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Bewusste Ernährung für das Kind im Mutterleib und ja kein Mangel!

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Meine Nonna Irene hatte ein besonderes Power-Food für meine schwangere Mutter: Sie ging in den Hühnerstall, nahm ein frisch gelegtes Ei aus dem Nest, schlug es auf und reichte meiner Mutter den Dotter in der halbierten Schale, zum »Trinken«. Diese Praxis musste auch ich in meiner Kindheit, weil Frühchen, über mich ergehen lassen, einmal am Tag und das ohne Erbarmen. Der Dotter war dunkelorange und riesig, viel größer als jener von Eiern, die man heute im Geschäft kauft. Manche Hühner legten Eier mit zwei Dottern (pfui!), mir grauste davor. Noch warm und gallig erreichte die Flüssigkeit meine Zunge, mit fadenartigen Teilen im Eiweiß, ich machte die Augen zu und durch!

Unser Bewusstsein und auch unser Wissen bezüglich Ernährung wachsen täglich. Wir informieren uns über altbekannte und neuartige Lebensmittel, keine Diät geht »unbemerkt« an uns vorbei. Und wir bedenken die Umstände der Tierhaltung und wollen Nachhaltigkeit in der Gewinnung von Lebensmitteln. Viele Menschen sind in den letzten Jahren auf vegetarische und vegane Kost umgestiegen. Wie wirken sich diese Arten der Ernährung auf das Gehirn des Fötus aus? Ein Übersichtsartikel aus dem Jahr 201929, in dem zahlreiche Studien zusammengefasst werden, kommt zum Schluss, dass vegetarische und vegane Diäten zu einem Mangel an Eiweiß, Eisen, Vitamin D, Kalzium, Iod, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B12 führen können, allerdings nicht müssen. Wenn gut geplant und mit ausreichend Abwechslung, spricht nichts gegen diese Ernährung, so die Autoren. Die Botschaft ist auch ohne wissenschaftliche Untermauerung verständlich: Damit der Fötus all das hat, was er für seine Entwicklung braucht, ist eine große Abwechslung an »gesunden«, frischen Lebensmitteln, inklusive Eiweißlieferanten, das Gebot der Stunde.

Es darf auf keinen Fall zu einer Mangelernährung der werdenden Mutter kommen. Diesbezüglich kann die Neurowissenschaft auf Studien an Menschen zurückgreifen, die aus mehreren Ländern stammen. Sie haben schwangere Frauen während Hungersnöten erfasst und die Kinder über Jahrzehnte in ihrer Entwicklung begleitet. Hongerwinter steht im Niederländischen für die Hungersnot zwischen Oktober 1944 und April 1945, während der deutschen Besatzung der Niederlande vor allem in der Region Holland (in der sich Amsterdam befindet). Die Menge verfügbarer Lebensmittel pro Person sank von Monat zu Monat drastisch. Während im November 1944 für eine schwangere Frau noch 1.000 Kalorien täglich zur Verfügung standen, anstatt mindestens 2.300 plus circa 250 Kalorien für den Fötus, sank die Kalorienzufuhr im Frühling 1945 auf 400 Kalorien am Tag. Zu dieser Zeit aßen die hungernden Menschen alles, was überhaupt essbar war, mitunter auch Tulpenzwiebeln, die sie aus den öffentlichen Parks in Amsterdam ausgruben.

Wie wirkte sich der Hunger auf die Kinder aus, die zu jenem Zeitpunkt im Mutterleib waren? Wie nicht anders zu erwarten, verheerend aus mehrfacher Sicht. Tessa Roseboom, Wissenschafterin an der Universität Amsterdam, forscht bereits seit zwei Jahrzehnten zu verschiedenen Aspekten der Mangelernährung im Fötus. Ihre Langzeituntersuchungen30 begleiten die Betroffenen des Hongerwinters. Sie hat herausgefunden, dass Menschen, deren Mütter in der ersten Hälfte der Schwangerschaft gehungert haben, an Übergewicht und höherem Cholesterinspiegel leiden, während der umgekehrte Effekt – Untergewicht – eintritt, wenn die Mutter in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft unterernährt war. Die erste Erscheinung lässt sich aus Sicht der Evolution verstehen: Bei Ressourcenknappheit stellt sich der Stoffwechsel auf verbesserte Verwertung der Nahrung um. Selbst wenn der Körper wenig bekommt, kann er durchkommen. Bekommt er mehr, wird er übergewichtig.

Wichtig sind allerdings die Veränderungen im Gehirn der ungeborenen Kinder bei einer derartig dramatischen Kalorienreduktion. Die Kinder des Hongerwinters weisen als Erwachsene jede Menge psychische Krankheiten auf: asoziale Persönlichkeitszüge31, Suchtanfälligkeit32, Schizophrenie33 (Persönlichkeitsspaltung) und Depression34. Sie sind bedeutend mehr betroffen, als Menschen, deren Mütter nicht hungerten. Diverse Studien führen diese psychiatrischen Erkrankungen auf einen Mangel an gesättigten Fettsäuren 35 zurück, die man in Nüssen, Leinöl und Fischen aus kalten Gewässern vorfindet, aber auch auf Eisenmangel36.

Im Meisterplan der fetalen Entwicklung reichen auch noch so verschwindend geringe Mengen an Substanzen, die eine Schwangere über das Essen aufnimmt, um Gene zu aktivieren. Auch der Mangel an solchen Substanzen kann sich epigenetisch auswirken und psychische Erkrankungen auslösen. Die Hongernot-Studien zeigten zudem, dass das Gehirn der Betroffenen frühzeitig altert37. Das sind die Folgen, wenn weniger Nährstoffe über die Blutbahn die Neurone erreichen. Gewisse Regionen im Gehirn dieser Menschen weisen auch eine geringere Blutzufuhr auf, als bei Gleichaltrigen, deren Mütter keinen Nahrungsmangel hatten34. Eine optimale Blutversorgung im Erwachsenenalter ist nur möglich, wenn sich im Fötus die Blutgefäße ausreichend bilden. Sind Bausteine aus der mütterlichen Ernährung nicht vorhanden, wird auch im Gehirn des ungeborenen Kindes an Baumaterial gespart. Die verheerenden Auswirkungen auf die Dimension des Gehirns38, auf die kognitiven Fähigkeiten und die Psyche sind nicht nur in den Studien zur holländischen Hungersnot belegt, sondern auch in Ländern, die Ähnliches erleben mussten, u. a. in der Ukraine (1932–33) und in China (1959–61)39. Selbstverständlich werden die Gene psychischer Krankheiten wie Depression an die folgenden Generationen weitergegeben40, so auch an die Enkelkinder der Hongernot.

Wir Europäer des zwanzigsten Jahrhunderts haben unsere Wurzeln in Menschen, die Kriege erlebt haben. Ich frage mich, ob Oma Irene wohl genug zu essen bekommen hat, als sie 1930 mit meiner Mutter schwanger war. In den Jahren, als sie ihre vier Kinder zur Welt brachte, also meine Mutter und ihre Geschwister, hatte sie genug zu essen. Meine Großeltern waren Tabakbauern in der Provinz Vicenza, unweit von Venedig. Sie verkauften die Ernte an den Staat. Auf ihren Feldern wuchsen Mais, Weizen und alles, was sie als Selbstversorger brauchten. Einige wenige Schweine und eine Kuh hielten sie, manchmal zwei Ziegen, auch Hühner und Kaninchen. Meine Mutter erzählte, dass das Haus in den Hügeln lag. Vor dem Haus war eine Quelle, die sich in einem kleinen Becken sammelte, bevor sie zum Bach wurde und drei Getreidemühlen speiste. Im klaren Quellwasser lebten Flusskrebse. Mamma und ihre Geschwister hoben die Steine, unter denen sich die Krustentiere versteckten, und stachen mit einer Gabel auf sie ein. Nonna Irene schälte und wälzte den Fang in Mehl, warf ihn in heißes Pflanzenöl und mit Polenta als Beilage – also Maisbrei, dem Grundnahrungsmittel der Norditaliener – aß die sechsköpfige Familie zu Mittag.


Was hat der zweite Weltkrieg mit uns gemacht? Wie hat er sich auf die Generation der Eltern ausgewirkt und auf die Föten, die vielleicht nur eine halbe Scheibe Brot am Tag zur Verfügung hatten, um zu wachsen und das Licht der auch noch hungernden Welt zu erblicken? Wie war es in jenen Tagen, als die Care-Pakete der Amerikaner den schlimmsten Hunger beseitigten? Die meisten von uns können es schwer nachvollziehen, denn wir haben bisher keinen Mangel an Lebensmitteln erlebt. Vielleicht waren unsere Eltern ein bisschen streng mit der Menge Nutella, die aufs Brot durfte, auch deswegen, weil sie damals in kleinen, sauteuren Gläsern verkauft wurde. Aber wir sind immer satt vom Esstisch aufgestanden. Welches Glück, in einer Gesellschaft und einer Zeit aufzuwachsen, die sich alles bequem im Supermarkt holen kann!

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