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Sie haben ja ein Visum für Russland!

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Es ist zwar völlig unklar, ob man tatsächlich eines Tages wieder mit dem Zug von Berlin nach Kaliningrad fahren kann. Trotzdem muss man auf eine Anreise mit der Eisenbahn nicht verzichten, denn die staatliche Eisenbahngesellschaft der Russischen Föderation (RZhD) verkehrt regelmäßig zwischen St. Petersburg oder Moskau und Kaliningrad. Und diese Züge halten in Litauen in Vilnius und am Grenzbahnhof Kybartai, von wo aus Kaliningrad bequem erreicht werden kann.

Mit dem Bus aus Kaunas kommend erreiche ich im Mai 2017 Kybartai und stehe vor den kümmerlichen Resten eines im wahrsten Sinne des Wortes großen Bahnhofes. Früher war hier der Bahnhof Wirballen, auf Russisch Werschbolowo, der russische Grenzbahnhof zu Preußen an der Bahnstrecke St. Petersburg – Berlin. Selbst der Zar und seine Familie mussten hier aussteigen, wenn sie per Bahn nach Berlin reisten, da hier die russische Breitspur endete und man auf mitteleuropäischer Normalspur weiterreiste.

Auf dem Bahnsteig steht gerade der Zug von St. Petersburg nach Kaliningrad, das macht mich neugierig. Kaum habe ich die Tür vom Bahnhofsgebäude zum Bahnsteig hinter mir geschlossen, da habe ich auch schon die Aufmerksamkeit der litauischen Grenzbeamten geweckt.

Der mit den meisten Streifen auf der Schulter spricht mich auf Litauisch an, wobei ich das Wort „Passport“ aus der offensichtlichen Aufforderung heraushöre. Ich gebe durch Schulterzucken und Kopfschütteln glaubwürdig zu verstehen, dass mir die Sprache des ernst und wichtig dreinblickenden Fragenden absolut unverständlich ist (die Taktik des Dummstellens hat sich schon häufiger in misslichen Situationen mit Vertretern der Staatsgewalt bewährt). Hier ist der Falsche an mich geraten. Auf Deutsch werde ich jetzt gefragt, ob ich Deutsch spräche, worauf mir nur ein wahrheitsgemäßes „Ja“ übrigbleibt.

Ein Blick in meinen scheinbar unverdächtigen Pass und meine freundlichen Worte der Erklärung meiner Anwesenheit („das war hier doch mal der berühmte Bahnhof von Wirballen, oder?“) lassen die wichtige Miene des hohen Grenzbeamten schon etwas weniger dienstlich erscheinen.

Jetzt hat der Mann endlich mal wieder die Gelegenheit, sein Deutsch zu trainieren. Die Lage wird schließlich locker und entspannt.

„Natürlich, in Deutschland war ich schon häufiger, schöne Städte, Berlin, Hamburg, Duisburg (Entschuldigung, liebe Duisburger, aber Duisburg, eine schöne Stadt?), noch mehr, alles sehr ordentlich und sauber.“ Äh, Berlin, Hamburg, Duisburg, saubere Städte? Wo war der Mann denn wirklich? „Da hinten ist schon die Grenze, hier fertigen wir die Züge ab. Sie können gerne einsteigen, Sie haben ja ein Visum für Russland.“

Nein danke, mein Bett steht heute in Vilnius, noch fast vier Stunden mit dem Bus dorthin. Ob ich denn mal ein Bild vom russischen Zug machen dürfe, was für eine dumme Frage meinerseits, hier am Grenzbahnhof. „Nein, hier ist fotografieren streng verboten“, sagt der hohe Beamte und nickt mir verschwörerisch zu. „Wenn ich mal kurz weg bin, dann sehe ich ja nichts“, mit diesen Worten verschwindet er für zwei Minuten im Bahnhofsgebäude und kommt dann lachend wieder raus. Er muss mir ja noch von seiner Reise nach Indien erzählen, kürzlich hat da ein amerikanischer Freund von ihm geheiratet.

„Einmal und nie wieder, viel zu schmutzig und chaotisch dort.“ Jetzt verstehe ich das Lob für die Sauberkeit der deutschen Städte! Immer wieder herrlich, so ein Kulturaustausch.

Das einst so prächtige russische Bahnhofsgebäude haben übrigens kurz vor Kriegsende sowjetische Soldaten aus Versehen gesprengt, eigentlich war vorgesehen, den direkt jenseits der Grenze, also in Preußen, gelegenen Bahnhof Eydtkunen zu sprengen. Was für eine skurrile Geschichte. Auf der Seite der Grenze, auf der zu Zeiten des Zaren Russland war (also im Osten), ist jetzt Litauen. Und auf der anderen Seite der Grenze, wo damals Preußen war, ist jetzt die russische Exklave Kaliningrad!

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