Читать книгу Psych. Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen bei chronischen körperlichen Erkrankungen - Manfred Vogt - Страница 44
1.5.5Folgen für die betroffenen Patienten und ihre Familien
ОглавлениеAllen hier vorgestellten Krankheitsbildern ist gemeinsam, dass die persistierenden krankheitsbedingten Anforderungen an das betroffene Kind die Entwicklung nachhaltig beeinflussen. Bei den vorgestellten Krankheitsbildern finden sich einige Gemeinsamkeiten: So ist zum einen die alltägliche Partizipation der Betroffenen eingeschränkt. Sportliche Aktivitäten können bei allen vorgestellten Erkrankungen kontraindiziert sein, sei es aufgrund der Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel, aufgrund von Schmerzen und einer eingeschränkten Grobmotorik bei Arthritis-Patienten oder aufgrund der Provokation von Asthma-Anfällen. Zum anderen leiden Betroffene häufig an internalisierenden Störungen wie Depressionen (Blackman a. Gurka 2007; Grey, Whittemore a. Tamborlane 2002). Depressive Episoden wiederum können die Therapie-Compliance der Betroffenen verschlechtern und somit die Symptome verschlimmern.
Auch Kinder und Jugendliche mit Arthritis berichten von Einschränkungen und einer verringerten Lebensqualität (Haverman et al. 2012). Bei einem schwereren Krankheitsverlauf werden sie von Gleichaltrigen als weniger beliebt eingeschätzt (Reiter-Purtill et al. 2003). Atopische Erkrankungen führen häufig zu Einschränkungen im Lebensstil, da Allergene vermieden werden müssen. Zudem treten oft Probleme mit Gleichaltrigen auf (Calam, Gregg a. Goodman 2005). Gerade Kinder mit sichtbaren Ekzemen leiden oft unter Hänseleien und Mobbing, was wiederum Depressionen und Schulverweigerung begünstigen kann (Lewis-Jones 2006). Kinder mit Asthma leiden überdies unter einem niedrigeren Selbstkonzept (Padur et al., 2009). Die medizinischen Behandlungszeiten bei chronischen Darmerkrankungen führen zu erhöhten Fehltagen und beeinträchtigen die schulische Entwicklung.
Die Diagnose einer Diabetes-Erkrankung bedeutet eine massive Veränderung der familiären Abläufe und die Notwendigkeit, sich schnellstmöglich umfangreiche und aktuelle Informationen anzueignen. Etwa 70 % der elterlichen Bezugspersonen leiden in den Wochen nach der Diagnose an mindestens subklinisch ausgeprägten Symptomen einer belastenden Anpassungsreaktion (Landolt et al. 2002). Überdies berichten sie in dieser Phase häufiger von Stress, Depressionen und Ängstlichkeit (Streisand et al. 2008). Auch auf die Geschwisterkinder hat die Diagnose weitreichende Auswirkungen. Ein Großteil der Geschwister gibt mittelmäßig bis stark ausgeprägte Ängstlichkeit, ein geringes Selbstkonzept sowie depressive Symptome an. Überdies müssen sich die Geschwisterkinder mit ambivalenten Emotionen auseinandersetzen. So können dem Bedürfnis, das erkrankte Geschwister zu beschützen, unter Umständen Schuldgefühle, Sorge und Eifersucht auf die zusätzliche Fürsorge der Eltern gegenüberstehen (Hollidge 2001). Mit der Zeit findet jedoch meist eine gute Anpassung an die neue Lebenssituation statt (Jackson, Richer a. Edge 2008).
Familien mit einem an Arthritis erkrankten Kind müssen sich ebenfalls an die neuen Anforderungen anpassen. Ausschlaggebend ist dabei die Schwere der Symptome, da diese mit erhöhten depressiven Symptomen bei den Eltern sowie einer schlechteren Beziehung zwischen den Geschwistern korreliert (Daniels et al. 1987).
Auch Familien mit einem atopisch erkrankten Kind berichten von Einschränkungen. Durch die nächtliche Symptomatik der Kinder wie Atemnot, nächtliches Aufwachen, Juckreiz und Kratzen ist auch der elterliche Schlaf beeinträchtigt (Meltzer a. Booster 2016). Weiterhin ist die Pflege des Kindes mit viel Arbeit verbunden: Die Hautpflege bei einem von Dermatitis Betroffenen ist sehr zeitaufwendig. Um allergene Trigger zu minimieren, muss deutlich mehr Zeit in Haushaltstätigkeiten investiert werden. 50 % der betroffenen Eltern berichten, in ihrem Sozialleben eingeschränkt zu sein und gesunde Geschwisterkinder stellenweise zu vernachlässigen (Lenney 1997). Überdies darf auch der finanzielle Mehraufwand für die Familien nicht unterschätzt werden. Eltern berichten von vermehrter Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit, Wut und Depressionen. Zudem stellen sich Eltern oft die Frage nach der eigenen Schuld, insbesondere wenn die Krankheit genetisch determiniert und ihr Ausbruch vom Lebensstil der Familie abhängig sein könnte (Lewis-Jones 2006).
Etwa zwei Drittel der Eltern von Kindern mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sorgen sich übermäßig um die Zukunft ihres erkrankten Kindes wie Schule, Arbeit, Autonomieentwicklung. Über die Hälfte der Geschwisterkinder gibt Bedenken an, dass ihnen möglicherweise krankheitsrelevante Informationen vorenthalten werden (Akobeng et al. 1999).