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Das Dorf hieß Bringg und lag zwischen den Hügeln des Höhenzugs, der das flache Land nordwestlich von Dongarth vom Tal des Sall trennte. An besonders sonnigen Abhängen in seiner Umgebung standen Rebstöcke, ansonsten bestimmten Obstbäume und Weideflächen das Bild der Landschaft. Weit auseinander liegende Gehöfte und vereinzelte Dörfer entlang der Straße zeigten, dass dieses Gebiet zwar dünn besiedelt, aber nicht arm war. Die Häuser sahen sauber und stabil aus, die meisten verfügten über Glasfenster. Die Zäune entlang der Weideflächen wiesen keine Löcher auf, sie wurden offenkundig bei Bedarf sofort ausgebessert.

Bringg war so etwas wie das Zentrum des ganzen Landstrichs. Hier gab es einen Heiler, einen kleinen Tempel, von dessen Gott ich noch nie gehört hatte, und Händler für all die Waren, die man in den umliegenden Dörfern benötigte. Darüber hinaus hatte Bringg aus meiner Sicht den Vorzug, nicht an der wichtigen Verbindungsstraße zwischen der Hauptstadt und Andalach zu liegen.

Vier Reiter mit zwei Packpferden waren sicherlich kein ungewohnter Anblick für die Landbevölkerung, aber doch einer, an den man sich vielleicht eine Zeitlang erinnerte. Deshalb wichen wir von der direkten Verbindung der beiden großen Städte ab und hielten uns südlich davon. Selbst wenn wir hier auffielen, würde kaum jemand die Leute in den Dörfern und auf den Höfen fragen, ob Fremde durchgekommen waren. Dazu lagen sie zu weit abseits.

Ich war während meiner mehrjährigen Wanderschaft aus meiner Heimatprovinz Krayhan nach Dongarth durch diese Region gekommen und hatte sie in guter Erinnerung. Die Menschen waren nicht gerade von überströmender Freundlichkeit gegenüber Fremden. Aber im Allgemeinen doch umgänglich und freizügig. Sie sprachen einen Dialekt, den Außenseiter kaum verstehen konnten, bequemten sich aber gerne, sich verständlich auszudrücken, wenn sie merkten, dass man ein Fremder war.

Deshalb hatte ich keine Bedenken, am vierten Tag unserer Reise in Bringg ein Gasthaus aufzusuchen, um wieder einmal in einem Bett zu schlafen. Unsere Pferde konnten eine Pause ebenso gut gebrauchen wie wir, und wir wollten die Vorräte auffüllen. Während unserer bisherigen Reise hatten wir immer unter freiem Himmel übernachtet. Der Herbst war sonnig, aber die Nächte schon kalt, weshalb es nicht gerade angenehm war, im Freien zu schlafen.

Niemand in Dongarth würde uns hier vermuten. Einmal ganz davon abgesehen, dass man uns dort sowieso für tot hielt, falls stimmte, was Romeran sagte.

Wir hatten mehr als genug Zeit gehabt, die Ereignisse in jener Nacht am Ufer des Donnan immer wieder zu besprechen. Insbesondere Serron hegte den Verdacht, der Fürst habe einfach dafür sorgen wollen, dass wir die Hauptstadt nicht betraten. Uns nach Norden zu schicken könnte ein Vorwand sein. Das hielt ich für übertriebenes Misstrauen gegenüber den Motiven des Fürsten Borran. Ich kannte den Mann lange genug, um ihm so eine Scharrade nicht zuzutrauen. Und dass die Magier uns aufgesucht hatten, war auch ein unerhörter Vorgang, der für die Wichtigkeit unseres Auftrags sprach.

Das größte Gasthaus in Bringg hieß Zum Märrelmann. Namensgeber war offenbar eine Figur aus der Volkssage, ein haariger, buckeliger Riese, der auf dem Schild dargestellt war, das über dem Eingang hing.

Ein Helfer kam heraus, kaum dass wir von den Pferden stiegen, und versprach, die Tiere nach hinten in den Stall zu bringen und zu versorgen. Unsere Bündel nahmen wir mit hinein, aber das Abladen der Packpferde überließen wir gerne ihm. Es war nichts Wertvolles in den Packen, und als wir sagten, wir würden Zimmer mieten, versprach er, alles dorthin bringen zu lassen.

Der Speiseraum des Gasthauses, in den man von der Straße aus trat, war gut besucht. Den gebräunten, verwitterten Gesichtern nach zu urteilen, stammten die meisten Gäste aus dem Dorf und seiner Umgebung. Sie waren es gewohnt, den ganzen Tag unter freiem Himmel zu arbeiten. Aber in einer Ecke saßen zwei Männer und eine Frau, die besser gekleidet waren als die anderen, und eher wie Städter aussahen.

Der Wirt kam und fragte nach unserem Begehr. Schnell waren zwei Zimmer gemietet und im Voraus für eine Nacht bezahlt - ein großes für Martie, Serron und mich, ein kleines für Gendra. Dann setzten wir uns an einen Tisch und ließen auftragen.

Eine Stunde später war ich satt und müde. Das Bier wirkte nach den Anstrengungen der Reise doppelt und ich wollte ins Bett. Deshalb reagierte ich zunächst ungehalten, als ein Mann an unseren Tisch kam. Er gehörte zu den drei Städtern, die mir beim Hereinkommen aufgefallen waren. Graue Strähnen durchzogen seinen Kinnbart, seine Hände waren ungewöhnlich stark behaart. Er wirkte kräftig und schlau, auch wenn das Alter seine kleine Gestalt bereits gebeugt hatte.

„Haram Gonn“, stellte er sich vor. „Ich bin Händler und unterwegs nach Vinheim. Haben Sie denselben Weg?“

„Warum?“, fragte ich grob, ungehalten wegen der Störung.

„Ich suche Reisegefährten. Der Strecke ist gefährlicher als zu früheren Zeiten. Räuberbanden haben es auf das Gut und das Leben von Händlern abgesehen - und von jedem anderen, der ihren Weg kreuzt.“

„Woher wissen Sie, dass wir keine Räuberbande sind?“, fragte ich. Unsere Waffen waren ihm sicherlich nicht entgangen.

Er grinste. „Sie sind von Süden gekommen und sehen aus wie Großstädter. Also stammen Sie vermutlich aus Dongarth. Auch Ihre Aussprache weist darauf hin. Sie sind weit gereist, halten sich beim Trinken zurück und reagieren nicht erfreut, wenn ein Händler Sie um Hilfe bittet. Ein Räuber würde diese Gelegenheit willkommen heißen. Also, wie steht es?“

„Bringen Sie Waren nach Vinheim?“, fragte Gendra.

„Nur Werkzeuge für Küfer. Bandhaken und solche Sachen. Es gibt viele Werkstätten in den Weinbaugebieten entlang des Sall. In Vinheim kaufe ich dann Wein und transportiere ihn nach Nordosten, manchmal bis nach Kerrk, je nachdem, wo ich ihn verkaufen kann.“

„Warum sollten Räuberbanden einen Transport mit Küfereiwerkzeugen überfallen?“, wollte Serron wissen.

„Weil sie in den letzten Monaten jeden angreifen, der sich nicht zu wehren weiß“, begründete Haram Gonn. „Inzwischen gibt es so viele von ihnen, dass sie sich gegenseitig das Geschäft verderben. Sie nehmen alles, was sie bekommen können.“

„Setzten Sie sich zu uns“, forderte ich ihn auf. „Erzählen Sie uns mehr davon.“

Was wir in der folgenden halben Stunde erfuhren, war uns bisher nicht bekannt gewesen. Vielleicht wusste man es in der Hauptstadt Dongarth. Aber in den Städtchen und Dörfern am Unterlauf des Donnan, den wir ja auf der Meretha wochenlang entlang getreidelt waren, hatte es niemand erwähnt. Es lief darauf hinaus, dass Fürst Malbraan nach und nach die Kontrolle über seine Provinz verlor. Räuberbanden wurden nicht mehr verfolgt, Vergehen kaum noch geahndet. Früher schickte der Fürst Soldaten aus, um allzu dreiste Verbrecher zu fangen und hinzurichten, aber nun kümmerte sich niemand mehr darum. Gerüchte besagten, dass es im Norden der Provinz so erhebliche Probleme gab, dass der Fürst seine gesamte Streitmacht dorthin geschickt hatte.

Das führte dazu, dass die Städte ihre Stadtwachen verstärkten und die Tore nachts schlossen - soweit sie über eine Stadtmauer verfügten. Man überließ die Landbevölkerung, die Händler und die Reisenden sich selbst. Sie waren leichte Opfer für die Räuber. Bauernhöfe wurden geplündert, Häuser niedergebrannt und so viele Fuhrwerke ausgeraubt, dass bald der Handel zum Erliegen kommen würde, weil sich niemand mehr auf die Straßen wagte.

„Warum sind Sie dann noch mit Ihren Waren unterwegs?“, fragte ich Haram Gonn.

Er grinste, als er antwortete: „Wer den Gefahren trotzt, verdient in solchen Zeiten besonders gut. Die Küfer in den Weinbaugebieten brauchen Werkzeuge. Gehe ich das Risiko ein, sie ihnen zu liefern, kann ich den doppelten Preis fordern - und den bezahlen sie auch. Gleiches gilt für den Wein, den ich dann weiter transportiere. Ich verdiene an einem Fass heutzutage so viel wie sonst an dreien.“

„Und warum heuern Sie keine Söldner an, die Ihre Transporte beschützen?“, wollte Martie wissen. Er und Gendra verdienten manchmal auf diese Weise ihr Geld, wie so viele andere ehemalige Soldaten auch.

„Aus demselben Grund“, sagte Gonn. „Söldner verlangen heute das Doppelte und mehr des üblichen Solds, und die Vertrauenswürdigen unter ihnen sind gar nicht mehr zu bekommen. Die haben sich von den Vermögenden in der Provinz und von den Städten zu deren Schutz anwerben lassen.“

„Dann sollten wir es uns gut bezahlen lassen, falls wir mit dem Händler Gonn weiterreisen“, sagte Martie augenzwinkernd zu mir.

Geld und Gold waren aber nicht unser Problem, das wusste er. Also wandte ich mich an den Händler und sagte: „Wir können bis Vinheim gemeinsam reisen und wir fordern keine Bezahlung dafür. Aber wir waren so lange in anderen Teilen der Ringlande unterwegs, dass wir kaum etwas über die Ereignisse im Norden wissen. Als Gegenleistung für unsere Begleitung wünsche ich mir daher, alles zu erfahren, was Sie wissen. Und Empfehlungsschreiben an Händler und andere Leute, die Sie zwischen hier und dem Ringgebirge kennen.“

Er nickte und schien erleichtert, so billig davon gekommen zu sein. „Einverstanden. Meine zwei Wagen stehen hinter dem Gasthaus, wo die Männer der Dorfwache ein Auge auf sie haben. Morgen, eine Stunde nach Sonnenaufgang, fahren wir weiter.“

„Wir werden bereit sein“, versprach ich.

Am folgenden Vormittag ritten wir auf einer schmalen Straße neben den beiden Wagen des Händlers her. Unser Weg führte in weiten Windungen zwischen den Hügeln hindurch, die nun die Landschaft bestimmten. Bald würde das Gelände spürbar ansteigen und uns in die Höhenlagen des Mittelgebirges führen, bevor es auf der anderen Seite wieder nach unten ging ins Tal des Sall.

Die Frau, die wir am Vortag am Tisch des Händlers gesehen hatten, hieß Inda und war mit seinem Teilhaber Kar Andar verheiratet. Gonn saß auf dem Kutschbock des ersten Wagens und Kar mit seiner Frau auf dem des zweiten. Beide Wagen waren mit Planen überdeckt und dienten zumindest auf dieser Reise auch als Unterkunft für die Nacht. Die Werkzeuge, die sie transportierten, befanden sich in vier großen Kisten, die kaum ein Drittel der Ladeflächen einnahmen. Ab Vinheim sollten die Wagen voll beladen sein mit Weinfässern. Dann mussten der Händler und seine Begleiter unter freiem Himmel übernachten, auch wenn es schon Winter sein würde.

„Wir sind harte Leute“, kommentierte Gonn das, als ich ihn erstaunt ansah. „Solange es nicht so kalt ist, dass es dem Wein schadet, fahren wir.“

Er erinnerte mich von seiner Einstellung her an den Weinhändler Yazan Zocher, den wir auf dem Donnan kennengelernt hatten. Allerdings wies er nicht den Körperumfang Zochers auf und hatte auch nicht dessen Vorliebe für gutes, reichliches Essen. Nachdem wir während einer ersten Rast am Mittag den Proviant der drei Händler gesehen hatten, aßen wir lieber von unseren eigenen Vorräten. Sie ernährten sich ziemlich karg.

Dörfer lagen keine mehr direkt an unserem Weg. Wir kamen nur an Straßenkreuzungen vorbei, an denen einfache Hinweisschilde mit den Namen von Siedlungen oder großen Bauernhöfen angebracht waren. Vor allem aber begegnete uns niemand, was ein geradezu unheimliches Gefühl in mir auslöste. Die Straße war gut instand gehalten, mit dicken Steinen gepflastert und deshalb für Fuhrwerke geeignet. Mit unseren Reitpferden hielten wir uns lieber abseits, um die Hufeisen zu schonen. Deshalb konnten wir nicht mit den drei Händlern reden, außer wenn wir uns kurze Informationen zuriefen. Aber dass weder andere Wagen, noch Kutschen mit Reisenden, noch Reiter unterwegs waren, schien mir ein schlechtes Zeichen. War wirklich das ganze Leben in diesem Teil der Ringlande zum Erliegen gekommen?

Am Abend fanden wir einen Rastplatz, der durch eine Gruppe von Bäumen und Büschen vor Wind geschützt war. Während ich darauf wartete, dass das Feuer hochloderte, fragte ich Gonn nach dem Grund für die Leere auf der Straße.

„Habe ich doch gesagt“, behauptete er, um dann hinzuzufügen: „Aber so verlassen war die Gegend vor sechs Wochen noch nicht, als wir das letzte Mal hier entlang gekommen sind. Ich werde für meine Waren noch höhere Preise verlangen. Es scheint sich tatsächlich niemand mehr auf die Straße zu trauen.“

Die Nachtwachen waren schnell eingeteilt: Haram Gonn, den wir nun wie die anderen beiden duzten, übernahm mit Gendra die ersten drei Stunden, die nächsten dann Serron mit Kar und Inda. Die letzte Wache vor dem Morgengrauen, würde ich mit Martie bestreiten, weil das die gefährlichste Zeit war. Die Nächte waren bereits deutlich länger als im Sommer, neun Stunden Dunkelheit mussten überbrückt werden. Und wir wollten nicht weiterreisen, solange wir nicht sehen konnten, was vor, neben und hinter uns vor sich ging.

Als Martie mich weckte, um mit ihm zusammen diese letzten drei Stunden auf die Wagen, Pferde und unsere Begleiter aufzupassen, war Kar noch wach. Er hatte einen kurzen Säbel in der Hand, aber er wirkte nicht, als wüsste er gut damit umzugehen. „Ich kann nicht schlafen“, behauptete er. „Ich teile die Wache mit euch.“

Das Feuer war herunter gebrannt, nur die Glut glomm noch durch die Asche. Ich trug meinen warmen Umhang und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Der Himmel war klar, Mond und Sterne deutlich zu sehen. Deshalb war es nicht völlig dunkel. Martie zog sich in den Schatten eines der Wagen zurück, während Kar und ich zwei Bäume als Rückendeckung wählten, die nahe beieinander standen.

Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich gegen den Baumstamm. Es war schwer, nicht wieder einzuschlafen, deshalb suchte ich nach Gedanken, die mich wach halten würden. Jinna im Handelshaus Oram war so eine Vorstellung, und ich malte mir aus, wie sie bald aufstehen würde, um sich den täglichen Geschäften zu widmen.

Der Überfall auf uns erfolgte, als schon die ersten Farblinien des Morgens am Horizont zu sehen waren. Dabei gefährdeten sich die Räuber eher selbst als uns. Ich hörte, wie sich mehrere Menschen durch das Gebüsch kommend den beiden Wagen näherten. Sie waren es nicht gewohnt, nachts unterwegs zu sein, denn sie stießen gegen Bäume und Büsche, zischten wütend und flüsterten sich Warnungen zu. Zusätzlich verursachten sie beim Gehen Geräusche durch knackende Zweige und raschelndes Laub. Im ersten Moment glaubte ich, ein paar Kinder spielten Räuber im Wald.

Ich wartete in aller Ruhe ab, bis die Unbekannten die Feuerstelle zwischen den Wagen erreicht hatten. Als zu befürchten war, dass sie in die Wagen eindringen könnten und jemand dabei zu Schaden kam, brüllte ich ihnen eine Warnung zu. Sie sollten stehenbleiben, wo sie waren, oder sie würden sterben.

Im nächsten Moment waren Kar und Martie zwischen ihnen, während ich den Rückweg in die Büsche abschnitt. Gonn sprang aus seinem Wagen und Gendra mit Serron aus dem anderen. Sie entzündeten Fackeln, aber da lagen die Angreifer schon bewusstlos auf dem Boden. Zwei hatte Martie erledigt, einen ich. Mit dem Griff meines Degens hatte ich ihn an der Schläfe getroffen, als er abhauen wollte.

„Bauernlümmel“, stellte Gonn nach einem Blick auf die Diebe fest. „Wahrscheinlich gierig geworden, als sie in der Dorfschenke Geschichten über Räuberbanden gehört haben. Fesselt sie und werft sie auf die Ladefläche.“

Diese Anweisung galt Kar und uns. Wir befolgten sie. Keiner der drei Angreifer war lebensgefährlich verletzt. Wir würden einen Umweg machen und sie in einem der Dörfer der Umgebung dem Dorfwachmann übergeben.

Gonn nahm den Vorfall nicht weiter ernst. Ebenso, wie wenig später der Dorfvorsteher. Er kannte die drei jungen Männer.

„Taugenichtse“, sagte er abfällig. „Die Abreibung wird ihnen guttun. Wir sperren sie eine Woche in den Kerker, damit sie es nicht so schnell wieder vergessen.“

Als wir hinausgingen, bemerkte ich, wie der Blick des Dorfwachmannes über unsere Waffen wanderte. Vielleicht begegnete er nur selten Männer mit hochwertigen Degen, Schwertern und Säbeln. Oder es waren bewundernde Blicke. So ganz war mir das nicht klar.

Wir beschlossen, in diesem Dorf eine Mittagspause einzulegen, denn der Umweg mit den langsamen Wagen über die unbefestigten Straßen hatte lange gedauert. Nach einer Stunde waren wir satt und ausgeruht und machten uns wieder auf den Weg.

Ich stieg in den Sattel, die Wagen ruckten an. Erneut fiel mir der Dorfwachmann auf. Er stand an der Ecke des letzten Hauses und beobachtete uns. Sobald er außer Sicht war, kam Serron an meine Seite.

„Das gefällt mir nicht“, sagte er.

„Der Wachmann?“, fragte ich zurück.

„Ja. Und die drei Männer, die in der offenen Scheune gleich hinter dem Dorf mit Pferden beschäftigt waren.“

„Die sind mir nicht aufgefallen“, gab ich zu. „Was ist mit ihnen?“

„Sie hatten Säbel bei sich. Und es waren vier Pferde, aber nur drei Männer.“

„Du meinst, der Wachmann und die drei haben es auf uns abgesehen?“

„Unmöglich ist es nicht. Wir kommen nicht besonders schnell voran. Sie könnten uns außer Sichtweite überholen und eine Falle stellen.“

„Hältst du es für wahrscheinlich, dass der Dorfwachmann zu einer Bande gehört?“, wollte ich wissen. „Der Vorsteher machte doch einen ganz vernünftigen Eindruck. Er würde so etwas nicht dulden.“

„Trotzdem. Rede du mit Haram Gonn. Ich informiere Martie und Gendra.“ Er lenkte sein Pferd zur Seite auf den ersten der beiden Wagen zu.

Auch Haram hielt Serrons Befürchtungen für übertrieben. Immerhin ließ er aber anhalten. Wir besprachen die Strecke, die vor uns lag.

„Dort vorne beginnt wieder die gepflasterte Straße“, erklärte der Händler und zeigte nach Westen. „Sie führt zwischen den beiden Hügeln hindurch und geht dahinter leicht bergauf. Es ist ein unübersichtliches Gelände, weil der Wald bis an die Straße heranreicht. Außerdem gibt es eine scharfe Kurve um einen Felsblock herum, der größer ist als ein Haus. Solche Blöcke gibt es mehrere hin dieser Gegend. Niemand weiß, wie sie hierher gelangt sind.“

„Eine Kurve?“, fragte ich.

„Fast eine Schleife, weil die Straße hinter dem Felsen ein wenig zurückweicht, um dann einen Hügel hochzuführen. Wenn uns jemand auflauert, dann dort. Zumindest, wenn er nicht sehr schlau ist.“

„Warum das?“, fragte ich.

„Weil an der Stelle früher immer wieder Überfälle verübt wurden. Jeder, der die Strecke kennt, sieht sich vor.“

„Dann werden wir das auch tun“, sagte ich. „Können uns die Räuber kommen sehen?“

„Nein. Außer, sie postieren einen Beobachter abseits im Wald oder klettern auf den Felsblock hinauf.“

„Gut. Ich schlage vor, wir fahren ganz unbedarft bis dorthin. Dann treiben wir unsere beiden Packpferde voraus. Vielleicht fallen die Räuber darauf herein und starten vorzeitig einen Angriff.“

Haram grinste. „Nette Idee. Wie gesagt, es müssen dumme Räuber sein, um dort zuzuschlagen. Und das wäre der Typ Mensch, der auch auf so einen Köder reagiert.“

Langsamer als bisher bewegten wir uns weiter, bis wir den Felsblock sahen. Er war wirklich so groß wie ein zweistöckiges Haus und sah aus, als habe ein Riese ihn am Ende eines Hügels in die Landschaft gestellt. Sollte jemand von dort oben Steine auf uns herunterwerfen oder uns mit Pfeilen beschießen, so hätten wir keine Möglichkeit, dem Angreifer zu entkommen. Umgekehrt hatten wir niemanden dabei, der über Pfeil und Bogen verfügte und zurückschießen konnte. Eine Schwachstelle in unserer Bewaffnung, wie ich nun erkannte. Wir waren eben Städter und auf einen Kampf in den Straßen vorbereitet.

Martie, der sich am besten mit Tieren verstand, trieb die beiden Packpferde vor uns her, noch bevor wir sehen konnten, ob jemand auf uns wartete.

Unsere Gegner waren wirklich dumm und unerfahren. Sie lauerten direkt hinter der scharfen Kehre, alle vier nebeneinander stehend wie eine lebende Straßensperre. Die Packpferde waren irritiert von dem unerwarteten Hindernis in ihrem Weg. Sie scheuten und brachen nach der Seite hin aus.

Wir hätten in dem Moment die vier Männer einfach über den Haufen reiten können, so überrascht waren sie. Aber dabei hätten sie vielleicht unsere Pferde durch Hiebe mit den Säbeln verletzt, also galoppierten wir auf sie zu und sprangen kurz vor ihnen ab.

Der Kampf dauerte nur Sekunden. Martie, Gendra und ich hieben mit unseren Waffen auf die Räuber ein. Serron blieb hinter uns und nutzte seine Wurfmesser, sobald er freie Bahn hatte. Zwei der Angreifer starben, darunter der Dorfwachmann. Die beiden anderen flohen humpelnd in den Wald.

Ich ließ sie entkommen. Was hätten wir mit ihnen anfangen sollen, falls wir sie gefangen nahmen? Im nächsten Dorf wäre es uns vielleicht ebenso ergangen wie in dem, aus dem sie stammten. Andererseits wäre es eine unnötige Grausamkeit gewesen, sie zu töten. Sollten sie also nach Hause zurückkehren und erzählen, wie es einem erging, der versuchte, Reisende zu überfallen.

Haram, Kar und Inda waren bei den Wagen geblieben. Sie kamen nun zu uns und betrachteten die Toten, während Martie die beiden Packpferde einfing und beruhigte. Der Händler und seine beiden Begleiter wirkten weder schockiert noch ängstlich. Mir war ihr Verhalten nicht recht erklärlich. Schließlich hatten sie gerade einen Überfall beobachtet, den sie vielleicht nicht überlebt hätten, wenn sie alleine gereist wären. Waren sie überzeugt, sie wären auch ohne uns mit den Angreifern fertig geworden? Oder gehörte diese Art von Gefahr inzwischen ganz selbstverständlich zu ihrem Leben als Händler?

„Die Zustände hier in der Provinz Malbraan müssen schlimmer sein, als ich dachte“, sagte ich. „Wenn die Ordnung so zusammengebrochen ist, dass sogar Wachmänner zu Verbrechern werden, kann man sich auf nichts mehr verlassen.“

Haram ging darauf nicht ein. Er bückte sich und sammelte Säbel und Schwert auf, die am Boden lagen. Außerdem durchsuchte er die beiden Toten und nahm beiden je einen Dolch ab. Das Kleingeld, das er fand, steckte er den Leichen wieder in die Taschen.

„Ich bin Händler“, erklärte er auf meinen fragenden Blick hin. „Die Waffen sind von schlechter Qualität, aber ein wenig bringen sie auf dem nächsten Markt bestimmt ein. Warum sollte ich sie liegenlassen? Ich behalte sie als Ausgleich für den Ärger, den ihre ehemaligen Besitzer uns gemacht haben.“

„Werden wir nicht Probleme bekommen?“, fragte Gendra. „Schließlich war der eine da ein Dorfwachmann. Egal wie niedrig sein Rang ist, er steht im Dienst des hiesigen Fürsten.“

„Ach, was!“ Haram machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wahrscheinlich war der Kerl vom herrischen Typ, unter dem die Bevölkerung des ganzen Dorfes zu leiden hat. Die werden uns dankbar dafür sein, dass wir sie von ihm befreit haben. Glaubt mir, ich kenne die Zustände hier auf dem Land besser als ihr Städter. Außerdem ...“

Er beugte sich über den toten Mann, starrte in die verzerrten Gesichtszüge und schien sich auch die Lippen genau anzusehen. Anschließend zog er dessen Augenlider hoch. Das wiederholte er bei unserem zweiten Opfer.

„Hätte ich mir denken können. Die Seuche hat sich bis hierher ausgebreitet.“

„Hatten die beiden eine ansteckende Krankheit?“, fragte ich überrascht, denn er hatte die Toten ohne zu zögern angefasst.

„Nein, das meine ich nicht mit Seuche. Im Norden der Ringlande hat sich eine Unsitte breitgemacht, die immer weiter um sich greift. Die Menschen rauchen, aber nicht den teuren Tobacco, sondern Kräuter, die sonst nur ein Heiler einsetzen darf. Man fühlt sich eine gewisse Zeitlang gut dadurch, aber im Laufe der Monate verliert man den Verstand.“

„Ich habe Gerüchte darüber gehört“, sagte Serron. Er war, wie so oft, besser informiert als ich. „Man nennt es Oochaja-Kraut.“

„Wenn die Ringlande untergehen, wird dieses Zeug einen großen Anteil daran haben.“ Haram spukte aus vor Abscheu. „Es macht die Menschen erst abhängig, dann krank, dann bringt es sie um.“

„Woran erkennt man, ob jemand dieses Kraut raucht?“, wollte ich wissen.

„An einer leicht grünlichen Verfärbung der Augen. Das kommt vom Gift. Und an bräunlichen Lippen. Das kommt vom häufigen Rauchen.“

„Du hast gesagt, dass es den Menschen den Verstand raubt“, sagte Serron. „Könnte das der Grund für den unüberlegten Angriff auf uns sein?“

„Nein, die hatten es auf Geld abgesehen. Oochaja-Kraut kostet viel, und je länger man es benutzt, desto mehr davon benötigt man, um dieselbe Wirkung zu erzielen. Ganze Regionen, vor allem entlang des Gebirges, verfallen in Armut, weil die Leute alles, was sie haben, für Oochaja ausgeben. Und da jemand im Rausch nicht arbeiten kann, verdienen sie umso weniger.“

Ich war ziemlich fassungslos über das, was ich da hörte. „Warum erfährt man davon nichts in der Hauptstadt?“, fragte ich. „Wenn es so um sich greift, müssen die Fürsten dagegen vorgehen. Wenn nicht sogar das Königshaus.“

Haram schüttelte den Kopf. „Die Einen sagen, Fürst Malbraan habe sich jede Einmischung verbeten. Er will selbst mit dem Problem fertig werden, bevor es auf die übrigen Provinzen übergreift.“

„Und was sagen die Anderen?“, fragte ich, als der Händler nicht weitersprach.

Er zögerte, bevor er antwortete: „Dass die Kurrether dahinter stecken. Da sie in allen Provinzen, in allen Städten und vielen Dörfern ganz oben in der Verwaltung beschäftigt sind, wissen sie natürlich davon. Aber sie greifen nicht ein oder besser gesagt: Sie beraten die Fürsten, Magistrate und großen Handelsherren dahingehend, dass diese nicht eingreifen.“

„Warum sollten sie das tun?“

„Warum tun Kurrether irgendetwas?“, fragte Haram heftig zurück. „Weil sie daran verdienen!“

Gendra mischte sich nun in unser Gespräch ein: „Wenn man ihnen eines nicht vorwerfen kann, dann ist es Geldgier. Viele von ihnen arbeiten ohne festen Lohn.“

„Glaubst du? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, warum sie in großen Häusern leben und alles, was sie besitzen, vor Gold glänzt? Wo kommt ihr Reichtum her, wenn sie ihn nicht durch ihre Arbeit verdienen?“

„Vermutlich bringen sie ihn aus ihrer Heimat mit“, sagte ich. Das war die allgemein akzeptierte Erklärung für diese Ungereimtheit. Ob sie stimmte, war eine andere Frage. Auf jeden Fall diente sie dazu, den Unmut der Bevölkerung zu besänftigen, wenn das Thema aufkam.

„Niemand weiß, wo ihre Heimat ist“, stellte Haram fest. „Angeblich verraten sie das nicht einmal den Fürsten und der Königin-Witwe. Nein, die Wahrheit sieht ganz anders aus. Die Kurrether ...“

Kar Andar, der bisher mit Inda schweigend neben uns gestanden hatte, legte dem Händler die Hand auf die Schulter. „Genug geredet“, sagte er. „Wir müssen weiter. Sollen wir hier herumstehen, bis die Aasfresser kommen, um die beiden Kadaver zu beseitigen?“

Haram blinzelte einen Moment irritiert und wurde rot im Gesicht. Aber dann nickte er und sagte: „Du hast recht. Wir haben einiges an Zeit aufzuholen. Auf die Wagen!“

Ich deutete auf die beiden Leichen. „Wollt ihr sie etwa hier liegenlassen?“

„Zwei von ihnen sind entkommen. Falls die ihr Ehrgefühl noch nicht durch das verdammte Kraut verloren haben, werden sie zurückkehren, sobald wir weg sind. Tun sie es nicht, so waren es die beiden Toten nicht wert. Los jetzt, ich sehe dunkle Wolken am Horizont. Wir müssen eine geschützte Stelle für die nächste Nacht suchen. Es wird regnen.“

Der Weg des Goldes

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