Читать книгу PERSEUS Kristallmagie - Manfred Rehor - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Die Regierung auf Gaia war zuständig für mehrere hundert Kolonialplaneten im Perseusarm der Milchstraße. Entsprechend umfangreich war der Verwaltungsapparat, der sich hier konzentrierte. Dasselbe galt auch für die Militärbürokratie. Allein der Gebäudekomplex der Raumflotte hatte die Größe einer Stadt. Bauwerke ragten bis fünfzig Stockwerke in den Himmel.
Lydia Vendaar kannte hier jeden Winkel und wusste, wohin sie gehen durfte und wohin nicht. Sie führte Brendan Hollister und Koumeran Ahab auf Umwegen durch die langen Gänge. Statt der Fahrstühle benutzte sie immer wieder die Treppen, um unterwegs möglichst wenigen Menschen zu begegnen. Arianna Bold ging am Schluss der kleinen Gruppe und sicherte nach hinten. Sollten jemand kommen und Fragen stellen, so war es ihre Aufgabe, denjenigen in ein Gespräch zu verwickeln. Das würde Lydia die Zeit verschaffen, Hollister und Ahab wegzubringen.
Um die beiden Männer von ihrem seltsamen Verhalten abzulenken, unterhielt sie sich mit ihnen.
„Falls man Sie während des Flugs nach Chenderra entdeckt, sind Sie Brendan Hollister, der bekannte Millionenerbe. Sie besuchen zusammen mit ihrem Begleiter aus Neugier entlegene Planeten. Niemand weiß, dass Sie Ihr Vermögen verloren haben, daher ist diese Ausrede glaubwürdig.“
„Das muss doch durch alle Medien gegangen sein“, widersprach Hollister.
„Wir konnten die Tatsache aus den Berichten heraushalten. Sogar dass Sie leben, weiß niemand außerhalb der Raumflotte. Das ist der Grund dafür, dass wir Sie beide sofort festgesetzt haben, nachdem Sie mit der Jool im Alkanasystem aufgetaucht sind.“
„Das klingt so, als hätten Sie bereits zu dem Zeitpunkt gewusst, was Sie mit uns vorhaben. Wie kann das sein?“
„Nachdem wir den Kontakt mit Susan Karoon und ihren beiden Begleitern verloren hatten, haben wir nach jemandem Ausschau gehalten, der nach ihnen suchen kann.“
Koumeran Ahab räusperte sich überlaut, bevor er sagte: „Die Raumflotte verfügt über Spezialeinheiten für die Erkundung von Planetenoberflächen. Also warum uns schicken?“
„Es geht nicht nur darum, Susan Karoon und ihre Begleiter zu finden. Die Suche nach den Hyperkristallen ist ebenso wichtig.“
„Auch für diese Suche sind wir nicht qualifiziert.“
Zum ersten Mal, seit sie unterwegs waren, blieb Lydia stehen.
„Wir haben die Daten genauestens analysiert, die wir über die Herstellung der Kristalle haben. Mit allen Mitteln haben wir versucht, herauszufinden, wie das auf der Erde gemacht wurde. Ich sagte bereits, dass es uns nicht gelungen ist. Aber wir haben etwas Anderes entdeckt: Nur Menschen mit bestimmten psychischen Eigenschaften waren mit der Herstellung der Kristalle beschäftigt. Für die Einstellung von Arbeitern war das Psychoprofil wichtiger als jede Qualifikation.“
„Man muss eine Macke haben, um Hyperkristalle bearbeiten zu können?“, platzte Ahab heraus. Er lachte.
Lydia blieb ernst. Sie überlegte, wie viel von der Wahrheit sie verraten durfte. „Es handelt sich nur um eine gewisse Abweichung von der Norm“, schränkte sie ein. „Wir haben natürlich umgehend unsere Wissenschaftler darauf angesetzt. Sie sagen, auf der Erde sei diese Abweichung sehr selten gewesen. Aber jeder zweite Mensch, der hier in der Perseuskolonie geboren wird, verfügt darüber. Ari gehört zum Beispiel ebenfalls dazu.“
Arianna Bold lächelte. Prompt lächelte auch Brendan Hollister.
Aha, dachte Lydia, da haben wir eine kleine Schwäche, die sich vielleicht eines Tages ausnutzen lässt. Laut sagte sie: „Diese besondere psychische Befähigung ist natürlich unterschiedlich stark ausgeprägt. Zu den Menschen, bei denen sie deutlich feststellbar ist, gehören Sie, Brendan Hollister.“
„Unsinn! Ich bin geistig völlig gesund und normal.“
„Gesund, ja. Ob normal, ist eine ganz andere Frage.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Dass Sie etwas Besonderes sind. Wir verstehen aber noch nicht, woran das liegt.“
„Und woher wissen Sie das, ohne mich je untersucht zu haben?“
„Wir haben die Krankenakten von fast der Hälfte der Bevölkerung gescannt.“ Lydia hob mit einer entschuldigenden Geste die Hand, um Proteste gleich abzuwehren. „Dabei sind wir auf Arianna Bold und Sie gestoßen. Wir schickten ein Schiff nach Arkana, um Sie holen zu lassen. Als es dort eintraf, war der Planet bereits vernichtet - und ihre Jool kam gleich darauf aus dem Hyperraum. Deshalb konnten wir Sie sofort abfangen.“
„Soll das heißen, ich wäre so oder so zu Ihnen gebracht worden?“
„Ja. Aber dass Sie Heimat und Vermögen verloren haben, hat es mir heute leichter gemacht, Sie für den Einsatz zu gewinnen.“
„Das ist zynisch!“, rief Ahab dazwischen.
„Brüllen Sie hier nicht herum“, sagte Lydia. „Außerdem sind wir gleich am Ziel. Sie werden die beste Ausrüstung mitbekommen, die wir zur Verfügung haben. Allerdings müssen wir vorsichtig sein. Denn wenn man auf dem Planeten Chenderra moderne Waffen oder Geräte bei Ihnen entdeckt, sind Sie enttarnt. Hier herein, bitte.“
Über der Tür stand: Medizinischer Bereich.
„Keine Angst“, beugte Lydia gleich vor. „Man wird Ihnen hier ein Funkgerät implantieren. Nur ein kleiner Eingriff mit Mikroskalpellen. Allerdings müssen Sie dafür ihren Kopf in einen Scanner legen, weil Verbindungen zu Nervenbahnen hergestellt werden.“
„Ich lasse mich nicht aufschneiden“, protestierte Hollister.
„Und ich werde mich nicht in einen Cyborg verwandeln lassen“, fügte Ahab hinzu. „Geräte, die mit den Nervenbahnen verbunden werden, können alles verändern, was einen Menschen ausmacht. Nicht mit mir!“
„Der Arzt wird Ihnen genau erklären, was er tut. Sie müssen von der Oberfläche des Planeten aus eine Möglichkeit haben, miteinander und mit der Jool Kontakt aufzunehmen. Übrigens haben sich auch Susan Karoon und ihre beiden Begleiter geweigert, diesen Eingriff vornehmen zu lassen. Deshalb wissen wir nicht, was mit ihnen geschehen ist.“
Lydia stellte ihnen Dr. Seanberg vor, der auf sie wartete. Dieser Mann hatte das Aussehen und die Ausstrahlung eines alten Familienarztes, dem man völlig vertrauen konnte. Er war herzlich, einfühlsam - und doch ein Militärarzt durch und durch, der einen Befehl ohne Widerspruch ausführte.
„Willkommen und keine Angst, meine Herren“, begann Seanberg. „Ich werde Ihnen ein winziges Funkmodul in den Schädelknochen einsetzen, etwas oberhalb des Kiefergelenks. Es wird durch hauchfeine Elektroden mit Ihren Hörnerven verbunden. Dadurch können Sie Funksendungen verstehen, ohne dass eine akustische Übertragung erforderlich ist. Außerdem stellen wir Verbindungen her zu den Gehirnzentren, die für das Sprechen zuständig sind. Das Gerät ist so gut abgeschirmt, dass es kaum zu orten ist.“
„Wie funktioniert die Energieversorgung?“, wollte Ahab wissen. Sein Interesse für Technik schien die Abneigung gegen chirurgische Eingriffe in den Hintergrund zu drängen.
„Eine Mikrobatterie ist eingebaut. Sie kann das Funkgerät für zwei Stunden empfangsbereit halten, aber nur etwa fünf Minuten lang senden. Plus eine halbe Minute so stark, dass Ihr Raumschiff im Orbit die Signale empfangen kann. Danach ist das Gerät nutzlos. Deshalb ist sein Einsatz nur für Notfälle vorgesehen. Und dafür, am Ende Ihrer Mission Ihr Raumschiff zu kontaktieren.“
Dr. Seanberg begann mit den unvermeidlichen Hinweisen auf die Risiken des Eingriffs und das Verhalten in den Stunden danach.
Lydia verabschiedete sich und verließ zusammen mit Aria den medizinischen Bereich.
„Wir kämpfen und kennen doch unseren Gegner nicht“, sagte Lydia auf dem Rückweg in ihr Büro zu Ari. „Aber er hat Verbündete auch hier in der Militärverwaltung. Deshalb müssen wir besonders vorsichtig sein.“
Im Büro löschte sie über ihren Computer alle Daten, die von den Kameras in den Namensschildern der beiden Männer aufgezeichnet worden waren. Sie ersetzte sie durch einige unverfängliche Aufnahmen, die Ari vorbereitet hatte. Genauer Untersuchung würden diese Fälschungen nicht standhalten. Aber warum sollte jemand gerade die Gespräche dieser Besucher analysieren wollen?
„Danke, Ari“, sagte sie schließlich. „Bitte stelle eine Verbindung zu Commodore Smith her.“
Als das rundliche, gerötete Gesicht ihres Vorgesetzten auf dem Bildschirm erschien, grüßte Lydia militärisch. Smith liebte solche Äußerlichkeiten.
„Commodore, die Freiwilligen werden jetzt für den Einsatz vorbereitet.“
Smith starrte sie so grimmig an, wie er es immer und mit jedem tat. „Kommen Sie zu mir! Wir müssen das noch einmal durchsprechen.“
Lydia schaltete die Verbindung ab und verdrehte die Augen. „Wie kann ein so unentschlossener Offizier eine so hohe Position erreichen?“, sagte sie. „Ari, halte hier die Stellung. Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange.“
Commodore Smith war nicht nur ein Zauderer, sondern auch ein Feigling. Seine Feigheit wurde nur noch von seiner Karrieregeilheit übertroffen. Nur deshalb unterstützte er die Aktionen, die eine Gruppe von Offizieren an der Regierung vorbei durchführte. Er hoffte auf einen triumphalen Erfolg - und einen Karrieresprung bis an die Spitze. Aber bitte mit möglichst Null Risiko!
Als Lydia sein Büro betrat, saß der Commodore zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Er sah auf die Uhr. Das sollte andeuten, dass Lydia zu lange gebraucht hatte für den Weg zu ihm.
„Was wollen Sie mit mir besprechen?“, fragte sie in einem Tonfall, der einem Vorgesetzten gegenüber eigentlich nicht angebracht war.
„Den Einsatz dieser beiden Männer als Agenten auf Chenderra. Sie haben keine Erfahrung. Sie sind unzuverlässig und stehen nicht auf unsere Seite. Das macht sie zu einer Gefahr.“
„Brendan Hollister reist seit Jahren durch den Perseussektor und lebt immer noch“, widersprach Lydia. „Auch dank seines Begleiters Koumeran Ahab; wie Sie wissen, war der während seiner Militärzeit bei den Space Marines. Dieses Training vergisst man sein Leben lang nicht. Hollister ist außerdem der Mensch mit der größten Affinität zu den magischen Kristallen, den wir finden konnten. Er muss nach Chenderra gehen, wenn wir Erfolg haben wollen.“
„Was geschieht, falls die beiden dort eine ... Entdeckung machen, die sie nicht für sich behalten können?“
„Ich habe vorgesorgt. Die Funkgeräte, die ihnen derzeit implantiert werden, sind sehr schwach. Sie senden chiffriert und benötigen einen besonderen Empfänger, den wir in Hollisters Schiff eingebaut haben. Eine andere Möglichkeit, mit jemandem außerhalb des Chenderrasystems in Verbindung zu treten, haben sie nicht. Die künstliche Intelligenz im Bordgehirn der Jool habe ich in unserem Sinne manipulieren lassen.“
„Sobald sie aber wieder an Bord ihres Schiffes sind, können sie sehr wohl Funksprüche senden, an wen sie wollen. Das darf keinesfalls geschehen.“
„Es wird nicht geschehen“, versicherte Lydia.
„Wie können Sie so sicher sein? Es kann unseren Tod bedeuten, wenn ...“
Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis Lydia den Commodore beruhigt hatte.
Zurück in ihrem Büro schickte sie Ari weg. Dann stellte sie eine Kommunikationsverbindung her, die alle militärischen Leitungen umging. Dieser Anruf war gefährlich - falls er abgehört wurde.
Die Frau auf der anderen Seite nutzte einen Stimmverfälscher und zeigte ihr Gesicht nicht. Wenn es überhaupt eine Frau war. Auch die Verwendung einer Frauenstimme konnte Teil der Tarnung sein.
„Commander Vendaar, berichten Sie!‘‘, forderte die Stimme.
Lydia zählte knapp die wichtigsten Punkte ihrer Gespräche mit Brendan Hollister, Koumeran Ahab und Commodore Smith auf.
„Mir ist nicht wohl, solange Smith dabei ist“, sagte sie abschließend.
„Der Commodore ist Teil unseres Notfallplans und muss deshalb gehalten werden. Es sind seine schlechten Charaktereigenschaften, die ihn so wertvoll machen.“
„Ich verstehe“, behauptete Lydia. „Weitere Anweisungen?“
„Wir haben der Regierung die Suche nach magischen Kristallen nahegelegt. Heute Morgen hat der Militärrat zugestimmt. Ich muss gestehen, dass mich das überrascht hat.“
„Es widerspricht der bisherigen politischen Linie“, stimmte Lydia zu.
„Wir wissen, dass es Leute gibt, die verhindern wollen, dass die Perseuskolonie wieder Verbindung zur Erde aufnimmt. Auch wenn uns deren Motive nach wie vor unbekannt sind. Aber selbst die scheinen die Kolonie nicht handlungsunfähig machen zu wollen. Auch dafür kennen wir den Grund nicht. Es gibt einiges, was uns nach wie vor ein Rätsel ist.“
„Von dem Vorschlag, einen der Politiker aus dem Verkehr zu ziehen und alles aus ihm herauszuquetschen, halten Sie immer noch nichts?“
„Ich fürchte, alle Personen, die wir kennen, sind ihrerseits nur Puppen an den Fäden anderer. Wer tatsächlich dahintersteckt, wissen sie so wenig wie wir.“ Die Stimme schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Es ist, als würde unsere ganze Kolonie aus der Ferne gesteuert, um einem bestimmten Zweck zu dienen. Aber ich habe nicht die geringste Idee, welcher das sein könnte.“
„Die H’Ruun ...“, begann Lydia.
„Wir benötigen einen Feind von außen, um den inneren Zusammenhalt zu stärken. Die H’Ruun erfüllen diese Funktion hervorragend.“
„Ich verstehe.“
„Jedenfalls können Sie ab sofort offen sagen, dass Sie Männer nach Chenderra schicken, um sich nach der Herkunft der Kristalle umzusehen. Die Einzelheiten des Einsatzes behalten Sie selbstverständlich für sich. Und die Ergebnisse erst recht.“
„Natürlich.“
„Ach ja“, sagte die Stimme noch. „Falls wir erfolgreich sind, sorgen Sie dafür, dass dieser junge Mann keine Gelegenheit erhält, eventuell erworbenes Wissen nach außen zu tragen.“
„Sie meinen Brendan Hollister?“
„Richtig. Sein Psychoprofil zeigt, dass er hochintelligent ist und zugleich jungenhaft unvernünftig. Er könnte mehr in Erfahrung bringen, als gut für ihn ist. Und für uns!“
„Wenn er überlebt, werde ich ihn sofort in einen anderen Einsatz schicken“, versprach Lydia. „So weit wie möglich von Chenderra und Gaia entfernt.“
„Einverstanden.“
Ein Lichtsignal zeigte an, dass die Verbindung beendet wurde.