Читать книгу Todbringende Entscheidung - Mara Dissen - Страница 10
5. Kapitel
ОглавлениеKommissar Axel Bronk legte den Kopf in den Nacken und verfolgte mit prüfendem Blick, die sich verdichtende Wolkendecke. Das Ergebnis seiner Erkundung schien ihn zufrieden zu stellen, wie ihn überhaupt nur wenig aus der Ruhe bringen konnte. Nahezu andächtig versenkte er seine Hände in den Hosentaschen, konnte dabei ein wissendes Grinsen nicht unterdrücken. Er kannte seine Angewohnheit, seine riesigen, unförmigen Hände zu verstecken, sei es in Taschen, verschränkt unter den Achselhöhlen, unter Tischplatten oder zur Not im Sitzen auch unter seinen Oberschenkeln. Bronk nannte es liebevoll Marotte. Der Kommissar war mit sich im Großen und Ganzen im Reinen, wollte aber seinen Mitmenschen den Blick auf seine hässlichen, klobigen Hände ersparen. Er neigte im Gesicht zu Hautirritationen, die häufig mit starkem Juckreiz verbunden waren, weshalb er darauf verzichtete seinen starken Bartwuchs täglich einer Rasur zu unterziehen. Seine untersetzte, gedrungene Statur, die er selber als kräftig bezeichnete, verlieh ihm etwas Behäbiges, Schwerfälliges, was durch sein mitunter unglückliches, ungeschicktes Verhalten noch verstärkt wurde. Es wäre jedoch ein Fehler gewesen, Bronks Charakterisierung darauf zu reduzieren. Der Kommissar war als guter Zuhörer bekannt, der nicht nur einfühlsam mit Opfern agierte, sondern auch Wert auf eine angemessene Behandlung von potentiellen Tätern legte. Sein Umgang mit Kollegen war freundschaftlich und respektvoll, was ihn vor Anfeindungen schützte, wenn seine Ermittlungen wieder einmal auf umständliche Weise vorangebracht wurden. Bronk war ausdauernd. Seine Mitarbeiter wussten, wenn er seine schwer zu bändigende, dunkelbraune Lockenmähne durch starkes Kopfschütteln in Schwingung versetzte, was einige silbergraue Strähnen zum Vorschein beförderte, hatte er sich zäh in einen Fall verbissen.
Bronk blieb vor dem Eingang der Tankstelle stehen, war unschlüssig, ob er sie betreten oder zunächst umrunden sollte und entschied sich für den Rundgang. Nach wenigen Metern klebte an seinen Schuhen eine dicke Matschschicht, was ihn zu der Einsicht führte, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Unter keinen Umständen wollte er der Tankwartin durch Verunreinigung des Verkaufsraums weitere Unannehmlichkeiten zumuten. Kopfschüttelnd stapfte er weiter, das Gebäude gewissenhaft mit den Augen absuchend, ohne zu wissen, was er zu finden glaubte.
>Typisch Bronk! Wozu sollte das jetzt dienen?<, fuhr es ihm durch den Kopf, als er, bis zu den Knöcheln verdreckt, wieder vor dem Eingang ankam. Mürrisch stampfte er mehrfach mit den Füssen auf, versuchte nach mäßigem Erfolg, den Dreck an seinen Schuhen an einer Steinkante abzustreifen, zuckte zusammen, als ihm eine Hand auf die Schulter gelegt wurde.
„Sie wollten doch bestimmt zu mir, Herr Kommissar. Lassen sie nur, wenn das trocken ist, fällt der ganze Dreck viel leichter ab. Kommen sie rein. Meine Kunden interessieren sich nicht für Sauberkeit. Die wollen hier nur billig tanken und shoppen und so schnell wie möglich wieder verschwinden. Nein, das stimmt nicht ganz. Seit einer Woche kommen viel mehr Kunden. Für die ist das Tanken zweitrangig, wollen mich sehen, mich, das Opfer und den Tatort, den sie dann wahrscheinlich zu Hause mit gruseligen, phantasievollen Details ausmalen. Nun kommen sie schon, gleich geht hier doch die nächste Husche runter.“ Energisch zog die Tankwartin den Kommissar am Jackenärmel zur Eingangstür. Nach wenigen Metern zuckte sie zusammen, ließ von ihm ab, krümmte sich, umklammerte mit beiden Händen ihren Nacken, trippelte gebückt, laut stöhnend in den Verkaufsraum und suchte Halt an einem Regal.
„Frau Stautmeister, wie kann ich Ihnen helfen?“, folgte ihr Bronk aufgeregt, sah sich situativ als Verursacher der körperlichen Qualen.
„Gleich, geht gleich wieder“, brachte es Petra Stautmeister kurzatmig, mit schmerzverzerrtem Gesicht fertig, den Kommissar auf Abstand zu halten. Bronk schaute sich suchend um, entdeckte einen Hocker, der scheinbar als Tritt zum Erreichen der oberen Regalbretter gedacht war, schnappte ihn sich, eilte zurück und drückte Petra sacht aber nachdrücklich auf die Sitzfläche. Petra schenkte ihm ein dankbares Lächeln, wollte sich jedoch sofort wieder erheben.
„Nein, nein, Sie bleiben jetzt erst einmal hier sitzen, bis ich mich davon überzeugt habe, dass Sie keinen Arzt benötigen.“
„Das geht nicht. Schauen Sie sich doch mal die Schlange da draußen an. Nur weil der eine Typ da am Zapfhahn nicht zu Potte kommt, ist hier am Tresen noch nicht der Teufel los. Die wollen nicht nur tanken, die kaufen auch. Das ist ein wichtiger Verdienst für mich, und den brauche ich dringender denn je. Sie wollten doch bestimmt auch noch etwas von mir, sonst wären Sie bei Ihrer vielen Arbeit nicht hierher gekommen. Wir können uns gerne unterhalten. Wird schon irgendwie gehen.“ Petra hatte ihren Oberkörper wieder aufgerichtet, drehte ihren Kopf zur Seite, sodass es ihr gelang, dem Kommissar schräg von unten ins Gesicht zu sehen. Sie bemühte sich, einen koketten Gesichtsausdruck aufzusetzen, ohne Spuren des Schmerzes ganz zu verdrängen. Als sie sich erheben wollte, wurde sie von Bronk entschieden zurückgedrückt.
„Ich erledige das jetzt hier. Die nächsten zwei Wagen fertige ich für sie noch ab, dann schließen wir. Lassen Sie mich nur machen. Das Geld, das Ihnen dabei durch die Lappen geht, ist nicht das Wichtigste. Sie denken jetzt mal an Ihre Gesundheit, und unser Gespräch, das hat Zeit, bis die da abgefertigt sind“, wandte er sich lächelnd zur Ausgangstür und näherte sich zielstrebig der Zapfsäule. Bronk empfand sein Vorgehen nicht als gute Tat, sondern als pflichtbewusstes, selbstverständliches Verhalten gegenüber einer hilfsbedürftigen Person. Er hätte das Kopfschütteln seiner Kollegen wieder einmal nicht nachvollziehen können.
Petra blieb wie ihr befohlen auf dem Hocker sitzen und verfolgte aufmerksam jeden Handgriff des Kommissars. Ihre Mundwinkel schoben sich unmerklich zu einem ironischen Grinsen in die Höhe.
>Das läuft ja wie am Schnürchen. Hab doch gewusst, dass du Gefallen an mir gefunden hast. Schade, dass Tanja deinen Balztanz nicht sehen kann<, interpretierte sie, die vor ihren Augen ablaufenden geschäftigen Szenen. Bronk wechselte seine Aktionsplätze Zapfsäule und Kasse im Laufschritt, wies, nachdem er drei Kunden bedient hatte, die Fahrer der immer länger werdenden Autoschlange energisch zurück, nahm deren Proteste ungerührt zur Kenntnis und stellte den altmodischen Ständer mit der Aufschrift <geschlossen> in der Einfahrt auf. Mühelos gelang es Petra, ihr selbstgefälliges Lächeln gegen einen gequälten Gesichtsausdruck auszutauschen, als Bronk die Ladentür energisch hinter sich schloss.
„So, das wäre erledigt. Habe sogar noch ein paar Spirituosen für Sie verkauft. Damit sie nicht allzu sehr wegen der verlorenen Kundschaft heute enttäuscht sein müssen“, beendete Bronk seine ungewohnten Arbeitsgänge, rieb seine verschmierten Handflächen aneinander und schaute sich suchend nach einer Reinigungsmöglichkeit um.
„Sie können da in den Nebenraum gehen. Da ist ein Waschbecken und unter dem Tisch liegt ein Stück Kernseife, falls Sie sowas brauchen. Nein, warten Sie, ich zeige es Ihnen.“ Mimik und Gestik zwischen unausweichlicher Qual und Selbstbeherrschung angesiedelt, gelang es Petra, das Helfersyndrom bei Bronk in Schwingung zu halten.
„Sie bleiben auf jeden Fall hier sitzen, bis ich mich gewaschen habe, und dann suchen wir uns einen Platz, der für Sie bequemer ist und unterhalten uns soweit Ihnen das heute möglich ist“, lächelte Bronk sie an und duldete keine Widerrede.
Petra hatte keinen Moment in Erwägung gezogen, sich seinen Anweisungen zu widersetzen. Es kam ihr jetzt zugute, dass sie in den zurückliegenden Jahren die Gesellschaft in Männergruppen dem Zusammenhalt in Frauengemeinschaften vorgezogen hatte. Sie glaubte zu wissen, wie Männer ticken, spürte jedoch im Umgang mit Bronk Verunsicherung. Sie schwankte, ihre derbe, burschikose Art, die durchaus anziehend auf manche Männer wirkte, auszuspielen oder sich auf eine hilfsbedürftige Zurschaustellung ihrer Person zu verlagern. Instinktiv entschied sie sich für eine Mischung der konträren Darstellungsformen.
„Kommen Sie, wir gehen in den kleinen Nebenraum. Ich habe da einen Stuhl mit Lehne entdeckt. Ist doch angenehmer für Sie als hier auf diesem ollen Hocker“, stand Bronk schon nach wenigen Minuten wieder vor Petra und umfasste ihren Ellenbogen, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. „Vorsichtig, verfangen Sie sich nicht wieder in Ihren weiten Hosenbeinen“, stieß er als besorgte Warnung aus, als Petra ins Straucheln geriet.
„Herr Bronk, Sie sind sehr aufmerksam, denken einfach an alles“, bedachte sie den Kommissar mit einem koketten Augenaufschlag und hielt sich unnötigerweise an seiner Schulter fest, ließ ihre Hand jedoch sofort wieder fallen, als sie spürte, dass sich Bronks Schulterpartie verkrampfte.
„Na ja, alles kann ich nicht im Kopf behalten, aber ich habe daran gedacht, Sie nach dem Zettel zu fragen, den Sie suchen wollten.“
„Den Zettel? Was für einen Zettel meinen Sie? Ich wollte was suchen? Wenn Sie meine Freunde fragen würden, bekämen Sie die Antwort: Vergessen Sie’s. Petra ist ’ne Schlampe, aber eine ausgesprochen liebenswerte“, kicherte sie, warf Bronk einen schnellen Blick zu, erfasste seinen versteinerten Gesichtsausdruck und entschied sich, einen Schmerzenslaut, begleitet von einer gequälten Mimik, auszustoßen.
„So, jetzt setzen Sie sich erst einmal. Im Sitzen lässt es sich viel besser reden und denken vielleicht auch.“ Die Hände in den Hosentaschen vergraben unternahm er keine Anstalten, Petra zu unterstützen und ihr somit unnötige Schmerzen zu ersparen. Bronk war eindeutig auf Distanz gegangen, was auch Petra nicht entging.
„Frau Stautmeister, bei dem Überfall auf die Tankstelle ist eine größere Summe Bargeld geraubt worden. Sie wollten mir und meinen Kollegen eine Auflistung machen, um welche Summe es sich handelt. Kann ich die Liste haben? Ich hole Sie gerne. Sie müssen nicht aufstehen. Sagen Sie mir nur, wo Sie sie hingelegt haben.“ Bronk blickte sich in dem kleinen Raum um, erweckte jedoch den Eindruck, als wäre er nicht von einem Erfolg seiner Suche überzeugt.
„Ach den Zettel meinen Sie. Nein, nein, den habe ich nicht verlegt. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich die Auflistung noch nicht gemacht habe. Ich stehe schon die ganzen Tage unter schwerem Medikamentenbeschuss und kann noch nicht klar denken. Und die Summe muss doch genau stimmen, mit der entwendeten übereinstimmen, meine ich. Sonst hätte ich Sie ja belogen und das würde doch Ihre Arbeit erschweren, Herr Bronk“, versuchte sie mit leicht schräg nach oben gerichtetem Kopf, Augen- und Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen, den Kommissar erneut für sich zu gewinnen. Befriedigt stellte sie fest, dass Bronk ihr Lächeln erwiderte, zuckte jedoch zusammen, als die Lachfältchen augenblicklich von tief zerfurchten Stirnfalten abgelöst wurden, die nichts Gutes verhießen.
„Bitte machen Sie diese Auflistung so schnell wie möglich. Ich schicke Ihnen gerne einen Kollegen, der Ihnen bei der Arbeit behilflich ist. Ich meinte aber mit meiner Frage nicht diese Liste. Sie wollten mir den Zettel geben, den Sie tagelang an der Tür befestigt hatten und am Tag des Überfalls entfernt haben. Dieser Zettel steht ja wohl unmittelbar in Zusammenhang mit dem Raub.“ Bronk gab sich sichtlich Mühe, seine wachsende Ungeduld zu verbergen.
„Ach, jetzt weiß ich, was für einen Zettel Sie meinen. Und der hängt mit dem Raub zusammen? Kann ich jetzt gar nicht mehr nachvollziehen. Sie müssen mir schon auf die Sprünge helfen“, erwiderte Petra nun ihrerseits um Beherrschung bemüht.
„Frau Stautmeister, wollen wir das Gespräch wirklich fortsetzen oder möchten Sie nach Hause, vielleicht zu einem Arzt gebracht werden? Wir haben doch bereits ausführlich über den Ablauf des Raubes gesprochen. Wir müssen die offenen Fragen klären. Wollen wir das morgen machen?“ Bronk beobachtete Petras Reaktionen und fuhr fort, als sie sich zu einem heftigen Kopfschütteln entschieden hatte.
„Also: Sie teilten mir mit, dass sich in der Kasse eine erhebliche Summe Bargeld befand. Wie gesagt, die Auflistung von Ihnen fehlt uns noch. Es stellte sich mir aber die Frage, wieso eine große Summe in der Kasse war. Heutzutage bezahlen doch viele, wenn nicht die meisten Leute, mit Karte, vor allem, wenn es sich um größere Geldbeträge wie beim Tanken, verbunden mit shoppen, handelt. Sie haben mir das so erklärt, dass Ihr Kartenlesegerät defekt war, und Sie dieses durch einen Zettel an der Eingangstür mitgeteilt haben. Diesen Zettel hätte ich gerne. In unserem letzten Gespräch waren Sie der Meinung, ihn in Ihre Hose gesteckt zu haben. Da war er aber nicht. Haben Sie diese Hose getragen, die Sie heute anhaben, mit der Sie sich gerade eben und am Tag des Raubes verheddert haben?“
Petra hatte sich auf dem Stuhl kerzengerade aufgerichtet. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, hatte dem Mahlen der Backenknochen Platz gemacht. Es war nur schwer auszumachen, ob sie die Frage nicht verstanden hatte oder nicht verstehen wollte, um Zeit zu gewinnen, Zeit, die sie benötigte um den Kommissar neu einzuschätzen, in erster Linie jedoch, um ihre aufsteigende Wut unter Kontrolle zu bringen.
„Ich bringe Ihnen den Zettel. Ich habe ihn im Schmutzwäschekorb gefunden. Ist wohl aus der Hosentasche gefallen, als ich die Hose da reinschmiss. Sie hatten sich für mich nicht klar ausgedrückt, sonst hätte ich Ihnen den Wisch schon in die Hand gedrückt, bevor Sie überhaupt den Kassenraum betreten hatten“, fügte sie patzig an, was Bronk zu einem leichten Schmunzeln veranlasste. „Natürlich weiß ich auch, dass er mit dem Überfall in Zusammenhang steht oder sagen wir mal besser, stehen könnte. Weshalb Sie den Schrieb haben wollen, entzieht sich mir aber jeglicher Einsicht. Da ich jetzt kapiert habe, welchen Zettel Sie haben wollen, können wir ja davon ausgehen, dass Sie exzellent im Erklären sind. Dann werde ich ja wohl auch gleich kapieren, wozu Sie den Fetzen brauchen.“
Mit hochrotem Kopf, der eindeutig ihrer Verärgerung zuzuschreiben war, stützte sich Petra an den Stuhllehen ab, kam ächzend zum Stand und schlurfte zu einem kleinen Regal, wobei sie sich bemühte, keinen allzu gebrechlichen Eindruck zu hinterlassen. Bronk beobachtete Petra, ohne auf ihre Äußerungen einzugehen, zog einen klapprigen Hocker unter einem Tischchen hervor, nahm umständlich darauf Platz und verbarg seine riesigen Hände unter den Oberschenkeln.
„So, hier, der Zettel wie Sie das Ding nennen. Ich würde es eher als Wisch bezeichnen. Tut mir leid, dass er so zerknüddelt ist, aber ich habe wirklich nicht gewusst...“,
„Schon gut, unterbrach sie Bronk. Geben Sie her und beruhigen Sie sich wieder. Ich habe doch vollstes Verständnis für Ihre Situation.“ Bronk strich das Papier auf seinen Knien glatt. ZUR ZEIT KEINE KARTENZAHLUNG MÖGLICH. NUR BARZAHLUNG!!! Bronk starrte auf den Zettel, während sich seine Lippen lautlos bewegten.
„Das ist in sehr schönen Druckbuchstaben handschriftlich verfasst. Haben Sie das geschrieben?“
„Ja, wer denn sonst? Danke für das Lob“, rang sich Petra nun wieder ein Lächeln ab.
„Warum haben Sie hinter Barbezahlung drei Ausrufezeichen gemacht und hinter den Satz mit der Kartenzahlung nur einen Punkt?“, setzte Bronk seine Befragung fort.
„Na, weil ich eben Bargeld wollte. Ich meine brauchte. Na, Sie wissen schon, wie ich das meine. Das Bargeld war doch das Wichtige. Ich meine, dass die Leute Bargeld dabei haben, ist doch nicht selbstverständlich. Mein Gott, Sie machen mich ganz bussig.“
„Ganz ruhig, Frau Stautmeister. Es kommt alles in Ordnung. War das Schild an der Tür denn nicht zu spät? Hatten die Kunden dann nicht schon getankt? Was, wenn die kein Bargeld hatten?“
„Ich stehe doch an der Zapfsäule und habe es den Kunden vor dem Tanken mitgeteilt. Aber Sie haben Recht. Dann hätte ich mir das Schild an der Tür auch sparen können“, lachte Petra nervös auf.
„Sagen Sie, Frau Stautmeister, wie lange ging die Sache mit der Barzahlung? Hier auf dem Zettel steht kein Datum“, hakte Bronk nach.
„Na, so zwei, drei Tage. Vielleicht auch länger“, murmelte Petra verunsichert.
„Sie sind hier die Tankwartin. Sie sollten schon wissen, wie lange ihr Kartengerät nicht funktionierte. Was haben Sie denn und vor allem wann unternommen, damit Ihr Lesegerät wieder funktioniert?“, hatte Bronks Stimme etwas Lauerndes angenommen.
„Ich habe da diese Firma oder sowas angerufen. Habe da eine Adresse, aber die kamen einfach nicht an Land, und ich konnte hier ja nicht weg. Ich kann Ihnen die Nummer raussuchen. Ich weiß jetzt wirklich nicht, wann das war. Ist das denn so wichtig?“ Petras Stimme schwang zwischen Unruhe und Aufsässigkeit, was Bronk mit Nichtbeachtung bedachte.
„Na, lassen Sie mal. Ich schicke Ihnen nachher noch einmal einen Kollegen vorbei. Das wird sonst zu viel für Sie hier mit mir. Dem können Sie dann die Adresse geben. Der forscht dann dort nach. Es wäre gut zu wissen, wie lange das Ganze lief. Dann können wir vielleicht über die Kunden in diesem Zeitraum den Täterkreis eingrenzen. Sie haben doch fast ausschließlich Stammkunden, gehe ich von aus. Ihre, na sagen wir mal, Aufforderung nach Bargeld hat bestimmt Begehrlichkeiten geweckt, und vielleicht ist ja ein Stammkunde zweimal gekommen, einmal zum Tanken und einmal zum Geldholen. Da haben Sie nun den möglichen Zusammenhang zwischen Ihrem Zettel und dem Raub. Schreiben Sie mir bitte die Namen usw. von Stammkunden auf, soweit Sie solche Angaben haben.“
„Ach du Scheiße“, entfuhr es der Tankwartin. „Ist ja logisch. Halten Sie mich bitte nicht für doof“, bemühte sie sich, die Unwissende darzustellen, was ihr jedoch nur schlecht gelang.
„Eins verstehe ich nicht, Frau Stautmeister. Warum haben Sie das Geld denn nicht jeden Abend zur Bank gebracht?“, stellte Bronk seine nächste Frage und ließ Petra dabei nicht aus den Augen.
„Hier? Zur Bank? Sehen Sie eine? Dann müsste ich ganz da hinten in die Stadt fahren. Und das jeden Abend? Wissen Sie eigentlich wie anstrengend das ist, hier jeden Tag als Frau alleine ihren Mann zu stehen? Auf diese Fahrt hatte ich nun wirklich keinen Bock. Außerdem bin ich ziemlich angstfrei, lebe auch privat alleine, habe viele männliche Freunde, weiß mich zu wehren. Bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass es jemand wagt, hier einzubrechen. Nachts ist hier doch auch kein Mensch.“ Petra rutschte bei dem Redeschwall unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
„Na, das kann man ja jetzt nicht mehr aufrechthalten. Und nachts sind Sie ja gar nicht hier. Warum sollten Sie sich da wehren müssen. Aber lassen wir das. Warum haben Sie die Registrierkasse nicht abgeschlossen, Frau Stautmeister?“, schob Bronk seine nächste Frage unvermittelt nach.
„Weiß ich nicht. War wohl noch nicht fertig, wollte ich wohl machen, nachdem ich mich im Nebenraum gewaschen habe“, nuschelte Petra unwillig, das Kinn auf die Brust gesenkt.
„Moment, Frau Stautmeister. Das verstehe ich jetzt nicht“, hob Bronk erstaunt die Augenbrauen und schaute nachdenklich in ein Notizbuch, das er aus seiner Jackentasche gezogen hatte. „Also noch einmal von vorne. Sie haben gegen zwanzig Uhr die Tür zum Verkaufsraum abgeschlossen. Ca fünfzehn Minuten waren Sie mit Aufräumarbeiten und Bestandsaufnahme beschäftigt. Dann haben Sie sich vergewissert, dass die Tür auch wirklich abgeschlossen war, sind in den Nebenraum gegangen, um sich zu waschen, umzuziehen und nach Hause zu fahren. Sie haben Geräusche gehört, haben in den Ladenraum geschaut, eine mit Schal und Mütze vermummte Person hat sich auf Sie gestürzt und gestoßen. Sie sind über Ihre Hosenbeine gestolpert, auf die Werkbank geknallt, Feierabend. Gehirnerschütterung, schwere Rückenprellungen, Rippenbrüche, Bänderriss an der linken Schulter. Als Sie wieder zu sich kamen, riefen Sie den Krankenwagen, und die Besatzung alarmierte die Polizei. Gesehen haben Sie gar nichts. Doch halt. Als Sie sich vergewissert haben, ob die Tür verschlossen ist, glaubten Sie, ein Auto dort auf der Straße gesehen zu haben. Stehend. Unbeleuchtet. Ist das alles so korrekt?“, wandte sich Bronk an Petra und schüttelte seine Löwenmähne.
„Ja, wird wohl. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich groggi war und jetzt ein bisschen bussig“, antwortete Petra ausweichend.
„Sie haben gesagt, Sie verlassen das Tankstellengebäude immer durch die hintere Ausgangstür, die von dem kleinen Nebenraum ausgeht, in dem wir uns jetzt befinden, die hier neben uns. Sie haben außerdem gesagt, nach dem Umziehen gehen Sie nie mehr in den Verkaufsraum. Sie hätten dann genug von dem Öl- und Benzingestank. Sie wollten die Kasse an dem besagten Tag nicht abschließen, Frau Stautmeister.“ Bronk hatte sich vorgebeugt und kratzte sich an seinem Gesichtsausschlag, der in den letzten Minuten deutlich an Röte zugenommen hatte.
„Dann wollte ich es an diesem Abend eben anders machen und hätte bestimmt noch abgeschlossen. Was weiß ich. Ich war doch noch gar nicht umgezogen. Ist doch auch egal. Der Einbrecher wäre doch bestimmt auch an das Geld gekommen, wenn die Kasse abgeschlossen gewesen wäre. Hören Sie, ich habe die Tankstelle nur gepachtet. Der Verpächter muss für Reparaturen und Instandsetzung aufkommen. Schauen Sie sich die Tür an. Die ist doch jetzt nur notdürftig geflickt, muss vollständig erneuert werden. Die Versicherung hat bestimmt auch noch ein Wörtchen mitzureden. Wenn die rauskriegen, dass ich die Kasse nicht abgeschlossen hatte und schon so lange das Geld darin lag, der Zettel an der Tür mit der Einladung, wie Sie es nennen, machen die mir doch Ärger. Lassen Sie mich einfach mit Ihren Fragen in Ruhe.“ Es gelang Petra nicht, ihre Aggressionen zu verbergen, gab sich eindeutig auch keine Mühe, ließ Bronk spüren, dass er ihr lästig war.
„So, jetzt lassen wir mal das Rumgeeiere, umso schneller bin ich wieder verschwunden. Vielleicht habe ich sogar mehr Verständnis für ihr Verhalten, als Sie annehmen. Ich komme ja nun schließlich nicht von der Versicherung. Wie lange also?“, glaubte Bronk, der Wahrheit an dieser Stelle näher zu kommen.
„Ach, was soll’s“, schnaufte Petra und gab ihren Widerstand auf. „Zwei Wochen ohne Lesegerät, vielleicht auch etwas länger, ja, verdammt, länger. Hab dann das Geld in einen kleinen Koffer gepackt, hat ja nicht mehr in die Kasse gepasst. Koffer ist auch weg.“
Petra drehte Bronk den Rücken zu, wollte ihm bei ihrer peinlichen Aussage nicht in die Augen sehen.
Bronk starrte sie entsetzt an, konnte für sich nicht so schnell einordnen, ob er das Vorgehen naiv, oder grob fahrlässig einstufen sollte, gewann nach einigen qualvoll verrinnenden Minuten seine Sprache zurück.
„Geht doch. Na, dann viel Spaß bei der Arbeit. Auflistung der Stammkunden dürfte über einen so langen Zeitraum ganz schön aufwendig für Sie sein, und dann die Aufstellung der entwendeten Gelder. Wie viele Kunden haben Sie in einer Stunde? Zehn? Jeder tankt, sagen wir mal, für fünfzig Euro. Reicht das überhaupt? Tja, und geöffnet von sieben Uhr bis neunzehn Uhr. Was meinten Sie? Drei Wochen ohne Lesegerät? Sie haben sich diesbezüglich noch nicht bei mir festgelegt. Na, auf jeden Fall kommt ein ganz schönes Sümmchen zusammen. Wow. Die Sache mit der Versicherung, tja, da müssen Sie durch. Kann böse enden, aber auch verständlich, bei Ihrem Leichtsinn, oder? Wünsche Ihnen Glück“, schüttelte Bronk fassungslos den Kopf.
Petra antwortete nicht sofort, schmiss einen ölverschmierten Lappen, mit dem sie sich die Hände abgewischt hatte, wütend in die Ecke.
„Die Einnahmen, also in dem konkreten Fall das Geld, das geklaut wurde, fließen an den Verpächter und der macht dann die Abrechnung. Der Verpächter war im Krankenhaus und konnte seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, hat gar nicht gemerkt, dass ich nichts eingezahlt habe. Die Mahnungen des Benzinlieferanten hat er ja im Krankenhaus auch nicht erhalten. Er hat mir einfach vertraut. Deshalb war ich wahrscheinlich so bescheuert leichtsinnig, hab es einfach schleifen lassen. Nun ist das verdammte Geld weg. Ich habe mächtig Ärger am Hacken. So, nun ist alles gesagt, Herr Bronk. Sie erfahren es ja sowieso.“ Petra warf dem Kommissar einen Blick zu, der an Hilflosigkeit und Resignation nicht zu überbieten war.
„Tja, was soll ich dazu sagen. Ich habe hier nur einen Raub aufzuklären. Über Regressansprüche, mögliche Gerichtsverfahren habe ich Gott sei Dank nicht zu entscheiden. Warten Sie einfach ab, wie sich alles weiter entwickelt. Die werden sich alle schon melden, wenn sie was von Ihnen wollen. Aus meiner Sicht soll es für heute erst einmal reichen, Frau Stautmeister. Sie hatten übrigens Recht. Der Matsch an meinen Füßen ist getrocknet, hat sich von meinen Schuhen gelöst und hinterlässt jetzt hier überall wo ich war eine Dreckspur. Das ist übrigens die gleiche Dreckspur, die wir hier nach dem Überfall vorgefunden haben. Sie haben gesagt, dass die nicht von Ihnen und auch nicht von den Kunden stammte. Alle wären über die gepflasterten Teile der Anlage gekommen. Sind Sie sich sicher, dass Sie einen Wagen auf der gepflasterten Straße gesehen haben? Woher dann der Dreck?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hob er die Hand, was Abschiedsworten gleichkommen sollte, überlegte es sich aber anders und blieb noch einmal stehen. „Ach, und dann nachher mein Kollege, Sie wissen schon, die Auflistung. Mein Kollege hilft Ihnen auch gerne bei der Aufstellung. Soll ich Ihnen ein Taxi rufen? Soll mein Kollege zu Ihnen nach Hause kommen?“ Bronk schaute die Tankwartin länger als erforderlich an, schien jede auch nur kleinste Regung wahrnehmen zu wollen, schüttelte erneut seine Haarpracht und verließ zügig den Laden.
>Dann hatte dein Weg durch den Matsch um das Haus herum doch einen Sinn. Der Täter kam nicht von der Straße<, freute sich Bronk, als er in sein Auto stieg. Mit Petras fahrlässigem Verhalten, das eingenommene Geld zu horten, wollte er sich zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen, übersah die Fragen, die damit im Zusammenhang standen.
Petra verharrte noch lange auf der unbequemen Sitzgelegenheit. Sie hatte die Lust verloren, Tanja von Bronks Besuch zu berichten, war sich über das Maß ihrer Selbstüberschätzung schmerzlich bewusst geworden.