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Claas erzählte mir am nächsten Tag, dass sie mich wieder auf die Couch gehievt hätten. Und ich erinnere mich, wie Tammy sagte: »Ist doch klar, sie verträgt die Hitze nicht, hab ich ihr gleich angesehen. Und sich dann noch was reinziehen.«

»Wir hätten erst mal was essen sollen«, hörte ich Julian sagen und war ihm dankbar dafür.

Dann spürte ich eine Hand nach meinem Puls tasten. Und als mir klar wurde, dass es Julians Hand war, hämmerte mein Herz wie verrückt. Es war mir egal, dass Tammy sagte: »Kaum hier und schon gibt’s Stress!«

Hauptsache Julian hielt meine Hand.

»So was kann jedem passieren«, sagte er dann noch.

»Mir ist so was noch nie passiert.«

»Und was war das bei der Klettertour vor zwei Jahren?«

»Mann, das war beim Sport, doch nicht beim Kiffen!«

Sie stritten – wegen mir – und irgendwie freute mich das. Meine Lebensgeister kehrten zurück, ich schlug die Augen auf und sah in Julians Gesicht.

»Du bist umgekippt«, erklärte Claas, als wüsste ich das nicht selbst.

»Langsam!«, mahnte Julian. »Langsam aufstehen.«

Ich tat, was er sagte, und sah ihm dabei in die Augen – diese blauen Augen. »Bin ich ...«

»Du bist von der Couch runtergerutscht«, kam ihm Claas zuvor.

»Ach ...«, sagte ich, ohne meinen Blick aus Julians Augen zu nehmen, »ist mir noch nie passiert.«

Ich sah gerade noch, wie Tammy entnervt aufstöhnte und sich abwendete. Claas und Julian sahen es auch und selbst in dem Zustand, in dem wir uns alle befanden, war wohl jedem von uns klar, dass die nächsten Tage wie ein einziges Feld voller Minen werden würden, unmöglich, nicht auf ein paar von ihnen zu treten. Ich stand schließlich auf, weil ich aufs Klo musste. Ich hörte noch, wie Claas aufgesetzt gut gelaunt sagte: »Jetzt muss ich mal euren Pool testen.«

Drinnen, am Esstisch mit den Rittersaalstühlen, blieb ich kurz stehen und sah noch einmal hinaus zu den anderen. Claas riss sich gerade die Kleider runter und sprang platschend ins Wasser. Wie weiß seine Haut war. Fast durchschimmernd. Ätherisch, kam mir kurz in den Kopf.

Julian zog sein Shirt über den Kopf und ich beobachtete, wie sich dabei unter der bronzefarben schimmernden Haut sein kräftiger Rückenmuskel wölbte. Mit zwei Schritten war er am Beckenrand und tauchte mit einem perfekten Sprung ins Wasser.

Er blieb ziemlich lange unten. Als er wieder durch die glitzernde Wasseroberfläche schnellte, warf sich Claas auf ihn und drückte ihn unter Wasser, setzte sich auf seine Schultern, drückte ihn tiefer. Julian versuchte hochzukommen, aber offenbar war er an einer Stelle, an der er keinen Boden unter den Füßen hatte. Er zog Claas mit hinunter und für einige Augenblicke, die mir unendlich lang vorkamen, waren beide unter Wasser.

Da katapultierte sich Julian hoch, und als Claas auftauchte, drückte er ihn unter Wasser. Erst nach einigen Sekunden ließ er ihn nach Luft schnappen. »He, du Arsch!«, sagte Julian zu Claas. »Mach so was bloß nicht noch mal!«

Bevor Claas auch nur nicken konnte, tauchte Julian ihn wieder unter und Claas prustete und japste noch, während Julian schon aus dem Wasser stieg.

»Bist du behämmert oder was?«, schrie Claas ihn an. Julian nahm ein weißes, flauschiges Handtuch von der Liege und schlang es um seine schmale Taille. »Fick dich, Claas.«

Jetzt erst drehte ich mich um und ging ins Badezimmer.

In jener ersten Nacht in der Villa verhingen Wolken den Mond. Kein Lüftchen regte sich. Ich glaubte, im Zimmer zu ersticken. Daher schlich ich leise, um Claas nicht zu wecken, auf die Terrasse. Ich legte mich auf eine Liege, aber sofort fielen mich Mücken an und ich verzog mich wieder ins Haus. Egal, ob ich die Augen schloss oder offen ließ, immer sah ich Julian vor mir. Julians Oberkörper, seine Hände. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die nächsten Tage und Nächte ertragen sollte.

Am nächsten Morgen verbarg sich das Blau des Himmels hinter einer dichten grauen Wolkendecke, unter der sich die Hitze wie unter einer Glocke staute. Die Luft war schwül und darin lag der süßliche und schwere Duft nach feuchter Erde, verwelkenden Blüten und verwesenden Insekten.

Auch unsere Stimmung war gedrückt, obwohl niemand mehr den vergangenen Abend ansprach.

Erst am Nachmittag riss die Wolkendecke auf und die Sonne schoss hindurch, als hätte sie ihre Kraft stundenlang gebündelt und auf diesen Moment gewartet. Feuchtigkeit stieg vom Boden auf und ich bekam Kopfschmerzen, gegen die mir Julian Aspirin aus dem Medikamentenschränkchen im Badezimmer holte.

Kurze Zeit später durchdrang die Hitze alles, machte jede Bewegung zu einer schweißtreibenden Anstrengung. Selbst die Vögel schwiegen. Nur die Zikaden zirpten unbeirrt weiter. Schrill und nervtötend.

Ich lag im Schatten auf einer Liege und döste beim Lesen immer wieder ein. Billard um halb zehn hatte ich schon mal gelesen und wollte diesmal auf bestimmte Details achten. Wie schildert Böll den Konflikt zwischen dem denkenden und verantwortlich handelnden Einzelnen und der Menge. Also, was genau läuft in Frau Fähmel ab, dass sie tatsächlich auf den Exnazi schießt? Aber es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Immer wieder sah ich zu Julian und Claas hinüber, die unter dem Sonnensegel auf den Sofas lümmelten und mit ihren Computern spielten.

Plötzlich kam Tammy auf die Terrasse gestürmt. In ihrem Gesicht war ein merkwürdiger Ausdruck, irgendetwas zwischen Erleichterung und Verwirrung. »Ich kann es mir nicht erklären«, sagte sie kurzatmig und hielt ihren iPod hoch.

»Dann war ja der ganze Stress umsonst«, konnte ich mich nicht bremsen, ihr reinzuwürgen. Tammy bestrafte mich mit einem ihrer überheblichen Blicke – der an meiner Sonnenbrille abprallte.

»Wo war er denn?«, wollte Julian wissen.

»In der Schublade in meinem Nachttisch. Aber ich weiß ganz genau, dass ich ihn da nicht reingetan habe!«

Er zuckte die Schultern. »Na ja, vielleicht warst du ja in Gedanken oder die Shi...« Er wollte sich schon wieder dem Videospiel zuwenden.

»Nein!«, unterbrach sie ihn heftig, »gestern war er weg! Und offenbar hat ihn jemand zurückgelegt.«

Dabei sah sie natürlich mich an. Als ob ich ihren iPod nehmen würde! Ich schüttelte bloß wortlos den Kopf und wandte mich wieder meiner Lektüre zu.

Auch Claas und Julian erwiderten nichts, ich glaube, Julian war es peinlich, dass seine Schwester so einen Schwachsinn von sich gab. Und Claas wollte sich offensichtlich nicht einmischen.

»Nett, wie ihr alle Anteil nehmt!«, bemerkte Tammy und stolzierte davon. Die nächsten Stunden sah man sie nicht mehr, was mir nur recht war.

Irgendwann vermischten sich die Sätze in meinem Buch mit meinen Gedanken über Tammy und Julian, über den Sommer – dann zerfaserten sie und ich driftete weg. Als ich wieder aufwachte, lag mein Buch auf dem Boden, ich hatte einen steifen Hals, fühlte mich schwindlig und unendlich müde. Über den Steinen der Gartenmauer flimmerte die Luft in der Hitze. Julian und Claas hatten sich längst ins Haus verzogen. Mein Gott, dachte ich, wie hält man diese Hitze aus? Mühsam richtete ich mich auf und schleppte mich ins Badezimmer. Dort stellte ich mich unters kalte Wasser und allmählich kehrte Leben in mich zurück.

Am Nachmittag wurde es noch heißer und unerträglicher, dennoch legte sich Claas in die pralle Sonne an den Pool, während Tammy und Julian dösend auf ihren Luftmatratzen im Wasser trieben. Nur ich verzog mich in den Schatten, machte es mir mit meinem Buch auf der Couch im Wohnzimmer bequem und ließ hin und wieder meinen Blick nach draußen gleiten.

Sonne scheint. Meer blau, Hitze tötet jedes Leben, würde ich jetzt twittern. Und: Die Zeit dehnt sich endlos. Wenn nicht bald etwas passiert, hört mein Herz vor Langeweile und Hitze auf zu schlagen.

Aber hier im Haus hatte ich ja keinen Empfang.

Abgeschnitten, dachte ich, wir sind uns selbst ausgeliefert, und da fiel mir ein Zitat aus Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre ein. Die Hölle, das sind die anderen.

Ich nippte an einem Glas Mineralwasser und stellte es auf ein schwarzes Schachspielfeld – eine schwarze Bodenfliese. Immer wieder wanderte mein Blick hinaus zu Julian auf der Luftmatratze. Er hatte die Arme seitlich ausgebreitet und schaukelte sanft auf dem Wasser. Ich fragte mich, ob er etwas an mir fand. Ob er mich nur aus Verlegenheit ignorierte – oder weil er Claas nicht in die Quere kommen wollte.

Mir fiel ein, dass Claas etwas von einer Gina erzählt hatte, mit der Julian vor Kurzem Schluss gemacht hatte.

Und plötzlich machte mich diese Trägheit wütend. Keiner von ihnen würde es merken, wenn ich nicht mehr da wäre. Auch Claas schien sich nicht sonderlich für mich zu interessieren. Irrte ich mich oder suchte er dauernd Tammys Nähe?

Entschieden klappte ich mein Buch zu und ging auf die Terrasse.

»Also, Leute«, fragte ich laut, »was machen wir heute Abend? Ihr wollt doch nicht die ganze Zeit hier so rumhängen?«

Claas drehte langsam den Kopf auf dem Liegestuhl und sah mich gequält an. »Warum schreist du so?«

Tammy grinste von ihrer Luftmatratze herüber. »Oh-oh. Ich glaube da ist jemand sauer.«

»Ich bin nicht sauer!« Ich ärgerte mich sofort über mich selbst, dass ich überhaupt auf ihre Bemerkung einging. »Ich habe nur keine Lust, meine Ferien so zu verbringen.« Ich zuckte die Schultern, als wäre das alles. Es war natürlich nicht alles, aber ich würde nicht vor allen zugeben und mir die Blöße geben, dass es mich nervte, wie nichts behandelt zu werden.

»Dann besuch doch einen Sprachkurs!«, meinte Claas und fügte in seiner spöttischen Art hinzu: »Aber ich nehme an, es gibt hier keinen, der auf deinem Niveau mithalten kann!«

Tammy kicherte, aber wenigstens Julian reagierte nicht.

»Ich wusste gar nicht, Claas, dass du so neidisch auf meine Noten bist«, gab ich zurück, »oder reicht’s bei dir etwa noch nicht ganz für Oxford?«

Claas wollte etwas entgegnen, aber Julian kam ihm zuvor.

»Mel hat recht, gehn wir heute Abend mal runter nach Colonnes.«

»Heute ist Dienstag, da ist so gut wie gar nichts los«, warf Tammy gelangweilt ein.

»Hm«, machte Julian und ließ den Kopf auf seine Matratze zurücksinken.

Ich wartete. Darauf, dass Julian weitersprach – oder jemand überhaupt etwas sagte.

Aber das Thema war anscheinend erledigt.

»Okay«, sagte ich schließlich, »dann geh ich eben allein.«

»Ist, glaub ich, ganz schön weit«, meinte Claas.

»Hier gibt’s ja bestimmt irgendwo ein Fahrrad, oder?«

»Meins kannst du nicht haben«, sagte Tammy sofort, »war viel zu teuer, um es vor einer Kneipe rumstehen zu lassen.«

»Dann nehm ich mir halt ein Taxi«, sagte ich trotzig. Ich ließ mich doch nicht von Tammy in die Knie zwingen.

»Und wie willst du das Taxi bestellen, hier gibt’s keinen Empfang?«, fragte Tammy mit gekräuselten Lippen, sie hatte offensichtlich Spaß daran, mich vor allen auflaufen zu lassen. Doch hatte sie wohl ihren Bruder falsch eingeschätzt.

Julian setzte sich auf seiner Luftmatratze auf. »Mel hat eigentlich recht. Hin können wir ja zu Fuß gehen, wir sollten uns eh ein bisschen bewegen, zurück nehmen wir dann ein Taxi.«

Ich sah zu ihm hinüber und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu lesen. Aber die Sonne blendete und ich konnte ihn nicht richtig erkennen.

»Ich hab kein Hemd mehr dabei«, kam es von Claas.

»Kein Problem, such dir eins von meinen aus«, bot Julian großzügig an.

Tammy sagte nichts, sondern ließ sich langsam von der Luftmatratze ins Wasser gleiten, als wäre sie tot.

Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob an diesem Nachmittag zum ersten Mal die Dusche nicht mehr funktionierte. Tatsächlich hatten sich die anderen aufgerafft, mit mir hinunter in den Ort zu kommen. Ich duschte als Letzte und wollte gerade die letzten Minuten unter dem kalten Wasser genießen, da versiegte es. Nur ein paar Tropfen fielen noch aus dem Duschkopf, dann kam nichts mehr. Ich drehte die Hähne bis zum Anschlag auf. Nichts.

Weder Julian noch Tammy wussten, wo sich der Haupthahn der Wasserleitung befand. Julian versprach, von Les Colonnes aus Vincent, den Gärtner, anzurufen, der auch die Reparaturen im Haus erledigte.

Als wir endlich losgingen, kamen wir kaum hundert Meter weit, als uns ein Polizeiwagen überholte, scharf abbremste und dann neben uns herrollte.

Das Seitenfenster glitt hinunter und im ersten Moment dachte ich, da sitzt der Teufel persönlich. Genau, es war derselbe, der Tammy und Julian bei dem BeinaheZusammenstoß mit dem Fahrrad vor den Einbrechern warnte. Und der, der mich jetzt in meinen Albträumen heimsucht.

Yannis Lausac – so stellte er sich vor – war ohne Partner auf dem Heimweg nach Les Colonnes und ließ uns einsteigen.

Es war meine Rettung! Meine Schuhe scheuerten und ich fragte mich schon, wie ich den ganzen Weg durchhalten und dann auch noch tanzen sollte.

Im Nachhinein betrachtet war diese Begegnung wohl schicksalhaft.

Nicht nur weil er uns alle vier zusammen traf, sondern auch weil ich mich vorn neben ihn setzte und mir nicht entging, wie er mich ansah, wie er seine Hand auf dem Steuerknüppel weiter nach rechts zu meinem Knie schob.

Ich sollte ihm noch öfter begegnen und jedes Mal machte er mehr oder weniger deutliche Annäherungsversuche. Aber immer hielt mich irgendetwas davon ab, ihn brüsk abzufertigen. Es lag nicht an seiner Uniform, Autoritäten haben mir noch nie besonders imponiert. Vielleicht war es seine Macho-Tour, die mich irgendwie amüsierte. Er war so vorhersehbar.

Egal – entscheidend für das, was passieren sollte, war, dass er sich ganz offensichtlich für uns und für mich im Besonderen interessierte. Er behielt uns in gewisser Weise im Auge.

Okay, ich spielte auch ein bisschen mit ihm.

Man tut so was nicht, und schon gar nicht bei einem Polizisten, würde meine Mutter sagen.

Stimmt. Man tut so was nicht – aber gerade deshalb machte es mir Spaß. Und noch einmal mehr Spaß, weil es die anderen mitbekamen.

Beim Aussteigen erwiderte ich Yannis’ langen Blick mit einem Lächeln. Julian beobachtete unseren kurzen Austausch und wirkte für den Bruchteil einer Sekunde irritiert. Ich triumphierte. Also ignorierte er mich doch nicht.

Wenn es dunkel wird

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