Читать книгу PERSEUS Kristallmagie - Manfred Rehor - Страница 10

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Kapitel 6

Brendan stapfte durch das kniehohe Gras und sah sich das vor ihm liegende Dorf an. Die wenigen Häuser waren alle gleich groß, viele von ihnen hatten einen ungewöhnlichen, fensterlosen Anbau.

Richtung Nordwesten führte eine Straße aus dem Dorf heraus. Sie war schmal und wirkte wie eine Gasse zwischen den übermannshohen Grashalmen.

Ein hagerer alter Mann trat aus einem Haus. Er entdeckte die beiden Beobachter und blieb stehen.

Koumeran winkte leutselig, der Mann winkte zurück. Sie gingen aufeinander zu.

Brendan überließ die Kontaktaufnahme seinem Freund. Er beobachtete nur.

Der Mann hatte dunkle Augen, sein Gesicht wirkte ausgezehrt. Die vielen Runzeln wiesen nach Brendans Ansicht auf ein gutmütiges Temperament hin.

„Wo kommt ihr her?“, fragte der Mann.

Brendan war froh, dass sie sich mit ihm verständigen konnten. Die Kolonisten auf Chenderra hatten die Standardsprache der Erde beibehalten, allerdings mit einem hörbaren Dialekt. Das traf nicht auf alle Planeten zu, die von Menschen besiedelt worden waren.

„Aus dem Osten“, behauptete Koumeran.

„Ihr seid durch das Grasmeer gekommen? Das ist gefährlich. Warum habt ihr das getan?“

„Wir wollten weg aus unserer Heimat. Irgendwo Arbeit finden, die besser bezahlt wird.“ Koumeran überließ es dem Mann, die passenden Schlüsse zu ziehen. Was der prompt tat.

„Schlechte Gegend dort, was? Die letzten regenreichen Jahre haben euch vermutlich die ganze Ernte verdorben. Wisst ihr überhaupt, wo ihr hier seid?“

„Dieses Dorf müsste am westlichen Rand des Grasmeers liegen.“ Koumeran übernahm den sehr passenden Begriff für die Landschaft. „Aber wir wissen nicht wirklich viel über diese Gegend. Gibt es hier Arbeit für uns?“

„Wir sind ein Dorf von Kristallschleifern.“

Brendan kam es vor, als würde der Mann für einen Moment auf eine Reaktion warten. Als die ausblieb, schien er erleichtert.

„Kommt mit in mein Haus“, fuhr der Mann fort. „Bestimmt seid ihr hungrig.“

Sie folgten ihm hinein. Eine müde alte Frau sah ihnen mit glanzlosen Augen entgegen. Sie war hager und ihr Gesicht wies einen verbitterten Zug auf.

„Das ist Sura, meine Frau“, stellte der Mann vor. „Ich heiße Yogar Brestmann. Ihr könnt Yogar zu mir sagen.“

„Wir sind Brendan und Koumeran.“

„Sie suchen Arbeit“, erzählte Yogar seiner Frau. „Ich könnte Gehilfen gebrauchen. Zumindest für einige Zeit, um das Felsgestein zu bearbeiten.“

Da weder Brendan noch Koumeran wussten, wovon die Rede war, schwiegen sie. Wieder kam es Brendan so vor, als wäre Yogar froh darüber. Die einzig mögliche Schlussfolgerung war, dass kein Fremder gerne in diesem Dorf arbeitete, warum auch immer.

„Habt ihr gestern Nachmittag die Sternschnuppe gesehen?“, fragte Yogar, während er sie in das nächste Zimmer führte. „Sie war so hell, dass man sie sogar bei Tageslicht verfolgen konnte. Mir kam es vor, als würde sie direkt ins Grasmeer stürzen.“

„Wir haben sie gesehen“, log Brendan. „Sie ist über uns hinweg geflogen.“

„Eine seltsame Erscheinung. Hoffentlich bedeutet sie kein Unglück. Setzt euch, ihr seid unsere Gäste.“

Sura verteilte Teller auf dem Tisch, Yogar holte zwei zusätzliche Stühle.

Dann brachte er Brot, einen Topf mit dickflüssigem Fett und große Krüge. Die füllte er aus einem Schlauch mit einer streng riechenden Flüssigkeit.

„Was ist das?“, fragte Brendan und zeigte auf das Fett und das Getränk.

„Fleischbutter und vergorener Fruchtsaft, stark verdünnt. Warum kennst du das nicht? Produziert ihr etwas Anderes auf dem Bauernhof, von dem ihr kommt?“

Brendan versuchte, seine Unwissenheit zu kaschieren, indem er behauptete: „Wir haben Vieh gezüchtet und an den Schlachter verkauft. Selbst hatten wir kaum mehr zu essen, als der Garten hergab.“

„Aha“, sagte Yogar nur.

Sura aß, ohne sich um die beiden Fremden zu kümmern.

Brendan tat es seinen Gastgebern nach, die sich Scheiben vom Brot abschnitten und sie dünn mit dem Fett bestrichen. Fein zerkleinertes Fleisch war unter das Fett gerührt, zusammen mit viel Salz. Der Geschmack war streng und erinnerte an versalzenen Speck. Das Getränk in den Krügen war bitter, aber es löschte hervorragend den Durst, den der Brotbelag hervorrief.

„Habt ihr schon mit Kristallen gearbeitet?“, fragte Yogar.

„Kristalle? Nein, das macht man bei uns in der Gegend nicht“, behauptet Koumeran mit einer Selbstverständlichkeit, um die ihn Brendan beneidete. War es möglich, dass der Zufall sie direkt auf die Spur der Hyperkristalle geführt hatte? Sollten wirklich diese einfachen Leute in einem so abgelegenen Dorf in der Lage sein, hochwertige Raumschiffbauteile herzustellen?

„Ich gehöre wie die meisten Bewohner unseres Dorfes zur Gilde der Kristallschleifer“, erklärte Yogar. „Mein Gehilfe ist vor einigen Monaten verschwunden. Es war ihm wohl zu einsam hier.“

„Warum gibt es überhaupt ein Dorf mitten im Grasmeer?“

„Unser Handwerk verlangt höchste Konzentration“, behauptete Yogar.

Brendan spürte, dass der Mann nicht die ganze Wahrheit sagte. Er hakte nach: „Einsamkeit kann man auch am Rand einer großen Stadt finden, oder?“

Sura gab einen leisen Fluch von sich, bevor sie an Stelle ihres Mannes antwortete: „Die Nähe der Kristalle macht krank. Deshalb sind die Dörfer der Kristallschleifer so weit wie möglich von anderen Menschen entfernt.“

Yogar nickte niedergeschlagen und ergänzte: „Aber es ist auch so, dass die Kristalle die Einsamkeit lieben. Sie spüren das Grasmeer um sich herum und lassen sich leichter bearbeiten. Man hat in früheren Zeiten versucht, sie gleich in der Nähe der Bergwerke zu schleifen. Aber es ging nicht.“

Der Mann sprach von den Kristallen, als wären sie Lebewesen. Brendan wollte sich danach erkundigen, aber Koumeran kam ihm mit einer anderen Frage zuvor.

„Wieso machen die Kristalle krank?“

Yogar seufzte, bevor er antwortete: „Man altert schneller, wenn man jeden Tag mit Kristallen hantiert. Krankheiten kommen häufig und verlaufen schwer. Viele Paare bleiben kinderlos. Aber wenn wir nicht die Arbeit mit den Kristallen auf uns nähmen, müssten wir von hier weg und uns in anderen Dörfern als Knechte und Mägde verdingen. Das würde bedeuten, jede Freiheit zu verlieren. Niemand will das.“

„Das kann ich verstehen“, behauptete Brendan. „Aber ...“

„Wir leben!“, unterbrach ihn Yogar und hieb mit der Faust auf den Tisch. „Das ist das Wichtigste. Wie steht es nun mit euch. Soll ich euch als Gehilfen anlernen?“

„Erkläre uns deine Arbeit“, forderte Koumeran.

„Die Rohkristalle werden hier so angeliefert, wie sie aus den Bergwerken kommen. Das heißt, eingebettet in Felsgestein. Man muss sie vorsichtig daraus befreien. Wenn ihr das ein paar Wochen lang macht, bevor ihr weiterzieht, werde ich euch gut bezahlen.“

Koumeran sagte: „Einverstanden.“ Brendans überrascht aufgerissene Augen schien er nicht zu bemerken. „Ist es schwierig?“

„Das entscheiden die Kristalle“, sagte Yogar. „Mancher kommt mit ihnen aus; andere lernen es nie. Egal, wie sehr sie sich bemühen.“

Brendan folgte Yogar in die Werksstatt. Die befand sich in dem fensterlosen Anbau, wie ihn die meisten Häuser im Dorf hatten. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, der mit einem dunklen Tuch abgedeckt war.

„Kristalle mögen kein Sonnenlicht“, erklärte Yogar, der eine Kerze in der Hand hielt.

„Arbeitest du etwa bei Kerzenlicht?“

„Nein. Die Kristalle leuchten selbst. Seht!“ Mit einer schnellen Bewegung zog Yogar das Tuch beiseite.

Helles Licht strömte in den Raum. Brendan hielt seinen Unterarm vor die Augen, weil es ihn schmerzte. Doch die Intensität ließ rasch wieder nach, bis die Werkstatt so ausgeleuchtet war, als gebe es kein Dach und das Sonnenlicht könnte ungehindert hereinströmen.

„Warum ist dieses Leuchten nicht durch das Tuch gedrungen, das über dem Tisch lag?“, fragte Brendan.

„Es ist aus einem speziellen Material gewebt. Wir wissen nicht genau, aus welchem. Der Aufkäufer des Fürsten hat solche Tücher in seinem Angebot. Es beruhigt die Kristalle.“

„Was ist ein Aufkäufer ...“, begann Brendan, verstummte aber, als er sich die Kristalle genauer ansah. Noch nie hatte er Hyperkristalle aus solcher Nähe gesehen. Sie waren faustgroß, glasklar und fein geschliffen. Das Leuchten kam aus ihnen heraus, ohne dass eine Quelle im Inneren erkennbar war.

„Leuchten alle Kristalle so intensiv?“

„Nur, wenn sie bemerken, dass es sich um die Werkstatt eines Kristallschleifers handelt. Es ist etwas Göttliches an ihnen“, behauptete Yogar. „Sie sind zu Beginn der Zeiten entstanden.“

„Etwas Göttliches?“

„So ist es. Deshalb müssen die Kristalle auch regelmäßig von den Priesterinnen gesegnet werden. Da wir nur kleine Mengen davon im Dorf haben, reicht es, wenn vier Mal im Jahr eine Priesterin vorbeikommt. In den Bergwerken, wo die Rohkristalle abgebaut werden, müssen sie jeden Monat beten, um ein Unglück zu verhindern.“

Neben den fertig geschliffenen, leuchtenden Kristallen lagen auf dem Tisch auch Rohkristalle. Das waren glasige Knollen mit matter Oberfläche. In einer Ecke der Werkstatt häuften sich unansehnliche Gesteinsbrocken, die aber groß genug waren, um einen Kristall zu enthalten.

„Man darf einen Kristall nie alleine lassen“, sagte Yogar, als ahne er Brendans nächste Frage. „Deshalb sind immer mindestens ein halbes Dutzend hier auf dem Tisch, auch wenn ich wochenlang nur an einem arbeite.“

„Wie schleift man einen Kristall?“

„Unter dem Tisch ist eine Wippe, mit der ich die Schleifscheibe in Bewegung setze.“

Yogar klappte eine Abdeckung hoch und eine Scheibe mit dem Durchmesser einer Münze erschien. Er befestigte sie mit einer Klammer an der Tischkante. Dann setzte er sich auf den Stuhl davor und betätigte mit den Füßen die Wippe. Die Schleifscheibe drehte sich rasend schnell.

„Es gibt unterschiedliche Scheibengrößen und Körnungsgrade. Am Anfang wird nur grob die Form angeschliffen, anschließend wird die Arbeit immer feiner und schwieriger. Zum Schluss benutze ich Wolle, denn die Oberfläche der Kristalle muss unsagbar glatt sein.“

„Wozu?“, fragte Brendan. Er wollte herausfinden, ob der Kristallschleifer wusste, was er da herstellte.

„Das fordert der Aufkäufer, der uns die Ware abnimmt. Ich vermute, die Kristalle sind für besonders hohe Herrschaften in der Hauptstadt bestimmt, die damit ihre Festsäle ausleuchten. Und der Fürst selbst besitzt sehr viele.“

Brendan schwieg eine Weile. Hatten diese Leute wirklich keine Ahnung davon, wie wertvoll ihr Produkt war?

Schließlich hakte er nach: „Aber du weißt nicht, wer letztendlich die Kristalle kauft?“

„Nein. Spielt das denn eine Rolle? Selbst wenn ich ihre Namen und ihren Rang kennen würde, könnte ich keinen höheren Preis verlangen. Der Aufkäufer handelt im Auftrag des Fürsten und liefert die Kristalle in die Hauptstadt.“

„Wie viel zahlt dir dieser Aufkäufer für einen Kristall?“

„Nur zwei kleine Silberlinge. Selbst wenn ich vom frühen Morgen bis in die Nacht arbeite, reicht das gerade, um so über die Runden zu kommen.“

„Ich verstehe.“

Dieses System der Ausbeutung hatte Brendan bereits auf anderen Planeten kennengelernt. Man ließ die unwissende, einheimische Bevölkerung arbeiten und zahlte ihr so wenig wie möglich. Auf weit entfernten Welten verdiente man dann ein Vermögen mit den Produkten. Voraussetzung dafür war, dass die Einheimischen entweder unter einer harten Diktatur lebten, die dafür sorgte, dass die Produktion billig und problemlos ablief. Oder, dass man ihnen vormachte, sie würden etwas herstellen, das nicht viel wert war.

Yogar nahm einen Kristall in die Hand, der perfekt geschliffen aussah.

„Seht ihr diese Rille?“, fragte er und zeigte auf eine feine Linie, die im unteren Drittel um den Kristall herum verlief. „Dort wird der Kristall in eine Fassung gesetzt, wenn man ihn als Leuchte benutzt. Das sieht bestimmt sehr schön aus, wenn es fertig ist.“

Was Yogar für die Nut einer Fassung hielt, diente in Raumschiffen als Anschluss für die Energieversorgung. Der Hyperkristall wurde vom Fusionsreaktor aufgeladen und erzeugte dann ein die Realität verzerrendes Feld. So entstand ein Schlupfloch in der Wirklichkeit, durch das ein Raumschiff große Entfernungen überspringen konnte.

„Es ist eine ausgesprochen teure Art, Licht zu machen“, rutschte es Brendan heraus.

Yogar warf ihm einen fragenden Blick zu, in dem auch Misstrauen zu lesen war.

Brendan wechselte das Thema. „Was genau sollen wir tun?“

Yogar zeigte ihnen, wie man die Kristalle auswählte, die zu schleifen sich lohnte. In seinem Keller lagerte reichlich Material, das aus den Bergwerken angeliefert wurde. Ein Haufen wertloses Geröll, so schien es im ersten Moment. Doch in jedem der Steinbrocken steckte ein Kristall.

Die Aufgabe der Gehilfen war es, mit einem kleinen Hammer vorsichtig das Gestein so weit zu entfernen, dass man die Größe und Form des Kristalls erkennen konnte. Das dauerte mehrere Stunden pro Stück. Zwei von drei Versuchen endeten in einer Enttäuschung, denn die Kristalle waren entweder unförmig oder wiesen Risse auf, die man schon in diesem Stadium erkennen konnte.

Waren die Gehilfen mit der Größe und Form des Rohkristalls zufrieden, so legten sie ihn in ein Regal. Dort lagerten schon Dutzende davon.

Aus diesem Vorrat wählte Yogar ein Exemplar aus, wenn er einen neuen Kristall zu schleifen begann. Oft entdeckte er bald nach Beginn der Arbeit winzige Fehler in Inneren, die den Kristall wertlos machten. Manchmal musste er vier oder fünf Rohkristalle ausprobieren, bis er einen fand, der fehlerfrei war. Dann begann seine eigentliche Arbeit.

„Was geschieht mit dem Abfall und den unbrauchbaren Kristallen?“, fragte Brendan.

„Pferdewagen bringen die Gesteinsbrocken aus den Bergen hierher. Sie nehmen die Reste wieder mit. Alles wird zurück in die Bergwerke gebracht, um die Stollen aufzufüllen, die keine Erträge mehr versprechen.“

„Warum so aufwendig?“

„Das Gebirge verzeiht es nicht, wenn wir Menschen zu viele Kristalle auf einmal entnehmen. Indem wir den größten Teil wieder zurückbringen, halten wir es ruhig.“

„Und wenn man das nicht macht?“

„Mehren sich Stolleneinbrüche, Erdbeben und ähnliche Unglücke.“

„Das Leben der Bergleute wäre also in Gefahr.“

Yogar sah Brendan mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wieder einmal muss ich feststellen, dass ihr doch von sehr weit herkommt. In den Bergwerken arbeiten nur Sträflinge. Niemand interessiert sich für ihr Wohlergehen. Aber Wassereinbrüche und Einstürze würden den Nachschub gefährden. Und das muss vermieden werden.“

Yogar stellte drei Becher auf den Tisch und füllte sie mit einer Flüssigkeit, die stark nach Alkohol roch. „Quraz“, sagte er.

Brendan nickte, als wüsste er Bescheid. Koumeran leckte sich erwartungsvoll die Lippen.

Doch Yogar war noch nicht fertig. Er zog eine Schublade auf und holte ein Holzkästchen heraus. Nachdem er den Deckel vorsichtig abgehoben hatte, sah Brendan das weiße Pulver, das darin war. Mit einem schmalen Spatel entnahm Yogar etwas davon und rührte es in seinen Schnaps.

Brendan nahm das Kästchen in die Hand und roch daran. Es enthielt reines Oon - die härteste und tödlichste aller Drogen.

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