Читать книгу PERSEUS Scarab - Manfred Rehor - Страница 9
ОглавлениеKapitel 6
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ringa all diese Informationen legal besessen hat“, sagte die KI der Seeker. „Sie muss die Möglichkeit haben, an die Daten anderer Prospektoren zu gelangen. Auch gegen deren Willen und ohne dass sie es bemerken.“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Granger.
„Sie hat uns alles verkauft, was in den letzten zweihundert Jahren an Wissen über die umliegenden Sonnensysteme angesammelt wurde. Außerdem Koordinaten von unzähligen Ortungen, die bis weit in den Raum zwischen den Spiralarmen hineinreichen. Würde jeder der Prospektoren auf Brodersen über dieses Wissen verfügen, so wäre es mit Sicherheit bereits durchgesickert.“
„Da ist etwas dran. Weiter?“
„Sogar die Umgebung von Jahntal und Cheerzy ist vollständig abgedeckt. Wir verfügen nun über alles, was die Prospektoren dort in ihren Datenbanken haben. Sie werden das nicht so ohne weiteres herausgegeben haben. Es sind sogar Fundorte für seltene Rohstoffe und Alienartefakte eingetragen. Solche Koordinaten sind das Wertvollste, was ein Prospektor besitzt.“
Granger spürte, wie Bramard ihn anstarrte. Er wandte sich zu ihm um. „Ja?“
„Sie kennen diese Ringa schon länger. Wer ist sie?“
„Ich bin ihr nur zweimal begegnet, als ich Fracht von Brodersen geholt habe. Sie ist mir aufgefallen - so, wie sie jedem auffällt. Wir haben mal einen Abend in einer Kneipe herumgesessen, weil ich nicht gleich weiterfliegen konnte. Aber ich habe nicht viel über sie oder von ihr erfahren. Sie hat ein hohes Ansehen unter den Prospektoren.“
Die KI warf ein: „Eine Analyse ihres Körpers einschließlich der Prothesen hat kein abschließendes Ergebnis erbracht. Das liegt daran, dass ich besonders vorsichtig vorgegangen bin, weil ich annehme, dass in ihren Prothesen auch Ortungs- und Messgeräte untergebracht sind. Sie hätte es gemerkt, wenn ich sie durchleuchtet hätte. Aber was ich feststellen konnte, lässt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Vermutung zu, dass sie ein Cyborg ist. Sie hat nicht nur Teile ihres Körpers ersetzen lassen oder nach einem Unfall ersetzen müssen. Sie verfügt auch über Implantate zur Unterstützung der Gehirntätigkeit.“
„Die Umwandlung eines Menschen mit kybernetischen Bauteilen in einen Cyborg ist mit einem Bann belegt“, wandte Bramard ein. „Das ist ein Verbrechen, bei dem die Gesetze nur eine Strafe kennen. Falls die Behörden davon etwas erfahren, wird man sie jagen und, äh, abschalten.“
„Kann sein, dass die Gesetze von Gaia hier draußen an der Grenze des von Menschen besiedelten Gebiets niemanden sonderlich interessieren“, warf der Copilot ein.
„Trotzdem, ich muss jetzt mit meinem Gewissen ringen, ob ich nicht Gaia über diesen Verdacht in Kenntnis setze.“ Bramard sah nacheinander in die Gesichter der Besatzungsmitglieder in der Zentrale. „Wir alle wissen, wie schrecklich die Menschheit leiden musste, nachdem sie versucht hat, unbesiegbare Cyborgs zu erschaffen.“
„Das waren militärische Mensch-Maschinen, geschaffen für den Krieg“, wandte Granger ein. „Ringa fliegt seit Jahren hier in der Gegend herum, und ich habe nie davon gehört, dass sie irgendjemandem etwas zuleide getan hätte.“
„Wenn die KI Recht hat, hat Ringa die Daten aller Prospektoren auf drei Planeten gestohlen und sie ohne zu zögern an uns verkauft.“
„Diebstahl und Hehlerei sind nicht die Verbrechen, für die Cyborgs berüchtigt sind.“ Granger hob die Hand. „Ich bin dafür, dass wir unseren Verdacht vergessen. Sollten wir etwas erfahren, das darauf hindeutet, dass Ringa gegen die Interessen der Menschheit handelt, so können wir immer noch die Behörden auf sie hetzen. Wer ist dafür?“
Alle außer Bramard hoben die Hand.
„Also, Kapitän?“, fragte Granger.
„Na gut, ich beuge mich der Mehrheit. KI, was genau hat uns Ringa verkauft?“
Die KI ließ eine 3D-Karte des Randgebiets der Perseuskolonie aufleuchten, die bis weit in den Leerraum zwischen den Spiralarmen hineinreichte.
„Ich markiere alle Systeme, die von den Prospektoren erkundet wurden, durch blaue Symbole“, sagte sie. „Mögliche Sprungpunkte blinken. Wie man nun sehen kann, gibt es einzelne Sonnensysteme, die sich als Ziele für Hypersprünge eignen, bis in rund zweihundert Lichtjahre Entfernung.“
„Donnerwetter!“, entfuhr es Bramard. „Die Prospektoren müssen über hochgerüstete Schiffe verfügen, wenn sie so weit in den Abgrund vordringen konnten.“
„Sie sind neugierig und ihre Passion ist es, das Fremde zu erkunden“, erklärte Granger. „Sie suchen dort draußen nach all den wertvollen Dingen, von denen einst Brodersen fantasiert hat.“
„Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass sie nur durch Versuch und Irrtum dorthin gelangt sind“, sagte die KI. „Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen. Eine Erklärung dafür, wie sie es geschafft haben, liefern andere von Ringa stammende Daten. Ich lasse die Sonnensysteme rot aufleuchten, um die es geht.“
Die roten Punkte deckten sich teilweise mit den blinkenden Sprungpunkten.
„Was ist das?“, fragte Bramard.
„Das sind Ergebnisse von Fernortungen, aus denen die Prospektoren geschlossen haben, dass dort fremde Raumschiffe unterwegs waren. Ich folgere daraus, dass es nicht nur in dem System, durch das wir hierher gelangt sind, automatische Ortungssonden gibt, sondern in vielen anderen Sonnensystemen auch.“
„Wozu dieser Aufwand?“
„Unbekannt. Da die Prospektoren jedoch über keine eigene Industrie verfügen, die eine größere Anzahl hochmoderner Ortungssonden produzieren kann, müssen sie leistungsfähige Geräte gekauft haben.“
„Wer verkauft so etwas?“
„Offiziell niemand. Aber es gibt einen Schwarzmarkt für militärisches Gerät, aus dem sich auch die Söldner bedienen. Eine Zusammenarbeit zwischen den Prospektoren und den Söldnern liegt also nahe.“
„Das gefällt mir nicht.“ Bramard verdrehte die Augen. „Wieder etwas, das ich eigentlich sofort nach Gaia melden müsste.“
„Ich bin noch nicht fertig“, sagte die KI. „Es gibt eine weitere Liste von Ortungsergebnissen. Einige davon halte ich für Fehlmessungen, weil die Werte im Bereich des Grundrauschens jeden Ortungsgeräts liegen. Die übrigen ergeben ein Muster, das ich nun in Grün markiere.“
Wieder deckten sich einige der grünen Punkte mit den bereits vorhanden blauen und blinkenden Symbolen. Aber das war es nicht, was alle in der Zentrale versammelten Menschen nach Luft schnappen ließ.
„Was ist das?“, fragte Granger.
Bramard räusperte sich: „Es ist eine Linie von Sprungpunkten, die aus dem Raum zwischen den Spiralarmen kommend bis in die dünn besiedelten Bereiche der Perseuskolonie führt. Wenn ich diese Linie fortsetze ...“
Er sprach nicht weiter, aber jeder wusste, was er sagen wollte. Diese Spur führte zur Erde, wenn man sie mehr als viertausend Lichtjahre weit verlängerte.
„Das muss Gaia erfahren.“
Minutenlang herrschte Schweigen in der Zentrale der Seeker.
„Wenn wir das nicht sofort Lydia Vendaar melden, zieht sie uns das Fell über die Ohren, sobald wir zurückkommen“, sagte Bramard schließlich.
„Macht mir nichts aus“, behauptete Granger. „Ich habe kein Fell. Da es sich um Ortungsergebnisse handelt, könnte dies der Beweis dafür sein, dass es eine funktionierende Verbindung zur Erde gibt, von der wir nichts wissen. Das bedeutet aber nicht, dass auch zum Beispiel die Vizeadmiralin nichts davon weiß. Vergesst das nicht. Möglicherweise zuckt sie nur mit den Schultern, wenn wir kehrt machen, um ihr diese Daten zu präsentieren. Ich finde etwas Anderes viel interessanter.“
„Nämlich?“, fragte Bramard.
„Wer ist für die vielen roten Punkte verantwortlich? Jemand hüpft hier fröhlich von System zu System. Unsere Militärs sind das nicht, und die Söldner auch nicht. Dort gibt es nichts zu verdienen für käufliche Kämpfer. Bleiben also die H’Ruun oder diese neu aufgetauchten Keilschiffe.“
„Die Schiffe der H’Ruun kann man schlecht per Ortung erfassen, wenn sie Hypersprünge durchführen“, wandte der Copilot ein. „Sonst hätten wir schon längst alle ihre Konglomerate entdeckt.“
„Bleiben also die Keilschiffe. Ob man die so gut orten kann, weiß ich nicht.“ Granger dachte einen Moment nach und sagte dann: „KI, es gibt einen Planeten namens Uruvela, in dessen System sich Keilschiffe in großer Zahl aufhielten. Seine Position ist als geheim deklariert. Befinden sich die Koordinaten trotzdem in der Datenbank?“
„Ja, das gehört zu den militärischen Informationen, die ich vor Beginn der Reise erhalten habe. Ich blende die Position dieses Planeten ein. Dazu muss ich allerdings den Bildausschnitt der 3D-Darstellung erweitern.“
Was Granger nun sah, ließ keinen Zweifel offen. Einige der rot markierten Punkte führten auf das Uruvelasystem zu. „Also haben wir hier eine Spur der Keilschiffe“, konstatierte er zufrieden.
„Noch etwas, das wir sofort nach Gaia melden müssten“, stöhnte Bramard. „Sie werden uns vor ein Kriegsgericht stellen, wenn wir all diese Informationen zurückhalten.“
„Wir sind keine Soldaten!“, sagte Granger.
Doch Bramard hatte seine Entscheidung getroffen. Er richtet sich auf und sagte lauter als bisher: „Was wir erfahren haben, ist so wichtig, dass wir es nicht für uns behalten dürfen. Gaia ist zu weit entfernt, um es direkt per Hyperfunk zu erreichen. Außerdem sollten wir dieses Wissen nicht einmal verschlüsselten Funksprüchen anvertrauen. Wir kehren um. KI, berechne den ersten Sprungvektor für den Rückflug.“
Doch die KI bestätigte diesen Befehl nicht, sondern sagte: „Es gibt da noch etwas, das von Bedeutung sein könnte, Kapitän. Sie sollten es sich ansehen, bevor Sie eine Entscheidung treffen.“
„Noch ein paar Punkte auf der 3D-Karte?“, wollte Bramard wissen.
„Nein. Bilder und Ortungsergebnisse aus zwei Sonnensystemen, die ausdrücklich nicht als Sprungpunkte geeignet sind. Trotzdem waren Prospektoren dort. Ich zeige zunächst Übersichtsgrafiken der beiden Systeme.“
Es erschienen zwei Bilder, die normale Sonnensysteme zeigten: Planeten verschiedener Größe, alle außerhalb der habitablen Zone, sowie Asteroidenringe und kleinere Objekte, die auf den verschiedensten Bahnen um die Sonnen kreisten. Eindeutig Systeme, bei denen ein Sprung durch den Hyperraum in sie hinein gefährlich war, wenn man nicht ganz genau wusste, wo sich jeder noch so kleine Gesteinsbrocken befand.
„Und was ist daran so besonders?“, fragte Bramard.
„Die Asteroidenringe“, antwortete die KI. „Sie sind ungewöhnlich dicht, enthalten also viele größere Objekte, und befinden sich vergleichsweise nahe an den Sonnen. Einer davon liegt sogar am Rand der habitablen Zone. Beide Systeme wurden trotz des Risikos mehrmals von Prospektoren besucht. Das erste Sonnensystem zum Beispiel im Abstand von zwanzig Jahren. Ich zeige jetzt einen Ausschnitt des Asteroidenrings beim ersten Mal und beim zweiten Mal. Es handelt sich um dieselbe Stelle.“
Granger sah sofort den Unterschied: Es war, als wäre der Gürtel aus Gesteinstrümmern ausgedünnt worden.
„Und nun das andere Sonnensystem“, sagte die KI.
Diesmal war das umgekehrte Phänomen zu sehen. Der Asteroidenring war im Laufe der Jahre dichter geworden.
Während die Astrophysiker in der Zentrale kopfschüttelnd über mögliche Ursachen zu diskutieren begannen, schloss Granger für einen Moment die Augen. „Auch noch das“, sagte er.
„Was?“, fragte Bramard.
„Ein Konglomerat der H’Ruun. Es hatte sich im Asteroidenring des ersten Sonnensystems versteckt. Dann muss es aufgestört worden sein, wahrscheinlich durch die Praan-Saat oder die Keilschiffe, und ist in das zweite System geflüchtet. KI, wie alt ist das neueste Bild?“
„Sechs Jahre.“
„Dann ist es möglicherweise noch dort.“ Granger wandte sich an Bramard.
„Wir müssen hinfliegen und nachsehen. Vielleicht können wir Kontakt mit ihnen aufnehmen. Die Praan-Saat und die Keilschiffe sind unsere gemeinsamen Feinde.“
„Wir müssen Gaia informieren“, beharrte der Kapitän.
„Sie wollen zu Vizeadmiralin Vendaar zurückkehren und ihr sagen: Wir haben Spuren eines Konglomerats entdeckt, aber wir haben nicht nachgesehen, ob es noch existiert?“ Granger schüttelte den Kopf. „Dann lassen Sie mich aber vorher von Bord gehen. Den Sturm möchte ich nicht erleben, den die Frau dann entfacht!“
Bramard seufzte und gab nach. „Einverstanden. Auch wenn es das Ende meiner Karriere bedeuten kann. KI: Kurs auf das erste Sonnensystem, in dem die H’Ruun möglicherweise einmal waren. Wie lange werden wir benötigen?“
„Eine Woche. Es sind fast ein Dutzend Hypersprünge in Systeme mit schwierigen Navigationsbedingungen.“
„Dann los!“
Der Anflug auf den Asteroidengürtel innerhalb des Zielsonnensystems dauerte länger als erwartet. Die Stelle, die überraschend wenige feste Körper zeigte, befand sich vom Einsprungpunkt der Seeker aus hinter der Sonne. Das verschaffte der Mannschaft genügend Zeit, um das ganze System gründlich zu vermessen.
Das Schiff war für solche Aufgaben gebaut worden, dies war seine eigentliche Bestimmung. Zum ersten Mal auf der Reise zogen sich die Wissenschaftler in ihre speziellen Kabinen zurück. Von dort aus konnten sie die Messgeräte, Ortungssysteme und optischen Teleskope steuern, die sich in den riesigen Containern entlang der Spindel zwischen Bug und Heck befanden.
„Wir haben Glück gehabt“, lautete ihr erstes Fazit. „In dieses System zu springen bedeutet ein erhebliches Risiko. Jede Menge kleinere Objekte sind auf ungewöhnlichen Bahnen unterwegs. Es muss hier gravierende kosmische Einflüsse gegeben haben, um so eine Unordnung anzurichten.“
„Wie sind dann die H’Ruun hierhergekommen?“, wollte Bramard wissen.
„Es gibt auch große leere Gebiete, wie in den meisten Sonnensystemen. Wenn man die genau kennt, kann man sie nutzen. Sobald wir mit unserer Arbeit fertig sind, können wir jederzeit auf einem sicheren Weg hierher zurückkehren, Kapitän.“
Als die Seeker die Stelle des Asteroidenrings erreichte, an der möglicherweise das Konglomerat gewesen war, nahmen die Wissenschaftler weitere Instrumente in Betrieb.
Das Ergebnis stand wenige Stunden später fest: „Auch wenn an keinem der Asteroiden Strukturen zu finden sind, die auf den Abbau von Rohstoffen oder ähnliche von intelligenten Wesen verursachte Störungen hinweisen, steht eines fest: Hier waren vor einigen Jahren sehr viele Raumschiffe. Wir können noch geringe Rückstände von chemischen Korrekturtriebwerken nachweisen. Außerdem Ionen, die wahrscheinlich von elektrischen Antrieben stammen. Darüber hinaus hat die Anwesenheit der Schiffe die Bahnen der Asteroiden beeinflusst, was ein Zeichen dafür ist, dass sie entweder eine hohe Masse aufwiesen oder lange hier waren.“
„Wie kann man so etwas feststellen?“
„In anderen Bereichen des Rings sind die Bahnen der Gesteinskörper ziemlich stabil. Hier dagegen bewegen sie sich aufeinander zu. Es muss schon zu einigen Kollisionen gekommen sein. Kleinere Trümmerteile haben den Ring verlassen und treiben in das Sonnensystem hinein beziehungsweise auf die Sonne zu. Es ist interessant, das zu beobachten und auszuwerten. Künftig werden wir immer, wenn so etwas festgestellt wird, vermuten können, dass früher einmal ein H’Ruun-Konglomerat in einem System war. Auch das ist eine Neuigkeit, die Gaia interessieren dürfte.“
Der Kapitän brummte nur etwas Unverständliches. „Wie lange brauchen Sie noch, um alles Wichtige messtechnisch zu erfassen?“
„Einen halben Tag.“
„Gut. KI, berechne einen Kurs in das zweite auffällige System.“
„Ist bereits geschehen. Der Sprungvektor verläuft als Tangente zu diesem Asteroidenring genau auf dessen Bahnebene.“
„Was bedeutet das?“
„Es ist der endgültige Beweis, dass wir im Zielsystem auf die H’Ruun stoßen werden. Ich empfehle, dass Sie sich Gedanken darüber machen, wie wir uns ihrem Konglomerat annähern. Diese Wesen wollen mit Menschen nichts mehr zu tun haben. Falls sie uns als Feinde einstufen, könnte das zu einem Problem werden.“