Читать книгу Die Brückeninseln - Manfred Rehor - Страница 8
ОглавлениеMacay verlässt Eszger
Die Nacht brach herein und Macay fand keine Ruhe. Er lief herum und versuchte, jemanden zu finden, der Genaueres über die Pläne von Rall und Zzorg wusste. Vergeblich. Es gab nur Gerüchte. Erst, als er in eine Kneipe von nicht so gutem Ruf geriet, erfuhr er mehr. Ein paar angetrunkene Männer saßen dort und unterhielten sich über Rall und Zzorg und den merkwürdigen Echser, den sie am Abend vorher getroffen hatten.
„Zu den Brückeninseln“, sagte einer von ihnen. „Stellt euch das einmal vor. Die sind ganz unten im Süden!“
„Zehntausende von Inseln, sagt man. Was mögen da für unzählige Abenteuer warten. Ich wollte, ich wäre dabei.“
Das löste Gelächter und Witze bei den anderen Trinkern aus, denn der Mann, der gesprochen hatte, war klein, dick und nicht mehr der Jüngste. Der grinste aber auch vergnügt und hob den Bierkrug an den Mund. Dabei fiel sein Blick auf Macay. Die gute Laune fiel von ihm ab. Er stellte den Bierkrug langsam auf den Tisch zurück und tuschelte seinen Saufkumpanen etwas zu. Sie sahen sich verstohlen zu Macay um und redeten eine Weile gar nichts mehr. Dann holte einer von ihnen beim Wirt einen Stapel Spielkarten und sie begannen zu spielen, ohne sich über etwas anderes als ihre Karten zu unterhalten.
Macay stand auf und ging hinaus. Es war ihm klar, was in den Köpfen der Leute vorging. Da Rall und Zzorg ihn nicht mitgenommen hatten, konnte Macay kein so großer Held sein. Er war nur ein Junge wie andere auch. Die wahren Helden zogen ohne ihn auf Abenteuer aus. Es war niederschmetternd. Ausgerechnet jetzt, wo er Rall und Zzorg an seiner Seite brauchte, um seine Eltern zu retten!
Als er durch die dunklen Gassen des kleinen Ortes schlich und seiner Niedergeschlagenheit kaum Ausdruck zu verleihen wusste, lief ihm Perret über den Weg.
„Ich verschwinde noch diese Nacht“, sagte der Seemann statt eines Grußes. „Diese faulen Hunde hier haben keine Lust, mit mir zu gehen. Obwohl, es sind ja eher Katzer und Echser. Will nichts gegen die gesagt haben, aber die sitzen ganz schön fest auf ihren dicken Hinterteilen oder Schwänzen oder was auch immer. Keiner will seine Nase mal in die freie Luft strecken. Geschweige denn für die gute Sache kämpfen. Die Geretteten auch nicht, undankbares Pack. Ohne mich würden sie jetzt in den Baracken im Lager liegen und über die Rackerei auf den Feldern schimpfen.“
„Wie willst du von hier wegkommen? Alleine ein komplettes Kriegsschiff kapern?“, fragte Macay sarkastisch.
„Alleine macht das wenig Sinn, da wirst du wohl recht haben. Obwohl, es hat noch keiner versucht, also kann man es nicht völlig ausschließen. Aber es wird nicht nötig sein, gleich ein kaiserliches Kriegsschiff anzugehen. Einer der Typen, die wir befreit haben, hat von dem Gerücht gehört, irgendwo nicht weit nördlich des Lagers werde ein neuer Stützpunkt eingerichtet. Der Kerl war Vorarbeiter, hat seine Mitgefangenen unterdrücken helfen, also sollte man ihn eigentlich rund um die Uhr verprügeln. Aber er hatte seine Ohren überall und die Wachen haben ihm vertraut. Dieser Stützpunkt jedenfalls soll von Versorgungsschiffen ausgerüstet werden, die ohne großen Flottenverband als Schutz fahren, so dass es nicht auffällt.“
„Wozu soll der Stützpunkt dienen?“
„Da gibt es nur Vermutungen. Der Stützpunkt soll vor den Bewohnern des Nebelkontinents möglichst geheim gehalten werden, womit es nun ja schon vorbei ist. Von dort aus könnte man eine Invasion vorbereiten. Truppenkontingente heimlich anlanden, von Pionieren befestigte Straßen durch diesen verdammten Dschungel ins Inland bauen lassen und schon marschiert die Armee. Ist alles möglich, interessiert mich aber ehrlich gesagt nicht. Dort sind Schiffe mit Mannschaften, die sich sicher wähnen. Schiffe, die Fracht abladen und wieder davon segeln – mit leeren Frachträumen. Da kann einer wie ich leicht unterschlüpfen. Und in Mersellen finde ich dann die Leute, die meine Pläne unterstützen. In Mersellen, mein Junge, da gibt es noch Menschen mit Abenteuergeist, das kannst du mir glauben.“
„Ich weiß. Ich komme selbst von dort.“
Perret schwieg.
Es war wie eine Aufforderung an Macay, der schließlich fortfuhr: „Ich muss auch zu den Brückeninseln. Meine Eltern suchen. Ich komme mit dir.“
„Klingt nicht begeistert.“
„Ich habe Angst vor der Fahrt auf dem Schiff. Das liegt mir nicht“, gab Macay zu.
„Memme!“, sagte Perret hart. „Willst du mit oder nicht?“
„Ich komme mit.“
„Dann beeil dich. Ich habe Vorräte für mich selbst zusammengeschnorrt, Geld habe ich keines. Wir müssen uns auf eine einwöchige Schiffsreise vorbereiten, auf der wir kaum etwas zu Essen finden werden. Wir können froh sein, wenn wir genügend Wasser haben, um nicht zu verdursten.“
„Wieso das?“
„Was glaubst du, wie blinde Passagiere reisen? Als Gäste, die am Tisch des Kapitäns speisen? Also los, besorge dir haltbare Vorräte, Waffen, Bekleidung. Etwas Geld kann auch nicht schaden. Genauer gesagt: soviel du bekommen kannst. In einer Stunde treffen wir uns vor dem Tor.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Perret davon.
Es war nicht schwer für Macay, sich die notwendigen Dinge zu beschaffen. Ausrüstung und Waffen besaß er, Vorräte verkaufte ihm ein Händler, den er aus dem Schlaf riss, und mehr Geld bekam er von Mirjam. Sie nahm es aus der Kasse des Rats, aus den Steuern der Stadt also.
„Wir haben nicht vergessen, dass du Eszger von einem Dämon befreit hast“, sagte sie, als sie ihm den Beutel mit Goldstücken aushändigte. „Ich wünsche dir viel Glück auf deiner Reise.“
Macay hielt schweigend den faustgroßen Beutel in den Händen. Er spürte, wie peinlich die Situation für Mirjam war. Die große, dunkle Frau wollte nicht auf das Verschwinden von Rall und Zzorg zu sprechen kommen, wusste aber, dass es sich kaum vermeiden ließ.
„Danke“, sagte er, wandte sich ab und ging. Auch Mirjam schien zu glauben, seine Freunde hätten gut daran getan, ihn – den sechzehnjährigen Jungen, der nicht vom Nebelkontinent stammte – von ihren weiteren Abenteuern auszuschließen.
Macay traf zur vereinbarten Zeit Perret am Tor, das die Wache extra für sie noch einmal einen Spalt weit öffnete.
Es war dunkel vor den Palisaden des Ortes. Den Himmel bedeckten Wolken, die schnell vorüberzogen, wie an dem hellen Fleck erkennbar war, der den Mond verbarg. Am Boden war dagegen noch kaum ein Wind zu spüren.
„Sturm im Anmarsch“, sagte Perret. „Aber wir haben keine andere Wahl, wir müssen weg. Hast du herumerzählt, wo wir hin wollen?“
„Nein. Ich glaube, das hätte auch niemanden interessiert.“
„Gut. Wir müssen immer damit rechnen, dass jemand zu neugierig ist und etwas ausplaudert. Falls Spione der Kaiserlichen auftauchen, meine ich.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Spione der Kaiserlichen in Eszger sind. Jeder kennt hier jeden.“
„Trau niemandem, erst recht nicht Leuten, die du gut zu kennen glaubst. Zumindest nicht, wenn es auf Leben und Tod geht. Wohin?“
„An die Küste, diesmal nördlich vom Lager. Wir müssen zunächst auf die andere Seite des Flusses. Westlich von Eszger hat man eine einfache Holzbrücke über das ehemalige Flussbett des Pil gebaut.“
„Geh voran.“
In der Dunkelheit war es nicht einfach, auf dem Weg zu bleiben. Mehrmals stieß Macay gegen die Begrenzungssteine, mit denen man den unbefestigten Weg versehen hatte. Perret schwieg und folgte ihm so dicht, dass sie sich immer wieder berührten oder Perret gegen Macay stieß, wenn der unerwartet stehenblieb.
Beide hatten an ihren Rucksäcken und Ledertaschen schwer zu tragen. Schließlich erreichten sie die Brücke, die doch nur wenige hundert Meter vom Ort entfernt war. Macay zweifelte, ob er in der Lage war, das Gepäck einen Tag lang durch den Dschungel zu schleppen.
„Ich hoffe, diese Gegend ist nachts ungefährlich“, sagte Perret, als sie für einen Moment ihre Last absetzten.
„Der Nebelkontinent ist nie ungefährlich“, behauptete Macay. Natürlich war Angeberei dabei, aber immerhin hatte er auf diesem Stück Erde schon viele Abenteuer überstanden. „Aber meistens meiden die Tiere uns Menschen.“
„Dann werden wir es genauso machen und die Tiere meiden. So ist allen gedient und wir kommen schneller voran. Worauf wartest du?“
Macay hatte eben seinen Rucksack wieder aufgenommen, aber er ließ ihn langsam wieder zu Boden gleiten. „Leise!“, forderte er Perret auf.
„Was ist?“, fragte der in normaler Lautstärke.
Flüsternd antwortete Macay. „Da ist etwas auf der anderen Seite der Brücke.“
„Los, gehen wir hinüber und töten es.“ Perret ließ ebenfalls sein Gepäck wieder zu Boden gleiten und zog sein Schwert.
Macay hätte in der Dunkelheit beinahe in die Klinge gefasst, als er die Hand ausstreckte, um Perret zurückzuhalten. „Hörst du es nicht? Das sind Stimmen.“
„Ich höre nichts.“
„Jemand kommt über die Brücke. Weg hier.“ Mit der einen Hand packte Macay Perret an der Lederjacke, mit der anderen zog er sein eigenes Gepäck. So gelangten sie fast geräuschlos ein paar Meter auf die Seite.
Nun konnten sie deutlicher hören, wie mehrere Personen langsam die Holzbrücke überquerten, die unter ihren Schritten knarrte. Danach klangen laute Schläge auf dem Holz. Das waren die Hufe eines Pferdes oder Esels, vermutete Macay.
Perret hatte den Ernst der Lage inzwischen verstanden. Nachts in einem fremden Land, in fast völliger Finsternis, waren Leute unterwegs, die sich offenbar ebenfalls bemühten, leise zu sein. Das konnte nur Ärger bedeuten.
Macay nahm an, dass es sich um eine Gruppe Menschen mit Packtieren handelte. Katzer wären so leise gewesen, dass man nichts von ihnen hätte hören können, und die Echsenmenschen nutzten gewöhnlich keine Packtiere. Menschen also. Das konnten nur Händler sein – oder Kaiserliche.
Dummerweise planten diese Menschen, Rast zu machen, nachdem sie die Brücke überquert hatten – genau auf der Seite des Weges, auf die sich Macay und Perret zurückgezogen hatten. So waren die beiden gezwungen, noch ein Stück weiter zu gehen, was wiederum die Gefahr in sich barg, gehört zu werden. Doch es ging alles gut. Macay und Perret legten sich flach auf den Boden, um nicht entdeckt zu werden.
Dunkle Schatten konnte Macay für einen Moment erkennen, als der Wolkenschleier vor dem Mond dünner wurde. Es waren zwei Männer und ein Lastesel. Die Männer waren groß und kräftig und offenbar stark bewaffnet, doch das konnte Macay nur aus der Breite und Unregelmäßigkeit ihres Umrisses vermuten. Noch vier Stunden bis Sonnenaufgang, schätzte er. Zu dem Zeitpunkt hatten Perret und er bereits am Rand des Dschungels sein wollen. Daraus wurde nun wohl nichts.
Macay näherte seine Lippen Perrets Ohr und flüsterte: „Bleib hier.“
Dann zog er seine Lederjacke aus und robbte näher an die Männer heran.
„Bei Morgengrauen gehen wir hinein und sehen uns um“, sagte einer von ihnen. „Falls die drei Gesuchten dort sind, müssen wir uns etwas überlegen, um sie herauszulocken.“
„Ich halte immer noch nichts davon, zu zweit auf drei Krieger loszugehen.“
„Es sind keine Krieger. Eine Katze, eine Echse und ein Junge. Die Echse kann zaubern, sagt man. Jeder von den Dreien bringt mehr, als wir beide brauchen, um den Rest unseres Lebens nicht mehr arbeiten zu müssen. Wir müssen sie trennen. Dann schnappen wir uns nur den Jungen, für den gibt es am meisten, und liefern ihn an der Küste ab. Das ist schon alles.“
„Das ist nicht alles. Wir müssen ihn lebend fangen und abliefern.“
„Dafür haben wir den Esel. Der Junge wird nachts gefesselt und aufgeladen, und schon sind wir unterwegs. Man wird sich in Eszger nur an zwei Händler erinnern, die sich einen Tag im Ort aufgehalten haben, aber dann weitergezogen sind, weil es keine guten Geschäfte zu machen gab.“
„Man wird uns die Rolle als Händler nicht abnehmen“, behauptete der Zögerliche. „Selbst wenn wir unsere Waffen, wie du es vorschlägst, hier draußen verstecken.“
„Ach, was. Wir ziehen die langen Umhänge über und reden möglichst wenig. Das klappt schon. Die einzige wirkliche Gefahr ist, dass du vor Angst so laut mit den Zähnen klapperst, dass die Menschen misstrauisch werden.“
„Lass das Gerede. Mir ist nicht klar, wie du den Jungen genau zur richtigen Zeit alleine vor das Stadttor locken willst.“
„Ich habe eben mehr Phantasie als du. Was interessiert so einen jungen Kerl? Mädchen, Waffen, Pferde. Da sind alle gleich. Ich werde ihn suchen, ein wenig ausfragen, bis ich weiß, was ihm wichtig ist. Genau das verspreche ich ihm dann. Treffpunkt nachts, irgendwo außerhalb der Stadt.“
„Könnte klappen. Wenn uns keiner zuvorkommt.“
„Wir sind die Ersten. Die anderen warten immer noch darauf, dass der neue Stützpunkt fertig wird. Glaube mir, die Kopfgeldjäger und die Stoßtrupps der Soldaten werden frühstens in zwei oder drei Wochen hier sein. Wir bringen ihnen vorher den Jungen – und mit etwas Glück sogar einen seiner beiden Kumpane – und kassieren mordsmäßig ab.“
„Jetzt redest du schon wieder davon, auch noch den Katzer oder den Echsenmagier zu fangen“, beklagte sich der Zauderer. „Mach bloß keinen Unsinn.“
„Hör jetzt auf, du raubst mir den letzten Nerv.“
Der Mond schien wieder ein wenig heller durch die Wolken. Macay presste sich fest gegen den Boden und hoffte, dass die Männer nicht in seine Richtung sahen. Sie hätten ihn sicherlich als länglichen dunklen Fleck wahrgenommen und vielleicht nachgesehen, um was es sich handelte. Doch die beiden waren mit etwas Anderem beschäftigt.
„Dort drüben scheint ein dichtes Gebüsch zu sein. Dort können wir den Esel und unsere Sachen verstecken. Los, du fauler Sack, hoch mit dir.“
Der Mann meinte nicht den Esel, sondern seinen Gefährten, der über die Plackerei murrte. Sie zogen den Esel an einem Strick zu dem Gebüsch.
Macay rutschte langsam zurück zu Perret und berichtete ihm flüsternd, was er erfahren hatte. Es bestand keine Gefahr, dabei gehört zu werden, weil sich die beiden Männer bei dem Gebüsch zunehmend lauter darüber stritten, wo sie ihr Gepäck verstecken sollten.
Perret wollte gleich losstürmen. „Wir greifen an“, sagte er.
Macay hielt ihn fest. „Wozu?“, fragte er. „Morgen früh gehen die beiden nach Eszger hinein. Wir brauchen nur so lange abzuwarten. Dann klauen wir ihren Esel und ihre Ausrüstung und ziehen weiter zum Dschungel. Bis sie merken, dass ich nicht mehr in Eszger bin, sind wir schon weit weg.“
„Könnte klappen“, gab Perret zu. „Aber wir verlieren eine Menge Zeit dadurch.“
„Die gewinnen wir, weil wir den Esel unsere Last tragen lassen können.“
„Also gut, einverstanden. Warten wir bis zum Morgengrauen.“
Sie bewegten sich langsam hundert Schritte weiter, wo ein paar Bäume standen, hinter denen sie es sich bequem machten.
Die Morgendämmerung war kaum zu ahnen, als Macay durch einen erneuten Streit der beiden Männer geweckt wurde. Der Zögerliche weigerte sich, sein Schwert zurückzulassen – ohne es fühlte er sich nicht sicher. Der andere bestand darauf, keine Waffen nach Eszger mitzunehmen, weil sie sich sonst nur verdächtig machten. Darauf einigten sie sich schließlich. Bis der Streit beendet war, war auch Perret wach.
Als Macay, der vorsichtig hinter einem Baum hervorlugte, die beiden Männer auf die Palisaden von Eszger zugehen sah, begann es zu regnen, was die Sicht wieder verschlechterte.
Macay und Perret warteten noch ein paar Minuten, dann schlichen sie sich zu dem Esel. Sie luden die zwei Packtaschen der Gauner auf und führten das Tier zu den Bäumen, wo sie ihr eigenes Gepäck ebenfalls aufluden.
Macay sah sich noch einmal um, bevor sie loszogen. Etwas stimmte nicht, aber er kam nicht darauf, was es war. Sie hatten nichts liegenlassen und nichts vergessen. Mit einem unguten Gefühl folgte er Perret, der den Esel am Strick führte.
Auch dem Esel schien nicht wohl zu sein, er blieb immer wieder stehen und drehte den Kopf zurück. Zunächst dachte Macay, das Tier würde nach ihm sehen, weil er hinter ihm ging, aber das war es nicht.
Perret schimpfte auf den Esel ein und zog heftig am Strick, wann immer das Tier stehenblieb. Das machte den Esel noch störrischer, bis er direkt an der Brücke gar nicht mehr weiter wollte.
Schließlich brachte Perret das Tier dazu, die Brücke zu betreten. Da es sie schon einmal überquert hatte, wäre eigentlich zu vermuten gewesen, dass das kein Problem war. Aber der Esel fühlte sich erkennbar unwohl dabei.
Als sie in der Mitte der Brücke ankamen, tauchte vor ihnen im Regen plötzlich ein Schatten auf. Es war der Umriss eines Mannes, der ein Schwert in der Hand hielt.
Im selben Moment wusste Macay, was er übersehen hatte: Als sie die Packtaschen der beiden Männer auf den Esel geladen hatten, waren deren Waffen nicht dabei gewesen! Sie hatten sie – entgegen dem, was sie besprochen hatten – doch mitgenommen!
Macay rief Perret, der mit dem schon wieder stehengebliebenen Esel beschäftigt war, eine Warnung zu.
„Eine Falle!“, schrie Perret im selben Moment. Er hatte einen zweiten Mann am anderen Ende der Brücke entdeckt.
„Wusste ich doch, dass ihr versuchen würdet, den Esel zu klauen“, höhnte der Mann hinter ihnen, der bisher den Zögerlichen gespielt hatte. „Wir ahnten, dass ihr irgendwo hier versteckt seid.“
„Wie konntet ihr wissen, dass wir ...“
Perret unterbrach Macay. „Wahrscheinlich hatten sie bereits einen Spitzel in der Stadt, der beobachtet hat, wie wir losgezogen sind. Er hat seinen Kumpanen ein Signal gegeben, vielleicht von den Palisaden aus.“
„Stimmt“, rief der Mann. „Mit einer Fackel. Beinahe hätten wir es übersehen bei diesem Mistwetter. Aber genug geredet. Legt eure Waffen ab und ergebt euch.“
Während der Mann am Nordufer schweigend abwartete, kam der andere zu Macay und Perret. Er schien nicht mit Gegenwehr zu rechnen.
Macay stand mit dem Schwert in der Hand da und wusste nicht, ob er sein Leben verteidigen oder sich zunächst ergeben sollte. Da überraschte Perret ihn – und ihre Gegner -, indem er mit seinem Schwert zuschlug. Und zwar dem Esel auf das Hinterteil!
Mit der flachen Klinge, nur ein wenig schräg gehalten, so dass der Esel einen nicht sehr tiefen Schnitt und einen kräftigen Klatscher auf den Hintern bekam. Das Tier keilte aus, traf aber niemanden, weil Macay zum Glück ein wenig seitlich von ihm stand. Dann raste der Esel los, ohne sich darum zu kümmern, was sich in seinem Weg befand. Er rammte den Mann am nördlichen Ufer, drehte sich um und keilte noch einmal aus. Er traf und der Mann stürzte schreiend das Ufer hinunter ins Flussbett, wo der noch lauter schrie, weil er in einem Säuretümpel landete.
Macay bekam das alles kaum mit, denn als der Esel losstürmte, schrie Perret: „Weg hier!“ Er packte Macay am Arm und zog ihn mit sich. Die beiden kamen an dem wütenden Tier vorbei von der Brücke herunter und rannten, was sie konnten. Hinter sich hörten sie das Gebrüll des Esels und die Schreie der Männer.
Zu ihrem Glück versuchte der zweite Mann seinem Kumpanen im Flussbett zu helfen, statt sie zu verfolgen. Bald hatten sie einen Vorsprung, der in der Dunkelheit kaum einzuholen war.