Читать книгу Der Weg des Goldes - Manfred Rehor - Страница 9
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Vier Reiter in schwarzen Umhängen, die zwei Packpferde hinter sich führten, stachen aus dem frisch gefallenen Schnee sicherlich deutlich heraus. Wir waren meilenweit zu sehen. Deshalb mussten wir uns bei nächster Gelegenheit weiße Kleidung besorgen, und auch entsprechende Decken für die Pferde.
Seit wir Andalach verlassen hatten, waren drei Tage vergangen. Von der Hauptstadt der Provinz Malbraan aus waren wir in die Höhenlagen der Mittelgebirge geritten. Dort war der Winter bereits eingezogen. Aber wir würden ihn hoffentlich wieder hinter uns lassen, wenn es weiter nach Norden in tiefer gelegene Gebiete ging - zumindest vorübergehend.
Das Land bis hin zum Anstieg des Ringgebirges würde dann wieder flacher sein, und auch auf den Wald freuten wir uns. Er hielt den eisigen Wind ab, der jetzt durch alle Kleidungsschichten drang.
Aber noch befanden wir uns auf den kahlen Höhenzügen und folgten der Straße nach Nordosten. Das letzte Dorf lag zwei Tage zurück. Das war auch das letzte Mal gewesen, dass wir warm und sicher in Betten geschlafen hatten. Ich kannte die Verhältnisse im Winter in hohen Lagen aus meiner Kindheit und Jugend, aber meine drei Begleiter waren überrascht. So kalt hatten sie es sich nicht vorgestellt. Serron ließ sich nichts anmerken. Martie und Gendra jedoch, die früher als Soldaten und in den letzten Jahren als Söldner überall in den Ringlanden unterwegs gewesen waren, hatten es immer geschafft, kalten Wintern in nördlichen Gebieten zu entgehen. Nun wussten sie, warum das Sinn machte.
Als wir in der Ferne Rauchwolken sahen, hofften wir auf eine gut geheizte Unterkunft. Umso größer war unsere Enttäuschung, als wir einige niedergebrannte Hütten erreichten. Die Überreste mehrerer geschlachteter Schafe wiesen darauf hin, wer hier gelebt hatte. Die anderen Tiere der Herde waren anscheinend geflohen. Hinter einer noch halb stehenden Holzwand fanden wir fünf Leichen. Alle waren durch Schwerthiebe umgekommen. Man hatte sie teilweise ihrer Kleidung beraubt. Vielleicht sah es aber nur so aus, weil ihre Mörder alle Kleidungsstücke nach Wertsachen durchsucht hatten.
„Fünf Tote, alle nur bewaffnet mit Dolchen, einer mit Pfeil und Bogen“, fasste Serron zusammen. „Den Spuren nach mindestens acht Angreifer, die auf Pferden von Norden kamen. Sie haben das Fleisch der frisch geschlachteten Tiere mitgenommen. Das spricht dafür, dass sie wenig Proviant bei sich haben, also schon lange unterwegs sind.“
„Oder aber sie wollen Dörfer meiden, in denen sie Vorräte kaufen können“, überlegte ich. „Das würde auch erklären, warum sie uns nicht begegnet sind. Sie sind nicht der gut ausgebauten Straße gefolgt.“
„Es waren erfahrene Kämpfer“, kommentierte Martie. „Sie haben kaum Spuren hinterlassen. Die Hufen ihrer Pferde sind das einzig verräterische. Solche Hufeisen werden in den Ringlanden nicht verwendet.“
„Ich habe noch nie davon gehört, dass Kaltländer überhaupt Pferde züchten“, gab ich zu. „Aber es scheint logisch zu sein. Wie sonst soll man lange Strecken überwinden?“
„Sie haben eigene Rassen“, sagte Serron. „Klein, mit einem langen, zottigen Fell. Perfekt für die Kälte, die im Norden die meiste Zeit des Jahres herrscht.“
„Du meinst also, es waren Kaltländer?“, sagte ich.
„Wer sonst?“
„Bezahlte Söldner; marodierende Soldaten, die ihre Einheiten verlassen haben; Mitglieder von Räuberbanden; Kurrether, die falsche Spuren legen wollen“, zählte ich auf. „Um nur einige Möglichkeiten zu nennen.“
„Könnte alles sein. Ist aber unwahrscheinlich, oder?“ Serron deutete auf die Straße. „Eigentlich müssten hier regelmäßig Erztransporte von den Goldminen entlangkommen, die nach Gandacker unterwegs sind. Wir sind aber keinem begegnet. Entweder, sie wagen sich nicht auf die Strecke, oder sie werden abgefangen.“
„Wir werden es sehen. Dort hinten führt die Straße in einem Bogen nach unten. Folgen wir ihr, solange wir Tageslicht haben. Hoffentlich finden wir eine windgeschützte Stelle, an der wir unser Nachtlager aufschlagen können.“
Wir wanderten weiter auf dem Weg, der nun in Schleifen hinab führte in die bewaldeten Regionen der Provinz. Diese Wälder waren bekannt für die wertvollen Hölzer, die man schlagen konnte, aber auch für die Kräuter, die auf Lichtungen und am Waldrand wuchsen. Die berühmtesten Heiler und Heilmagier der Ringlande stammten aus dieser Landschaft.
Wie erhofft schirmte uns der Wald ab vom Wind und erleichterte uns und unseren Pferden die Reise. Als es dunkelte, suchten wir abseits der Straße eine Lichtung. Wir entdeckten eine, die aber genauso düster war wie der Wald selbst. Leider befanden sich weder ein Bach noch eine Quelle in der Nähe, nur eine sumpfige Senke, von der wir die Pferde fernhielten. Wir gaben ihnen aus unseren Wassersäcken zu saufen. Es wuchs aber auch kein Gras auf dieser Lichtung. Eine dichte, weiche Decke aus alten Tannennadeln lag auf ihr.
Wir beschlossen, einzeln Wache zu halten, jeder zwei Stunden, damit keinem zu viel Schlaf fehlte. Gendra fing an und ich wickelte mich in meine Decke. Der weiche Untergrund war angenehm, und ich sank schnell in Schlaf. Mein letzter Gedanke beschäftigte sich mit der Frage, warum hier auf dieser weiten Lichtung nichts wuchs. Groß genug war sie, die Sonne musste tagsüber kräftig herein leuchten und der Schnee war in diese Gegend noch nicht vorgedrungen. Vielleicht lag es aber auch nur an der Jahreszeit.
Ich schreckte hoch, als Gendra mich weckte.
„Hörst du die Vögel?“, flüsterte sie.
Tatsächlich klangen einzelne Vogelrufe durch die stockfinstere Nacht. Der Neumond stand als schmale Sichel am Himmel, lieferte aber kaum genug Licht, um Gendras Gesicht direkt vor mir zu sehen. „Welche Vogelart könnte das sein?“, fragte ich zurück.
„Weiß ich nicht. Ich dachte an deine Freunde, die Elfen. Sie haben sich ja schon einmal so angekündigt.“
Ich hörte genauer hin. „Nein, das klingt nicht wie fröhliches Zwitschern. Eher krächzend und aggressiv.“
„Oder warnend“, sagte eine Stimme neben mir.
Serron war auch aufgewacht. „Ich schlage vor, wir fachen das Feuer an, ziehen uns dann aber bis zum Waldrand zurück. Falls ein Gegner kommt, können wir ihn sehen, wenn er sich dem Lagerfeuer nähert. Unsere Pferde lassen wir, wo sie sind.“
Gendra weckte Martie und wir setzten diesen Plan um. Serron, der dank seiner Wurfmesser als einziger von uns einen Angreifer auch auf eine gewisse Entfernung töten konnte, verließ den Lagerplatz sofort. Er fungierte als unsere Rückendeckung. Gendra stand mit gezogenem Schwert abseits und passte ebenfalls auf. Martie und ich fachten die Glut des Feuers an. Wir warfen den ganzen Vorrat an trockenem Holz hinein, den wir für den Morgen bereits aufgeschichtet hatten. Sobald die Flammen hoch in den Himmel loderten, wollte ich den Lagerplatz verlassen.
Es wäre beinahe zu spät gewesen. Denn es war kein Feind von außen, der es auf uns abgesehen hatte, sondern einer von unten.
Der Boden gab langsam unter meinen Füßen nach.
Es war ein seltsames Gefühl. Als würde ich im Sumpf einsinken. Zunächst verstand ich gar nicht, was vor sich ging. Ich sah nicht auf das Feuer, sondern hinaus in die Dunkelheit, um den Gegner rechtzeitig zu sehen. Martie neben mir verhielt sich ebenso.
Als Gendra aufschrie und ich mich nach ihr umwandte, erkannte ich, dass unser Lagerfeuer einen guten Schritt tief in den Boden gesunken war. Und es rutschte weiter nach unten weg.
Nun verstand ich, worauf es ankam, wenn auch nicht, warum. Ich rannte auf den Waldrand zu, so schnell ich konnte, und stieß dabei Warnungen und Flüche aus. Denn die Schritte fielen mir immer schwerer. Auch den Grund dafür erkannte ich erst mit einiger Verspätung. Die trockenen Tannennadeln, die eine so dicke, weiche Schicht zu bilden schienen, rutschten davon, nach unten auf das Feuer zu. Dadurch gaben sie den Untergrund frei. Dort, wo wir unser Lagerfeuer entzündet hatten, war der Boden fest gewesen, zumindest hatte er uns so geschienen. Nun sah ich, dass er aus einem feinen Gespinst bestand, das so nachgiebig war wie zuvor, aber klebrig. Wir waren in eine Falle geraten, wer auch immer sie gelegt hatte. Darüber konnte ich nachdenken, wenn ich in Sicherheit war.
Ich zog meinen Degen und hieb versuchsweise in den Boden vor meinen Füßen. Dabei war mir, als würde ich unter dem Gespinst etwas Hartes treffen. Tatsächlich erfolgte eine Reaktion. Es war, als zucke der Erdboden selbst zusammen. Dann wölbte er sich ein wenig nach oben. Ich gelangte dadurch wieder ein paar Schritte näher an die nächsten Bäume heran. Meine Stiefel schienen so fest mit dem Gewebe des Bodens verbunden zu sein, dass ich sie kaum noch anheben konnte. Ich hätte sie abstreifen können, aber die Furcht, dann mit den bloßen Füßen am Boden festzukleben, hielt mich davon ab. Mit äußerster Kraft schaffte ich noch zwei weitere Schritte - und stand tatsächlich auf festem Untergrund.
Weil ich nun nicht mehr festklebte und viel zu kräftig die Beine nach oben zog, stolperte ich vorwärts. Beinahe wäre ich mit dem Kopf gegen den Stamm eines Tannenbaums gestoßen. Serron griff nach mir und zog mich beiseite.
„Das war knapp“, sagte er.
„Wo sind Martie und Gendra?“, fragte ich.
„Links von uns. Sie sind in Sicherheit. Wir haben Glück gehabt, dass die Vögel uns rechtzeitig gewarnt haben.“
Ich sah ich um und entdeckte die Reste des Lagerfeuers, das nun im Zentrum eines mindestens vier Schritte tiefen Trichters glühte. Wobei ich den Eindruck hatte, es sei größer als vorher.
„Die trockenen Tannennadeln sind hineingerutscht“, erklärte Serron. „Sie haben die Flammen fast erstickt, aber eben nicht ganz. Ich schätze, jetzt brennt sich die Glut durch diese Last hindurch und dann gibt es einen Flammenstoß, der meilenweit zu sehen sein wird.“
„Hoffentlich lockt das nicht Gegner an“, sagte ich.
„Das ist unser kleinstes Problem.“ Serron deutete in die Dunkelheit seitlich von uns. „Nur zwei unserer Reitpferde und eines der Packpferde haben sich in Sicherheit bringen können. Ich fürchte, die anderen sind entweder bereits Opfer des Waldbodens geworden, oder aber sie werden dort unten in dem Feuerstoß verbrennen. Ebenso, wie ein Teil unserer Ausrüstung.“
Wir hatten die Satteltaschen von unsern Reittieren abgenommen, wie auch die Lasten von den Packpferden. Das meiste, was wir bei uns gehabt hatten, war nach unten in diese unheimliche Senke verschwunden.
Gendra und Martie kamen zu uns. Wir konnten uns nun gegenseitig gut erkennen, obwohl es Mitternacht sein musste. Der Glutkern im Zentrum des Trichters leuchtete in hellem Rot. Dann erfolgte das, was Serron vorausgesagt hatte: Mit einer Stichflamme brach das Feuer heraus. Das Licht blendete mich, als sie in den Himmel stieg. Doch nur wenige Atemzüge später fiel sie wieder in sich zusammen.
Ich beugte mich vor und sah nach unten. Der Trichter war noch tiefer geworden und an seinem Grund, in der Umgebung des Flammenkerns, bewegte sich etwas.
„Besser, wir fangen unsere übrig gebliebenen Pferde ein und verschwinden von hier“, sagte Martie. „Was auch immer dort unten lauert, ich möchte nicht hier sein, wenn es nach oben gekrochen kommt.“
Dem konnte ich nur zustimmen. Wir fanden unsere Tiere recht schnell, denn sie waren so verschreckt, dass sie uns genauso zu suchen schienen wie wir sie.
In einem Bogen bewegten wir uns zwischen den Bäumen zurück zur Straße. Die drei Pferde an den Zügeln führend gingen wir weiter, bis wir wieder eine windgeschützte Stelle fanden. Ohne unsere Schlafdecken und die andere Ausrüstung wurden es noch einige kalte Nachtstunden, in denen keiner von uns schlief.
In der Morgendämmerung gingen wir weiter, in der Hoffnung, uns durch schnelles Marschieren genügend Wärme zu verschaffen. Nach drei Stunden entdeckte Martie im Wald weitab vom Weg eine Holzhütte.
„Falls sie bewohnt ist, kann man uns dort helfen“, sagte er. „Wenn nicht, bietet sie uns zumindest Schutz. Vielleicht finden wir auch Gegenstände, die wir nutzen können.“
Wir verließen die Straße und gingen querfeldein auf die Hütte zu. Beim Näherkommen entdeckte ich einen feinen Faden Rauch, der kaum erkennbar aus dem Schornstein drang. Sofort teilten wir uns. Ich ging voran, Gendra folgte mir mit ein paar Schritten Abstand. Serron ging etwas abseits und Martie sicherte nach hinten. So waren wir am wenigsten angreifbar.
Bevor ich die Tür erreichte, öffnete sie sich. Ein alter Mann mit einem langen Bart sah uns entgegen. Er trug einen dunklen Umhang, der schäbig wirkte und an vielen Stellen geflickt worden war. Aber es handelte sich eindeutig um den Umhang eines Magiers.
Die Vorliebe dieser Zunft für lange Bärte war legendär, doch nicht jeder, der sich nie rasierte, beherrschte die Magie. Aber niemand, der nicht die Akademie des Zeuth in Dongarth absolviert hatte, würde es wagen, den Umhang eines Magi zu tragen.
Ich blieb stehen und deutete eine Verbeugung an. „Wir sind Reisende, die durch ein Unglück einige ihrer Pferde und ihre Ausrüstung verloren haben“, begann ich.
„Ein Unglück?“, rief er mit einer hohen, krächzenden Stimme. „Einer Trichterspinne seid ihr in die Falle gegangen. Wie kann man nur so dumm sein?“
Serron trat neben mich. „Da, wo wir zu Hause sind, werden Trichterspinnen kaum größer als ein Fingernagel“, sagte er. „Uns war nicht bekannt, dass sie hier in den nördlichen Landesteilen solche riesigen Fallen bauen können.“
Der Alte kicherte. „War euch nicht bekannt, was? Ja, das kann wohl sein. Mir war es bis vor ein paar Monaten auch nicht bekannt, obwohl ich seit Jahrzehnten in diesem Wald lebe.“ Er zeigte mit dem krummen Zeigefinger seiner zitternden rechten Hand nacheinander auf uns. Es schien, als würde jedes Mal ein kurzes Zucken durch den Finger laufen, wenn er auf jemanden deutete.
„Dürfen wir eure Hütte betreten?“, fragte ich. „Uns friert.“
„Betreten? Ja, wieso eigentlich nicht? Kommt herein. Wer hat eigentlich eure Waffen mit einem Schutzbann belegt?“
Da er in der Lage war, das zu erkennen, sah ich keinen Grund, es ihm zu verschweigen.
„Magi Achain und einige andere Mitglieder der Akademie haben uns eine gute Reise gewünscht“, behauptete ich, nachdem wir unsere Namen genannt hatten. „Dabei versprachen sie, unsere Waffen mit einem Schutz zu versehen.“
„Achain? Hat der junge Spund es tatsächlich geschafft, die Prüfung zu bestehen?“ Der Alte schüttelte ungläubig den Kopf. „Hat seinerzeit nichts als Streiche gespielt, statt zu lernen. Aber er war ganz gut, wenn es um das Bestimmen von Artefakten ging. Nicht so gut wie ich, versteht sich, aber für so einen Lausejungen ziemlich begabt.“
„Er ist heute einer der angesehensten Magier der Akademie“, sagte ich und konnte mir nicht verkneifen, hinzuzufügen: „Und er trägt einen kurzen Bart, der bereits erste Spuren von Grau zeigt. Reden wir von derselben Person?“
„Kann sein. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich schon hier lebe. Der Wald ist zeitlos. Er kennt die Tage, die Mondwechsel, die Jahreszeiten. Aber darüber hinaus kennt er nur das Wachsen und Vergehen von Bäumen. Achain ist also ein reifer Mann und angesehen. Wieso hat er euch nicht begleitet?“
„Warum sollte er?“, fragte ich verblüfft. Während wir uns unterhielten, sah ich mich in der Hütte um. Sie war größer als vermutet und hatte zwei Fenster, deren Scheiben aber verschmutzt waren. Alte Möbel standen herum, Kochgeschirr stapelte sich in einer Ecke. Im Kamin brannte ein Feuer, das angenehm wärmte. Ich konnte nicht genau erkennen, was dort brannte. Holz jedenfalls war es nicht, vielleicht Holzkohle. Das erklärte wohl auch, warum der Kamin so wenig Rauch in den Himmel schickte.
„Achain hat eure Waffen gegen magische Beeinflussung geschützt, also erwartet er, dass ihr auf eurer Reise einem Magier begegnet, der euch feindlich gesinnt ist“, sagte der Alte. „Dass er dies getan hat, beweist sein Engagement für die Sache, in der ihr unterwegs seid. Weshalb er, um eure Reise sicherer zu machen, euch hätte begleiten können. Denn der Schutz eurer Waffen wirkt nur gegen deren Beeinflussung. Allen anderen magischen Einflüssen seid ihr nach wie vor schutzlos ausgeliefert.“
Der Alte kicherte wieder, während er einen an der Decke hängenden Schinken herunter nahm und auf den Tisch legte. Aus einer Lade holte er einen Kanten Brot und legte ihn daneben. „Ausgeliefert seid ihr, jawohl! Sogar einem wie mir und den Trichterspinnen.“ Er deutete auf die Sachen auf dem Tisch. „Greift zu. Es ist ein weiter Weg bis zum nächsten Dorf. Ihr müsste bald wieder los, wenn ihr vor Einbruch der Nacht dort sein wollt.“
Ich ließ mir das nicht zwei Mal sagen. Es gab nur einen Stuhl, deshalb griff ich im Stehen nach dem bereitliegenden Messer und schnitt mir nicht zu knapp von dem geräucherten Schinken ab.
„Da ihr ein Absolvent der Akademie seid, sollten wir von euch nichts zu befürchten haben“, sagte ich kauend. „Im Gegensatz zu diesen monströsen Spinnen. Ihr sagtet, Ihr wisst auch erst seit einigen Monaten von deren Existenz. Sind sie aus einem anderen Gebiet eingewandert?“
Der Schinken schmeckte wunderbar mild, das Fleisch war zart und der Speck saftig. So perfekt bekam man ihn selbst in den besten Feinkostgeschäften der Hauptstadt nur selten zu kaufen. Auch meine Freunde waren begeisterte und schnitten sich schon die nächsten dicken Scheiben ab.
„Nein, es sind dieselben kleinen Spinnen, die es hier schon immer gab. Nur größer, eben. Da hat wohl jemand mit Magie nachgeholfen. Ein Magier der nicht so nett ist wie der alte Zarkos, nicht wahr? Vielleicht sogar derjenige, gegen den eure Waffen geschützt sind.“
„Ihr heißt Zarkos?“, fragte Serron. „Ich erinnere mich, diesen Namen gehört zu haben, als ich klein war. Zarkos der Magier, der den Kindern und den Tieren hilft. Aber die Erwachsenen und böse Menschen verachtete er. Ich dachte, das sei eine Sagengestalt, erfunden, um Kindern die Angst vor der Magie zu nehmen.“
„Man erzählt noch heute von mir?“ Die Augen des alten Mannes leuchteten auf. „Ja, ich hatte immer etwas übrig für Kinder und Tiere. Aber der Rest der Menschen, der kann mir gestohlen bleiben. Deshalb habe ich mich in den Wald zurückgezogen.“
„Um auf die Spinnen zurückzukommen“, unterbrach ich ungeduldig. „Ihr sagtet, sie seien verwandelt worden? Von einem Magier?“
„Ja, so muss das wohl sein. Monster sind meist Wesen, die aus ganz gewöhnlichen Gegenständen, Tieren oder sogar Menschen geschaffen werden. Manchmal absichtlich, manchmal aus Versehen.“
„Man kann Monster aus Versehen erschaffen?“, fragte Gendra.
„Magier sind nicht vollkommen“, antwortete Zarkos und lachte in sich hinein. „Sogar ich habe da das eine oder andere Mal daneben gegriffen. Passiert eben. Wichtig ist, dass man auch wieder beseitigen kann, was man versehentlich geschaffen hat.“
„Ein Magier, der Monster hervorbringen kann, ist wohl ziemlich mächtig“, mutmaßte ich. „Das wird einem Novizen der Akademie nicht gelingen.“
„Das kann man wohl sagen. Dazu muss man Meister sein, und zwar ein guter. Es gab da zwei oder drei zu meiner Zeit, aber das ist lange her. Wollt ihr eigentlich den ganzen Tag hier herumstehen? Macht euch auf den Weg! Die Sonne steigt höher, und ihr müsst eine Herberge finden, bevor sie wieder untergeht. Die kommenden Nächte werden kalt. Und gebt künftig besser Acht auf scheinbar leere Flächen im Wald.“
„Habt ihr eigentlich etwas von Kämpfen gehört, die im Norden der Provinz Malbraan ausgebrochen sein sollen?“, fragte ich, als wir in der Tür standen.
„Und ob. Ich musste einige Male eingreifen, um Dörfer und Bauernhöfe zu beschützen. Es wird höchste Zeit, dass jemand etwas gegen die Skjargarder unternimmt.“
„Skjargarder?“, fragte ich. Diesen Begriff hatte ich noch nie zuvor gehört.
„Ja, die wagen sich immer weiter vor. Die Thorgarder haben inzwischen Angst, da hineingezogen zu werden. Dabei wissen sie gar nicht, was eigentlich los ist. Ein paar von denen sind auch hier in den Wäldern unterwegs. Also verwechselt sie nicht, wenn ihr ihnen begegnet. Nicht, dass ihr die Falschen angreift!“
„Wir kennen beide Begriffe nicht“, beeilte ich mich, zu sagen. Denn der Alte war schon dabei, die Tür hinter uns zu schließen.
„Oh, ihr werdet den Unterschied schnell herausfinden. Vielleicht heute schon. Und nun los, vertut nicht noch mehr Zeit.“
„Eine Frage noch!“, rief Gendra. „Wie räuchert ihr den Schweineschinken, dass er so wunderbar wird?“
„Schwein?“ Zarkos kicherte. „Das war doch kein Schwein! Das war ... Aber was soll’s, kann euch doch egal sein. Verschwindet jetzt!“
Damit schloss er die Holztür. Wir standen einen Moment unschlüssig herum. Dann nahmen wir die Riemen unserer Pferde, suchten den Rückweg zur Straße und marschierten flott voran, um die Kälte nicht zu sehr zu spüren.
Das Dorf, das wir kurz vor Sonnenuntergang erreichten, machte einen kläglichen Eindruck. Holzhütten und schiefe Scheunen bestimmten das Bild. Dazwischen große Holzstöße, die durch einfache Bretterdächer vor Regen und Schnee geschützt wurden. Zu Heizen hatte man hier sicherlich genug Vorrat für den Winter. Aber ansonsten wirkte alles so ärmlich, dass ich bezweifelte, hier auch nur genügend zu Essen zu bekommen für die Weiterreise. Ganz zu schweigen von Ausrüstungsgegenständen, Kleidungsstücken und Futter für unsere Pferde.
Doch die Dörfler überraschten uns. Die Hütte, die uns als Taverne empfohlen wurde, erwies sich als stabil und winddicht. Die Fenster aus dünnen Tierhäuten ließen genug Licht herein, um sich zu orientieren, und vor allem: Es war warm!
Wir erwähnten, dass wir bei Zarkos dem Magier gewesen waren. Die Leute in der Taverne verlangten zu hören, wie es dazu gekommen war und was er gesagt hatte. Wir berichteten von unserem Abenteuer, während wir gutes Bier tranken und reichlich aßen. Niemand zweifelte an, was wir erzählten, was uns verwunderte.
Nach dem Essen brachte man uns zum einzigen Krämer am Ort. Dessen Laden alles bot, was wir für die Reise benötigten. Zwar nicht in der Qualität, die wir gerne gehabt hätten, aber gut genug. Zum Glück hatte ich auf der Flucht vor der Riesenspinne meinen Umhang nicht verloren. In dessen Innentaschen befand sich das Geld, das uns Romeran im Auftrag des Fürsten Borran übergeben hatte. Ich konnte also die geforderten Preise bezahlen, wodurch unser Ansehen bei den Dorfbewohnern weiter stieg. Es schien sich überhaupt um einen gutmütigen Menschenschlag zu handeln, der vom Baumfällen und von der Jagd lebte.
Wir übernachteten im Heuschober hinter der Taverne, denn Gästebetten gab es nicht. Aber es war dort warm genug und wir verbrachten eine erholsame Nacht. Nur ein Gedanke hielt mich für kurze Zeit vom Einschlafen ab. Als wir den delikaten Schinken erwähnten, den uns Zarkos vorgesetzt hatte, lachten die Dörfler wissend auf. Aber sie wollten uns nicht sagen, von welchem Tier das Fleisch stammte. Wir tippten auf wilde Schweine oder auf eine Sau, die von einem der Bauernhöfe stammte, die es in der Umgebung gab. Aber die Leute nickten sich augenzwinkernd zu, während wir redeten. Was in aller Welt hatte Zarkos uns da serviert?
Am folgenden Morgen waren wir reisefertig. Sogar ein viertes Pferd konnten wir samt Sattel und Zaumzeug erstehen, allerdings für einen horrenden Preis. Einen provisorischen Sattel für das Packpferd herzustellen gelang dann auch noch. Auf dem würde Martie reiten, der mit Tieren immer am besten auskam.
Wir ließen uns den vor uns liegenden Weg beschreiben. Einen halben Tagesritt weiter befand sich das nächste Dorf, das größer war als dieses hier. Dort würden wir weitere Vorräte und Ausrüstungsgegenstände kaufen können. Auch gab es eine Taverne mit einem großen Schlafsaal, falls uns das lieber war, als im Heu zu übernachten. Wir könnten dann aber auch weiterreiten und würden rechtzeitig vor Hereinbrechen der Nacht ein Städtchen mit Namen Wardingen erreichen. Dort gab es alles, was das Herz begehrte, zumindest das Herz dieser hinterwäldlerischen Dörfler.
Wir verabschiedeten uns, saßen auf und wollten losreiten, als Gendra noch einmal die Frage nach dem geräucherten Schinken stellte.
Diesmal erhielten wir eine Antwort.
„Zarkos der Weise tötet keine Tiere und er isst auch nicht das Fleisch von Tieren, die für ihn getötet werden. Er lebt nur von Pflanzen, Früchten und Honig und was der Wald ihm sonst bietet. Wenn er Fleisch hat, so stammt es vom Kadaver eines Wildtieres, das irgendwo verendet ist. Ich will gar nicht wissen, um was es sich diesmal gehandelt haben mag. Niemand von uns würde es essen, und auch Zarkos räuchert es sich nur für Notzeiten. Vielleicht hatte er gerade sonst nichts im Haus, als ihr zu ihm kamt.“
Die Dörfler lachten über unsere Gesichter, während wir davonritten.