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ОглавлениеTEIL I: NACH NORDEN
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Die Meretha glitt langsam am Ufer des Donnan entlang. Obwohl es bereits dunkel war, ließ der Kapitän die Treidelpferde nicht ausspannen. Sie stapften wie Schatten schräg vor uns auf ihrem Pfad, geführt von einem der Matrosen. Es war für die Mannschaft des Lastkahns eine Frage der Ehre, noch in dieser Nacht am Kai von Dongarth anzulegen.
Ich stand mit meinen Freunden an Deck und starrte gespannt nach Osten. Bald würden wir die ersten Lichter der Hauptstadt sehen. Wir kamen aus Kethal und hatten eine drei Wochen dauernde Reise stromaufwärts hinter uns. Sie war so ereignislos verlaufen, dass ich mich nach den alltäglichen Problemen des Stadtlebens geradezu sehnte.
„Was ist das für ein roter Fleck dort vorne?“, fragte Gendra. Sie deutete mit ausgestrecktem Arm in Fahrtrichtung.
Ich strengte meine Augen an und sah ebenfalls das Licht. Da es nicht flackerte, konnte es kein Feuer sein.
Serron stieß einen Pfiff aus. „Das ist die Magische Akademie“, behauptete er. „Ich habe sie noch nie in so sattem Rot leuchten sehen.“
Die Akademie stand am Hang des Berges Zeuth, hoch über der Stadt. Die Magi demonstrierten ihr Können und ihre allumfassende Macht, indem sie die Vorderseite des Gebäudes Tag und Nacht in farbigem Licht erstrahlen ließen. So taten sie den Bürgern kund, was sie von den Zuständen in Dongarth und in den Ringlanden hielten.
Mir ging es wie Serron. Ein leichtes Hellrot war das Gefährlichste, das ich in meinen sieben Jahren in der Hauptstadt an der Mauer gesehen hatte. Damals war in einer der südlichen Provinzen ein Magier bei einem Raubüberfall ermordet worden. So etwas betrachteten die Magi als unverzeihliches Verbrechen. Wenige Tage später waren in der Stadt Gerüchte in Umlauf, dass man den Täter gefasst hatte. Wie die Magi ihn zu Tode brachten, war so bestialisch, dass man den Kindern die Ohren zuhielt, wenn man darüber sprach. Was in Dongarth schon einiges hieß.
Während wir rätselten, was die mächtigen Zauberer in so schlechte Laune versetzt haben mochte, klangen Rufe vom Ufer herüber. Die Treidelpferde blieben stehen. Die Meretha fuhr noch ein kurzes Stück weiter gegen den Strom, dann begann sie zurückzutreiben. Schnell warfen die Matrosen Anker aus und brachten den Lastkahn näher ans Ufer. Dort leuchteten Fackeln auf. Ich sah eine Gruppe von Männern in Lederrüstungen.
„Lassen Sie uns als erste von Bord gehen“, sagte ich zum Kapitän. „Wir sind besser bewaffnet.“
Sobald vom Kahn aus ein Steg aus Brettern zum festen Land gelegt war, balancierte ich mit gezogenem Degen ans Ufer. Man musste am Donnan vorsichtig sein bei solchen Aktionen. Sein Wasser war so verschmutzt, dass man sich die ekeligsten Krankheiten zuziehen konnte, wenn man damit in Berührung kam.
Bevor ich den Soldaten nahe genug kam, um ihre Abzeichen zu erkennen - königlich, fürstlich oder Söldner - schnitt ein scharf zentrierter Lichtstrahl durch die Dunkelheit. Eine mit Glaslinsen ausgestattete Sturmlaterne war entzündet worden. In ihrem Schein stand ein alter Mann, der sich auf einen Stock stützte. Seine Gestalt war jedoch nicht gebeugt, sondern aufrecht, und nicht nur wegen des Lichts vermittelte er den Eindruck, im Mittelpunkt zu stehen.
Ich steckte den Degen in die Scheide und ging auf ihn zu. Die Soldaten wichen zurück. Zwei Schritte von ihm entfernt fragte ich: „Was geht hier vor sich, Romeran?“
Der Leibdiener des Fürsten Borran winkte mich mit einer Handbewegung näher. Meine Freunde, die mir folgten, wies er mit einer ebenso eindeutigen Geste an, Abstand zu halten.
„Es herrscht Krieg, Herr von Reichenstein!“, sagte er leise, aber eindringlich.
Ich dachte, ich hätte mich verhört. „Krieg? Der Schutz des Berges Zeuth verhindert einen Krieg in den Ringlanden. Sind Räuberbanden unterwegs oder kämpfen kleine Trupps von Soldaten verschiedener Fürsten gegeneinander?“
„Es herrscht Krieg!“, wiederholte er energischer. „Das ist die Botschaft, die ich Ihnen von Fürst Borran überbringen soll. Er hat einen Auftrag für Sie.“
Dank der magischen Kraft des Berges Zeuth verlor in den Ringlanden jede größere Ansammlung von Bewaffneten an Kampfkraft. Ein Krieg war daher eigentlich unmöglich. Zumindest einer, wie man ihn in alten Geschichten und Märchen schilderte: Tausende von Rittern und Soldaten prallten in einer gewaltigen Schlacht aufeinander, in der die Schicksale von Königreichen entschieden wurden. Das mochte es draußen in der Welt, in weit entfernten Gegenden, heute noch geben. Aber in den Ringlanden könnte schon eine Handvoll unserer Soldaten einen Eindringling mit zehn Mal so vielen Kämpfern vernichtend schlagen.
„Wer sollte uns angreifen?“, fragte ich daher.
Romeran zog die Augenbrauen hoch. Ein Zeichen beginnender Verärgerung, das ich ignorierte. Die Situation schien mir zu absurd. Der achtzig Jahre alte Leibdiener des Fürsten unterbrach unsere Reise kurz vor dem Ziel, und das nachts, in Begleitung von Soldaten. Und nun sprach er von Krieg, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
„Im Norden dringen bewaffnete Trupps der Kaltländer in die Ringlande ein. Dörfer werden niedergebrannt, Bauernhöfe geplündert. Aber die Angreifer wissen um den Schutz des Berges Zeuth. Deshalb sind es immer nur Gruppen von bis zu zehn Kriegern, die in Kämpfe verwickelt werden. Doch es sind viele solcher kleiner Gruppen, und ihre Zahl steigt. Der Fürst von Malbraan, dessen Provinz am meisten betroffen ist, erkennt den Ernst der Lage nicht. Er glaubt, es handle sich um marodierende Banden, wie sie immer wieder einmal von Norden kommen. Aber dazu sind es zu viele und ihre Aktionen sind gut koordiniert.“
„Das ist vermutlich die Einschätzung von Fürst Borran“, sagte ich. „Ist er der Einzige, der einen größeren Angriff auf unser Land befürchtet?“
„So ist es. Die Königin-Witwe folgt dem Vorschlag der königlichen Ratsherren. Diese empfehlen, die Bekämpfung der Gegner den jeweiligen Fürsten zu überlassen. Die Ratsherren sind zu der Überzeugung gelangt, es handle sich um Räuberbanden, deren Auftreten durch zu große Milde unserer Gesetze befördert wird.“
Ich brauchte nicht zu fragen, wer Urheber dieser Einschätzung war. Den Vorsitz der königlichen Ratsherren hatten Rat Geshkan inne - ein Kurrether. Er war nach unserem Zusammenstoß in der Hafenstadt Kethal auf schnellstem Weg in die Hauptstadt zurückgekehrt. Ich hatte unterwegs, wenn die Meretha in Handelshäfen anlegte, von ihm gehört. Unter dem Schutz berittener königlicher Soldaten war Geshkan nach Osten geeilt. Überall hielt man die besten Pferde bereit, damit er ohne Zeitverlust die Reittiere wechseln und seine Reise fortsetzen konnte.
„Die Magier sind offenbar derselben Meinung wie Fürst Borran“, sagte ich und deutete auf den roten Schein in der Ferne.
Zum ersten Mal seit Beginn unseres Gesprächs bewegte sich Romeran. Er drehte sich leicht und sah zurück in Richtung Dongarth. Er schien überrascht, so als sehe er das Leuchten der Akademie zum ersten Mal. Dann wandte er sich wieder mir zu.
„Keiner weiß, was die Magi verärgert hat. Vor vier Tagen haben sie die Akademie versiegelt. Niemandem ist erlaubt, das Gebäude zu betreten oder zu verlassen. Selbst die Königin-Witwe hat keine Auskunft über den Grund dafür erhalten, als sie einen Emissär dorthin schickte. Man hat sein Klopfen am Eingangstor ignoriert. In der Stadt sind keine Magi mehr zu sehen. Sogar die Kampfmagier, die den königlichen Wachsoldaten zugeordnet sind, haben sich ohne Angabe von Gründen von ihren Dienstposten entfernt. Vermutlich halten sie sich nun in der Akademie auf.“
„Hat es so etwas früher schon einmal gegeben?“
„Nicht zu meinen Lebzeiten“, antwortete er. Was ja bedeutete, seit rund achtzig Jahren nicht.
„Was meint Fürst Borran dazu?“
„Er hat mich in seine Gedankengänge diesbezüglich nicht eingeweiht. Umso deutlicher hat er jedoch zum Ausdruck gebracht, welchen Auftrag er Ihnen erteilt. Darf ich also darauf zurückkommen?“
„Ich bitte darum“, sagte ich.
„Reiten Sie nach Norden, in die Provinz Malbraan. Vermeiden Sie es, gesehen zu werden. Vor allem: Erwähnen Sie nicht, für wen Sie unterwegs sind. Finden Sie heraus, was hinter den Angriffen steckt. Falls erforderlich, reisen Sie in die Kaltlande.“
Ich wollte einwenden, dass diese Reise Monate dauern würde, aber Romeran sprach weiter.
„Sie haben keinen diplomatischen Auftrag, denn den könnte Ihnen nur die Königin-Witwe erteilen. Doch Fürst Borran traut Ihnen zu, auch ohne offizielle Unterstützung wieder ein besseres Verhältnis zwischen den Ringlanden und den Kaltlanden herzustellen.“
Romeran sah mir das Erstaunen an. Er hob belehrend den Zeigefinger: „Das alles sollte schnell geschehen, noch vor Wintereinbruch. Es ist kaum möglich, danach das Ringgebirge zu überqueren.“
„Weiß Fürst Malbraan Bescheid?“
„Noch nicht. Sie werden ihn in Andalach aufsuchen. Ihm dürfen Sie sagen, dass Fürst Borran Sie geschickt hat. Allerdings werden Sie ihm einen falschen Grund als Anlass für Ihre Reise nennen. Behaupten Sie, Fürst Borran überlege, eine weitere Festung am Ringgebirge errichten zu lassen, und zwar in der Nähe von Khonstadt. Dort beginnt der Pass, über den der Handel abgewickelt wird.“
„Es ist seit Jahrhunderten keine neue Festung mehr gebaut worden!“, wandte ich ein. Alle Festungen in den Ringlanden unterstanden Fürst Borran, egal, in welcher Provinz sie sich befanden. Aber es gab seit Alters her nur sieben davon.
„Dies ist nur ein Vorwand!“ Romeran sah mich an wie einen dummen Schüler, der eine Aufgabe nicht verstanden hat. „Fürst Malbraan wird sich bei der Königin-Witwe rückversichern, ob der Bau wirklich beabsichtigt ist. Es wäre ein unerhörter Eingriff in seine Provinz. Aber bis er eine Antwort aus Dongarth erhält, werden zwei bis drei Wochen vergehen. Selbst wenn er einen schnellen Kurier nutzt. Bis dahin sollten Sie Andalach bereits wieder verlassen haben.“
„Und dann?“
„Wird man feststellen, dass ein Irrtum vorliegt und Sie eine Aussage von Fürst Borran falsch verstanden haben.“ Romeran wedelte die Einwände, die ich dagegen vorbringen wollte, mit einer Handbewegung beiseite. Er deutete an mir vorbei nach hinten. „Selbstverständlich können Ihre Freunde Sie begleiten, falls Sie das wünschen. Fürst Borran bittet sogar ausdrücklich darum, da Kämpfe gegen die Kaltländer kaum zu vermeiden sein werden. Er stellt Ihnen vier gute Reitpferde und zwei Packpferde zur Verfügung. Außerdem genügend Geld, um alle Hindernisse unterwegs und an Ihrem Ziel aus dem Weg zu räumen. Die Kaltländer sind ebenso bestechlich wie andere Menschen. Tun Sie sich also in dieser Beziehung keinen Zwang an.“
„Wie viel?“, fragte ich.
„Die Summe entspricht einhundert Golddukaten.“
„Das ist doch nicht Ihr Ernst!“, rief ich. „Mit dem Geld könnte ich mir ein großes Haus in Dongarth kaufen und vom Rest lange Jahre sorglos leben.“
„Dafür ist es nicht gedacht“, sagte Romeran streng. „Allerdings hat Fürst Borran die Absicht, Ihnen und Ihren Begleitern eine angemessene Belohnung zukommen zu lassen, wenn Sie Ihre Aufgabe in seinem Sinne erledigen.“
„Daran zweifle ich nicht. Aber warum ist das so dringend, dass wir nicht ein paar Tage in Dongarth verbringen können, um uns von der Reise zu erholen?“ Meine Frage war natürlich ein Vorwand. Die Fahrt stromaufwärts mit dem Lastkahn war erholsam gewesen. Gerade deshalb ich wollte wieder in die Stadt eintauchen, Leute treffen und, ich gebe es zu, auch die eine oder andere Nacht mit Jinna verbringen.
Romeran schien meine Gedanken zu ahnen. „Ihre Beweggründe sind nur zu verständlich. Allerdings hat Fürst Borran in der Hauptstadt das Gerücht verbreiten lassen, Sie und Ihre Begleiter seien bei Kämpfen unterwegs ums Leben gekommen. Es wäre mehr als ungünstig, wenn Sie unvermittelt lebend eintreffen.“
„Er hat was?“ Ich drehte mich um nach meinen Freunden, die so weit entfernt standen, dass sie unsere Unterhaltung nicht verfolgen konnten. Sie würden genauso wenig mit der Idee des Fürsten einverstanden sein wie ich.
„Diese List wird Ihnen die Reise nach Norden erleichtern. Wenn Sie gefragt werden, nennen Sie einen falschen Namen. Denken Sie sich einen unverdächtigen Grund dafür aus, dass Sie nach Andalach unterwegs sind. Dort angekommen, geben Sie sich dem Fürsten gegenüber zu erkennen, um ihm den Vorschlag mit der neuen Festung zu präsentieren.“
„Aber das geht doch gar nicht!“, protestierte ich. „Die Mannschaft der Meretha hat uns lebend gesehen und wird nicht den Mund halten.“
„Der Kapitän des Lastkahns bekommt von mir einen neuen Auftrag. Er wird so schnell wie möglich - das heißt, sofort! - zurückkehren nach Kethal. Dort soll er sich bei der Statthalterin des Fürsten melden. Ich werde ihm eine großzügige Anzahlung geben, ihn jedoch warnen, dass er den Rest nur erhält, wenn er sich an die Anweisungen hält.“
Ich hörte gar nicht richtig zu. Meine Gedanken waren bei Jinna. Wie mochte sie auf die Nachricht reagiert haben, ich sei tot? Mich betrauern, das sicherlich. Aber sie würde sich nach einigen Wochen einem neuen Mann zuwenden. Warum auch nicht? Das wollte ich keinesfalls zulassen.
Während ich noch nach einem Argument suchte, mit dem ich die Anweisungen des Fürsten ablehnen konnte, ohne ihn zu verärgern, führten Soldaten sechs Pferde heran. Vier waren bereits gesattelt, zwei weitere trugen Packtaschen.
„Rufen Sie Ihre Begleiter herbei, richten Sie sich die Sättel passend ein und machen Sie sich auf den Weg gen Norden!“, forderte Romeran. „Nutzen Sie für den ersten Abschnitt der Reise die Straße nach Andalach. Sie ist gut ausgebaut und bereitet auch im Dunkeln keine Probleme. Wenn Sie die Nacht durchreiten, können Sie bei Tagesanbruch zwanzig Meilen zurückgelegt haben. Von da an sollten Sie Städte meiden.“
„Ich muss persönlich mit Fürst Borran sprechen“, begann ich.
„Dazu ist keine Zeit! Sie können natürlich seinen Auftrag ablehnen, aber ...“ Romeran sprach nicht weiter, und das musste er auch nicht.
Ich rief Serron, Gendra und Martie zu mir und berichtete ihnen, was man von uns erwartete.
Romeran ging derweil hinüber zu dem Steg, der auf den Kahn führte. Dort standen der Kapitän und die Matrosen. Soldaten waren bei ihnen, was bestimmt nicht für gute Stimmung sorgte.
Meine Freunde machten es mir insofern leicht, als sie sofort dem neuen Reiseplan zustimmten. Die Statthalterin des Fürsten Borran in Kethal hatte uns in seinem Namen bereits für unsere geleisteten Dienste reichlich belohnt. Die drei hörten die Golddukaten förmlich klimpern, die sie nun zu verdienen hofften. Sie unterstützten nicht einmal meine Absicht, zunächst nach Dongarth zu gehen.
„Da man in der Stadt das Gerücht über unseren Tod in Umlauf gesetzt hat, wäre es eine Sensation, wenn wir kurz darauf lebendig auftauchen“, wandte Gendra ein. „Das würde sich in den ganzen Ringlanden herumsprechen.“
Serron hatte wie immer den klarsten Kopf und durchschaute die Hintergründe: „Ich vermute, Fürst Borran hat mit der Todesnachricht in erster Linie die Kurrether im Sinn. Sie sollen glauben, wir können ihre Pläne nicht mehr durchkreuzen, wie wir es an der Küste getan haben.“
Das war ein Gedanke, der mir einleuchtete. „Du meinst also, die Aktion richtet sich gegen sie?“, fragte ich nach.
„Wo immer in den Ringlanden etwas Wichtiges geschieht, haben sie ihre Finger im Spiel. Der Verdacht liegt nahe, dass das ebenso für die Probleme gilt, von denen dir Romeran berichtet hat.“
Martie und Gendra stimmten Serron zu, und schließlich auch ich. Wir sahen uns die Pferde an. Es waren gesunde, ausdauernde Reittiere, aber nicht so wertvoll, dass sie unterwegs auffielen. Ihre Sättel waren von guter Qualität und mit ein paar Handgriffen auf unsere jeweiligen Bedürfnisse eingerichtet. Die Packpferde trugen alles, was man für eine längere Reise benötigte, einschließlich warmer Umhänge, Schlafdecken und Proviant.
Als ich mich wieder zur Meretha umwandte, zogen die Matrosen bereits den Steg ein. Das Schiff würde in die Mitte des Stromes treiben, wenden und zurück nach Westen fahren.
Romeran kam zu mir. „Ich sehe, Sie haben Ihre Entscheidung getroffen“, sagte er zu uns allen. „Seien Sie versichert: Es ist die richtige. Sie werden in Andalach einen Kontaktmann des Fürsten Borran treffen. Ihnen, Herr von Reichenstein, überreiche ich nun das Geld und einen Umschlag, in dem Sie weitere Hinweise auf diese Person und eine Nachricht finden. Verwahren Sie dieses Schreiben gut. Und jetzt muss ich mich von Ihnen verabschieden. Meine Pflichten rufen mich zurück in die Residenz des Fürsten. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.“
Er wandte sich um und ging. Gleich darauf hörte ich die Räder einer Kutsche, die im Dunkeln auf ihn gewartet hatte. Die Soldaten stiegen auf ihre Pferde und ritten davon.
Wir standen bald alleine am Ufer des Donnan.
„Was nun?“, fragte Gendra.
„Wir müssen bei Nacht die Brücke nach Norden überqueren“, sagte ich, „und zwar ungesehen.“
„Die befindet sich zwischen dem Händlerwasen und der Stadtmauer“, wandte Martie ein. „Dort sind auch nachts Leute unterwegs. Die Tavernen am Ufer des Stroms sind immer gut besucht.“
„Der schmale Weg direkt am Wasser wird in der Dunkelheit selten benutzt“, überlegte ich laut. „Man kann leicht ausrutschen und in den Strom fallen. Wenn wir die Pferde führen, sollte es uns gelingen, ungesehen zu passieren. Kommt uns jemand zu nahe, so steigen wir auf und preschen im Galopp über die Brücke. Wir tragen dunkle Umhänge, die Pferde sind schwarz und sicherlich schnell. Niemand wird uns erkennen, niemand kann uns aufhalten.“
„Na, gut. Los!“
Wir ritten ein paar Mal auf dem freien Platz entlang des Ufers hin und her, um die Pferde kennenzulernen. Dann wollten wir dem Weg folgen, den ich vorgeschlagenen hatte.
Wir kamen nicht weit.
Mein Pferd blieb unvermittelt stehen. Ich dachte, das Tier habe noch nicht verstanden, was ich von ihm will. Aber dann merkte ich, wie es zitterte und kurz davor war, auszubrechen. Ich versuchte, es zu beruhigen, und sah aus den Augenwinkeln, dass es meinen Freunden ebenso erging wie mir.
Die beiden Packpferde rissen die dünnen Leinen durch, an denen sie geführt wurden, und galoppierten davon. Aber nicht weit. Unvermittelt blieben sie stehen.
Alle Tiere erstarrten. Was auch immer die Ursache dafür war, sie verhielten sich nicht normal. Ich sprang aus dem Sattel und zog den Degen.
Die Pferde glotzten nun bewegungslos in dieselbe Richtung. Mir kam es vor, als wäre es das rötliche Leuchten der Magischen Akademie, das sie beeinflusste. Meine Vermutung war nicht ganz richtig.
Aus der Dunkelheit kamen mehrere Menschen auf unsere Gruppe zu. Meine Freunde standen kampfbereit neben mir und warteten auf die ersten verdächtige Bewegung der Fremden. Mit einem kurzen Blick sah ich, dass Serron den Bereich rechts von uns im Auge behielt. Martie drehte sich um und sicherte nach hinten. Vor ihm stand Gendra, um ihm den Rücken freizuhalten. Als eingespielte Kampfgefährten mussten wir uns nicht absprechen, um richtig auf eine Bedrohung zu reagieren.
Vier Personen waren es, die nun ein paar Schritte von uns entfernt stehenblieben. Es wurde hell, als hätte jemand eine Laterne entfacht. Aber das Licht entstand einfach mitten in der Luft. Nun war endgültig klar, wem wir gegenüber standen: Das waren Magier aus der Akademie. Trotzdem steckte ich den Degen nicht weg. Ein Stück Stahl kann auch einen Magier bremsen - falls es ihn erreicht.
Ein Mann trat vor und zog die Kapuze seines Umhangs zurück.
Ich war ihm bereits früher einmal begegnet. Er trug, im Gegensatz zu den meisten seiner Zunft, den Vollbart elegant gestutzt. „Magi Achain?“, fragte ich, ohne die Waffe zu senken. Dieser Gelehrte war Experte für magische Artefakte. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum ausgerechnet er hier war.
Er begrüßte mich mit einem Kopfnicken. „Ich will Sie nicht auf Ihre lange Reise gehen lassen, ohne ein paar Empfehlungen auszusprechen. Keine Sorge, die Magische Akademie ist auf der Seite des Fürsten Borran, auch wenn wir bisher nicht mit ihm darüber gesprochen haben.“
„Warum nicht?“, wollte ich wissen. Nun steckte ich den Degen weg. Aber meine Freunde würden wachsam bleiben. Die Umstände waren zu ungewöhnlich, als dass wir uns auf die Friedlichkeit der Magier hätten verlassen dürfen.
„Es schien nicht opportun“, wich er aus. „Kommen Sie näher und zeigen Sie mir den Ombudstein.“
Eigentlich hätte er nichts von dem großen Diamanten wissen dürfen. Zumindest nicht, dass der sich in meinem Besitz befand. Villur Schank hatte ihn mir gegeben, nachdem der Vorbesitzer - der Händler Mons Barrarat - ermordet worden war. Barrarat wiederum hatte den Edelstein von einem Reisenden aus dem fernen Land Ostraia bekommen. Dort galten diese länglich geschliffenen Diamanten als Zeichen besonderer Würde und einer hohen Stellung.
Zögernd holte ich das in ein dünnes Stück Leder gewickelte Schmuckstück heraus. Sein immenser Wert würde mich zum Ziel aller Verbrecher der Ringlande machen, sollte sich herumsprechen, dass ich es immer bei mir trug.
Achain streckte seine Hand aus und sagte dabei: „Niemand ist eingeweiht, Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Ich möchte nur herausfinden, ob dieser Ombudstein eine magische Wirkung entfaltet.“
Der fingerlange Diamant glitzerte in dem magischen Licht, das uns umgab, während Achain ihn vorsichtig hin und her drehte. Die kleinen, dunklen Augen des Magi begannen selbst zu leuchten, als ginge eine Kraft von ihnen zu dem Gegenstand seines Interesses über.
Einen Moment später gab er ihn mir zurück. „Nein, der Stein ist frei von magischer Aufladung. Verwahren Sie ihn gut, Sie werden ihn noch brauchen.“
„Das klingt, als wüssten Sie Bescheid über meine bevorstehende Reise“, sagte ich.
„In der Akademie gibt es Vermutungen über das, was im Norden unseres Landes und jenseits davon vor sich geht“, antwortete er. „Wir wollen, dass Sie bestmöglich auf das vorbereitet sind, was Sie erwartet. Zeigen Sie mir Ihre Waffe.“
Wieder streckte er die Hand aus. Ich zog den Degen und hielt ihn quer vor mich, damit er die Gravur am Ansatz der Klinge sehen konnte. Es war das Symbol des alten Kaiserreichs, die fünfzackige Krone über dem Löwen.
Erneut schienen seine Augen aufzuleuchten, während er die Waffe betrachtete. Dann nickte er. „Ein Kaiserdegen. Eines der wenigen Relikte dieser Art in den Ringlanden. Er wird Ihnen wertvolle Dienste leisten. Bitte erlauben Sie, dass meine Begleiter auch die Waffen Ihrer Freunde in Augenschein nehmen.“
„Die besitzen keine besonderen ...“, begann ich.
„Eben deshalb.“
Ich hatte inzwischen genügend Zutrauen zu ihm gefasst, um Martie und Gendra durch ein Kopfnicken mein Einverständnis zu signalisieren. Sie zogen ihre Schwerter und ließen sie von den zwei Männern begutachten, die auf sie zutraten.
Interessanter war es mit Serron. Er trug zwar einen Dolch am Gürtel, aber das war eine Allzweckwaffe, wie sie jeder bei sich hatte. Seine eigentliche Bewaffnung bestand aus Wurfdolchen, die überall in seiner Kleidung versteckt waren. Er war nie bereit gewesen, zu zeigen, wo und wie sie dort befestigt waren, selbst mir gegenüber nicht.
Der vierte Magier ging zu ihm und zog seine Kapuze zurück. Er entpuppte sich als eine junge Frau mit kurz geschorenen Haaren und einer Tätowierung auf der rechten Wange. Sie lächelte, streckte die Arme aus und machte eine Geste, bei der sie ihre Hände bogenförmig um Serrons Gestalt herumführte.
Helle Flecke erschienen an verschiedenen Stellen seines Umhangs, auf seiner Jacke und seiner Hose. So rasch, wie sie aufleuchteten, verschwanden sie wieder.
Es geschah selten, dass ich meinen Freund fassungslos sah, weil das nicht seinem ausgeglichenen Charakter entsprach, aber diesmal war er es. Er starrte an sich hinunter und dann die Frau an, während sein Mund sich bewegte, ohne dass er etwas sagte.
Die Magi nickte, als wolle sie seine Überraschung bestätigen, zog ihre Kapuze über und kehrte ins Halbdunkel hinter Achain zurück.
„Keine der Waffen hat eine magische Wirkung“, begann Achain. „Das war zu erwarten. Sie sind auch nicht mit Flüchen belegt. Allerdings waren sie bisher nicht gegen Magie versiegelt, um einen Missbrauch zu verhindern. Das haben wir nun vollzogen.“
„Was heißt das?“, wollte ich wissen.
„Nehmen Sie es einfach so hin“, sagte Achain. „Sie alle können nun Ihren Waffen vertrauen, auch wenn Ihnen magische Wesen feindlich gegenüberstehen.“
„Wir können sie töten?“
„Nicht nur das. Sie selbst können nicht von Ihren eigenen Waffen getötet oder verletzt werden. Es gibt da viele Möglichkeiten, die ein guter Magier hat, um seine Gegner mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Aber genug geredet, beginnen Sie nun Ihre Reise. Der Auftrag, den Sie zu erfüllen haben, ist wichtig für die Zukunft der Ringlande. Ich wünsche Ihnen Erfolg!“
Ich wollte ihm nachgehen und ihn festhalten, um mehr zu erfahren. Offenkundig war er nicht nur über den Plan des Fürsten Borrat informiert, sondern kannte auch die Gefahren, die im Norden der Ringlande auf uns warteten.
Nun erging es mir wie vorher unseren Packpferden: Ich kam nicht vom Fleck. Ich konnte nur in die Dunkelheit starren, die uns umgab, nachdem das magische Licht erloschen war.
Nach einer Weile schwand das Gefühl, gefangen zu sein. Ich konnte mich wieder bewegen. Aber es war sinnlos, nun noch den Magiern zu folgen. Wir machten uns auf den Weg nach Norden.