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Am Bildschirm: Der Kniespezialist

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München, 11. Januar 2019: Auf dem Bildschirm wiegen sich feinste roséfarbene »Seeanemonen« im Wasser, unglaublich fein und filigran scheinen sie fast zu schweben. Was für den Laien wie ein wunderschönes Naturschauspiel aussieht, ist für Manuel Köhne ein ganz alltägliches Bild. Diese zarten »Pflanzen« sind zerfledderte Meniskusfasern und sie sorgen im Knie der 65-jährigen Edith Huber1 nach einem Sturz mit dem Fahrrad für ordentlich Aufruhr und Schmerzen. Die Münchner Rentnerin liegt bereits in Vollnarkose, das eingespielte OP-Team versteht sich nahezu wortlos, im Hintergrund singt Coldplay sein »Viva la Vida«. Kollegen nennen Köhne auch gern liebevoll »das One-Trick-Pony«. Seine Manege ist der OP – und sein Zucker der Erfolg. Der »Trick«, den Manuel Köhne richtig gut beherrscht, ist die Behandlung von Knien. Rund tausend operiert er jedes Jahr. Andere Kunststücke wie Schulter, Wirbelsäule und Hüfte überlässt er den anderen Ärzten der OCM-Klinik, die sich ebenfalls alle auf ein Fachgebiet spezialisiert haben. Köhne operiert, wie bei eigentlich allen Meniskuseingriffen, arthroskopisch, also minimalinvasiv. Über zwei winzige, gerade mal fünf Millimeter große Schnitte am Knie führt er seine Arbeitsgeräte ein: ein Endoskop, also ein dünnes, etwa bleistiftdickes Rohr, das mit Videokamera, Licht und einer Spül- und Absaugvorrichtung ausgestattet ist, und eine Minizange oder -fräse muss durch den schmalen Schlitz. Auf dem Bildschirm kontrolliert er seine Arbeit. Zwar wird vor jedem Eingriff ein MRT angefertigt, doch Köhne kann erst während der OP selbst beim »Blick« ins Innere des Knies mittels eines Tasthakens beurteilen, wie der Meniskus von Edith Huber beschaffen ist. Erst dann entscheidet er sich für die maßgeschneiderte Behandlung. Mit einer Art Minischere schneidet Köhne die schwebenden Meniskusfasern weg, glättet das Ganze schließlich mit einer Fräse.

Nach zwanzig Minuten ein kurzer Blick zum Anästhesisten, der stoppt das Narkosemittel – innerhalb weniger Minuten ist Edith Huber bereits wieder wach. Nach einer halben Stunde im Aufwachraum lässt sie sich schon eine Brezel schmecken und freut sich über den ersten Kaffee des Tages. Schmerzen hat sie keine.

Neben ihr im Aufwachraum liegt der 24-jährige Marcel Naumann. Der Informatikstudent wurde vor drei Stunden ebenfalls am Meniskus operiert und leidet deutlich mehr als Edith Huber. An seiner Seite sitzt Freundin Marlene, die ihn tröstet und ihm seine Teetasse reicht. Für Köhne sind Naumanns Schmerzen kein Grund zur Beunruhigung. Da der Meniskus des jungen Mannes noch elastisch war, der Riss sich nicht komplett durchzog und zudem ganz frisch nach einem Fußballfehltritt entstand, entschied sich Köhne hier zu einer sogenannten Meniskusrefixation. Dabei wird abgerissenes Gewebe wieder an die nicht betroffenen Teile des Meniskus und der Kniegelenkkapsel angenäht, im Falle von Naumann mit resorbierbaren Pfeilen, sogenannten Arrows. Dieser Eingriff ist aufwendiger, man hat hinterher mehr Schmerzen und die Heilungsphase ist auch länger als bei dem Eingriff von Edith Huber. Dafür ist der Meniskus nach einigen Wochen aber auch wieder fast wie neu.

Nach den OPs des Tages beginnt für Köhne am Nachmittag die Sprechstunde der Praxisklinik. Er pendelt im Zehnminutentakt zwischen zwei Sprechzimmern, stellt nach den vorhandenen Bildern, einer Tastuntersuchung und zahlreichen Fragen an die Patienten routiniert Diagnosen, zeigt das Für und Wider zahlreicher Behandlungsmöglichkeiten auf. Für die 56-jährige Anwältin Vera Hartkämper beispielsweise ist klar, dass sie ihren Kreuzbandriss so schnell wie möglich operieren lassen will. Sie ist sehr sportlich, spielt leidenschaftlich Golf und Tennis und will die Einschränkungen ihrer Lebensqualität durch das lädierte Kreuzband einfach nicht länger hinnehmen.

Peter Bauer, 47, entscheidet sich dagegen erst mal für eine konservative Behandlung seines Meniskusrisses. Er ist stark übergewichtig, eher unsportlich und möchte es zunächst mit einer Kombi aus Abspecken, Physiotherapie und einer Bandage versuchen.

Nach der Sprechstunde eilt Köhne noch kurz rüber in die Sana-Klinik, wo er Belegbetten hat. Hier liegen Patienten, die aufwendigere Operationen wie etwa das Einsetzen eines neuen Kniegelenks hinter sich haben und einige Tage stationär verbringen müssen. Gegen 20 Uhr geht das Licht im Behandlungszimmer aus. Eine Dreiviertelstunde später ist er zu Hause im Süden von München. Ein Kuss für die kleine Tochter, die schon längst schlummert. Ein Glas Wein noch mit seiner Frau, ein kurzes Zappen in die Tagesthemen für die wichtigsten Ereignisse des Tages im Überblick, dann Licht aus, meist lange vor Mitternacht, denn morgen früh um 8 Uhr wartet schon das nächste Knie …

1 Die Namen aller Patienten in den Fallbeispielen sind geändert.

Der Knie-Fall

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