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Rall und Zzorg auf dem Weg zur Küste

Rall zog den Pfeil aus dem Körper des Sumpfdachses. Das wütend angreifende Tier war einen halben Schritt vor ihm zusammengebrochen. Es war ein Weibchen mit dunkel gestreiftem Fell, das die Größe eines Hausschweines hatte.

„Irgendwo in der Nähe müssen ihre Jungen sein“, sagte er. „Suchen wir danach?“

„Ein Leckerbissen“, gab Zzorg zu. „Aber wir haben keine Zeit.“

„Du hast recht. Den Kadaver lassen wir hier liegen. Wir haben nicht die Mittel, das Dachsfell zu gerben.“

„Das wird Aasfresser anlocken.“

„Um so besser. Dann kümmern sie sich nicht um uns.“

„Wenn Azzard hier wäre, würde er den Braten nicht liegenlassen. Die Südechsen haben ein Rezept für Sumpfdachse. Sie braten sie in einem Erdloch auf heißen Steinen.“

„Warum ist er auch gleich wieder zu seinem Dorf zurück? Er hätte uns führen können. Dann würden wir nicht so ziellos durch den Dschungel streifen. Ich habe den Verdacht, dass er uns absichtlich aus Eszger weggelockt hat.“

Sie marschierten weiter durch den Dschungel, bis sie das Rauschen des Meeres hörten.

„Die Küste muss steil abfallen“, meinte Rall. „Warst du schon einmal hier?“

„Nein. Niemand, den ich kenne, war jemals an diesem Küstenabschnitt.“

„Der ideal Ort für ein Schmugglerschiff, das Probleme hat.“

Unterholz und Gebüsch lichteten sich. In der Morgensonne traten die beiden ungleichen Helden heraus auf eine Klippe über dem Meer. Der Ausblick reichte viele Meilen weit, wo im Dunst eine der kleinen, unbewohnten Inseln lag, auf denen der Sage nach die Götter wohnten, die den Nebel schickten. Nebeltage waren der Normalzustand an der Ostküste des Kontinents. Der Nebel versorgte den dichten Dschungel entlang der Küste mit Feuchtigkeit. Würde er für längere Zeit ausbleiben, könnte der Dschungel nicht mehr existieren.

„Wir haben Glück mit dem Wetter“, meinte Rall.

„Nein.“

„Wieso?“ Rall sah sich um. Dann sah er die dunklen Wolken, die heraufzogen. „Stimmt. Das sieht nach Sturm und Regen aus. Beeilen wir uns.“

„Nach Süden.“

„Recht hast du. Aber sehen kann ich das Schiff noch nicht. Es muss in einer der nächsten Buchten liegen.“

Um weiter nach Süden zu gelangen, mussten sie die Klippen verlassen und noch einmal in die Ausläufer des Dschungels zurückkehren. Sie schlugen sich mit Macheten einen Weg durchs Unterholz.

Es war reiner Zufall, dass sie sich über eine relativ freie Strecke unter den Bäumen bewegten und deshalb selbst keine Geräusche verursachten, als aus einiger Entfernung etwas zu hören war. Sofort blieben sie stehen.

„Klingt wie jemand, der eine Machete gebraucht“, stellte Rall fest.

„Er hat keine Erfahrung damit“, ergänzte Zzorg.

Wie zur Bestätigung ertönte ein lauter Schrei, dem ein heftiger Wortwechsel folgte. Es waren Männerstimmen, aber noch so weit entfernt, dass auch Rall mit seinen äußerst sensiblen Katzenohren nichts verstehen konnte.

Vorsichtig näherten sich der Katzer und der Echser den Stimmen. Der Streit dauerte an. Offenbar war schon mehr als einmal etwas vorgefallen, was die Männer verärgert hatte, und nun machten sie ihrer Wut Luft.

Schließlich waren Rall und Zzorg nahe genug, um zu verstehen, was da vor sich ging.

„Wenn ich noch einmal in so ein Sumpfloch trete, dann hacke ich dir den Schwanz ab, verdammtes Katzenvieh!“

Rall zuckte zusammen und hob witternd die Schnauze. „Ein Katzer ist bei der Gruppe. Ich kenne ihn nicht, er muss von einem nördlichen Stamm kommen. Noch jung und unerfahren.“

„Tut mir leid“, hörten sie nun die unverkennbar raue Stimme eines Katzmenschen. „Ihr seid so schwer, dass ihr an Stellen einsinkt, dich ich für sicher halte.“

„Soll das heißen, wir sind zu fett? Ich ziehe dir gleich das Fell über die Ohren und mache mir daraus einen warmen Umhang. Los, weiter!“

Eine Machete schlug auf das Unterholz ein und eine Gruppe von Menschen bewegte sich ziemlich laut hinter dem Katzer her. Rall und Zzorg gingen in Deckung und warteten ab. Sie waren vielleicht zwanzig Schritte von der Gruppe entfernt, die durch Bäume und Blätter verdeckt war.

Ralls Nase ließ keinen Zweifel daran, dass sie es mit vier Männern und einem jungen Katzer zu tun hatten. „Sie riechen nach Kaiserreich“, flüsterte er. „Sie kommen nicht von hier und sie sind noch nicht sehr lange auf dem Nebelkontinent. Ein paar Wochen, nehme ich an.“

„Wenn sie bis zur Küste gehen, werden sie das Schiff vor uns entdecken.“

„Vermutlich wissen sie schon davon. Es kann kein Zufall sein, dass sie hier unterwegs sind.“

„Angreifen?“

„Ablenken.“ Rall holte tief Luft und stieß einen nicht sehr lauten, aber durchdringenden Klageton aus. „Der Katzer weiß jetzt, dass ich hier bin“, erklärte er dann. „Er kann nicht antworten, sonst merken die Menschen, dass etwas nicht stimmt.“

Sie bewegten sich so geräuschlos wie möglich weiter durch den Dschungel hinter den Menschen her, bis die hinaus ins Freie traten, auf die Klippen. Hinter Bäumen versteckt beobachteten Rall und Zzorg die Gruppe. Die Männer waren bewaffnet, und sie waren von einem Schlag, der mit Waffen umzugehen wusste. Der Katzer trug nur die Machete und einen kleinen Rucksack. Die Gruppe starrte aufs Meer hinaus, das inzwischen hohe Wellen schlug. Der Wind toste und die Wolken rasten über den Himmel. Aber noch regnete es nicht.

„Kein Schiff weit und breit“, beschwerte sich einer der Männer bei dem Katzer.

„Es soll in einer versteckten Bucht liegen, wo es vor dem Sturm sicher ist“, antwortete der. Doch er sah dabei nervös zum Dschungelrand, nicht hinaus aufs Meer. Rall tauchte kurz hinter dem Stamm auf und gab ihm ein Zeichen. „Zurück in den Dschungel“, hieß es.

Der Katzer starrte den Baum an, hinter dem Rall aufgetaucht war, als hätte er ein Gespenst gesehen.

„Verdammte Katze, wo ist das Schiff?“, wurde er da angeschnauzt. Einer der Männer griff dem Katzer grob ans Fell und schüttelte ihn.

„Weiter südlich. Es kann nur weiter südlich sein“, beeilte sich der zu antworten. „Wir müssen noch einmal ein Stück durch den Dschungel gehen.“

„Dann geh voran. Aber pass diesmal gefälligst auf.“

Rall und Zzorg ließen die Gruppe passieren und folgten ihr dann in sicherem Abstand. Der junge Katzer führte sie nicht parallel zur Küste, sondern immer tiefer in den Dschungel hinein. Aus welchen Gründen auch immer, er schien nichts dabei zu finden, die Männer, die er anführte, in eine Falle zu locken. Er musste ja annehmen, dass etwas in der Art auf sie wartete.

„Was hast du vor?“, fragte Zzorg, nachdem Rall noch einmal ein katzenhaftes Rufsignal an den jungen Katzer gesandt hatte.

„Der tote Sumpfdachs dürfte inzwischen Aasfresser angelockt haben“, erklärte Rall. „Die stören wir jetzt bei ihrer Mahlzeit ein wenig auf. Ich habe eben die ungefähre Richtung durchgegeben – und eine Warnung.“

„Was erwartest du?“

„Ein riesiges, zweibeiniges Monster soll sich in diesem Teil des Dschungels herumtreiben. Mit ein wenig Glück hört es die Aasfresser. Das dürfte ausreichen, um die Männer zu vertreiben.“

„Und uns zu töten, wenn wir in seinen Weg geraten.“

Als sie in die Nähe des Ortes kamen, an dem sie von dem Sumpfdachs angegriffen worden waren, hörten sie ein knurrendes Bellen, als würden sich Hunde um den Kadaver streiten.

„Wolfshunde“, stellte Rall besorgt fest. „Verwilderte Wachhunde aus dem Lager der Kaiserlichen.“

„Können wir sie besiegen?“

„Selbstverständlich. Aber es ist nicht ungefährlich. Sie hassen Katzer und Echser. Sie können unseren Geruch nicht ausstehen.“

Vorsichtig näherten sie sich gegen den Wind der Stelle. Laute Schreie zeigten, dass die Menschen bereits dort angekommen waren und gegen die Hunde kämpften. Als Rall und Zzorg hinter einem Baum stehend die Szene überblicken konnten, lag ein Mann auf dem Boden, umgeben von drei toten Hunden. Die anderen Männer wehrten sich mit ihren Schwertern und Macheten gegen die restlichen angreifenden Tiere. Der junge Katzer war nirgends zu sehen.

„Du bist dran“, sagte Rall flüsternd zu Zzorg.

Der Echser verließ die Deckung. Er machte eine Geste mit den Händen, die er dann halboffen, mit den Handflächen nach außen, vor den Bauch hielt.

Die Hunde bekamen Witterung und ließen irritiert von den Menschen ab. Als sie auf Rall und Zzorg losstürzen wollten, bildete sich eine Feuerkugel zwischen den Handflächen des Echsers, die auf die Hunde zuflog und zwischen ihnen explodierte. Jaulend und mit versengten Fellen suchten die Tiere das Weite.

„Ein Zauberer!“, schrie einer der Männer. „Das ist eine Falle!“

Ein weiterer Feuerball aus Zzorgs Händen zerplatzte zwischen den Männern. Sie rannten davon. Rall hob seinen Bogen und schickte ein paar Pfeile hinterher, die aber nicht trafen. Nachdem die Männer im Unterholz verschwunden waren, stieß Rall erneut einen Ruf aus. Der junge Katzer tauchte aus dem Gebüsch auf und kam, misstrauisch über die toten Tiere und den Mann steigend, zu Rall und Zzorg.

„Wer bist du?“, fragte Rall ihn statt einer Begrüßung.

„Berrir heiße ich. Aus Erlan im Nordgebirge. Du bist Rall?“

„Ja. Dieser Echser ist Zzorg.“

„Das dachte ich mir. Sollten wir nicht so schnell wie möglich von hier verschwinden?“

„Gute Idee. Wir müssen zurück zur Küste. Was waren das für Männer?“

„Abenteurer; Kopfgeldjäger.“

„Wen suchen sie?“

„Euch. Und einen Menschenjungen.“

Rall blieb überrascht stehen. „Es ist eine Belohnung auf uns ausgesetzt? Eigentlich hätten wir damit rechnen müssen. Sobald der Kaiser gemerkt hat, dass wir ihn hereingelegt haben. Vielleicht glaubt er sogar, dass sich die Originalflasche mit dem Elixier noch in unserem Besitz befindet.“

„Von einem Elixier und dem Kaiser weiß ich nichts. Aber es gibt eine hohe Belohnung für den, der euch tot oder den Jungen lebend fängt.“

„Lebend?“

„Ja.“

„Dann braucht ihn der Kaiser wieder für seine Experimente. Woher weißt du das alles?“

„Die Männer sind mit Pferden gekommen. Sie müssen irgendwo im Norden an der Küste einen Stützpunkt haben. Eigentlich waren sie als Arbeiter bei diesem Stützpunkt eingesetzt. Sie sind abgehauen, weil sie sich einen besseren Verdienst als Kopfgeldjäger ausgerechnet haben. Sie sind in unseren Ort gekommen und haben einen Führer gesucht.“

„Und du hast dich für ein paar Goldstücke verkauft.“

„Nein. Der Rat unseres Dorfes meinte, wir sollten herausfinden, was die Männer vorhaben. Deshalb hat er beschlossen, mich als Führer zur Verfügung zu stellen. Unterwegs haben die Männer dann von einem Schiff gehört, das hier irgendwo liegen soll. Sie nahmen an, dass ihr und der Junge dort seid, und wollten unbedingt die Küste nach diesem Schiff absuchen.“

„Seid ihr in Eszger gewesen?“

Der junge Katzer grinste. „Nein. Ich habe behauptet, die Gegend sei für Fremde lebensgefährlich.“

„Sehr gut. Wie schätzt du sie ein: Werden sie nach dem, was sie heute erlebt haben, noch einmal zurückkommen?“

„Nein. Die werden, so schnell sie können, dorthin rennen, wo sie hergekommen sind, und wieder brav als Arbeiter ihr Geld verdienen. Die haben sich schon während des Weges durch den Dschungel in die Hosen gemacht vor Angst.“

„Zurecht. Es ist die gefährlichste Gegend des Kontinents. Aber gut, dass wir sie los sind.“

„Es werden andere kommen. Die Belohnung wird noch viele Männer dazu verführen, nach euch zu suchen. Um euch mache ich mir zwar keine Sorgen, aber was ist mit dem Jungen?“

„Der ist in Sicherheit“, behauptete Rall.

Zzorg warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Jedenfalls im Moment noch“, ergänzte Rall daraufhin. „Vielleicht sollten wir ihn warnen.“

Sie erreichten wieder den Rand des Dschungels. Inzwischen fiel Regen, der die Sicht aufs Meer versperrte wie eine Wand. Unter den letzten Bäumen des Urwalds gingen sie weiter an der Küste entlang. Gerade, als sie wieder gezwungen waren, von den Klippen weg zu gehen, entdeckte Rall die Mastspitze des gesuchten Schiffes. Sie ragte vor ihnen etwa mannshoch scheinbar mitten aus dem Boden und war im Regen fast nicht zu erkennen.

„Dort muss eine enge Bucht sein“, folgerte Rall. „Vielleicht gibt es entlang der Klippen eine Stelle, an der wir hinunterklettern können.“

Sie suchten über eine Stunde lang und wurden dabei klatschnass. Erst, als der junge Katzer versehentlich ausrutschte, weil ein Stein wegbrach, und in eine Spalte stürzte, entdeckten sie den Weg. Die Spalte erweiterte sich zu einem Pfad, der nach unten führte.

„Da vorne steht eine Wache“, sagte Rall schließlich. „Wir haben von Azzard ein Kennwort bekommen, so dass sie uns als Freunde akzeptieren werden. Berrir, wir wären dir dankbar, wenn du auf deinem Weg zurück in dein Heimatdorf in Eszger vorbeigehen und mit dem Rat und mit Macay sprechen würdest. Warne sie und sage ihnen, wir haben andere Verpflichtungen und können nichts zu Macays Schutz beitragen. Hast du das verstanden?“

„Natürlich. Macht euch keine Sorgen.“

Sie verabschiedeten den jungen Katzer, der sich wieder auf den Weg nach oben machte.

„Ist es klug, Macay im Stich zu lassen?“, fragte Zzorg.

„Nein. Aber wir haben keine andere Wahl.“

Sie gingen zu der Wache, sagten das vereinbarte Kennwort und wurden zum Kapitän des Schiffes gebracht. Nachdem sie sich über den Preis einig waren, gingen sie an Bord. Sie hätten keinen Tag später kommen dürfen. Die Reparaturen an dem Schiff waren inzwischen abgeschlossen und es wartete nur noch auf besseres Wetter.

Die Brückeninseln

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