jahren vermag den Nachgeborenen am ehesten zu verdeutlichen, was daran seinerzeit so bahnbrechend war.

Ebenfalls auf persönlicher Ebene nähere ich mich der Musik der DDR, die Beweggründe für diesen Perspektivwechsel sind freilich andere: Wer als „Wessi“ so tut, als verstünde er dieses spezielle Kapitel der deutschsprachigen Musik nur, weil er die Interpreten und deren Werke kennt, der ignoriert, dass er das meiste vielleicht begreift, wohl aber nicht völlig durchdringt.

Mir war klar, dass ich, wäre ich vor der Wende in Ostdeutschland aufgewachsen, empfindlich auf westliche „Besserwisser-Analysen“ reagieren würde. Deshalb tue ich auch nicht so, als wisse ich alles über den DDR-Pop, als hätte ich tatsächlich alle Intentionen parat. Stattdessen führt in diesem Kapitel ein persönlicher Weg über die eigene West-Biografie zu den Fakten der Entwicklung, die unter Walter Ulbricht und Erich Honecker bemerkenswert andere Lieder hervorbrachte.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und hoffe mit einiger Zuversicht, dass Sie den einen oder anderen Song für sich (wieder) entdecken. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei den Menschen, die mir ein Quell der Inspiration waren und sind – allen voran Jost Contino, Günther Fischer, Gernot Hahn, Matthias Matuschik, Gwenna und Ilka Schöning, Tanja Specht, Richard Weize sowie Christa Wunderlich.

Wenn Sie mir schreiben möchten:

MPrescher@email.de

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