Читать книгу Ich habe eine Geliebte in Kaliningrad - у меня есть любовь в Калининграде - Manfred Stuhrmann-Spangenberg - Страница 3
Vom deutschen Königsberg ins russische Kaliningrad
ОглавлениеKeine andere russische Stadt ist Deutschland so nahe wie Kaliningrad, das alte Königsberg. Das bezieht sich nicht nur auf die geographische Nähe, so beträgt die Entfernung Berlin-Kaliningrad nur rund 530 km (während es von Kaliningrad nach Moskau mit rund 1100 km immerhin etwa doppelt so weit ist). Viel wichtiger ist die fast 700-jährige deutsche Geschichte Königsbergs, von seiner Gründung im Jahre 1255 durch König Ottokar den Zweiten bis zur Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung 1945.
Heute sind weniger als 1% der knapp 500.000 Kaliningrader Deutsche, die größtenteils erst nach dem Zerfall der Sowjetunion aus teilweise sehr weit entfernten Gegenden Russlands oder anderer ehemaliger Sowjetrepubliken nach Kaliningrad gezogen sind. Sie bilden eine kleine Minderheit in dem natürlich deutlich russisch dominierten Vielvölkergemisch, das seit nunmehr über 70 Jahren in Kaliningrad lebt und hier schon lange heimisch geworden ist. Während in der Zeit von 1945 bis in die fünfziger Jahre hinein das ganze Kaliningrader Gebiet (die „Oblast Kaliningrad“), also die nördliche Hälfte der früheren deutschen Provinz Ostpreußen, noch ein streng bewachtes militärisches Sperrgebiet war, dessen Bevölkerung auch später größtenteils nicht sehr viel Interesse an der deutschen Vergangenheit zeigte, änderte sich die Lage mit der Öffnung Kaliningrads nach dem Zerfall der Sowjetunion deutlich, und 2005 gab es nicht nur die große 60-Jahresfeier Kaliningrads, sondern man gedachte auch der Gründung Königsbergs vor 750 Jahren. Das offizielle Motto „750 Jahre Kaliningrad“ kam damals allerdings der historischen Wahrheit etwa so nahe wie die heimische Fußballmannschaft Baltika Kaliningrad dem Gewinn der UEFA-Champions League.
Was erwartet den heutigen Besucher in Kaliningrad, wie sieht das neue, moderne Kaliningrad aus und was gibt es noch vom alten Königsberg zu entdecken?
Viele der ersten deutschen Touristen, die Anfang der neunziger Jahre Kaliningrad bereisten, waren alte Königsberger, die ihre Heimatstadt aufgrund der fast kompletten kriegsbedingten Zerstörung der Innenstadt kaum wiedererkannten. Die Bombardierungen im August 1944 und die Kämpfe danach hatten dazu geführt, dass die Rote Armee im April 1945 eine Ruinenlandschaft einnahm. Und die Architektur der Sowjetzeit traf in den meisten Fällen nun wahrlich nicht den Geschmack der alten Königsberger.
Inzwischen sind die meisten dieser alten deutschen Sehnsuchtstouristen verstorben und eine neue Generation reist an. Das sind häufig Kinder und Enkelkinder der ehemaligen deutschen Bewohner Königsbergs und anderer Orte des alten Ostpreußens. Dieser neuen Generation fehlt die persönliche Erinnerung, was letztendlich einen anderen Blick auf Kaliningrad ermöglicht. Und tatsächlich kann man heute feststellen, bei aller berechtigten Wehmut darüber, dass es das alte Königsberg nicht mehr gibt: Kaliningrad ist schön, und von Jahr zu Jahr wird es immer schöner.
Das liegt auch daran, dass immer mehr alte preußische Gebäude restauriert oder im alten Stil wieder neugebaut werden. Aber das ist nicht der einzige Grund. Auch die moderne russische Architektur hat praktisch nichts mehr mit der häufig doch recht seelenlosen Sowjetarchitektur gemein. Es ist die Mischung aus alter deutscher und neuer russischer Bebauung, die Kaliningrad heute zu einem äußerst attraktiven Reiseziel macht.
In diesem Buch werden Sie viele der berühmten und weniger berühmten Attraktionen Kaliningrads kennenlernen. Einen Geheimtipp möchte ich Ihnen schon einmal hier und jetzt verraten. Suchen Sie bitte nicht nach dem alten Stadtteil Kneiphof und der Königsberger Altstadt rund um das Schloss herum, denn beides gibt es nicht mehr. Schlendern Sie stattdessen außerhalb des alten Stadtzentrums, etwa im ehemaligen Stadtteil Amalienau, durch die baumbestandenen Straßen und Alleen. Dort fühlt man sich, nicht nur als Berliner, sofort heimisch, spätestens dann, wenn man vor einer der vielen Filialen des „Königsbäckers“ steht und sich auf eine Pause bei Kaffee und Kuchen freut.
Auch ansonsten ist die Stadt voller grüner Lungen und lockt mit einer Vielzahl von Parks, Seen, Cafés und Biergärten. Und in den letzten Jahren hat sich auch die Flaniermeile Lenin-Prospekt, der frühere Steindamm, ordentlich herausgeputzt und lädt mit vielen guten Restaurants und Einkaufszentren zum Speisen und Shoppen ein.
Haben Sie Lust auf ungewöhnliche Museen? Bitteschön, dann lohnt sich ein Besuch im „Bunkermuseum“, wo in einem alten deutschen Bunker mitten in der Stadt die Belagerung und Kapitulation Königsbergs nachempfunden werden kann. So mancher Besucher verlässt das Museum mit einer Gänsehaut (sei es, weil die Thematik so bewegend ist, sei es, weil es in Bunkern nun einmal recht frisch ist, auch im Sommer). Oder spazieren Sie doch vom Schlossteich bis zum Bernsteinmuseum am Oberteich. Auf dieses Museum und auf das Thema Bernstein werde ich noch zu sprechen kommen, so wie auch auf das alte Schloss und den Dom, warten Sie es ab.
Ja, die Innenstadt Kaliningrads ist jetzt wirklich recht schmuck geworden, aber auch von den alten Befestigungsanlagen rund um Königsberg sind inzwischen einige restauriert und lohnen eine Besichtigung. Hier kann ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, insbesondere das Fort Nr. 11, das Fort Dönhoff, empfehlen.
Wenn man nun schon einmal in Kaliningrad ist, dann sollte man auf jeden Fall auch mindestens einen Tagesausflug an die Ostsee unternehmen, etwa mit „der Elektrischen“ vom Nordbahnhof aus zu einem der alten Seebäder Swetlogorsk (Rauschen), Pionerski (Neukuhren) oder Zelenogradsk (Cranz).
In Swetlogorsk können Sie mit einer historischen Miniseilbahn zum Strand hinunterfahren, die Strandpromenade entlang flanieren und danach eine vor ein paar Jahren neu angelegte Treppe wieder zum Ortskern hinaufsteigen. Oder Sie sind etwas schlauer als ich und machen es andersherum: die Treppe runterlaufen und mit der Seilbahn hochfahren. Oben im Ort sollten Sie unbedingt das Wahrzeichen der Stadt besichtigen, das Warmbad mit dem alten Wasserturm.
Östlich von Swetlogorsk kann der Kurort Pionerski mit einem ganz besonderen Highlight aufwarten: dem Gästehaus der russischen Regierung, auch „Putins Datscha“ genannt. Vielleicht ist die Strandpromenade, die demnächst von Swetlogorsk bis nach Pionerski führen soll, ja sogar fertiggestellt, bis Sie dieses Buch hier in Ihren Händen halten.
Im noch weiter östlich gelegenen Zelenogradsk werden Sie sich vor dem „Kurhaus Cranz“ möglicherweise fragen, ob denn auch Lenin hier Urlaub gemacht hatte (hatte er nicht, soweit bekannt). Vielleicht reizt es Sie auch, hier ein Bad in der Ostsee zu nehmen?
Von Zelenogradsk aus gelangt man auf die Kurische Nehrung, jenem hundert Kilometer langen (davon die Hälfte zur Oblast Kaliningrad, also Russland gehörig) und zwischen wenigen hundert Metern und fünf Kilometer schmalen Landstreifen zwischen Ostsee und Kurischem Haff. Die nördliche Hälfte der Nehrung liegt in Litauen. Nicht umsonst wurde die Kurische Nehrung ob ihrer großartigen Sanddünen früher auch als die deutsche Sahara bezeichnet. Hier gibt es obendrein gänzlich leere, kilometerlange Strandabschnitte.
Oder man begibt sich an die Bernsteinküste nach Jantarnyi (Palmnicken), wo man nicht nur das dortige Bernsteinkombinat mit seinem Tagebau besichtigen kann, die weltweit größte Förderstätte des „Goldes der Ostsee“, sondern anschließend ebenfalls, Sie ahnen es schon, ein Bad in der Ostsee nehmen kann.
Außerdem gibt es in der Oblast Kaliningrad noch die Stadt Baltisk (Pillau) zu besichtigen. Na ja, eigentlich befindet
sich Baltisk ja in einem militärischen Sperrgebiet und darf deswegen nur mit Sondergenehmigung aufgesucht werden. Es soll aber wagemutige oder ahnungslose Menschen geben, die trotzdem einfach mit dem Bus oder dem Zug nach Baltisk fahren, oder die an einer organisierten Tour dorthin teilnehmen. Für Liebhaber von Großveranstaltungen sei hier noch erwähnt, dass Baltisk am „Tag der russischen Flotte“ seine Tore ganz legal für jedermann öffnet. Der schöne Strand (ja ja, auch hier kann man baden) wird von einer langen Mole begrenzt, an deren Ende sich der westlichste Punkt Russlands befindet.
Vielen Kindern und Enkelkindern der ehemaligen Bewohner Ostpreußens ist der Name Pillau aus leidvollen Erzählungen bekannt. Von hieraus zogen die endlosen Flüchtlingstrecks zu Beginn des Jahres 1945 über das zugefrorene Haff und die Frische Nehrung nach Westen. Und die meisten der Flüchtlinge sahen ihre Heimat nie wieder.
Diese sehr kurze Aufzählung touristischer Reiseziele soll allerdings nicht enden ohne Erwähnung der „im Landesinnern“ liegenden Städte Znamensk (Wehlau), Pravdinsk (Friedland), Cernjahovsk (Insterburg), Gussew (Gumbinnen), Polessk (Labiau), Matrosowo (Gilge), Gromovo (Hohenbruch/Lauknen) und Kamenka (Friedrichstein). Nicht vergessen werden dürfen ebenfalls nicht die Memelstadt Sovetsk (Tilsit) sowie das alte Gestüt Trakehnen am Rande der Ortschaft Jasnaja Poljana (Groß Trakehnen) und die Rominter Heide im Südosten der Oblast.
Schließlich sind ja alle diese Orte Schauplätze von meinen Erzählungen im letzten Teil dieses Buches: „Unterwegs in
der Oblast Kaliningrad“.
Sie ahnen schon, dass man die Oblast Kaliningrad (die mitunter auch als „kleines Russland“ bezeichnet wird) häufiger besuchen muss, um alle diese Orte besuchen zu können. Genau das habe ich getan und dabei viele Menschen kennen gelernt und Freundschaften geschlossen. Hierfür war es hilfreich, in Kaliningrad mehrere Russisch-Kurse zu belegen. Und dabei entstand auch die Idee, meine „Königsberger/Kaliningrader-Geschichten“ zweisprachig zu schreiben und zu veröffentlichen - auf Deutsch und Russisch. Ohne meine Lehrerinnen Marina Ivanova und Olga Chetverikova wäre das natürlich nicht möglich gewesen.
Sie, liebe Leserinnen und Leser, halten die aus dem zweisprachigen Buch entnommene deutsche Fassung in Ihren Händen. Ja, ich habe Verständnis dafür, dass Sie die Mühe scheuten, die russischen Seiten zu entziffern. Aber schade ist das schon, denn somit entgeht Ihnen so Einiges.
Ich hoffe natürlich, dass Sie bei der Lektüre des Buches hin und wieder herzhaft lachen können, auch wenn Sie nur den deutschen Text lesen. Sei es über irgendeinen Ausdruck, der bei der Hin- und Herübersetzung doch nicht so ganz richtig getroffen wurde, sei es über durchaus gewollten Humor. Denn wie sagte schon der Königsberger Philosoph Immanuel Kant: „Das Lachen ist der Lebenskraft zuträglich, denn es fördert die Verdauung“.