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Einleitung Warum wir so gerne essen

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Meine Seele ist italienisch, mein Herz österreichisch, auch wenn es ums Essen geht. Koche ich selbst, ernähre ich mich grundsätzlich so, wie ich es von meiner Mamma gelernt habe, also mediterran, mit viel Gemüse, Obst, Olivenöl, Fisch, Rindfleisch, und nachdem ich mich sportlich betätigt habe, mit Pasta und Risotto. Gehe ich in Österreich essen, bestelle ich Schweinsbraten mit knuspriger Kruste, auch gerne ein in Butterschmalz gebratenes Wienerschnitzel und ja, ich liebe Topfenstrudel und Rosinengugelhupf. Zugegeben, ich esse für mein Leben gern, ob italienisch oder österreichisch!

Warum esse ich, essen wir, so gerne? Die Antwort auf diese Frage liefert uns die Evolution: Zur Erhaltung der Spezies müssen wir essen und uns vermehren. Und das sollen wir mit Freude tun und nicht, weil wir müssen. Würden wir ohne Lust essen oder uns vermehren, hätten wir Menschen das 21. Jahrhundert nicht erreicht. Da wir aber beim Essen und beim Sex Freude empfinden, kümmern wir uns gerne und intensiv um beides. So sind wir zu diesen Zwecken mit einem besonderen evolutionären Mechanismus ausgestattet, dem des Lustempfindens. Über den Botenstoff Dopamin, auch Glückshormon genannt, wird unser Verhalten gesteuert. Er weist uns den Weg zur Befriedigung und Belohnung.

Erbsengroße Kerne aus Neuronen – als Substantia nigra und Nucleus accumbens bezeichnet – und das dorsale Striatum schütten in der Tiefe des Gehirns Dopamin aus.


Belohnungssystem und Dopaminkreislauf

Erblicke ich den Schweinsbraten oder einen (für meinen Geschmack) gutaussehenden Mann, produzieren diese Kerne innerhalb von Millisekunden das Glückshormon. Danach schießt der Botenstoff in das Vorderhirn, in jene Regionen, die Reize der Außenwelt bewerten. Dort befinden sich viele Andockstellen für diese Substanz, sodass alles besonders schnell auch verarbeitet wird (!). So empfinde ich auf den Anblick der Speise oder auf den Flirtblick plötzlich ein gutes Gefühl, nennen wir es Freude oder Glück, wobei ich noch gar nicht esse und es auch zu keinem näheren Kontakt mit dem gutaussehenden Mann gekommen ist. Mein Gehirn arbeitet aber – sozusagen – bereits in diese Richtung, egal, ob ich es will beziehungsweise darf oder nicht. Ich empfinde Freude, besser gesagt Vorfreude: Dadurch entsteht die Handlungsbereitschaft, es nicht nur beim Anblick zu belassen, sondern tatsächlich zur Tat zu schreiten. Sehe ich also diese wunderbare Schweinsbratenkruste in der Wärmetheke des Metzgers, werde ich möglicherweise die Kaufentscheidung treffen und das Stück Fleisch kaufen. Spricht mich der Mann an, lasse ich mich vielleicht auf ein Gespräch ein. Auch in diesem Zwischenschritt habe ich weder gegessen noch ist mit dem Mann etwas Konkretes passiert. Die Vorfreude, die Auswirkung von Dopamin auf mein Gehirn, hat aber bereits Handlungen gesteuert, und ich freue mich auf den Braten oder auch auf die Einladung auf einen Drink. Raffiniert hat die Evolution diese Mechanismen gebaut: Man kann nicht anders! Zu Hause angekommen, stürze ich mich endlich auf meinen Braten, und er schmeckt mir, mhhh, das saftige Fleisch, die knusprige Kruste, ein Bissen, noch einer, leider ist es immer zu wenig!

Dopamin, das wir im Allgemeinen als Glückshormon kennen, verstärkt Lust versprechende Reize und Lernprozesse, wodurch wir uns diese Belohnungen holen können. Mit anderen Worten motiviert uns die Belohnung auch zu Handlungen, die wir sonst nicht setzen würden. Sind Sie auch schon ein paar Kilometer extra zu einem Eissalon gefahren, um dort diesen besonderen Geschmack zu finden? Mango & Minze oder die cremigste Sahne dieser Welt? Ja, man ist bereit, einen Aufwand zu betreiben, um zur Belohnung zu kommen. So funktioniert dieses System! Seine Entdeckung, ein Meilenstein in der Geschichte der Neurowissenschaft, war ein Produkt des Zufalls. Mitte der 1950er Jahre experimentierten James Old und Peter Milner am California Institute of Technology an Lernprozessen bei Ratten. Dafür setzten sie in das Gehirn der Tiere Tiefenelektroden ein, also winzige Kupferdrähte, die viel dünner als ein menschliches Haar sind. In der jeweiligen Region des Rattenhirns gaben sie einen Stromreiz ab. Es sollte eine gewisse Reaktion im Tier bewirken.

Stellt man sich die Dimension eines Rattengehirns vor – vielleicht so groß wie eine halbe Erbse – ist es klar, dass es sehr schwer ist, die gewünschte Stelle punktgenau zu erreichen. Es kann auch knapp daneben gehen, sodass man eine völlig andere Gehirnstruktur erwischt. Und so war es auch bei Old und Milner. Sie merkten, dass etwas schief gegangen war, weil die Ratte immer wieder an jene Stelle der Experimentbox ging, wo sie die Elektrode und somit auch den ersten Stromstoß bekommen hatte. Die Wissenschafter schlossen daraus, dass der Stromstoß für das Tier »angenehm« sein musste, dass es in der Hoffnung hinging, wieder Angenehmes zu erleben. Aber warum?

Darauffolgend bauten sie eine Experimentbox mit einem Hebel, welcher mit der Elektrode direkt verbunden war. Durch das Betätigen des Hebels konnte die Ratte den Stromstoß selbst auslösen. Genau das tat sie, und genau das taten auch die nächsten hundert Tiere, die eine Elektrode in einen der Dopamin produzierenden (dopaminergen) Kerne eingesetzt bekamen. Die Nager betätigten den Hebel immer und immer wieder, sogar im Fünf-Sekunden-Takt, bis fünftausendmal am Tag. Am Ende brachen sie erschöpft zusammen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war den Wissenschaftern klar, dass eine Stimulierung dieser Stelle das Verhalten der Tiere wie sonst nichts anderes beeinflusst. Lust ist das oberste Prinzip, nach dem wir handeln. Sie ist die einzig wahre Motivation.

So versteht man auch, warum der Schweinsbraten oder der Flirtblick in unserem Verhalten Priorität haben, und es überrascht nicht, dass Essen auch als »Sex des Alters« bezeichnet wird. Essen belohnt, wenn wir etwas geschafft haben: Nach einem Erfolg feiern wir mit etwas Gutem, ob zu Hause oder im Restaurant. Es belohnt aber auch, wenn wir Frust erleben oder unglücklich sind. Unbewusst wollen wir den Dopaminspiegel erhöhen. So gehen wir immer und immer wieder zum Kühlschrank oder zur Schublade mit den Süßigkeiten, manchmal zur Weinflasche. Auch Alkohol löst die Dopaminausschüttung aus und gibt uns ein wohliges Gefühl. Sind wir unglücklich verliebt, stürzen wir uns auch auf Schokolade. Wir suchen nach Belohnung, nach ein bisschen Glück! Umgekehrt vergessen wir aufs Essen und Trinken, wenn wir verliebt sind. Es heißt, dass die Verliebtheit den Magen zuschnürt. In diesem Fall haben wir so viel Dopamin im Umlauf, dass der Nahrungsverzicht nicht auffällt, man lebt gerne von Luft und Liebe! Und was mit dem Mann ist, der mir den Flirtblick zugeworfen hat? Er hat sich nie gemeldet. Möglicherweise war sein Drang mich wiederzusehen nicht ausreichend groß, ich dürfte in seinen Nucleus accumbens und Substantia nigra nicht den erhofften Dopaminsturm ausgelöst haben. Aber der Blick hat gut getan, ein bisschen Glück ist immer gut!


Experimentbox

Iss dich klug!

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