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Kapitel 4

Am Himmel über Uruvela zogen sich farbige Bänder hin. Sie wirkten nicht bedrohlich, nur seltsam unpassend, als hätte jemand eine planentengroße Fahne im Weltraum gehisst. Der Regen hatte aufgehört und der Wind die Wolken vertrieben.

Brendan fühlte Wut in sich aufsteigen. Es war eine Unverschämtheit, wenn irgendwelche Fremden sich eine solche Machtdemonstration erlaubten. Man müsste sie bekämpfen, ihnen eine Lektion erteilen! Aber die Jool war nicht mehr da, er konnte nicht in den Weltraum starten und mit den Plasmakanonen seines Schiffes auf die Fremden schießen.

Er ballte die Fäuste, reckte die Rechte gen Himmel und brüllte nach oben: „Wir kriegen euch, wir machen euch fertig, wir löschen euch aus!“

Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Brendan fuhr herum und wollte zuschlagen, aber Koumeran sah das voraus und stoppte die Bewegung schon im Ansatz. Und zwar ziemlich schmerzhaft für Brendan, der zurückstolperte.

Irigitti beugte sich über ihn und betrachtete ihn aus seinen Facettenaugen wie eine Gottesanbeterin ihr Opfer. So jedenfalls kam es Brendan vor, der am liebsten davon gelaufen wäre vor dieser Gefahr. Dann schwenkte Irigitti seine Stummelarme - und Brendan ging es besser. Eine Last wurde von ihm genommen. Er konnte wieder vernünftig denken und schämte sich für seinen Aussetzer.

„Tut mir leid“, sagte er zu Koumeran. „Ich glaube, ich habe mich für einen Moment unbeherrscht benommen.“

„Für einen Moment?“ Koumeran sah ihn erstaunt an. „Du hast eine halbe Stunde lang gebrüllt und getobt wie ein Wahnsinniger! Irigitti und ich sind dir aus dem Weg gegangen, weil er sagte, das sei am Anfang eines Anfalls das Beste. Dann hat er begonnen, dich zu beeinflussen, bis du wieder zu dir gekommen bist.“

„Eine halbe Stunde? Das kann nicht sein.“ Noch während er das sagte, spürte Brendan, wie Erschöpfung über ihn kam. Seine Kehle war rau, seine Muskeln schmerzten wie nach einer großen Anstrengung. Hatte er wirklich so die Beherrschung verloren, dass er gar nicht mehr wusste, was er tat?

„Glaub mir, es hat lange gedauert und es war schlimm. Ich dachte schon, ich muss dich bewusstlos schlagen, damit du dir nicht selbst schadest.“

Brendan setzte sich in das nasse Gras und versuchte, seinen Kopf klar zu bekommen.

„Du bist außerordentlich empfindlich“, sagte Irigitti. „Meine Einschätzung hat sich als richtig herausgestellt: Du bist ein Magier, wenn auch ein untrainierter. Je größer die magische Begabung einer Person ist, desto schneller verfällt sie dem Chaos.“

„Warum bist du dann nicht davon betroffen?“, wollte Koumeran von dem seltsamen Wesen wissen.

„Mein langjähriges Training in der Akademie hat mich gelehrt, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Das ist der erste Schritt in jeder Ausbildung. Der zweite Schritt ist es, die Gefühle anderer Wesen zu beeinflussen. Deshalb konnte ich Brendan beruhigen.“

„Gibt es weitere Schritte?“

„Insgesamt zehn. Wobei es nur wenige Meister der zehnten Stufe gibt. Nandara war die erfahrenste und mächtigste von ihnen. Ich habe die sechste Stufe erreicht, deshalb hat man mich zum Beschützer einer ganzen Stadt bestimmt.“

Wie auf Kommando wandten sie sich um und sahen hinunter auf Merendam. Auf den ersten Blick schien alles unverändert. Doch in einiger Entfernung erkannte Brendan dünne Rauchfahnen, die in den Himmel stiegen. In den wieder aufgebauten Teilen der Stadt war Feuer ausgebrochen - oder gelegt worden.

„Die Verwirrten haben begonnen, zu toben“, sagte Irigitti. „Ich muss näher ans Zentrum heran, damit mein Einfluss sich über die ganze Stadt erstreckt. Folgt mir.“

Ohne die Antwort von Brendan und Koumeran abzuwarten, drehte der lange Magier sich um und ging mit unsicher erscheinenden Schritten auf seinen kurzen, krummen Beinen den Hügel hinunter.

Brendan sah seinen Freund fragend an. Koumeran zeigte ihm die Plasmapistole, die er aus der Jool mitgenommen hatte. Sie waren also nicht hilflos, falls es in der Stadt zu Angriffen durch geistig umnachtete Bewohner kommen sollte.

Sie folgten Irigitti, der erst zwei Dutzend Schritte entfernt war, und gingen neben ihm her.

„Wie schützt du dich, wenn jemand aggressiv wird?“, fragte Brendan.

„Ich wandle die Wut in Ruhe um.“

„Das funktioniert bei jedem?“

„Nein. Nicht jedes Wesen ist leicht zu beeinflussen. Deshalb dauert es auch eine Weile, bis ich in der ganzen Stadt den Frieden wiederhergestellt haben werde. Sollte ein Angreifer nicht auf meine Bemühungen reagieren, so wehre ich mich mit körperlichen Mitteln.“

„Du hast eine Waffe?“, fragte Koumeran.

„Ich benötige keine Waffe.“

Sie erreichten die ersten zerstörten Häuser. In dunklen Ecken der Ruinen sah Brendan Gestalten kauern, die ihn hasserfüllt anstarrten. Er konnte sie nicht deutlich erkennen, aber ein Gefühl sagte ihm, dass sie ihn nur deshalb nicht angriffen, weil Irigitti bei ihm war. Einige der Bewohner Merendams waren eindeutig Menschen, andere zeigten zumindest eine entfernte Ähnlichkeit mit ihnen. Wieder andere glichen Tieren oder hatten einen völlig undefinierbaren Körperbau. Keiner kam aus seinem Versteck hervor.

Irigitti kümmerte sich nicht um die Beobachter. Er wich den Trümmern aus, die auf der gepflasterten Straße lagen, und ging zielstrebig weiter.

Ein umgestürztes, verkohltes Fuhrwerk versperrte ihnen den Weg. Es musste schon lange dort liegen, denn halb unter ihm begraben war das Skelett des Zugtiers zu erkennen. Brendan konnte sich aus den Knochenresten keine Vorstellung davon machen, wie dieses Tier einmal ausgesehen hatte. Er fragte Irigitti nicht danach, weil es den offenbar gar nicht kümmerte. Durch eine schmale Gasse umgingen sie den Wagen und kehrten auf die Straße zurück.

Nun erkannte Brendan in der Ferne die besseren Stadtbezirke. Hier waren die Häuser zum Teil notdürftig repariert, zum Teil aber auch neu gebaut worden. Menschen und andere Wesen bewegten sich auf der Straße, wobei keines darunter war, das Irigitti glich, weder von der Gestalt noch von der Größe.

Auch hier war blanker Hass zu spüren, aber niemand wagte es, die Hand gegen den Magier und dessen Begleiter zu erheben. In einer der Querstraßen stieg dichter, schwarzer Qualm in den Himmel. Als sie die Kreuzung erreichten, sah Brendan ein Haus, das lichterloh brannte. Zwei Dutzend Schaulustige standen davor und schrien sich gegenseitig an. Einige waren in Handgemenge verwickelt, aber noch hatte niemand eine Waffe gezogen. Aus dem Eingang des brennenden Hauses rannte jemand heraus. Er wurde von den Schaulustigen beschimpft und bedroht. Statt zurückzuweichen, reagierte er, indem er sich mit Wutgeheul in die Menge stürzte und um sich schlug.

Irigitti blieb stehen und hob in einer segnenden Geste beide Arme.

Brendan spürte in sich eine gewisse Ruhe aufsteigen. Ein Gefühl von Wärme und Sicherheit und Gelassenheit. Auch Koumeran schien es so zu gehen, denn er ließ die Plasmapistole sinken, die er schussbereit in der Hand hielt.

Nach ein paar Minuten, in denen Irigitti sich nicht bewegte, ließen auch die Handgreiflichkeiten in der Menge nach. Schließlich hörten sie ganz auf. Ein menschenähnliches Wesen ging davon und kam mit einem Eimer voll Wasser zurück, das es in die Flammen schüttete. Es war ein sinnloser Versuch, denn das Haus war nicht mehr zu retten. Es würde bis auf die Grundmauern abbrennen. Immerhin jedoch konnten die Anwohner noch die Nachbarhäuser schützen, wenn sie sich zusammentaten und ein Ausbreiten der Flammen verhinderten.

Langsam wandte sich Irigitti um. Ohne etwas zu sagen, marschierte er zurück zur Straßenkreuzung und ging weiter in die Richtung, die sie vorher eingeschlagen hatten.

„Beeindruckend“, sagte Brendan. „Ihre Gabe ist ein Segen für alle Bewohner dieser Stadt.“

„Deshalb hat man mich ausgewählt“, entgegnete der Magier.

Die Straße verbreiterte sich zu einem runden Platz hin, der von Bäumen umstanden war. Auf dem Platz hatten sich verschiedene Gruppen von Bürgern eingefunden, die untereinander stritten oder rauften. Einen Grund schien es dafür nicht zu geben. Jeder fühlte sich von jedem anderen schikaniert und versuchte, zuzuschlagen. Manche waren nicht ganz so aggressiv, sie brüllten sich nur an und bedachten sich mit allen möglichen Beleidigungen, deren Bedeutung Brendan zwar ahnte, aber nicht immer verstand.

Insofern glich die Szene also der vor dem brennenden Haus mit der Besonderheit, dass hier die Mitglieder mehrere Gruppen untereinander stritten.

Irigitti ging zwischen ihnen hindurch, ohne sie zu beachten. Er strebte dem Mittelpunkt des Platzes zu. Brendan blieb so nahe wie möglich bei ihm, um im Falle eines Angriffs von der beruhigenden Ausstrahlung des Magiers geschützt zu werden.

Niemand belästigte sie zunächst, obwohl auch hier jeder, der nicht selbst in Händel verwickelt war, ihnen böse Blicke zuwarf.

Sobald Irigitti die Platzmitte erreicht hatte, blieb er stehen und hob die Arme in dieselbe Position wie vor dem brennenden Haus. Die Wirkung trat diesmal nicht so schnell und deutlich ein. Vielleicht wegen der vielen Wesen, die er nun zu beeinflussen versuchte, vielleicht aber auch, weil er vorhatte, die ganze Stadt wieder zu beruhigen.

Als die Lärmkulisse nach einigen Minuten geringer wurde, hoffte Brendan schon, der Erfolg würde ebenso deutlich sein wie beim ersten Mal. Doch dann ging ein Aufschrei durch die Menge.

Den Anlass dafür konnte er zunächst nicht feststellen, bis er sah, dass ein Mann mit einer Waffe in der Hand auf Irigitti zukam.

Der Mann war größer und breiter als Koumeran. Seine halb zerfetzte Kleidung gab den Blick frei auf enorme Muskeln an Armen und Beinen. Er schwang drohend eine Art Schwert mit gezackter Klinge und ließ Irigitti keinen Moment aus den Augen.

Brendan fragte sich schon, ob der Magier den Mann überhaupt bemerkt hatte, weil er nicht darauf reagierte. Doch dann drehte sich Irigitti langsam um und senkte den Kopf ein wenig. Er war einen halben Meter größer als sein Kontrahent, wenn auch lächerlich dünn im Vergleich.

Der Angreifer blieb stehen und hörte auf, mit dem Schwert herumzufuchteln. Nun wirkte er konzentriert und kalt. Ihm fehlte die sinnlose Wut, die all die anderen Bürger Merendams befallen hatte. „Du bist schuld an unserem Unglück“, begann er mit einer tiefen, dröhnenden Stimme. „Du und deinesgleichen aus der Akademie, deren einziger Zweck es ist, uns zu unterdrücken. Mich kannst du nicht zu einem friedlichen Dummkopf machen, der dir und deinesgleichen dient, ohne zu widersprechen. Ich bin frei und ich werde es bleiben. Stirb!“

Was dann folgte, geschah so schnell, dass Brendan es kaum mitbekam.

Der Mann hieb mit dem Schwert nach Irigitti. Doch der Magier stand unvermittelt einen Schritt weiter von ihm entfernt, so dass die Klinge nur durch die Luft pfiff. Im nächsten Moment zerriss Irigittis Kleidung, etwas schnellte heraus und durchbohrte den Körper des Angreifers mehrmals. Es schienen nur Bruchteile von Sekunden, bis der Mann tot auf das Kopfsteinpflaster fiel.

Irigitti zog die Reste seiner Kleidung zusammen, so dass nicht mehr von seinem Körperbau zu sehen war als vorher.

Brendan glaubte, zwei zusätzliche Arme etwa in Hüfthöhe zu erkennen. Sehr dünne Arme, die deutlich länger waren als die Stummel oben an den Schultern, und die in zangenförmigen Gebilden endeten. Deshalb also benötigte der Magier keine Waffe, um sich zu verteidigen.

Die Menge um sie herum hielt Abstand. Ob das eine erste Wirkung des beruhigenden Einflusses war oder nur Selbsterhaltungstrieb, wusste Brendan nicht.

Irigitti stellte sich wieder in die segnende Pose. Nur der tote Mann, der zu seinen Füßen in einer Blutlache lag, bewies, dass etwas vorgefallen war.

Kurz darauf verteilte sich die Menge. Brendan spürte das friedliche Gefühl in sich. Alles würde gut werden, es gab keinen Grund, sich aufzuregen. Eigentlich war es doch ein schöner Tag: Der Regen hatte aufgehört, die Abendsonne schien über der Stadt.

Nach einer halben Stunde lockerte sich Irigittis Haltung. Er ließ die Arme sinken und wandte sich an Brendan und Koumeran. „Es genügt nicht“, sagte er. „Diesmal war das Chaos kürzer. Aber weil die Nachwirkungen des ersten Mals nicht vollständig in den Bewohnern zurückgedrängt sind, ist die Beeinflussung der Opfer nachhaltiger. Ich müsste noch einige Wochen hier bleiben, um Merendam völlig zu befrieden.“

„Kann jemand anders diese Aufgabe für dich übernehmen?“, fragte Brendan. „Oder dich zumindest unterstützen, damit es schneller geht? Wir müssen Nandara finden, und das können wir nur mit deiner Hilfe. Wir kennen uns auf Uruvela nicht aus.“

„Die einzigen Wesen, die mächtig genug sind für diese Aufgabe, leben in der magischen Akademie. Aber sie werden damit beschäftigt sein, an anderen Orten die neue Katastrophe zu bekämpfen. Mag sein, dass mehrere Novizen niedrigerer Stufen, wenn sie ihre Kräfte vereinen, zumindest das von mir heute Erreichte erhalten können.“

„Kannst du solche Novizen herbeirufen?“, wollte Koumeran wissen. „Ich könnte mir vorstellen, dass deine magischen Fähigkeiten dir das ermöglichen.“

„Ich könnte es“, bestätigte Irigitti. „Aber ich darf ihnen keine Anweisungen erteilen. Dazu benötige ich die Erlaubnis des Leiters der Akademie. Und die kann ich mir nicht aus der Ferne holen. Ich muss hingehen, die Lage schildern und um Genehmigung bitten.“

„Wie weit ist die Akademie von hier entfernt?“, fragte Brendan.

„Zwei Tagesreisen Richtung Osten. Ich werde alles in meinen Kräften stehende tun, um in dieser Nacht die Stadt so weit zu befrieden, dass einige Tage lang Stabilität herrscht. Ihr könnt inzwischen Nahrungsmittel für die Reise beschaffen und euch erholen. Bei Sonnenaufgang brechen wir auf.“

„Womit sollen wir die Nahrungsmittel bezahlen und wo kann man sie kaufen?“

Irigitti deutete in eine Gasse, die von dem großen Platz abzweigte. „Geht dort entlang. Nach zweihundert Schritten erreicht ihr eine Bäckerei. Ich hoffe, dass sie nicht zerstört wurde. Sagt, dass ich euch schicke. Der Bäcker soll euch genügend Vorräte für drei Personen mitgeben, die eine Wanderung antreten wollen.“

„Und womit bezahlen wir?“, hakte Koumeran nach.

„Ihr braucht nicht zu bezahlen.“ Irigitti blickte eine Weile schweigend in die Richtung, in der die Bäckerei sich befand. Er fuhr fort: „Man wird euch alles umsonst geben, wenn ihr meinen Namen nennt. Kommt dann hierher zurück, wir bleiben bis morgen früh an diesem Ort.“

„Wir sollen neben dem Toten übernachten?“ Koumeran war einiges gewohnt, aber man hörte seiner Stimme an, dass er das für eine Zumutung hielt.

Irigitti sah hinunter auf den Körper des Menschen. „Er wird euch nichts tun“, sagte er, und Brendan glaubte, Tadel in der Stimme des Magiers zu hören.

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