Читать книгу Die Brückeninseln - Manfred Rehor - Страница 5

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Ein Bote kommt nach Eszger

Mit einer schnellen Bewegung zog Rall den Faden aus der verheilten Wunde der jungen Frau. Sie zuckte zusammen, nickte ihm dann aber dankbar lächelnd zu.

„Diese Methode, eine Wunde zu vernähen, haben wir den karolischen Freischärlern zu verdanken“, erklärte Rall dem jungen Heiler, der neben ihm stand und ihm aufmerksam zusah. „Voraussetzung ist, dass man absolut sauber arbeitet. Der Faden muss fest sein und eine Stunde lang abgekocht werden, bevor man die Wunde vernäht. Die Wunde wird vorher mit dieser Salbe hier bestrichen, die du aus Karach-Kraut gewinnen kannst. Sie betäubt und verhindert Wundbrand und andere Komplikationen.“

„Danke, dass du dir die Zeit nimmst, mich zu unterweisen“, sagte Harlan, der Heiler. „Deine Erfahrung wird mir nützlich sein.“

Sie wandten sich einem fiebernden Patienten zu, dem Harlan einen Kräuterumschlag machte. Rall war mit der gewählten Behandlungsmethode und der Kräutermischung zufrieden. Damit war die tägliche Visite beendet.

„Die Menschen in Eszger wissen es zu schätzen, dass du ihnen in der Zeit der Not zu Hilfe kommst“, sagte Rall. „Ich werde noch vier Wochen hier im Ort bleiben, dann hast du alles gelernt, was ein Heiler am Beginn seiner Karriere wissen muss.“

Harlan betrachtete den Katzmenschen überrascht. Ralls gelbliches, dichtes Fell und sein intelligentes Katzengesicht waren ein gewohnter Anblick geworden in Eszger. „Du willst den Ort so bald verlassen? Wir hofften, Zzorg und du würden bis nächstes Jahr im Sommer bleiben, um dann mit Macay eine Expedition in den Norden des Kontinents zu unternehmen.“

Ein Schatten erschien in der offenen Tür. Dann bückte sich jemand und trat herein. Es war Zzorg, der Echsenmensch, dessen riesiger, dreieckiger Eidechsenschädel suchend hin und her schwankte. „Wo ist Macay?“, fragte er, ohne zu grüßen.

„Mit ein paar Männern zum Lager. Er will einen Weg finden, die Gefangenen zu befreien.“

„Gut. Ein Bote ist eingetroffen. Er kommt aus einer Siedlung meines Volkes nahe der Südwestspitze des Nebelkontinents. Dort hat man Kontakt mit Schmugglern, die Gewürze von den Brückeninseln holen.“

„Was gehen mich Schmuggler an?“, fragte Rall.

„Der Kaiser geht dich etwas an.“

„Oh.“ Rall schwieg einen Moment. „Ist er endlich gestorben?“

„Er sucht weiter nach dem Lebenselixier. Die Schmuggler sagen, auf den Brückeninseln gebe es Hinweise auf eine Station der Alten Menschen. Sie soll fast so gut ausgestattet sein, wie es die im Herzen des Nebelkontinents es war.“

Ralls hin und her peitschender Schwanz zeigte, wie aufgeregt er war. „Das kann nicht sein. Die Stimme von Bea hat uns erklärt, es gebe auf dieser Welt keine Möglichkeit mehr, ein entsprechendes Elixier herzustellen.“

„Bea kann sich geirrt haben. Sie war Jahrhunderte lang von der Außenwelt abgeschnitten.“

„Du hast recht. Bring mich zu diesem Boten.“

Sie verließen die Hütte des Heilers und durchquerten den Ort Eszger. Nach dem Angriff durch die Kaiserlichen war die Siedlung wieder völlig instand gesetzt worden. Die Kaiserlichen konzentrierten damals ihre Kräfte auf die Suche nach Macay und seinen Begleitern, deshalb entging der Ort einer zweiten Zerstörung.

In einem Gasthaus trafen sie den Boten, einen kleinen Echsenmenschen mit einer krokodilähnlichen Schnauze, in der schief durcheinander gefährlich aussehende Zähne wuchsen.

„Azzard“, stellte Zzorg den Boten vor. Er setzte sich mit Rall an den Tisch und bestellten das hier übliche Dünnbier.

„Schwierige Zeiten“, zischte Azzard, nachdem er Rall aufmerksam gemustert hatte. „Gefährliche Zeiten.“

„Sicherlich nicht so gefährlich, wie sie vor kurzem noch waren, als die kaiserlichen Truppen den Nebelkontinent zu beherrschen versuchten“, schränkte Rall ein. „Was gibt es Neues?“

„Wo ist der Junge, Macay?“

„Im Dschungel unterwegs.“

„Schlecht. Wir brauchen ihn.“

„Wenn du uns sagst, wozu, werden wir versuchen, ihn zu finden“, entgegnete Rall. Das Verhalten des Boten ärgerte ihn, auch wenn er wusste, dass er nichts am Temperament der Echsenwesen ändern konnte. Dieser Echser schien wichtige Informationen zu haben, benahm sich jedoch, als wäre er nur gekommen, um über die schlechten Zeiten zu klagen.

„Er muss uns helfen. Gegen die Kaiserlichen.“ Der Bote winkte ein Schankmädchen heran und ließ sich noch einen Krug Bier bringen.

„Die kaiserlichen Soldaten sind nicht mehr auf dem Nebelkontinent“, stellte Rall fest.

„Sie werden wiederkommen. Über die Inseln.“

„Warum? Nun rede doch, verdammt noch mal!“

Zzorg legte seinem Freund beruhigend die Hand auf den Arm. „Berichte“, forderte er den Boten auf.

„Der Kaiser sucht das Elixier des Lebens.“

„Das gibt es nicht mehr, weil wir das Herz des Nebelkontinents zerstört haben. Das war der einzige Ort auf der Welt, an dem es hergestellt werden konnte. Weiter.“

„Es gibt noch einen Ort. Auf den Brückeninseln. Der Kaiser hat bereits eine Kolonie errichten lassen. Er wird bald seine Armee dorthin in Marsch setzen. Diese Armee wird, sobald der Kaiser und die Adeligen unsterblich sind, weiterziehen und beginnen, die Welt zu erobern.“

Rall sah Zzorg an. Beide dachten, dass dies nur unbegründete Ängste aufgrund von Gerüchten sein konnten. Aber ganz sicher waren sie sich doch nicht. Sie wussten nicht mehr als das, was ihnen Bea, die Stimme der Kontrollinstanz, erzählt hatte. Das musste nicht die ganze Wahrheit sein.

„Sie werden die Welt erobern. Von den Brückeninseln aus kann man schnell zu uns segeln“, schloss der Echsenbote seine Rede. Er trank seinen Krug leer.

„Die Brückeninseln liegen wie eine Brücke im Süden zwischen dem Kaiserlichen Kontinent und dem Karolischen Kontinent. Sie berühren den Nebelkontinent nicht.“ Rall zog mit dem Finger die Linien einer Weltkarte auf den Tisch. „Wenn eine kaiserliche Armee von den Inseln aus etwas erobern will, dann zweifellos Karolien.“

„Sie werden zu uns kommen“, beharrte Azzard. „Sie werden unsere Dörfer zerstören, unsere Kinder töten, unsere Rasse vernichten.“

Genervt stand Rall auf, als wollte er gehen. „Das ist Unsinn. Als hätte der Kaiser nichts Wichtigeres zu tun, als sich um ein paar kleine Dörfer voller Echser zu kümmern.“

„Wir unterstützen die Schmuggler“, antwortete Azzard mit klagendem Ton. „Das wird uns der Kaiser nie verzeihen.“

„Was wird geschmuggelt?“ Rall blieb stehen.

„Gewürz. Die Gefangenen auf den Brückeninseln müssen Gewürz ernten. Ähnlich wie in den Lagern an der Ostküste unseres Kontinents Lassach geerntet wird.“

„Was kann man mit diesem Gewürz anfangen?“

„Es ist selten und teuer. Man sagt, den Menschen schmeckt es. Aber uns brennt es nur auf der Zunge. Deshalb sind wir am Gewürz nicht interessiert. Die Schmuggler bestechen die Wächter in dem Gefangenenlager auf den Brückeninseln. Die zweigen ein wenig von der Ernte ab und verkaufen es an die Schmuggler. Ein Kistchen voll davon bringt auf dem Schwarzmarkt in Mersellen mehr als sein Gewicht in Gold.“

„Dann wird der Kaiser sich um die Schmuggler kümmern, wenn seine Kriegsschiffe eines Tages nichts Besseres zu tun haben sollten. Aber nicht um euch. Ich nehme an, ihr bietet den Schmugglern Verpflegung und sichere Buchten für ihre Schiffe an der Südküste an. Mehr nicht.“

„Mehr nicht“, bestätigte Azzard.

„Wir kennen den Kaiser“, sagte Zzorg beruhigend. „Er ist nur an wirklich wichtigen Dingen interessiert, bestimmt nicht an euch.“

Rall stimmte ihm zu. „Selbst wenn er lange genug lebt, um auf die Brückeninseln zu reisen, muss er dort das Elixier finden – falls es das wirklich gibt. So viel Zeit bleibt ihm nicht, das kannst du mir glauben.“

„Der Kaiser, den ihr kennt, wird bald nicht mehr regieren“, behauptete Azzard.

„Weil er sterben wird“, bestätigte Rall. „Er war schon schwach und krank, als er den Nebelkontinent verließ.“

„Die Schmuggler sagen, ein neuer Mann sei dabei, die Regentschaft zu übernehmen. Der Kaiser zeigt sich nur selten in der Öffentlichkeit, deshalb weiß es niemand genau. Man sagt, er lebe vielleicht gar nicht mehr.“

Entweder war Azzard nun zu der Überzeugung gekommen, Rall und Zzorg würden ihm helfen, oder das viele Bier hatte seine Zunge gelöst. Jedenfalls sprudelten die Worte nur so aus seinem riesigen Maul: „Viele Positionen in der kaiserlichen Verwaltung sollen schon neu besetzt worden sein. Das spricht dafür, dass ein neuer Machthaber auf dem Kaiserlichen Kontinent regiert. Er ist energisch, behauptet man, auch wenn niemand weiß, wer er sein könnte. Er wird Krieg führen, heißt es. Deshalb haben wir Angst. Wir wollen, dass uns Macay beschützt. Er hat den alten Kaiser besiegt, er wird auch den neuen besiegen. Er hat Zugang zu allen Mysterien dieser Welt.“

Rall und Zzorg sahen sich erstaunt an. Sicherlich war Macay ein wichtiges Mitglied ihrer Expedition zum Herzen des Kontinents gewesen. Aber doch nur, weil er durch eine Laune der Natur über ein Erbgut verfügte, das dem der Alten Menschen fast genau glich. Da die Maschinen, die von den Alten Menschen hinterlassen worden waren, auf solche Dinge reagierten, hatten sie ihn als würdigen Nachfolger anerkannt. Aber all die Abenteuer, all die Gefahren, die hatten doch wohl eher Rall und Zzorg auf sich genommen.

„Es ist merkwürdig, wie die Geschichte unserer letzten Reise weitererzählt wird“, sagte Rall.

„Macay ist der Held“, beharrte Azzard, dem nicht entging, dass die beiden Kämpfer in ihrem Stolz gekränkt waren. „Macay muss uns helfen.“

„Das können wir besser als Macay. Er ist immer noch ein Grünschnabel“, sagte Rall. „Ohne uns ist er in den Weiten des Kontinents verloren.“

Das war ganz und gar nicht das, was Azzard hören wollte. „Er hat die kleinen Menschen entdeckt und sie dazu gebracht, auf seiner Seite zu kämpfen“, beharrte er. „Und er hat euch in Heimstadt gerettet, als ihr im Gefängnis und kurz vor der Hinrichtung wart. Er hat Morrows dazu gebracht, seinem Befehl zu gehorchen und seine Feinde anzugreifen. Er hat ...“

„Genug!“, unterbrach ihn Rall erbost. „Das sind alles Halbwahrheiten und Übertreibungen. Aber ich stelle fest, dass du und dein Volk tatsächlich das Gefühl habt, vom Kaiserreich bedroht zu sein. Deshalb werden Zzorg und ich dich begleiten, um zu prüfen, ob etwas dran ist an den vielen Gerüchten.“

„Ihr wollt ohne Macay kommen?“

„Ja. Er wäre nur Ballast.“ Die letzten Worte hatte Rall sehr laut ausgesprochen. Einige der anderen Gäste im Lokal sahen sich nach ihm um, kümmerten sich dann aber wieder um ihre eigenen Angelegenheiten.

„Können wir einen der Schmuggler treffen, die bei euch verkehren?“, wollte Zzorg wissen.

„Ein Schiff liegt nur drei Tagesreisen von hier in einer versteckten Bucht an der Ostküste“, flüsterte Azzard. Sein Flüstern hörte sich an, als würde der Herbstwind ein paar Blätter über den Boden wehen. „Es hat in einem Sturm ein paar Schäden davongetragen und wird dort von der Mannschaft repariert. Der Kapitän ist häufiger bei uns zu Gast gewesen. Er ist ein zuverlässiger Mann, der bestimmt viel zu erzählen hat.“

„So zuverlässig, wie Schmuggler eben sind“, schränkte Rall ein. Es ärgerte ihn immer noch, in der Meinung der Bewohner des Nebelkontinents nicht als großer Held angesehen zu werden.

Nun war Azzard beleidigt. „Es sind ehrenwerte Seeleute, die die Handelsverbote des Kaiserreichs und der Karolischen Republik unterlaufen. Wir würden niemals Piraten und Diebe unterstützen.“

„Selbstverständlich“, sagte Zzorg beruhigend. „Wie lange wird das Schiff noch dort liegen?“

„Wenige Tage. Wir müssen morgen aufbrechen, sobald Macay da ist.“

„Wir brechen sofort auf.“

Ralls Ton war so entschieden, dass Azzard nicht zu widersprechen wagte. Gemeinsam verließen sie das Gasthaus. Die anderen Gäste begannen, über die Gesprächsfetzen zu diskutieren, die sie aufgeschnappt hatten. Bald machten die wildesten Gerüchte die Runde.

Die Brückeninseln

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